Die EU baut in Bosnien einen Abschiebeknast, die Ampel versaut das Selbstbestimmungsgesetz, Boris Palmer ist genau der Rassist, für den wir ihn halten und „FLINTA-only“ ist Gewalt. Mit einem Tag Verspätung kommt hier der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW17
Montag, 24. April
Am Montag gab es gleich zwei interessante Meldungen über rechte News-Influencer (aka Journalisten) in den USA und in Deutschland. Der erzkonservative Sende Fox News hat seinen Star-Moderator, den rassistischen, misogynen, antisemitischen und transfeindlichen Hetzer Tucker Carlson gefeuert und Springer hat seinen ehemals gehypten Posterboy Julian Reichelt auf eine Millionensumme verklagt. Der Konzern fordert Medienberichten zufolge die Abfindungssumme zurück, weil sich Reichelt nicht an Vereinbarungen im Abwicklungsvertrag gehalten haben soll.
Hinsichtlich Julian Reichelt und Springer kann ich den aktuellen Podcast „Boys Club“ auf Spotify empfehlen. Die Journalistinnen Pia Stendera und Lena von Holt befassen sich darin mit dem System BILD und dem Machtmissbrauch unter Reichelt und Döpfner. Montags gibt es immer zwei neue Folgen.
Dienstag, 25. April
Im bosnischen Flüchtlingslager Lipa entsteht gerade ein Abschiebegefängnis, beauftragt und bezahlt von der EU. „Aus diesem Lager werden Menschen in Regionen abgeschoben, in die Auftraggeber Frontex selbst nicht abschieben darf. Das Lager verstößt damit gegen die Genfer Flüchtlingskonvention“, fasst es das linke Onlineportal LabourNet Germany zusammen. Die Tagesschau sprach mit Petar Rosandic von der Hilfsorganisation „SOS Balkanroute“, der einen Deal der EU mit dem Beitrittskandidaten Bosnien und Herzegowina vermutet. „Das Land solle zu einer Abschiebezone für die EU werden. Zum Dank könnten Beitrittshilfen winken und die Perspektive auf schnelle Beitrittsverhandlungen“, heißt es im Bericht.
Mittwoch, 26. April
Eine 24-Jährige muss vier Monate ins Gefängnis, weil sie sich an Aktionen der „Letzten Generation“ beteiligte, um gegen die Tatenlosigkeit der Bundesregierung angesichts der Klimakatastrophe zu protestieren. Maja W. hatte sich an den Rahmen eines Gemäldes angeklebt hatte. Angeblich sei dabei ein Sachschaden in Höhe von 2.300 Euro entstanden. Der Rahmen ist laut Inventarliste des Museums eine „Replik, die 1952 für 60 D-Mark eingekauft wurde“. Außerdem hatte sich die Aktivistin an einer Straßenblockade in Berlin beteiligt und sich an der Fahrbahn festgeklebt. Die Richterin am Amtsgericht Tiergarten verurteilte Maja W. wegen versuchter Nötigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und gemeinschädlicher Sachbeschädigung eines Kunstobjekts zur Haftstrafe ohne Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte lediglich 900 Euro Geldstrafe gefordert.
Donnerstag, 27. April
Am Donnerstag wurde der Referent*innenentwurf für das geplante Selbstbestimmungsgesetz an die entsprechenden Verbände und Interessenvertretungen versandt. Ich habe das Dokument vorliegen und bin mir nicht sicher, ob ich weiterhin von „Selbstbestimmungsgesetz“ sprechen möchte. Denn von der Selbstbestimmung ist auf den 64 Seiten nicht mehr so viel übrig. In einem Kommentar für Zeit Online nennt es Nina Monecke sehr viel treffender „Saunaschutzgesetz“. Denn statt das Recht auf körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung betont der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Fassung vor allem, dass trans Frauen auch in Zukunft nicht uneingeschränkt Anerkennung erhalten sollen. Es erweckt den Anschein, dass transfeindliche Aktivist*innen und christliche Fundis massiven Einfluss auf die Gestaltung des Textes genommen haben. So ist neben der bereits öffentlich diskutierten Hausrecht-Klausel u.a. auch zu lesen: „Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst an der Waffe (…) für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls (…) bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ oder die Streichung der Angabe zum Geschlechtseintrag erklärt wird, sofern dies im Einzelfall keine unbillige Härte darstellen würde.“ Das heißt nichts anderes als: trans Frauen, die ihren Geschlechtseintrag „ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls sowie während desselben“ ändern lassen, rechtlich als Männer gelten und zum Kriegsdienst gezwungen werden können. Wie zynisch ist so ein Passus auch angesichts der Berichte zahlreicher ukrainischer trans Frauen, die nicht nur durch den russischen Angriffskrieg bedroht sind, sondern auch von der ukrainischen Armee verfolgt werden, wenn sie sich weigern zu kämpfen. Auch dem angeblich bedrohten „Frauensport“ widmet sich der Entwurf und hält fest: „Die Bewertung sportlicher Leistungen kann unabhängig von dem aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden.“ Ja, okay, bin eh dafür, dass wir Wettkämpfe nicht nach binärgeschlechtlicher Logik organisieren, aber was hat dieser Passus in einem Gesetz zur Selbstbestimmung verloren? Während der Entwurf der „Besorgnis“ (fette Anführungszeichen!) transfeindlicher Radfems Rechnung trägt und auf „den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen“ eingeht und klarmacht, dass „das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers und das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln“ vom Recht auf Selbstbestimmung des Geschlechtseintrags „unberührt“ bleibt. Na, vielen Dank auch. Als Justizminister Buschmann vor Wochen das erste Mal öffentlich über die vermeintliche Bedrohung von Frauensaunen schwadronierte, wies die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, zurecht darauf hin, dass solch eine Regelung nicht mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vereinbar ist: „Pauschale Ausschlüsse von Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität, ob im Job, auf dem Wohnungsmarkt oder in der Sauna, darf es auch in Zukunft nicht geben“, sagte Ataman und stellte klar: „Eine Person ausschließlich wegen ihres Aussehens abzuweisen, ist und bleibt unzulässig.“ Trotzdem steht dieser Passus nun in einem Gesetzesentwurf, der ursprünglich dazu dienen sollte, trans Personen vor Diskriminierung zu schützen. Nun ist vom Schutz nicht mehr viel übrig. Denn während im Eckpunktepapier, das im Juni 2022 veröffentlicht wurde, „Anerkennungsleistungen für trans- und intergeschlechtliche Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind“ in Aussicht gestellt wurden, ist davon im aktuellen Entwurf keine Rede mehr. Auch das versprochene „bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot“ wurde verwässert, denn das Verbot von Outing, Deadnaming und misgendern einer trans Person bleibt in bestimmten Fällen zulässig. Nämlich dann, wenn „besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird“. Kein verlässlicher Schutz vor Outing durch Dritte, keine Entschädigung für erlebtes Unrecht durch das Transsexuellengesetz (wie erzwungene Sterilisation oder Zwangsscheidung). Und als wären die Paragrafen des geplanten Gesetzes noch nicht genügend Schläge ins Gesicht von trans Personen, die seit Jahren auf ihre Rechte warten, haben sich die Vertreter*innen von SPD, Grünen und FDP noch darauf geeinigt, dass trans Mütter auch in Zukunft „Vater“ in der Geburtsurkunde ihres Kindes bleiben und trans Väter weiterhin „Mutter“. Der entsprechende Paragraf 11 (Eltern-Kind-Verhältnis) besagt: „Der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister ist für das (…) bestehende oder künftig begründete Rechtsverhältnis zwischen einer Person und ihren Kindern unerheblich“. Trans Frauen, die zu einer Haftstrafe verurteilt werden, droht auch in Zukunft die Unterbringung im Männergefängnis: „Die Unterbringung von Strafgefangenen muss sich nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, das SBGG gebietet mithin nicht, dass Personen immer entsprechend ihrem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in einer entsprechenden Anstalt untergebracht werden“, heißt es auf Seite 45 des Entwurfs.
Es ist unerträglich, wie sehr die transfeindliche Hetze, die Lügen und das gestreute Misstrauen Einfluss auf ein Gesetz genommen haben, das dafür gedacht war, eine der am stärksten marginalisierten Gruppen unserer Gesellschaft zu schützen und ihr grundlegende Rechte zu garantieren. Die von TERFs und anderen Rechten verbreiteten Horrormärchen von trans Frauen, die in „Frauensaunen“ eindringen, haben diesen Gesetzentwurf mitgeschrieben. Die Regierungskoalition hat der Behauptung, trans Frauen seien eine (potenzielle) Gefahr, eine mächtige Stimme am Verhandlungstisch gegeben und das Ergebnis ist ein Entwurf, der vielen Betroffenen mehr Verletzungen zufügt, als Hoffnung schenkt. Dieser Gesetzesentwurf ist eine Schande für Deutschland.
Doch es ist noch nicht alles verloren. Denn noch ist dieser transfeindliche Text des Misstrauens und der Stigmatisierung nicht in geltendes Recht gegossen. Es ist an Betroffenen, ihren Verbänden und Interessenvertretungen, vor allem aber auch an unseren Verbündeten, jetzt laut zu sein und Druck zu machen. Trans und nicht binäre Menschen verdienen ein Gesetz, das sie achtet und schützt, das ihnen die gleichen Rechte gewährt, die allen Menschen zugestanden werden. Es ist an der Zeit.
Freitag, 28. April
Im Spiegel erschien am Freitag eine Story über Til Schweiger, der – Überraschung! – ein richtig ekliger Hund zu sein scheint. „Hinter dem netten, leicht prolligen Kumpeltyp, den Schweiger oft verkörpert, stecke Augenzeugen zufolge ein Mann, der seine Mitarbeiter immer wieder drangsaliere. Der laut Berichten im betrunkenen Zustand ausrasten könne, selbst Kinderschauspielern gegenüber. Der Arbeitszeiten dehne, bis Crewmitglieder körperlich und psychisch am Ende seien und sich Unfälle am Set häuften. Und der in mindestens einem Fall bei Dreharbeiten handgreiflich geworden sein soll.“ Das Magazin hat mit über 50 Filmschaffenden für die Recherche gesprochen, das gezeichnete Bild lässt wenig Zweifel an Schweigers Verhalten am Set: Aggressiv, gewalttätig, beleidigend, demütigend, übergriffig, erniedrigend und reihenweise Verstöße gegen Arbeitsschutzrichtlinien. Aber auch hier liegt der eigentliche Skandal nicht im unmöglichen Verhalten der Einzelperson, sondern im System, das das ermöglicht, begünstigt, aufrechterhält und vertuscht. So viele Menschen wussten davon, so viele profitierten mit, aber über Jahre hat niemand etwas gesagt oder dagegen getan.
Samstag, 29. April
Am liebsten würde ich nur noch ein einziges Mal den Namen Boris Palmer im Wochenrückblick erwähnen, und zwar im Satz: „Boris Palmer zieht sich ein für alle Mal aus der Öffentlichkeit und allen Ämtern zurück“. Tja, wie es so ist mit den Wünschen, geht auch dieser nicht in Erfüllung. Denn Tübingens Oberbürgermeister hat sich in dieser Woche wieder derart ekelhaft verhalten, dass ich nicht umhinkomme, ihn hier zu erwähnen. Aber der Reihe nach: Die Goethe-Uni Frankfurt hatte Palmer als Gast zur Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten – Herausforderungen und Konzepte von Einwanderungspolitiken“ eingeladen. Und er war nicht der Einzige auf dem Podium, der sich gerne und häufig rassistisch und islamfeindlich positioniert, auch Ahmed Mansour (für den „Nazi“ genauso schlimm ist wie das N-Wort) und Manuel Ostermann (Stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und personifiziertes #PolizeiProblem) hatte die Ethnologin (wie ich schon bei dem Wort innerlich cringe) Susanne Schröter eingeladen, die im Vorstand des „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ sitzt. (Wer sich nicht erinnert: Das Netzwerk hatte sich gegründet, um sich für die Opfer von „Cancel Culture und Political Correctness“ und gegen den „Zwang zum Gendern“ einzusetzen. Weiterhin sprach es öffentlich u.a. der transfeindlichen Hardlinerin Kathleen Stock und Hans-Georg Maaßen seine Solidarität aus. Quellen dazu hier.) Die Konferenz und die Zusammensetzung der Teilnehmer*innen unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministerpräsidenten überrascht in keiner Weise. Und auch, dass sich Rassisten rassistisch äußern würden, wenn sie doch genau dafür bekannt sind und (seien wir ehrlich) dafür eingeladen werden, sollte für alle Beteiligten erwartbar gewesen sein. War es aber dann anscheinend doch nicht. Nachdem Palmer mehrfach das N-Wort auf der Bühne aussprach, verließ der Moderator Adrian Gillmann den Raum mit den Worten „Ich möchte mit Ihnen, Herr Palmer, nichts mehr zu tun haben“. (Besser er merkt’s spät als nie, schätze ich?!) Susanne Schröter bedankte sich bei Palmer. Später distanzierte sie sich dann doch, aber offenbar aus anderen Gründen: „Sein Verhalten hat die sehr gute und differenziert geführte Tagung schwer beschädigt“, schrieb sie auf Twitter. Max Czollek glaubt ihr nicht und ich schließe mich an. Er twitterte: „Ich glaub, ich finde dieses Statement nicht glaubwürdig aka Meinungsfreiheit fordern & bei ihrer Überschreitung keine Zivilcourage zeigen ist eine Form (kalkulierter) Kompliz*innenschaft. Jede*r weiß, wer Palmer ist und wofür er steht. Wer Palmer einlädt bekommt Palmer.“ Möglicherweise ist Schröters nachträglich zur Schau gestellte Empörung über den Tübinger OB auch gar nicht auf dessen Rassismus bezogen, sondern auf dessen Holocaustrelativierung. Palmer sagte zu Protestierenden vor dem Uni-Gebäude: „Das ist nichts anderes als der Judenstern“ und meint damit die Kritik an seinem Rassismus. Im Gespräch mit dem SWR wiederholte er den Vergleich: „Es geht mir um die Ausgrenzung. Dass man mich deshalb ächtet, weil ich das N-Wort sage, und deshalb als Nazi bezeichnet werde. Das ist ähnlich wie das Aufkleben eines Judensterns.“
Sonntag, 23. April
Ich habe am Samstag und Sonntag einen Workshop geleitet, deshalb erscheint der Wochenrückblick mit einem Tag Verspätung. Die „Take Back the Night“ Demo, die seit ein paar Jahren traditionell in der Walpurgisnacht stattfindet, habe ich gestern auch verpasst. Das hat sich im Nachhinein jedoch als ganz gut herausgestellt, denn das ungute Bauchgefühl, das diese „FLINTA-only“ Veranstaltung bei mir ausgelöst hat, stellte sich als berechtigt heraus. FLINTA wird immer mehr zur Farce. Denn während damit alle Menschen gemeint sind, die im Patriarchat genderbasierte Gewalt und Unterdrückung erfahren (zum Beispiel auch cis Männer, die inter* sind), bedeutet das Akronym in der Praxis meist einfach: „weiblich gelesen“. So auch gestern am Mariannenplatz, wo eine trans* Frau und eine nicht binäre Person, die an der Demo teilnehmen wollten, von zwei Frauen mit den Worten „Keine Macker hier“ angeschrien wurden und sich „Kein Platz für Täter“ anhören mussten. Offenbar gab es von Umstehenden hier keine Solidarität. Es ist jedes Mal das gleiche: „FLINTA“ produziert Ausschlüsse, diskriminiert. Immer wieder fühlen sich Teilnehmer*innen auf solchen Demos und Veranstaltungen berufen, andere aufgrund ihres Äußeren anzugreifen und ihnen ihre Zugehörigkeit abzusprechen. „FLINTA“ ist nicht sicher für inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen und letztlich auch nicht für Frauen und Lesben, die dem binären Modell von Geschlechtsausdruck nicht entsprechen. „FLINTA“ bedeutet viel zu oft genau die Form geschlechtsbasierter Gewalt, der angeblich vorgebeugt werden soll. Wir können das besser. Wir müssen da besser sein.
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