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Die Todesopfer des rassistischen und misogynen Attentats in Atlanta. Mögen sie in Frieden ruhen.

Gipfel des Hasses

In Atlanta hat ein misogyner Rassist acht Menschen getötet, die Türkei hat die Istanbul-Konvention verlassen und ein Gericht in Frankreich hält Sex für eine „eheliche Pflicht“. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW11

Montag, 15. März

Am Montag war Internationaler Tag gegen Polizeigewalt. Aus diesem Anlass hat die Initiative „Death in Custody“ eine Recherche veröffentlicht, die 181 Todesfälle seit 1990 zusammenträgt, die sich in Polizeigewahrsam ereigneten, bspw. im Gefängnis oder im Abschiebeflugzeug. Aufgenommen wurden nur Fälle, in denen die Getöteten von Rassismus betroffen waren. Außerdem zählen Fälle dazu, bei denen Menschen durch physische Gewaltanwendung durch Beamt*innen oder auf der unmittelbaren Flucht vor der Polizei ums Leben kamen. Offizielle Statistiken dazu gibt es nicht. Die Todesumstände bleiben meist ungeklärt.

Dienstag, 16. März

In Atlanta hat ein weißer 21-Jähriger acht Menschen aus rassistischen und misogynen Gründen erschossen. Sechs der acht Opfer sind Frauen asiatischer Herkunft. Der Täter suchte nacheinander drei Massagestudios auf, wo er die insgesamt acht Menschen tötete. Kurze Zeit später wurde er festgenommen. Die Polizei sprach zunächst davon, der Täter habe „einen schlechten Tag“ gehabt. Später hieß es zudem, der Mann habe angegeben, unter „Sexsucht“ zu leiden. Klar, wenn weiße Incel-Terroristen Massenmorde begehen, sind sie entweder psychisch krank oder haben halt einen schlechten Tag. Kein Grund vom Einzelfall auf ein strukturelles Problem zu schließen. Dabei verbinden die Taten von Atlanta nahezu lehrbuchartig die Verschränkung von antiasiatischem Rassismus, der seit der Coronapandemie stark zugenommen hat, Misogynie und Hass auf Sexarbeiter*innen. Der Täter, sei der „Typ von Mann“ gewesen, „der sich dafür hasst, wenn er masturbiert, der das für krankhaft hält“, soll eine ehemalige Mitbewohnerin über ihn gesagt haben. Der Typ Mann, der allerdings nicht sich selbst, sondern andere dafür bestraft. Gerade habe ich „Incels“ von Veronika Kracher zu Ende gelesen. Die Autorin beschreibt darin das Phänomen gekränkter Männer-Egos, von misogynen Mannkindern, die zu gewalttätigen Attentätern werden, da ihnen etwas verweigert wurde, auf das sie glauben, Anspruch zu haben. Ich weiß nicht, ob der Täter von Atlanta ein Incel war, ich weiß nur, dass die Fetischisierung asiatischer Frauen, ihre entmenschlichte Darstellung als verführerisch, submissiv und gefügig, Teil des Problems ist. Genauso der entgrenzte rassistische Hass, dem asiatisch gelesene Menschen (nicht nur in den USA) seit Beginn der Corona-Pandemie ausgesetzt sind. Aber auch der Hass auf Sexarbeiter*innen spielt hier eine Rolle. Die Süddeutsche Zeitung zitiert wieder die ehemalige Mitbewohnerin des Täters, die sagte, dieser habe sich von der Sexindustrie „ausgenutzt gefühlt“. Doch alle Spekulationen über die individuellen Motive des Täters sorgen nur dafür, dass weniger über die Opfer gesprochen wird.

Im Deutschlandfunk Kultur sprach die Journalistin Nhi Le über den Anschlag und den Zusammenhang mit Rassismus und Sexismus. Einen wichtigen Aspekt hob sie dabei hervor: „Viele der Frauen sollen in den Massagesalons nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt haben. Es handelt sich da auch um extrem arme Frauen.“ Hier schließt sich der Kreis und macht die Trias von Rassismus, Sexismus und Klassismus sichtbar, die Hassverbrechen so häufig zugrunde liegt.

Auch am Dienstag

In Crimmitschau hat ein 63-Jähriger offenbar seine Ehefrau erwürgt. Die Leiche der 62-Jährigen wurde in der gemeinsamen Wohnung gefunden, der geständige Tatverdächtige wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht.

Bereits am vergangenen Samstag wurde in Berne (Landkreis Wesermarsch) eine 30-jährige in ihrer eigenen Wohnung getötet. Tatverdächtig ist ein 31-Jähriger, laut Polizei ein Bekannter der Getöteten. Er sitzt in U-Haft, nachdem er gestanden hat, die Frau erstochen zu haben.

Mittwoch, 17. März

Am Mittwoch beantragte der türkische Generalstaatsanwalt Bekir Şahin, das Verbot der  zweitgrößten Oppositionspartei HDP, begründet mit dem Vorwurf, die Partei wolle die Einheit des Staates stören. Die HDP ist ein pro-kurdisches Linksbündnis, und Zusammenschluss verschiedenster antirassistischer, feministischer, ökologischer und progressiver Gruppen. In einem gemeinsamen Appell verschiedener Institutionen und Einzelpersonen heißt es: „Das Verbotsverfahren ist ein gefährliches Signal an die übriggebliebenen und isolierten Demokrat*innen der HDP und hiermit stellen wir uns ausdrücklich dagegen und fordern, dass die Bundesregierung den Rücken der demokratisch legitimierten Oppositionspartei HDP stärkt.“

Auch am Mittwoch

Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NdM) haben am Mittwoch das „Handbuch für Diversität“ vorgestellt. Es soll Redaktionen und Medienhäusern dabei helfen, diverser zu werden. Nur schätzungsweise 5 bis 10 Prozent der Journalist*innen in Deutschland haben eine Migrationsgeschichte, das wirkt sich auch auf die Berichterstattung und Themensetzung aus. Das Handbuch der NdM ist nicht käuflich. Die Organisation stellt es Medienhäusern nur dann zur Verfügung, wenn sich die Chefredaktion oder Intendanz die Zeit nimmt, mit den Neuen Deutschen Medienmacher*innen in den Austausch zu gehen. Handlungshilfen gegen Zuhören, das finde ich ein sehr innovatives Konzept!

Donnerstag, 18. März

In Frankreich kam es zu einem Urteilsspruch, der das ungerührte Fortbestehen des Patriarchats anschaulich illustriert. Eine 66-jährige Frau scheiterte mit ihrer Klage gegen ein Urteil eines Versailler Gerichts, das sie 2019 im Scheidungsprozess schuldig gesprochen hatte. Die Begründung damals: die Frau habe „in schwerer und wiederholter Weise ihre ehelichen Pflichten in einer Art und Weise verletzt, die ein weiteres Zusammenleben (für ihren Gatten) unannehmbar gemacht“ hätte. Nach 27 Jahren Ehe hatte die Frau die Scheidung wegen Drohungen und Tätlichkeiten des Ehemanns eingereicht. Der Mann hatte wiederum angegeben, die Frau habe sich ihm sexuell verweigert, was sie auch nicht bestritt. Für das Gericht war dies der Beweis der Verletzung „ehelicher Pflichten“. Der Klägerin bleibt nun nur noch die Beschwerde wegen „Einmischung in das Privatleben“ und „Verletzung der moralischen und körperlichen Integrität“ vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

Freitag, 19. März

Samia Suluhu Hassan wird das neue Staatsoberhaupt der Republik Tansania. Damit ist sie die erste Frau an der Spitze des Landes. Die 61-Jährige stammt von der Insel Sansibar, arbeitete als Entwicklungshelferin und in der Regionalregierung von Sansibar. 2010 wurde sie ins Parlament von Tansania gewählt und setzte sich unter anderem für die Rechte von Mädchen und Frauen ein. 2015 wurde sie Vizepräsidentin. Der nun verstorbene Präsident John Magufuli polarisierte, seiner Nachfolgerin wird hingegen verbreitet Hoffnung entgegengebracht: „Die neue Regierung hat jetzt die Gelegenheit für einen Neubeginn, indem sie mit den problematischen Praktiken der Vergangenheit bricht“, sagte der Ostafrika-Direktor von Human Rights Watch, Otsieno Namwaya.

Auch am Freitag

Der wievielte Femizid in diesem Jahr ist das? In Neuenrade (Nordrhein-Westfalen) wurde eine 24-jährige Frau mutmaßlich von ihrem Ex-Freund erstochen. Gegen den 22-jährigen Tatverdächtigen wurde Haftbefehl erlassen, die gemeinsamen Kinder in die Obhut des Jugendamts übergeben.

Samstag, 20. März

Die Türkei ist in der Nacht zu Samstag aus der Istanbul-Konvention ausgestiegen. Das Abkommen, das Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor zehn Jahren selbst unterzeichnet hatte, verpflichtet teilnehmende Staaten zum Handeln gegen häusliche Gewalt. Mit der „Nacht-und-Nebel-Aktion“ (Tagesspiegel) will der türkische Präsident Punkte bei islamistischen und nationalistischen Wähler*innen sammeln, genauso wie mit dem angestrebten HDP-Verbot.

In der Türkei kam es am Samstag zu spontanen Protesten von Feminist*innen. Die Quasi-Legalisierung von häuslicher Gewalt in der Türkei ist ein herber Rückschlag im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. In der Türkei sind im vergangenen Jahr über 400 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet worden. Von der EU und den westeuropäischen Regierungschef*innen hat Erdoğan keine Konsequenzen zu befürchten. Der sogenannte „Flüchtlings-Deal“ sichert ihm mehr oder weniger völlige Narrenfreiheit. Vor mittlerweile fünf Jahren hatten die EU und die Türkei das Abkommen geschlossen, das dafür sorgt, dass Geflüchtete die über die Türkei nach Griechenland, also auf EU-Boden gelangen, zurück in die Türkei „geschoben“ werden. Der Deal gilt der EU als Erfolg und Erdoğan als Freifahrtsschein, bzw. Erpressungshebel.

Auch am Samstag

In Kassel kamen fast 20.000 sogenannte „Querdenker*innen“ zu einer nicht genehmigten Großdemonstration zusammen. Während nur eine Versammlung auf der Schwanenwiese angemeldet war, ignorierten die Demonstrierenden das Verbot und zogen grölend und singend durch die Kassler Innenstadt, natürlich ohne Masken oder Abstand. Die Fallzahlen steigen, Expert*innen warnen, dass wir uns inzwischen wieder im exponentiellen Wachstum befinden, aber die Polizei Nordhessen lässt den Mob gewähren. Es ist mir unbegreiflich, wieso den Sicherheitsbehörden noch immer geglaubt wird, sie seien „überrascht“ worden. Das Ganze geht jetzt schon ein Jahr und Jede*r wusste, was passieren würde. Bei jedem Fußballspiel gelingt es den Cops, die Massen zu kesseln und zum Stadion zu geleiten, aber bei Erna und Lutz aus Wanne-Eickel geht das plötzlich nicht? Ich ckeck’s nicht. Auch offen zur Schau gestellter Antisemitismus juckt hier irgendwie niemanden, genauso wenig, wie ein Griff Richtung Dienstwaffe. Die Polizei – Dein Freund und Pandemietreiber.

Sonntag, 21. März

Ich habe von dieser Woche sowas von genug. Dass heute der „Internationale Tag gegen Rassismus“ ist, habe ich aber nicht vergessen. Ich merke es immer daran, dass irgendwelche ausbeuterischen Konzerne oder komplett kartoffel-deutsche Stadtverwaltungen bunte Hände auf Social Media posten. Ich schließe die Woche mit den Worten der leider viel zu früh verstorbenen Audre Lorde, die 1984 geschrieben hat: „In einem patriarchalen Machtsystem, dem das Privileg des Weißseins eine wichtige Stütze ist, sind die Fallstricke, die zur Unterdrückung Schwarzer Frauen* und weißer Frauen* genutzt werden, nicht dieselben.“ Legen wir das unserem Feminismus zugrunde und wir werden weiterkommen! Bis nächste Woche, bleibt zu Hause (wenn ihr könnt) und widerständig gegen Patriarchat und Kapitalismus.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Bert Kaesser

    Vielen Dank für Deinen wie immer sehr guten Rückblick auf die vergangene Woche. Vor allem danke ich Dir, dass Du den Opfern „Name und Gesicht gibst“. #SayTheirNames

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