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Foto: Celestine Hassenfratz

Keine Fairness im Kapitalismus

In Mannheim tötet die Polizei einen Menschen, in den USA fällt das Recht auf Abtreibung und im Internet haben Hipster ihren Helden verloren. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW18

Montag, 2. Mai

In Mannheim wurde erneut ein Mann von der Polizei getötet. Wieder handelt es sich bei dem Getöteten um einen psychisch kranken Menschen. Der 47-Jährige soll Deutscher mit kroatischem Migrationshintergrund sein. Auf einem Video, das in den Sozialen Medien kursiert, ist zusehen, wie ein Polizist den auf dem Bauch liegenden Mann, dessen Hände auf dem Rücken fixiert sind, mehrfach mit der Faust ins Gesicht schlägt. Später sieht man, wie der Mann mit blutendem Gesicht leblos auf dem Rücken liegt. Während die ARD ihre übliche Copaganda (kurz für Cop-Propaganda) verbreitet und von einem „Todesfall nach Polizeikontrolle“ spricht, sieht es für die ganze Welt zumindest sehr danach aus, dass das Opfer totgeschlagen wurde. Das Landeskriminalamt nennt das „unmittelbaren Zwang“. Die Todesursache ist jetzt Gegenstand von Ermittlungen. „Verlässlichen SWR-Informationen“ zufolge, war der Getötete seit 20 Jahren wegen einer Angsterkrankung in Behandlung, „ein Verwandter beschreibt ihn als gutmütigen Menschen“. Der Mann, von dem offenbar keinerlei Gefahr ausging, war von der Polizei in der Mannheimer Innenstadt aufgespürt worden, nachdem ein Arzt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) die Cops informiert hatte, dass ein Patient „möglicherweise Hilfe brauche“. In einem weiteren Video, das auf Twitter zu finden ist, sieht man, wie der Polizist, der später prügelt, dem Mann offenbar grundlos eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht sprüht, woraufhin der 47-Jährige versucht zu fliehen.

Immer wieder sterben Menschen, sehr häufig psychisch kranke, während Polizeieinsätzen oder werden von der Polizei getötet. Erst Mitte April wurde in Neukirchen-Vluyn ein 50 Jahre alter, psychisch kranker Mann von der Polizei in seiner Wohnung erschossen. In Offenbach starb am Dienstag ein 38-jähriger Mann während eines mehrstündigen SEK-Einsatzes. Der Mann, der schon mehrfach wegen psychischer Erkrankungen in einer Klinik war, stürzte vom Dach eines Mehrfamilienhauses, auf das er vor der Polizei geflüchtet war. „Trotz langen und intensiven Zuredens der Einsatzkräfte konnte er nicht dazu gebracht werden, wieder in seine Wohnung zurückzukehren“, erklärte die Polizei. Der Polizeieinsatz, der um ca. 16 Uhr begann, endete um 21.55 Uhr mit dem Tod des Mannes. „Zum Zeitpunkt des Sturzes seien keine Polizeikräfte in seiner unmittelbaren Nähe gewesen“, betonte die Polizei laut Frankfurter Rundschau.

Auch am Montag

Am Montag war Release-Day von „Von hier aus gesehen“, dem Buch an dem ich seit über einem Jahr gemeinsam mit Celestine Hassenfratz und Anna Rother gearbeitet habe. Wir sind super glücklich, dass es endlich erschienen ist und ihr könnt es in allen Buchhandlungen deutschlandweit oder online bestellen!

Ich habe am Montag spontan eine schöne Webseite gebaut, auf der alle Infos zum Buch zu finden sind: vonhierausgesehen.de

Dienstag, 3. Mai

Der CSU-Generalsekretär Stephan Mayer ist nach nur kurzer Amtszeit zurückgetreten. Offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Inoffiziell kursiert allerdings die Vermutung, dass der Rücktritt mit der Bedrohung eines Journalisten zusammenhängt. Mayer soll zu einem Mitarbeiter der BUNTEN gesagt haben: „Ich werde Sie vernichten. Ich werde Sie ausfindig machen, ich verfolge Sie bis ans Ende Ihres Lebens.“ Der Journalist hatte einen Artikel veröffentlicht, in dem er über das uneheliche Kind des CSU-Mannes berichtet, für das Mayer den Unterhalt verweigern soll. Fröhlichen Tag der Pressefreiheit allerseits.

Auch am Dienstag

In Burgdorf (Niedersachsen) ist eine 35-jährige Frau auf offener Straße getötet worden. Wie die Polizei mitteilte, wurde die Frau „mit einem nicht weiter bekannten Stichwerkzeug“ von einem unbekannten Mann lebensgefährlich verletzt. Sie starb noch am Tatort. Ein 37 Jahre alter Mann stellte sich später der Polizei, zu seinem Motiv schwieg er laut Ermittlungsbehörden. Das kurdische Nachrichtenportal ANF berichtet, dass die Getötete Esra hieß und Ezidin war. Beim mutmaßlichen Täter soll es sich um ihren Ehemann handeln. „Der Mord fand tagsüber auf offener Straße statt, der Täter Hüseyin C. soll von hinten an sie herangetreten sein, als sie ins Auto einsteigen wollte. Dann soll er kurz auf sich aufmerksam gemacht haben und ohne vorherige Worte auf die Mutter zweier Kinder im Jugendalter eingestochen haben“, schreibt ANF. Esra habe sich kurz zuvor von ihrem Ehemann getrennt. Statistisch gesehen die gefährlichste Zeit für Frauen. „Wir sind wütend und wir trauern. Der Feminizid an Esra erschüttert uns. Wir sagen ‚es reicht‘ und ‚keine einzige mehr‘!“, erklärten die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA und der Dachverband des Êzîdischen Frauenrats (SMJÊ) in einer gemeinsamen Stellungnahme: „Ob wir uns trennen, uns wehren, eine Anzeige erstatten, Hilfe holen – oft schaffen es die Täter dennoch, Frauen das Leben zu nehmen, weil uns die Gesetze nicht vor dieser Gewalt schützen und die Zugänge zu Schutzmöglichkeiten für viele Frauen versperrt sind.“

Mittwoch, 4. Mai

Der Supreme Court der USA (SCOTUS) könnte das grundsätzliche Recht auf Schwangerschaftsabbruch, das mit dem Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ 1973 verankert wurde, kippen. Das geht aus einem Dokument hervor, das Anfang der Woche geleaked wurde. Das Dokument: Ein Urteilsentwurf im Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health von Richter Samuel Alito. Zugestimmt haben die Obersten Richter*innen Amy Coney Barrett, Brett Kavanaugh, Neil Gorsuch und Clarence Thomas. Das ist die Mehrheit im Supreme Court. Die Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt hat den Urteilsentwurf und dessen Bedeutung in einem Gastbeitrag für den „Volksverpetzer“ eingeordnet, der am Mittwoch erschienen ist. Sie schreibt: „Dass die Mehrheit der Richter am SCOTUS damit einverstanden war, zeigt uns, dass sie mit ihm auf einer Linie liegen. Kann sich an der Sprache oder an einigen Formulierungen noch etwas ändern? Sicher. Am Inhalt wird sich nichts ändern. Der Oberste Gerichtshof hat entschieden, dass Roe v. Wade der Vergangenheit angehört“. Das ist beängstigend und höchst alarmierend. Die USA befinden sich nun schon länger im rasanten Wandel von einem vergleichsweise „freien“ Land in einen autoritären, rechts-konservativen, christlich-evangelikalen Gottesstaat. Das Recht auf Abtreibung ist weder der das erste noch wird es das letzte Menschenrecht sein, das von einer starken, gut-vernetzten religiösen Rechten genommen wird. Konkret stehen das Recht auf Homosexualität (in den USA heißt das „Sodomie“) und die gleichgeschlechtliche Ehe vor dem Aus. Beide werden im Urteilsentwurf von Alito explizit erwähnt. „Die Kriminalisierung von LGBTQ-Menschen steht als Nächstes auf der christlich-nationalistischen Wunschliste“, schreibt Annika Brockschmidt.

In den USA löste der Leak Unglauben bei den Einen und Proteste bei den Anderen hervor. Während einige Journalist*innen noch versuchen, zu besänftigen, da das Urteil ja noch nicht final sei, gingen andere bereits zu Tausenden auf die Straßen. Mich macht diese Entwicklung nicht nur wütend, sondern vor allem auch nachdenklich. Was bedeutet es, dass unsere Rechte so fragil sind? Wie sicher können wir uns fühlen in einer Welt, die von weißen Männern gemacht ist und in der die Körper von Frauen, nicht-binären Personen und nicht-weißen Männern kontrolliert und unterdrückt werden? Und auch: Wie können wir uns sicher sein in einem Land, in dem Abtreibungen verboten sind und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei? Wir müssen auch in Deutschland für ein Recht auf Abtreibung kämpfen, für den sicheren, kostenfreien und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Jederzeit und Überall.

Donnerstag, 5. Mai

Am Donnerstag wurde die aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zur Verbreitung von Rassismus in Deutschland vorgestellt. 90 Prozent der Befragten sagten, dass es Rassismus in Deutschland gibt – das Wissen ist also nicht das Problem. Allerdings sagten auch 45 Prozent, dass Rassismuskritik übertrieben sei und eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Sinne „politischer Korrektheit“ darstelle. „Rassismus ist Alltag in Deutschland. Er betrifft nicht nur Minderheiten, sondern die gesamte Gesellschaft, direkt oder indirekt“, sagte Prof. Dr. Naika Foroutan, Direktorin des DeZIM-Instituts.

Freitag, 6. Mai

Fynn Kliemann hat alle verarscht und seine angeblich fair in Europa produzierten Masken in Wahrheit aus Bangladesch und Vietnam bestellt. Das hat eine Recherche des ZDF Magazin Royal ans Licht gebracht. Schaut euch die Sendung unbedingt an, sofern noch nicht geschehen, es geht darin u.a. auch um die dubiose „Spenden“-Sammlung für Bedürftige beim Buchen von Kliemanns durchgestylten Hipster-Ferienwohnungen.

Dass das Internet nicht zusammengebrochen ist, nach der Veröffentlichung der Sendung, ist kaum zu glauben, so sehr sind die Leute eskaliert. Aber klar: Fynn Kliemann, niedlich-verpeilter Norddeutscher mit eigener Heimwerkershow auf YouTube, war der absolute Liebling der aufgeklärten Hipster mit Weltverbesserer-Anspruch. Es ist möglich: Geld ausgeben und dabei Gutes tun, Konsumieren und dabei die Welt ein bisschen besser machen. Der feuchte Traum der Liberalos von FDP bis Grüne. Nur leider: Es geht eben nicht. Kapitalismus gibt es nicht „in fair“. Zwar hat Fynn Kliemann permanent betont, dass Geld ihm völlig egal sein, in Wahrheit ist er aber Multimillionär, der einfach nur sehr gut erkannt hat, womit sich heute Kohle scheffeln lässt: mit dem schlechten Gewissen der Leute, bzw. mit der Hoffnung auf ein gutes. Der Posterboy des Greenwashings stolpert am Ende über Maskendeals, wie so ein banaler CSU-Politiker. Ich würde laut lachen, wenn die Opfer der Geschichte einfach nur ein paar enttäuschte Kliemann-Fans wären. Leider aber haben Kliemann und sein Geschäftspartner Tom Illbruck nicht nur unfair produzierte Masken an gutgläubige Kund*innen verkauft, sondern auch defekte, unbrauchbare Masken an ein Geflüchtetencamp auf der griechischen Insel geliefert. Der Verein „Wir packen’s an“, der Kliemanns Masken an Geflüchtete verteilte, fühlt sich „betrogen und verraten“ und erklärte in einer Stellungnahme: „Wir waren heilfroh über die zum Selbstkostenpreis angebotenen ‚wiederverwendbaren‘ Masken, die aus Portugal direkt nach Chios geliefert werden sollten.“ Der Verein zahlte für 5.400 Masken 6.297,48 Euro. Schrottware, für die sich Kliemann auch noch als edler Spender brüstete. Es ist bodenlos!

Samstag, 7. Mai

Dass Versprechen der Taliban einen feuchten Dreck wert sind, überrascht wahrscheinlich auch nur noch Heiko Maas. Am Samstag berichteten internationale Medien über einen Erlass des Taliban-Chefs Hibatullah Achundsada, dass afghanische Frauen in der Öffentlichkeit Kopf und Gesicht verhüllen müssen. Er empfahl das Tragen der Burka, da diese „traditionell und respektvoll“ sei. Mit der Verhüllung des Gesichts und Körpers sollten „Provokationen“ im Umgang mit Männern verhindert werden. So viel zum Versprechen der Taliban „moderat“ zu regieren. Während diese Entwicklung hierzulande von rechts bis ganz rechts dazu missbraucht wird, das rassistische Kopftuchverbot zu fordern, braucht es tatsächlich unbedingt unbegrenztes Asyl für Afghan*innen in Deutschland.

Sonntag, 8. Mai

Heute ist der Tag der Kapitulation Deutschlands. Manche sagen auch „Tag der Befreiung“ dazu, aber das suggeriert, die Deutschen seien „befreit“ worden vom Faschismus, dem sie aber doch in großen Teilen anhingen. Es klingt danach, als wären die Deutschen aus der Geiselhaft der Nazis „befreit“ worden. Aber das ist ahistorisch, ja, geschichtsrevisionistisch. Die Wehrmacht kapitulierte, der Krieg in Europa war vorbei, aber der Faschismus, Antisemitismus, Rassismus (…) in den Köpfen der meisten Deutschen war noch da. Deutschland wurde nicht „befreit“, Deutschland hat den Krieg verloren. Der 8. Mai markiert das Ende der NS-Herrschaft und wir sollten den Alliierten der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs bis in alle Ewigkeit dafür danken. Insbesondere die Sowjetunion hat für die Zerschlagung des Deutschen Reichs einen hohen Preis bezahlt: Etwa zehn Millionen Soldaten der Roten Armee wurden getötet oder starben in Kriegsgefangenschaft. Mindestens 24 Millionen sowjetische Bürger*innen starben bzw. wurden ermordet. Als am 30. April 1945 die Rote Armee Berlin eroberte, entstand das ikonische Foto der Sowjet-Fahne auf dem Dach des Reichstagsgebäudes. Die Rote Fahne mit Hammer und Sichel ist seither ein wichtiges Symbol für den Sieg über den deutschen Faschismus. In Berlin wurde dieses Symbol jetzt allerdings verboten. „Beim Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs (…) in Berlin [dürfen] an 15 Ehrenmalen und Erinnerungsorten (…) keine Fahnen und Symbole der Sowjetunion gezeigt werden. Das hat die Polizei Berlin in einer Allgemeinverfügung festgelegt“. Das ist einfach ungeheuerlich! Das Unsichtbarmachen der Sowjetunion im Rahmen des Gedenkens ist ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, deren Eltern und Großeltern gegen Deutschland gekämpft und / oder unter den Nazis gelitten haben. Manche dieser Menschen leben heute in Russland, manche in der Ukraine, manche in Belarus und so weiter. Die Sowjetunion ist nicht gleich Russland.

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