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Asal Dardan hat am Wochenende ein Statement in der taz gesetzt. (Illustration von mir.)

Zerbrechlichkeit und Hoffnung

Eine trans Frau nahm sich im Männergefängnis das Leben, reproduktive Rechte sind weltweit unter Beschuss, Deutschland hat einen Beauftragten gegen Gadje-Rassismus und Chile einen neuen Präsidenten. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW10

Montag, 7. März

Im Hamburger Gefängnis „Santa Fu“, der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, hat sich eine 52-jährige trans Frau das Leben genommen. Sie soll von den männlichen Mitinsassen gemobbt worden sein, schreibt queer.de. Zuerst hatte die BILD-Zeitung über den Fall berichtet und Vorwürfe gegen die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina erhoben. Die Behörde hätte von der Situation der Frau gewusst. Seit August 2021 sei die Frau in Haft gewesen, seitdem habe es zwölf „Suizidabklärungen“ durch Psycholog*innen gegeben. Zudem habe die Insassin sich beschwert, dass sie auch durch Justizbeamt*innen „aufgrund ihrer Transsexualität vorsätzlich schlecht behandelt würde“, schreibt die BILD.

Aktuell machen transfeindliche Radikalfeminist*innen (TERF) massiv Stimmung gegen das von der Ampelkoalition geplante „Selbstbestimmungsgesetz“, dass das diskriminierende „Transsexuellengesetz“ (TSG) ersetzen soll. Die Gegner*innen dieser notwendigen Reform behaupten u.a., dass das Selbstbestimmungsgesetz cis Frauen gefährden würde, weil es Männern die Möglichkeit eröffnen würde, in Frauen(schutz)räume einzudringen. Dabei wird besonders häufig das Gefängnis als Beispiel herangezogen. Die Forderung von EMMA und Co: trans Frauen soll der Zugang zu Frauengefängnissen verwehrt werden. Was das im Einzelfall bedeutet, zeigt nun beispielhaft der Fall aus Hamburg.

Dienstag, 8. März

Am Dienstag war Internationaler Frauentag, oder wie ich ihn nenne „feministischer Kampftag“. Die Debatten, die diesen Tag begleiten, waren dieses Jahr die gleichen wie schon im letzten Jahr. Während die einen (so auch ich) fordern, dass der Tag inklusiv sein muss für ALLE vom Patriarchat unterdrückten Personen, also neben Frauen (cis und trans) auch nicht-binäre Personen, trans Männer, inter sowie agender Personen, beharren die Anderen darauf, dass der Tag ausschließlich für Frauen reserviert sein soll. Oft sind damit dann auch nur cis Frauen gemeint, also die Frauen, denen schon bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet wurde. Wer den 8. März exklusiv für Frauen beansprucht, vernachlässigt die gesellschaftlichen Realität, die längst nicht so binär ist, wie es die „Zweite-Welle“-Feminist*innen gerne hätten. Feministische Kämpfe für Gleichberechtigung, die Menschen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit ausschließen, sind nichts wert. Alle zentralen Themen des Feminismus betreffen längst nicht nur Frauen. Seien es Kämpfe für reproduktive Selbstbestimmung, gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt, für Equal Pay oder gegen Catcalling und strukturelle Diskriminierung. Nicht nur Frauen leiden unter Periodenarmut, nicht nur Frauen sind von patriarchaler Gewalt bedroht. Feminist*innen, die das ignorieren oder gar leugnen, machen sich zu Kompliz*innen patriarchaler Herrschaft.

Mittwoch, 9. März

Mehmet Daimagüler ist der erste „Antiziganismus“-Beauftragte der Bundesregierung. Ich schreibe den Begriff in Anführungszeichen, weil (manche) Betroffene berechtigte Kritik daran äußern. Die Bezeichnung reproduziert die rassistische Fremdbezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja. Alternativ kann zum Beispiel von „Gadje-Rassismus“ gesprochen werden. „Gadje“ (gesprochen Gadsche) ist ein romanipe Wort für nicht-romane Menschen. Anstelle des von der Bundesregierung verwendeten Wortes, zielt der Begriff „Gadje-Rassismus“ auf die Rassismus-Ausübenden ab und reproduziert nicht das diskriminierende Wort. Elsa Fernandez schreibt in ihrem 2020 erschienen Buch „Fragmente über das Überleben – Romani Geschichte und Gadje-Rassimus“ dazu: „Ich verwende den Begriff ‘Gadje-Rassismus’, um aus einer romani Perspektive das Netz der Verleumdungen, Verleugnungen und Zuschreibungen und das Ausmaß der Gewalt zu beschreiben, die Rom*nja, Manouches, Sinti*zze, Kalé und andere Communitys erlebt und überlebt haben, erleben und überleben.“

Von der Bezeichnung mal abgesehen, halte ich die Schaffung dieser Position für ein wichtiges Zeichen. Die systematische Verfolgung und Ermordung der Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland wurde nie richtig aufgearbeitet und der Rassismus gegen bzw. die Ausgrenzung von romanen Menschen wird noch immer kaum thematisiert. Ich schätze Mehmet Daimagüler sehr für seinen engagierten Einsatz für die Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Dennoch hätte ich mich auch über eine Person in dieser Position gefreut, die selbst von Gadje-Rassismus betroffen ist. Romane Persönlichkeiten sind in Deutschland nahezu unsichtbar. Ich selbst komme nach intensivem Nachdenken (und ohne googlen!) auf vier! Das ist nicht mal eine Handvoll.

Auch am Mittwoch

In einem Bach bei Babenhausen (Nähe Offenbach) haben Spaziergänger*innen am Mittwoch die Leiche einer Frau gefunden. Ob es sich um einen Femizid handelte, war zunächst noch unklar. Am Freitag teilte die Polizei mit, dass nach der Obduktion eine Gewalttat ausgeschlossen werden könne. Die Identität der Frau und die Hintergründe der Tat sind weiterhin unklar.  

Donnerstag, 10. März

Das Parlament in Guatemala hat am 8. März ein antifeministische und antiqueeres Gesetz verabschiedet. U.a. sieht es vor, die Strafen für Abtreibungen von drei auf zehn Jahre Haft zu erhöhen. Das „Gesetz zum Schutz des Lebens und der Familie“ verbietet weiterhin Schulunterricht zu sexueller Vielfalt. Auch die gleichgeschlechtliche Ehe wird mit dem Gesetz „ausdrücklich verboten“. Der erzkonservative Präsident des Landes, Alejandro Giammattei, hätte das Gesetz unterzeichnen müssen, damit es in Kraft tritt. Das hat er aber überraschenderweise nicht getan. Wie der SPIEGEL berichtet, verstoße das Gesetz nach Auffassung des Präsidenten gegen die Verfassung und gegen internationale Abkommen. Giammattei würde sein Veto einlegen, erklärte er am Donnerstag in einer Ansprache. Damit ist zwar zunächst das Schlimmste abgewendet, echte Erleichterung kommt aber nicht auf. In Guatemala sind schon jetzt die allermeisten Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe verboten, Alejandro Giammattei ist radikaler Abtreibungsgegner, der ebenfalls am Donnerstag am »Iberoamerikanischer Kongress für das Leben und die Familie« teilnahm, einer Veranstaltung der religiösen Pro-Life-Bewegung. Auf Twitter erklärte Giammattei: „Dies ist ein großer Tag zum Feiern, denn Guatemala wurde zur Pro-Life-Hauptstadt Iberoamerikas erklärt, und dies ist eine Einladung, sich gemeinsam für den Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod in seinen fünf Stadien einzusetzen.“

Unterdessen hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Mittwoch neue Richtlinien zu sicheren Abtreibungen veröffentlicht. Jedes sterben rund 39.000 ungewollt Schwangere bei unprofessionell durchgeführten Abbrüchen. Die WHO fordert deshalb Zugang zu Abtreibungen durch medizinisch ausgebildetes Personal, das die Rechte und Bedürfnisse der Schwangeren respektiert. „Niemand sollte Anfeindungen ausgesetzt sein oder Gefahr laufen, angezeigt oder zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden, weil er oder sie eine Abtreibung in Anspruch genommen oder durchgeführt hat“, sagte Bela Ganatra, Wissenschaftlerin in der Abteilung für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Forschung der WHO.

Freitag, 11. März

In Chile wurde am Freitag ein neuer Präsident vereidigt: Gabriel Boric ist 36 Jahre alt, hat Vollbart und Tattoos. Er ist der jüngste Präsident in der Geschichte, in seinem Kabinett sitzen mehr Frauen als Männer. „Habt keine Angst vor der Jugend, wir haben die Erfahrung derer, die vor uns gekämpft haben. Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus war, dann kann es auch das Grab sein. Aber eines auf dem alle Blumen blühen“, sagte Boric laut Tagesschau. Es macht Hoffnung, dass sich der ehemalige Studierendenführer gegen seinen Kontrahenten durchsetzen konnte, den deutschstämmigen José Antonio Kast, der als neofaschistisch beschrieben wurde. Trotzdem sollten wir weder in Personenkult verfallen, noch glauben, dass Boric den Kapitalismus stürzen wird. Er ist weder Kommunist noch Sozialist. Expert*innen beschreiben seine politischen Positionen als sozialdemokratisch. Das soll die Freude über den Machtwechsel in Chile nicht schmälern, lediglich die Erwartungen zurechtrücken. Ich hoffe sehr, dass die neue Regierung ihre Ziele, wie bspw. kostenlose Bildung und Gesundheitsvorsorge, umsetzen kann. Venceremos!

Bei seiner militärischen Ehrung im Rahmen der Amtseinführung unterbrach Gabriel Boric das offizielle Programm, um sich vor der Statue von Salvador Allende zu verbeugen. Er ist ein Meister der Symbolik. Ich wünsche ihm und seinem Kollektiv, wie er sein Kabinett nennt, von Herzen alles Gute und viel Erfolg.

Samstag, 12. März

Im US-Bundesstaat Florida protestieren Tausende gegen das „don’t say gay“ Gesetz, das am Dienstag vom Senat verabschiedet wurde. Offiziell heißt es „Gesetz zur Regulierung elterlicher Rechte in der Bildung“ und muss jetzt noch vom ultrakonservativen Gouverneur Ron DeSantis unterzeichnet werden. Im Gesetzestext heißt es, dass „das Besprechen von sexueller Orientierung und Geschlechter-Identität in Unterrichtseinheiten vom Kindergarten bis zur 3. Klasse oder in einer Art und Weise, die nicht altersgerecht ist“ verboten wird. Das „Trevor Projekt“, eine NGO, die sich für queere Jugendliche engagiert, hat eine Studie durchgeführt, nach der die Wahrscheinlichkeit für Suizidversuche bei Jugendlichen um 23 Prozent sinkt, wenn die Schule sich positiv mit queeren Themen befasst und die Kids in ihrer Identität bestärkt. „Generell werde die psychische Gesundheit queerer Jugendlicher maßgeblich von dem Umgang mit LGBT-Themen in der Schule geprägt“, schreibt der Tagesspiegel. Nicht nur in Florida sind die Rechte nicht-heterosexueller Menschen in Gefahr. Zahlreiche Staaten verbieten es inzwischen trans Mädchen und Frauen am Schulsport bzw. an Wettkämpfen teilzunehmen. Auch die reproduktive Selbstbestimmung wird vielerorts angegriffen. In Missouri wird derzeit ein Gesetz vorbereitet, das Abtreibungen mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Außerdem sollen auch die Personen bestraft werden können, die einer ungewollt Schwangeren helfen, einen Abbruch außerhalb des Bundesstaates durchführen zu lassen. Damit wäre es nicht nur medizinischen Fachkräften verboten, eine Abtreibung vorzunehmen, es würden auch Personen bestraft, die Informationen, Transportmittel oder finanzielle Unterstützung für jemanden bereitstellen, der eine Abtreibung vornehmen lassen will. Sogar die „Bereitstellung von Internetdiensten, die es den Einwohnenden von Missouri ermöglichen, auf Websites zuzugreifen, die zu Abtreibungen ermutigen oder diese ermöglichen“, wäre dann verboten.

Die hart erkämpften Rechte von Frauen, von queeren Personen, sind so fragil. Und wir sollten uns auch in Deutschland nicht entspannt zurücklehnen. Der antifeministische und antiqueere Backlash ist weltweit vernetzt.

Sonntag, 13. März

In der Wochenendausgabe der taz ist ein wichtiger Text von Asal Dardan erschienen. Er heißt: „Selbstverständlich unsere Sache“. Ich habe jetzt ziemlich viel Zeit damit verbracht zu versuchen, ihn zusammenzufassen, den Kern herauszuarbeiten und das treffendste Zitat zu übernehmen. Doch es geht nicht. Der Text ist, so wie er ist, lesenswert. Nehmt euch die Zeit und lest ihn ganz. Vor allem dann, wenn ihr immer noch findet, der Frauentag sollte nur für cis Frauen sein.

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