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Doreen Denstädt ist die erste Schwarze Ministerin in Ostdeutschland. (Illustration von mir)

In Erfurt nichts Neues

In Thüringen regiert zukünftig die erste Schwarze Ministerin im Osten, im Stuttgarter Stadion wird ein sexistisches Banner gezeigt und empörte Deutsche fürchten eine Umerziehung durch Lidl. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW5

Montag, 30. Januar

Spanien hat weltweit eine der fortschrittlichsten Gesetzgebungen gegen sexualisierte Gewalt. Seit letztem Oktober gilt: Nur „Ja“ heißt „Ja“ – jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung ist Gewalt. Da im neuen Gesetz jedoch auch Mindest- und Maximalstrafen für bestimmte Delikte reduziert wurden, konnten hunderte Sexualstraftäter Anträge auf Strafnachlass stellen. (In Spanien werden Strafen rückwirkend reduziert, wenn die Rechtsreform den Verurteilten zugutekommt.) Die spanische Bildungsministerin und Parteisprecherin der regierenden Sozialisten, Pilar Alegría, kündigte am Montag an, „eine Lösung für diese ungewollten Effekte“ vorlegen zu wollen.

Dienstag, 31. Januar

Im US-Bundesstaat Utah haben Bürgerrechtsgruppen am Dienstag angekündigt, gegen die neue transfeindliche Gesetzgebung zu klagen. In Utah wurde am vergangenen Samstag ein Gesetz gültig, das geschlechtsangleichende medizinische Versorgung von minderjährigen trans Personen verbietet. Lediglich Jugendliche, die mit einer Hormonbehandlung vor in Kraft treten des Gesetzes begonnen haben, dürfen diese fortsetzen. Eine weitere Ausnahme gilt für inter* Kinder und Jugendliche, die weiterhin Genitaloperationen unterzogen werden dürfen. Auch Minderjährige, die eine frühe Pubertät erleben, dürfen Pubertätsblocker erhalten. Lediglich die Behandlung von Geschlechtsdysphorie wird verboten. Ärztliche Vereinigungen wie die American Medical Association (AMA) und die Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde (AAP, American Academy of Pediatrics) lehnen Gesetze wie das in Utah ab. Die AMA hat die Gouverneur*innen ausdrücklich aufgefordert, sich solchen Vorhaben zu widersetzen. In einem Statement von 2021 erklärte die AAP: „Mit Besorgnis und Bestürzung haben Kinderärzt*innen beobachtet, wie Gesetzesentwürfe durch die Legislativen der Bundesstaaten im ganzen Land gingen, deren einziges Ziel es ist, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Transgender-Jugendlichen zu bedrohen. (…) Die American Academy of Pediatrics empfiehlt, dass Jugendliche, die sich als transgender identifizieren, Zugang zu einer umfassenden, geschlechtergerechten und entwicklungsgerechten Gesundheitsversorgung haben, die in einem sicheren und integrativen klinischen Umfeld angeboten wird.“

Mittwoch, 1. Februar

In Finnland wurde am Mittwoch mit großer Mehrheit ein Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, das es dürfen erwachsenen trans Personen erlaubt, ihren Geschlechtseintrag eigenständig ändern zu lassen, ohne medizinische oder psychologische Gutachten vorlegen zu müssen. Nach einer Wartezeit von 30 Tagen wird der selbstgewählte Geschlechtseintrag automatisch anerkannt. Auch die bislang vorgeschriebene Zwangssterilisierung entfällt. 113 Abgeordnete im finnischen Parlament stimmten dafür, 69 dagegen.

Auch am Mittwoch

Der Februar ist „Black History Month“, also der Monat der Schwarzen Geschichte. In Deutschland ist der Aktionsmonat noch nicht so weit verbreitet, obwohl die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland ihn seit den 1990er Jahren begeht. Im BHM wird an Schwarze Geschichte erinnert, aber auch Schwarze Gegenwart und Zukunft gefeiert. In Thüringen schrieb am Mittwoch Doreen Denstädt Geschichte. Als erste Schwarze Person wurde sie Ministerin in einem ostdeutschen Bundesland. Die 46-Jährige wurde von Bodo Ramelow zur Landesministerin für Justiz, Migration und Verbraucherschutz ernannt. Die gebürtige Thüringerin ist damit die deutschlandweit zweite Schwarze Frau an der Spitze eines Landesministeriums. (Die andere ist ihre Parteikollegin Aminata Touré in Schleswig-Holstein). Denstädt ist zweifache Mutter und war bis zum Wechsel ins Ministerium die erste und einzige(!) Schwarze Polizistin in Thüringen, einem Land, in dem bei den letzten Wahlen 23,4% die AfD gewählt haben. Entsprechend ist der Hass, der Doreen Denstädt entgegenschlägt enorm. Nachdem bekannt wurde, dass sie den Posten übernehmen würde, gab sie dem SPIEGEL ein Interview. Zu den rassistischen Anfeindungen sagte sie: „Für mich ist das nichts Neues. Ich finde es aber gut, dass das Land einmal mehr sieht, was Menschen anderer Hautfarbe, besonders Frauen, tagtäglich entgegenschlägt.“ Sie erzählt: „Obwohl ich in Saalfeld geboren und aufgewachsen bin und so spreche, wie man in Erfurt halt spricht, werde ich regelmäßig nach meinem Aufenthaltsstatus gefragt. Es gibt leider Orte, an denen ich mich, obwohl ich Thüringerin bin, nicht wohlfühle und mich nicht frei auf der Straße bewegen kann, ohne Blicke oder Kommentare zu ernten.

Donnerstag, 2. Februar

Weil ein Sprecher des Discounters Lidl auf der „Grünen Woche“ verkündet hat, zukünftig weniger(!) Fleischprodukte anbieten zu wollen, während das vegane Angebot ausgebaut werden soll, hatten die Dauerempörten am digitalen Stammtisch diese Woche einen neuen Aufreger. Viel Lärm um ein bisschen Unternehmensstrategie („Differenzierungsmerkmal“, „Dann werden wir auch positiver wahrgenommen“) – gut kalkuliert vom Lidl-Marketingteam. Die „Wir sind das Volk“-Fraktion wittert „Umerziehung“, AfD-Politiker Georg Pazderski hat den Discounter „heute aus meiner Einkaufsliste gestrichen“ und auch Julian Reichelts Rechtsaußen-Portal „Pleiteticker“ griff die Meldung dankbar auf (keine Verlinkung aus Überzeugung).

Freitag, 3. Februar

Am 27. August 2022 wurde der trans Mann Malte C. am Rande der CSD-Parade in Münster von einem Passanten angegriffen, transfeindlich beleidigt und ins Gesicht geschlagen. Malte C. verstarb wenige Tage später im Krankenhaus an den Folgen des Angriffs. Am Freitag wurden Teile des psychiatrischen Gutachtens des Täters veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass der Angreifer, ein 20-jähriger Tschetschene, offenbar schwul ist. Im Bericht mutmaßt die Gutachterin, dass der Angriff eine unbewusste Abwehr „eigener homosexueller Wünsche“ gewesen sein könnte. Möglicherweise habe der Täter zugeschlagen, um zu zeigen, wie sehr er Homosexuelle und trans Personen hasse. In der engstirnigen Welt der Focus-Redaktion wird daraus die Schlagzeile „Angeklagter tötete Transmann Malte C. offenbar nicht aus Homophobie“. Klar, denn wer selbst schwul ist, kann ja gar nicht queerfeindlich sein. Diese Denkweise ist leider noch immer noch weitverbreitet und sie ist massiv schädlich. Sie missachtet, dass Queerfeindlichkeit eine Haltung ist, die unabhängig von der individuellen Position oder Sexualität existiert. Wer behauptet, Betroffenheit schütze vor menschenfeindlicher Einstellung, ignoriert die Realität, in der rassifizierte Menschen Rassismus reproduzieren, mehrgewichtige Menschen Fettfeindlichkeit verinnerlicht haben, Menschen mit Behinderung ableistisch sind und so weiter. Bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kommt es eben nicht (primär) auf die individuelle Positionierung an, sondern viel mehr geht es um gesellschaftliche Machtverhältnisse. In einer Gesellschaft, in der rassifizierte, mehrgewichtige, behinderte, arme, queere (…) Personen marginalisiert werden, sind rassistische, fettfeindliche, ableistische, klassistische, queerfeindliche (…) Einstellungen Mainstream. Und Heteronormativität ist enorm machtvoll. „Lesben und Schwule wachsen in einer Gesellschaft auf, in der sie immer wieder mit homophoben Äußerungen konfrontiert sind. Diese verinnerlichen sie auch mehr oder weniger. So kann es dazu kommen, dass sie schließlich sogar negative Bilder von sich selbst, also als Lesben und Schwule haben“, erklärte Dr. Udo Rauchfleisch 2014 im Gespräch mit der Deutschen AIDS-Hilfe.

Samstag, 4. Februar

Erst der Lidl-Skandal (siehe Donnerstag) und dann das! „Lauterbach kritisiert Alkohol an Supermarktkassen“ lautete die Schlagzeile am Samstag, nachdem der Bundesgesundheitsminister ein Tweet vom Kassenband abgesetzt hatte: „Über diese Art Regale an der Supermarktkasse muss gesprochen werden. Hier werden Menschen mit Alkoholkrankheit gezielt gefährdet. Das ist eine unethische Form der Werbung.“

Natürlich witterten aufrechte Deutsche auch hier wieder „Umerziehung“ und griffen den ohnehin verhassten „Impfminister“ verbal an. Viele (so auch ich) waren indes dankbar für den harmlosen Vorstoß, der für einen Gesundheits(!)minister nicht besonders kontrovers sein dürfte. Da aber Lauterbach selbst noch im Dezember behauptete, ein Glas Wein oder Bier sei gesund, ist er eher Teil des Problems als der Lösung. Warum wir das Thema Alkohol auch aus feministischer Perspektive stärker diskutieren müssen, habe ich vor etwas über einem Jahr im Podcast „SodaKlub“ thematisiert. Hier noch ein paar Fakten dazu:

Sonntag, 5. Februar

Beim Bundesligaspiel zwischen dem VfB Stuttgart und Werder Bremen zeigten Stuttgart-Fans heute ein großes sexistisches Banner im Stadion (F-Wort). Fußballkultur ist auch heute immer noch vielfach eine Kultur, in der Misogynie, Queerfeindlichkeit und Ableismus gedeihen. Während Rassismus und Antisemitismus (zumindest vordergründig) von Fanszenen abgelehnt werden, sind Sexismus und Antifeminismus nach wie vor absolut salonfähig. Die Vereine, die gerne medienwirksam die „Rote Karte gegen Rassismus“ zeigen, bleiben beim Thema (verbale) Gewalt gegen Frauen und Queers ohrenbetäubend still. Während gerne so getan wird, als sei das Stadion ein „Ort für Alle“, ist es für Personen, die sich optisch vom weißen cis männlichen Fan unterscheiden häufig ein Spießrutenlauf (ich spreche aus Erfahrung). Der gemeinsame Nenner von Fans und Vereinen heißt Antifeminismus. Das beginnt bei der Ablehnung geschlechtergerechter Sprache, geht über misogyne und homofeindliche Banner, bis zu sexualisierter Gewalt im Zusammenhang mit Bundesligaspielen. Antifeminismus ist natürlich kein reines Fußballphänomen. „Die Ablehnung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie pluralistischer Lebensentwürfe ist ein verbindendes Element zwischen verschiedenen antifeministischen Strömungen“, erklärt die Amadeu Antonio Stiftung, die diese Woche die Meldestelle Antifeminismus vorgestellt hat. Hier kann Jede*r antifeministische Vorfälle melden. Antifeminist*innen laufen erwartungsgemäß Sturm dagegen. „Ich verstünde, wenn Sie eine Meldestelle für Frauenfeindlichkeit einführten. Aber warum darf man nicht antifeministisch sein?“, fragt beispielsweise Kristina Schröder (CDU, 2009-2013 Bundesfamilienministerin) und ignoriert dabei bewusst, dass Antifeminismus ein integraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie ist. Der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2022 zufolge hat in Deutschland jeder dritte Mann (33 Prozent) und jede fünfte Frau (19 Prozent) ein geschlossen antifeministisches Weltbild.

Zum Abschluss noch dieser Tweet:

Das wars für heute mit dem Wochenrückblick. Wie immer: Danke fürs Lesen. Wenn Du kannst und willst, gibt es via PayPal die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.

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