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Heute in Hamburg! (Foto: Duke Duong)

Sympathische Personen

Sascha Lobo macht Linke für den Rechtsruck verantwortlich, CSU und Freie Wähler stimmen für extrem rechte Richter und Markus Söder will uns verarschen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW4

Montag, 22. Januar

Neue Woche, neuer Femizid. Am Montag wurde in Hage, Landkreis Aurich (Niedersachsen) die Leiche einer Frau in einem Wohnhaus gefunden. „Die 65-jährige Frau wies Spuren von äußerer Gewaltanwendung auf, sodass derzeit von einem Tötungsdelikt ausgegangen wird“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Aurich.

Dienstag, 23. Januar

Die Großdemos vom letzten Wochenende gegen die AfD haben diese Woche zu einigen absurden Debattenbeiträgen geführt. Die komplette politische Verwahrlosung der selbsternannten „Mitte“ lässt sich exemplarisch an einem Leitartikel und einer Kolumne auf Spiegel Online nachzeichnen. „Hass-Chöre schaden dem Kampf gegen die AfD“, lautet die Überschrift des Leitartikels vom Dienstag, in dem Autorin Anna Reimann monierte: „Diejenigen, die in den vergangenen Tagen bundesweit gegen Hass und Hetze auf der Straße waren, (…) bekannten sich bemerkenswert oft selbst zum Hass. Der Ruf »Ganz Essen/Ganz München/Ganz Hamburg hasst die AfD« war in den Städten zu hören, er wird auf Schildern und in sozialen Medien geteilt.“ Empörend findet Reimann das, und meint: „Den Hass lautstark zu beschwören, ist nicht nur moralisch falsch. Es ist in der Auseinandersetzung mit der AfD auch dumm.“ Wir sollten die Partei der Rechtsextremist*innen, der neuen und alten Nazis und der verschwurbelten Reichsbürger*innen nicht hassen, denn das „dividiert auch die Mitte auseinander“, so Reimann. Statt „Hass“ plädiert sie dafür „in der Gegengruppe sympathische Personen“ zu identifizieren, denn so würde „Feindseligkeit zwischen Gruppen (…) am erfolgreichsten verringert“. Die „Gegengruppe“, die sie meint, ist die AfD, aber welche „sympathischen Personen“ Anna Reimann hier identifiziert hat, weiß ich leider auch nicht. Vielleicht weiß es ja Sascha Lobo, der sich in seiner Kolumne im SPEIGEL ebenfalls zu den Demos äußerte. Auch er hat einiges zu kritisieren an den aktuellen Protesten. Seine Kernaussage: Linke sind schuld am Zuwachs der Rechtsextremen, weil sie nicht genug zwischen konservativ und rechts differenzieren. Lobo, der seinen Sohn wahrscheinlich „D.I.F.F.E.R.E.N.Z.I.E.R.T.“ genannt hätte, wenn das Wort auf „L“ enden würde, findet es „unverschämt, falsch und geschichtsvergessen“, wenn die Politik von CDU/CSU oder gar der Ampel als rechts bezeichnet wird. Überschneidungen dieser Parteien mit den Positionen der AfD seien allerhöchstens „Einzelfälle“. Lobo analysiert messerscharf (lol): „Die toxische Erzählung, es gäbe eigentlich keinen Unterschied zwischen AfD und Union, kann sich in öffentlichen Debatten leicht verselbstständigen und schließlich bei manchen Menschen eine Scheu verringern, rechtsextrem zu wählen. Weil ja, wie manche Linke behaupten, eh kein Unterschied bestehe.“ Genau, weil sich die AfD-Wähler*innen ja auch so dafür interessieren, was Linke denken. Wie sich Sascha Lobo „Linke“ vorstellt, enthält er uns zum Glück nicht vor und fasst deren vermeintliche politische Haltung folgendermaßen zusammen: „Du bist nicht vegan? Du rechtsextremes Nazischwein!“

Mittwoch, 24.Januar

Sascha Lobo hätte wahrscheinlich seine wahre Freude an dem, was jetzt folgt. Denn es bestätigt seine Theorie, dass Linke ja nur meckern und mit nichts zufrieden sind. Aber eins nach dem anderen: Liberale Feminist*innen feierten am Mittwoch die Entscheidung des Bundeskabinetts, sogenannte „Gehsteigbelästigungen“ in Hör- und Sichtweite von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen zukünftig zu untersagen. Schwangere dürfen dann nicht mehr gegen ihren Willen von Abtreibungsgegner*innen angesprochen werden. Verstöße dagegen sollen als Ordnungswidrigkeit gelten und mit einer maximalen Strafe von 5.000 Euro geahndet werden. „Wir stärken die Rechte von Schwangeren und gehen einen wichtigen Schritt für die Selbstbestimmung der Frau“, sagte Familienministerin Lisa Paus.  Joa, schön und gut. Allerdings findet die Politik hier eine Lösung für ein Problem, das sie selbst geschaffen hat. Das Problem ist, dass sich Menschen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, überhaupt verpflichtend beraten lassen müssen. Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag angekündigt, „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ zu prüfen, was übersetzt bedeutet, das Verbot von Abtreibungen aufzuheben. Davon ist momentan keine Rede mehr. Also ja, die Bannmeile ist wichtig, um Schwangere und auch die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen vor den radikalen Abtreibungsgegner*innen zu schützen, aber damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben. Der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch gehört endgültig gestrichen. Bis es so weit ist, hat sich die Regierung in dieser Sache keinerlei Applaus verdient. Aber irgendwelche SPIEGEL-Kolumnist*innen sind sicher schon dabei die „sympathischen Personen“ in der Gruppe der sogenannten „Lebensschützer*innen“ zu identifizieren.

Auch am Mittwoch

Laut Sascha Lobo versuchen Menschen „die Brandmauer von links einzureißen“, wenn sie die Parallelen von CDU/CSU und AfD aufzeigen. Dass für die Union diese vielfach beschworene „Brandmauer“ nicht viel mehr als ein löchriger Krötenzaun ist, bewies uns der Bayerische Landtag am Mittwoch. Mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern wurde der AfD (deren Landesverband vom Verfassungsschutz beobachtet wird) ermöglicht, zwei Richter fürs Landesverfassungsgericht zu stellen. SPD und Grüne stimmten dagegen. „Wir werden keine Kandidaten der AfD für die nichtberufsrichterlichen Mitglieder am Bayerischen Verfassungsgerichtshof wählen. Feinde unserer Verfassung haben in einem Verfassungsgericht nichts zu suchen“, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Jürgen Mistol, vor der Wahl. Doch die Stimmen von SPD und Grünen fielen nicht ausreichend ins Gewicht und wie schon 2018 wurden die AfD-Kommunalpolitiker Wolfram Schubert und Rüdiger Imgart erneut in den Verfassungsgerichtshof gewählt.

Donnerstag, 25. Januar

Der frühere Berliner CDU-Finanzsenator, Peter Kurth, hat im großen Stil Rechtsextremisten unterstützt. Nachdem vor rund zwei Wochen der SPIEGEL über eine Dachterrassen-Party bei Peter Kurth u.a. mit AfD-Spitzenpersonal (Maximilian Krah, Kristin Brinker), Verleger Götz Kubitschek, („Ex-„)Neonazi Benedikt Kaiser und Martin Sellner berichtete, deckte das ARD-Magazin MONITOR jetzt auf, dass der 1. Vorsitzende der „Alten Herren“ der rechtsextremen Burschenschaft „Gothia“ die Identitäre Bewegung in Österreich mit Spenden in Höhe von mindestens 120.000 Euro unterstützte. Mit dem Geld soll eine Immobilie in Linz gekauft worden sein, die als „patriotisches Hausprojekt“ bezeichnet wird. Vor wenigen Wochen würdigte die Berlinre CDU Peter Kurth für seine „besonderen Verdienste“ mit einer Ehrennadel und einer „guten Flasche Rotwein“.

Auch am Donnerstag

Ein weiterer Femizid ereignete sich diese Woche an einer Schule in St. Leon-Rot, in der Nähe von Heidelberg (Baden-Württemberg). Eine 18-jährige Schülerin wurde mutmaßlich von einem ebenfalls 18-Jährigen mit einem Messer ermordet. Der dringend Tatverdächtige soll der Ex-Freund der Getöteten und ebenfalls Schüler an dem Gymnasium gewesen sein. Nach der Tat habe er die Mutter des Opfers mit dessen Handy angerufen und gesagt „Mich verlässt niemand“, berichtet die BILD. Anschließend flüchtete er mit dem Auto und wurde einige Stunden später in Niedersachsen festgenommen. Medienberichten zufolge soll das Opfer in der Vergangenheit bereits wegen Körperverletzung Anzeige gegen den Mann erstattet haben. Doch bei der Staatsanwaltschaft landete die Anzeige nicht. Ob das damit zusammenhängt, dass der Täter Sohn eines Polizisten ist, ist unklar. Erst im Dezember soll es eine sogenannte „Gefährderansprache“ gegeben haben, die Schulleitung verhängte „Maßnahmen der Kontaktbeschränkung im Schulbetrieb“. Doch nichts davon konnte die Schülerin schützen.

Freitag, 26. Januar

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag gab am Freitag eine erste Entscheidung im Völkermord-Verfahren gegen Israel bekannt: die Klage Südafrikas wird nicht abgewiesen, wie von Israel gefordert. Die IGH-Präsidentin Joan E. Donoghue erklärte, das Gremium sei zu dem Schluss gekommen, dass es den Fall nicht abweisen könne. Das Verfahren wird mehrere Jahre dauern und hilft in der aktuellen Situation ohnehin wenig. Wichtiger sind die konkreten Forderungen, die das Gericht an Israel stellte: Israel „soll Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung im Gazastreifen ergreifen und auch mehr humanitäre Hilfe zulassen“, berichtet die Tagesschau. „Die militärische Operation Israels nach dem 7. Oktober 2023 hat u.a. zu zehntausenden Toten und Verletzten geführt und zur Zerstörung von Wohnhäusern, Schulen, medizinischen Einrichtungen und weiterer wichtiger Infrastruktur“, wird Richterin Donoghue zitiert. Die Entscheidungen des IGH sind bindend, aber die Richter*innen haben keinerlei Durchsetzungsmöglichkeit.

Nur einen Tag nach der Verkündung warf Israel dem UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) vor, dass einige dessen Mitarbeiter am brutalen Terror der Hamas vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen. Außenminister Israel Katz schrieb auf der Plattform, die früher Twitter hieß, UNRWA diene als ziviler Arm der Hamas und er würde dafür sorgen, dass die Organisation in Zukunft keine Rolle mehr in dem Gebiet spielen würde. USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Italien, Finnland und inzwischen auch Deutschland stellten die Zahlungen an das Flüchtlingshilfswerk ein. UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini veröffentlichte daraufhin ein Statement, er erklärte: „Unser humanitärer Einsatz, von dem 2 Millionen Menschen im Gazastreifen abhängen, bricht gerade zusammen. Ich bin schockiert, dass solche Entscheidungen aufgrund des angeblichen Verhaltens einiger weniger Personen getroffen werden, während der Krieg weitergeht, die Not immer größer wird und eine Hungersnot droht. Die Palästinenser in Gaza brauchen diese zusätzliche kollektive Bestrafung nicht.“

Für akute Nothilfe in Gaza könnt ihr bspw. an Ärzte ohne Grenzen spenden oder auch UNICEF direkt unterstützen.

Samstag, 27. Januar

Der 27. Januar ist der Internationale Gedenktag für die Opfer des Holocausts, doch statt den lebenden Jüdinnen*Juden und Sinti*zze und Rom*nja zuzuhören und dem Erstarken des Faschismus entgegenzutreten, suhlen sich insbesondere Politiker*innen gern in einem grotesken Gedenk- und Betroffenheits-Theater. Wenn Markus Söder, der unverbrüchlich zu seinem Vize Hubert Aiwanger steht, ein „We Remember“ in die Kamera hält und dazu twittert „Das klare Bekenntnis gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus ist gerade in der jetzigen Zeit wichtig wie nie“, ist das doch schlicht Verarsche. Söder behauptet, die Landesregierung würde sich „entschlossen wehren“ und gibt „ein persönliches Schutzversprechen für jüdisches Leben in #Bayern“. Ich will einfach nur schreien.

7.000 Menschen wurden am 27. Januar 1945 von der Roten Armee aus Auschwitz befreit. Über 1,1 Millionen überlebten das Vernichtungslager der Deutschen nicht. Sie wurden in Auschwitz vergast, zu Tode gefoltert oder sie verhungerten. Insgesamt töteten die Nazis geschätzte 17 Millionen Menschen:

Sonntag, 28. Januar

Auch dieses Wochenende gab es überall in Deutschland wieder Demonstrationen gegen rechts. In meiner Heimatstadt Marburg gingen gestern 16.000 Menschen auf die Straße, heute demonstrierten 4.000 Menschen in Zwickau und 7.000 in Bremerhaven. In Hamburg sprachen die Veranstaltenden von 100.000 Teilnehmenden, die Polizei bestätigte 60.000.

Die vielen Menschen, die auf die Straße gehen, machen vielen von uns Mut und Hoffnung. Aber die Bilder dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass echtes Engagement gegen rechts Nachhaltigkeit braucht. Zahlreiche Initiativen, Vereine und Organisationen leisten seit Jahren wichtige Arbeit an der Basis, in den (Klein-)Städten und Regionen, wo rechtes Gedankengut nicht selten bereits Mehrheiten erreicht. Dieses Engagement verdient unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung. In meinem Newsletter, der jeden Sonntag mit dem Wochenrückblick erscheint, stelle ich ab sofort jede Woche eine dieser Gruppen vor. Den Schwerpunkt bilden zunächst Initiativen aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo im September die Landtagswahlen anstehen.

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