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Hami Nguyen hat diese Woche ihr erstes Buch veröffentlicht, auf der Buchmesse fühlt sie sich aber nicht sicher.

Nicht freiwillig

Die Buchmesse ist vorbei, der Kanzler zeigt sein rassistisches Selbst, die PiS ist abgewählt und die Krankenkassen könnten künftig die Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen für trans Personen verweigern. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW42

Montag, 16. Oktober

Ausnahmsweise gibt es mal eine gute Nachricht gleich zu Beginn des Wochenrückblicks. Die frauen- und queerfeindliche, national-konservative und rassistische PiS-Partei wird Polen nicht länger regieren. Auch wenn die PiS die stärkste Kraft mit 35,4 % stärkste Kraft wurde, reicht es nicht zur Regierungsbildung, denn der einzig mögliche Koalitionspartner, die rechtsextreme Konfederacja brachte es „nur“ auf 7,2 %.  Aller Voraussicht nach wird die größte Oppositionspartei, die liberale „Bürgerkoalition“ KO ein Dreierbündnis mit dem christlich-konservativen „Dritten Weg“ (nicht zu verwechseln mit der deutsche Nazi-Partei gleichen Namens) und dem Linksbündnis Lewica bilden. Die in Polen geborene Autorin und Publizistin Katharina Nocun schrieb noch am Sonntagabend auf der Plattform, die früher Twitter hieß: „Uff, Tränen in den Augen! Tschüss PiS! Rekordwahlbeteiligung, weil viele viele Menschen einfach einen Wechsel wollen!“ Und tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die starke Wahlbeteiligung entscheidend war. Mit 74,38 Prozent liegt deutlich über den früheren Zahlen. „Selbst bei der Wahl im Jahr 1989 lag sie nur bei 62,7 Prozent. Allein das bedeutet einen Triumph der Demokratie in Polen“, schreibt Achim Kessler, Leiter des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau: „Die Zeit der politischen Frustration vieler Wähler*innen ist überwunden. Es scheint insbesondere den demokratischen Oppositionsparteien gelungen zu sein, ehemalige Nichtwähler*innen zur Wahlbeteiligung zu mobilisieren, nicht zuletzt durch zwei Großdemonstrationen, an denen über eine Million Menschen teilgenommen haben.“ Doch bei aller Freude darüber, dass die PiS abgewählt wurde, dürfen wir nicht vergessen, dass auch die Opposition keinesfalls für „linke“ Werte steht. Jaroslaw Kuisz und Karolina Wigura, die die Stiftung Kultura Liberalna in Warschau leiten, schrieben in einem Essay für die taz: „So oder so, unabhängig von der von der Opposition errungenen Mehrheit ist die Herausforderung durch die populistische Gruppierung in der Politik keineswegs geringer geworden.“

Dienstag, 17. Oktober

Gemeinsam mit 32 anderen Autor*innen und Künstler*innen habe ich einen Offenen Brief an die Veranstalter*innen des Literarischen Herbst in Leipzig unterzeichnet, in dem wir die Absage eines Podiumsgesprächs zwischen Helge Malchow und Alice Schwarzer fordern. Wir fragen: „Was genau verspricht sich der Literarische Herbst von einer Lesung mit einer Autorin, die immer wieder durch transfeindliche, rassistische und misogyne Aussagen und Publikationen auffällt? Ist sich der Literarische Herbst bewusst, welches Publikum damit angesprochen wird? Wie passt das ins Programm einer sonst divers kuratierten Veranstaltung?“ Außerdem kritisieren wir, dass das Gespräch mit Alice Schwarzer in einem gänzlich unkritischen Rahmen stattfinden soll, in dem ihr Helge Malchow gegenübersitzt, der Schwarzer nicht nur lobhudelnd zum Geburtstag gratulierte, sondern auch Till Lindemanns Vergewaltigungs-Gedichte nicht nur verlegte, sondern auch verteidigte. In Folge der Programmveröffentlichung haben die Magazine Edit, Hot Topic! Und andere ihre Lesungen aus dem Programm des Literarischen Herbstes genommen, doch die Veranstaltenden halten an Schwarzer fest. In einem Statement erklären sie: „Wir waren uns bewusst, dass mit Schwarzer eine umstrittene, durch provokante, manchmal auch für uns problematische Äußerungen, polarisierende Autorin ein Podium im Rahmen des Festivals erhält. Dennoch stehen für uns die Errungenschaften einer Publizistin außer Frage, die sich seit Jahrzehnten für Feminismus weltweit eingesetzt und damit emanzipatorische Bewegungen und die Bundesrepublik nachhaltig geprägt hat.“ Erlaubt mir, das für euch zu übersetzen: „Wir wissen, das sich Schwarzer transfeindlich und rassistisch äußert, aber das ist uns egal.“ Für Alice Schwarzer ist die Kritik „Cancel Culture in Reinform“ und rechte Hetzer*innen springen ihr gerne bei. „Alice Schwarzer soll gecancelt werden“ schreibt die extrem rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und das rechtsextreme „Compact-Magazin“ kommentiert: „Seit Jahren ist Feministin Alice Schwarzer eine Hassfigur der Woko-Haram-#Linken. Jetzt soll sie vom Literarischen Herbst in #Leipzig ausgeschlossen werden.“ Hm, tja, jeder bekommt die Unterstützung, die er verdient, schätze ich.

Mittwoch, 18. Oktober

In der Nacht zu Mittwoch haben laut Polizeiangaben zwei vermummte Personen Molotowcocktails in Richtung eines Gebäudes in der Berliner Brunnenstraße geworfen, in dem sich mehrere jüdischen Einrichtungen befinden, u.a. eine Kita und eine Synagoge. Laut Tagesschau erreichten die Brandsätze das Gebäude nicht. Berlins Innensenatorin Iris Spranger macht die Anwesenheit der Polizei dafür verantwortlich, das Schlimmeres verhindert wurde. „Dieser Brandanschlag ist die konsequente Fortsetzung der Verherrlichung des Hamas-Terrors auf deutschen Straßen. Der ‚Tag des Zorns‘ ist nicht nur eine Phrase. Es ist psychischer Terror, der in konkrete Anschläge mündet“, erklärte der Zentralrat der Juden. Der Antisemitismus, der in Deutschland ohnehin auf einem konstant hohen Niveau ist, nimmt dieser Tage zu, bzw. wird sichtbarer. Legitime und wichtige Kritik am Handeln des Staates Israel und dessen Militär schlägt immer wieder in Pauschalisierungen und blanken Judenhass um. Gleichzeitig nimmt weltweit die Gewalt zu, die mit den aktuellen Eskalationen des Nahostkonflikt in Verbindung stehen. In der Nähe von Chicago im US-Bundesstaat Illinois hat ein Mann am vorangegangenen Samstag ein sechsjähriges Kind erstochen und dessen 32 Jahre alte Mutter schwer verletzt. 26-mal stach der 71-Jährige mit einem Militärmesser auf den Jungen ein. Wie der SPIEGEL berichtet, soll es sich um den Vermieter handeln, der sei „wütend über das gewesen, was er in den Nachrichten gesehen habe“. Er habe Mutter und Kind in deren Wohnung angegriffen und dabei geschrien: „Ihr Muslime müsst sterben!“

Donnerstag, 19. Oktober

Am Donnerstag traf das Bundessozialgericht in Kassel eine möglicherweise weitreichende Entscheidung die Gesundheitsversorgung von trans und nicht-binären Menschen betreffend. Das Gericht urteilte über die Ablehnung der Kostenübernahme für eine geschlechtsangleichende Operation bei einer nicht-binären Person und hat entschieden, dass die Gesetzliche Krankenkasse derzeit nicht verpflichtet ist, geschlechtsangleichende Maßnahmen für nicht-binäre Personen zu zahlen. Robin Nobicht hatte die Techniker Krankenkasse auf Kostenübernehme verklagt und zunächst auch Recht bekommen. Doch die TK ging in Berufung und das Landessozialgericht in Stuttgart gab ihr Recht. Also ging es weiter vors Bundessozialgericht. Dieses befand zwar die vom LSG Baden-Württemberg genannten Ablehnungsgründe als nichtzutreffend befunden und erklärte, dass nicht-binäre Personen prinzipiell denselben Anspruch auf Behandlungen haben können wie auch binäre trans* Personen, den konkreten Anspruch von Robin Nobicht lehnte das BSG aber ab, da vom Gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht grundsätzlich geklärt worden sei, wie Geschlechtsdysphorie zu behandeln ist. Robin Nobicht ist enttäuscht vom Urteil: „Die Entscheidung vom BSG finde ich persönlich schrecklich. Ja, es ist positiv, dass das BSG bestätigt, dass die medizinischen Ansprüche von binären und nicht-binären Personen nicht zu unterscheiden sind. Aber das spiegelt lediglich die laufende Entwicklung in vielen anderen Bereichen und auch in der Gesetzgebung wieder.“ In der Praxis bedeutet das jetzt allerdings, dass das nun auch die Kosten für die Behandlung binärer trans Männer und Frauen nicht von den Krankenkassen übernommen werden müssen. „Eine Entscheidung durch den GBA wird gewiss mehrere Jahre auf sich warten lassen. In dieser Zeit wird ganz einfach gesagt mit Menschenleben gespielt, weil in der Zwischenzeit trans* Personen medizinisch erforderliche Behandlungen verwehrt werden. Hier muss unbedingt von dem*der Gesetzgeber*in endlich eine Lösung in Form von einer gesetzlichen Verankerung von trans*-spezifischen Behandlungen her“, sagte Nobicht. Die TIN Rechtshilfe, die Robin Nobicht in dieser Sache unterstützt, erklärt: „Das BSG hat mit der Entscheidung eine Situation geschaffen, in der Krankenversicherungen vorübergehend die Kostenübernahme für neu beantragte medizinisch erforderliche Behandlungen von trans* Personen verweigern könnten. Und das obwohl diese Behandlungen seit vielen Jahren allgemein anerkannte medizinische Praxis sind. Das kann nicht sein. Denn die Behandlungen sind erforderlich, um einen erheblichen psychischen Leidensdruck zu lindern.“ Und auch Friederike Boll, Anwältin im Prozess, findet: „Die Forderung nicht-binärer Personen auf Gleichberechtigung dazu zu nutzen, jetzt auch binären trans* Personen den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu erschweren, ist ein enormer Rückschritt in Sachen Menschenrechte“.

Auch am Donnerstag

In Osnabrück tötete am Donnerstag mutmaßlich ein 52-Jähriger seine Ex-Frau. Die 50-Jährige wurde mit mehreren Stichverletzungen in ihrer Wohnung gefunden, nachdem ein Anrufer bei der Polizei häusliche Gewalt gemeldet hatte. Die Frau wurde ins Krankenhaus gebracht, wo sie kurz darauf an den schweren Verletzungen starb. Dringend tatverdächtig ist der Ex-Partner der Getöteten, die Frau soll sich vor einer Weile von dem Mann getrennt haben.

Freitag, 20. Oktober

„Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“ – mit diesem Zitat hat es der ansonsten eher wenig beachtete Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag aufs Cover des SPIEGEL geschafft. Zur Erinnerung: Scholz ist in der SPD. Dass er hier einen auf Merz macht, ist leider jedoch wenig überraschend, wenn wir uns die Sozialdemokratie in den letzten…sagen wir…50 Jahren anschauen. Schlimmer noch als das ekelhafte Zitat auf dem Cover ist das Interview selbst. Denn zum Thema Abschiebung kommt Scholz über das Thema Antisemitismus in Deutschland. Wie alle Rassist*innen will auch Olaf Scholz es gerne so aussehen lassen, als sei der Hass auf Juden*Jüdinnen vornehmlich in migrantisierten Kreisen ein Problem. Er kündigt an, „genauer hinsehen“ zu wollen und erklärt: „Einerseits geht es um die Zuwanderung von Arbeitskräften, die wir brauchen. Und es geht um jene, die Asyl suchen, etwa weil sie politisch verfolgt werden. Andererseits heißt das aber: Wer weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe gehört, kann nicht bei uns bleiben. Deshalb begrenzen wir die irreguläre Migration nach Deutschland – es kommen zu viele.“ Wie das passieren soll? Scholz setzt auf Gewalt: „Wir verstärken den Schutz der europäischen Außengrenzen, damit weniger den Weg nach Europa finden.“ Wie das in der Praxis aussieht, haben die Push-Backs von Frontex gezeigt, bei denen Menschen (ja, natürlich auch Kinder) nachts auf „Rettungsinseln“ im Mittelmeer ausgesetzt werden oder einfach ins Wasser geworfen werden. Oder an den EU-Außengrenzen Bulgariens, Ungarns und Kroatiens, wo flüchtende Menschen misshandelt und gefangen gehalten, bevor sie von Frontex-Personal illegal zurück über die Grenze gebracht werden. Dass ein Kanzler, der für den gewaltsamen Tod von Achidi John (†19) durch Brechmittelfolter verantwortlich ist, kein bisschen Herz im Leib hat, ist nichts neues. Wohl aber die Kälte, mit der er es inzwischen offen zur Schau stellt. Geflüchtete sollen aus Scholz Sicht kein Geld, sondern Sachleistungen erhalten und: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.“ Was die Angst vor Abschiebung für betroffene Menschen bedeutet, ist dem SPD-Kanzler so egal, wie das Schicksal derjenigen, die an den Außengrenzen ertrinken, verhungern und erfrieren. „Wer keine Bleibeperspektive in Deutschland hat, weil er sich nicht auf Schutzgründe berufen kann, muss zurückgehen. Dafür müssen unsere Behörden rund um die Uhr erreichbar sein, damit man jemanden wirklich abschieben kann, wenn die Bundespolizei ihn aufgreift.“ Sounds a lot like „Nächtliche Abschiebung“ für mich, etwas, das nicht einmal das von Horst Seehofer 2019 verschärfte Aufenthaltsgesetz zuließ. Scholz ist ein Menschenfeind und er hat daraus nie einen Hehl gemacht, wie er selbst sagt: „In all meinen Ämtern habe ich immer so gedacht. Und auch immer so gesprochen“, sagt er zum SPIEGEL. Und auf die Frage, ob die hohen Umfragewerte der AfD etwas mit seinem „neuen, harten Ton in der Migrationspolitik“ zu tun hat, gibt er offen zu, dass hier Abgrenzung nach rechts gar nicht gewollt ist: „Es muss immer um die Sache gehen, um die konkrete Lösung von Problemen.“ Die Interviewenden scheinen ehrlich überrascht von Scholz Hardliner-Tour und haken nochmal nach: „Menschen sollen nach ihrer Nützlichkeit für Deutschland ausgewählt werden? Wer das bislang ausgesprochen hat, bekam von SPD und Grünen zu hören, das sei unmenschlich.“ Scholz antwortet: „Natürlich haben wir als Staat das Recht zu definieren, wen wir hier aufnehmen wollen.“

Einer, den er hier nicht haben will, nahm sich am Montag in der sächsischen Kleinstadt Hainichen das Leben. Der Nigerianer sollte am Morgen in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in der Nähe von Chemnitz zur Abschiebung abgeholt werden. Fünf Polizeibeamte standen in seinem Zimmer und forderten ihn auf, zu packen. Ein*e Dolmetscher*in war nicht dabei und es ist unklar, ob der Mann wusste, warum und wohin er abgeschoben werden sollte. Fest steht nur, dass der 33-Jährige plötzlich aufstand, zum Balkon lief und aus dem 5. Stock, etwa 15 Meter in die Tiefe sprang. Er war sofort tot. „Wir sind extrem bestürzt, aber leider kaum überrascht“, sagte Dave Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat zur taz. „Erst vor einigen Wochen wollte sich ein junger Mensch aus Pakistan bei einer Abschiebung in Eberswalde auf die gleiche Weise das Leben nehmen und überlebte nur schwerverletzt.“ Im letzten Jahr begingen zwei Menschen in einer Sammelunterkunft in Hoyerswerda Suizid – aus Angst vor der Abschiebung. „Diese Praxis bleibt inhuman und kann immer tödlich enden“, sagt Dave Schmidtke. „Wer also heute auf der politischen Bühne nach mehr Abschiebungen schreit, sollte morgen nicht von einer Tragödie sprechen und Krokodilstränen vergießen.“ Nun ja, zumindest brauchen wir von Olaf Scholz keine Tränen, echte oder falsche, zu erwarten, es wird im schlicht egal sein.

Samstag, 21. Oktober

Samstagnacht kam es in Berlin-Wedding zu einem gewaltsamen Angriff auf ein schwules Paar. Wie queer.de berichtet haben ein 54-jähriger Mann und dessen 26 Jahre alter Partner gegen Mitternacht auf einer Parkbank gesessen, als sie von zwei unbekannten Männern beleidigt wurden. Die Täter griffen die beiden Männer an, sollen sie geschlagen und getreten haben, bevor sie flüchteten. Die Verletzten wurden in ein Krankenhaus gebracht, konnten es aber nach ambulanter Behandlung wieder verlassen. Gewalt gegen queere Menschen nimmt seit Jahren zu. Zwischen 2018 und 2022 haben sich die erfassten queerfeindlichen Straftaten um ca. 200 Prozent erhöht. Die Unionsfraktion im Bundestag hat kürzlich so getan, als würden ihr queere Menschen etwas bedeuten und stellte eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Allerdings ging es ihr dabei offenbar nicht um die Betroffenen, sondern sie suchten nach Futter für die eigene rassistische Agenda. Die CDU/CSU wollte wissen, „wie viele der Täter Nicht-Deutsche oder Geflüchtete waren“, schreibt das Portal „Volksverpetzer“, das auf diesen miesen Versuch rassistischer Instrumentalisierung aufmerksam machte. Die Union will konkret wissen: „Wie viele der Tatverdächtigen von Hassverbrechen aufgrund geschlechtsbezogener Diversität in den Jahren von 2012 bis 2022 a) waren Ausländer, b) befanden sich in einem laufenden Asylverfahren, c) waren abgelehnte Asylbewerber, die ausreisepflichtig oder im Besitz einer Duldung waren“. Und noch konkreter (auch wenn völlig unklar ist, welche Relevanz das haben soll): „Seit wann halten sich die nicht in Deutschland geborenen Tatverdächtigen jeweils in Deutschland auf“? Die Bundesregierung antwortete. Allerdings nicht so, wie von der Union erhofft: „Bezogen auf die vergangenen drei Erfassungsjahre ist der Anteil der Tatverdächtigen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit im Themenzusammenhang ‚geschlechtsbezogene Diversität‘ rückläufig.“ Und weiter führt sie aus: „Die Erkenntnisse weisen zudem weiterhin in der Mehrzahl auf die zugrunde liegende Ideologie in der rechten Szene hin. In Anlehnung an das traditionelle Geschlechterbild und insbesondere die damit verbundene Erwartungshaltung an ‚Familie‘ werden alle anderen Lebensentwürfe abgelehnt.“ Tja, schade Schokolade, liebe Rechtspopulist*innen, eure Queerfeindlichkeit ist und bleibt hausgemacht.

Sonntag, 22. Oktober

In Frankfurt am Main geht heute die Buchmesse zu Ende und es gäbe so viel daran zu kritisieren, aber in Anbetracht meiner Kapazitäten beschränke ich mich heute auf zwei Aspekte, die untrennbar miteinander verbunden sind. Die Buchmesse steht seit Jahren in der Kritik, weil sie rechten und rechtsextremen Verlagen eine Bühne bietet. Für die Messe selbst ist das „ein Phantomthema“, schließlich seien es dieses Jahr weniger als früher. Und ja, der rechtsextreme KOPP-Verlag ist nicht mehr dabei und auch „Manuskriptum“ oder „Jungeuropa“ sind nicht vor Ort, wohl aber der Verlag „Junge Freiheit“. Dass weniger offen rechtsextreme Publizist*innen in Frankfurt auftreten, liegt übrigens nicht daran, dass die Buchmessen-Verantwortlichen sie ausgeladen hätten. Die Nazis haben schlicht keinen Bock auf Frankfurt und manche trafen sich stattdessen bei der „Alternativen Buchmesse“ in Mainz, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Eine klare Stellungnahme gegen rechtsextremes Gedankengut an den Ständen und den ausgestellten Büchern gab es von der Messe bisher nicht. Das führte auch in diesem Jahr dazu, dass manche von Rassismus betroffene Autor*innen sich dort nicht sicher fühlten und ihre Teilnahme absagten. Eine davon ist Hami Nguyen, die diese Woche ihr erstes Buch „Das Ende der Unsichtbarkeit – Warum wir über anti-asiatischen Rassismus sprechen müssen“ bei Ullstein veröffentlicht hat. Hami schreibt: „Spätestens seit den letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern mussten wir erkennen, dass rechtsradikales Gedankengut immer mehr politische Handlungsmacht bekommt und unsere freiheitliche Demokratie, das Leben mehrfach marginalisierter Menschen, bedroht. Und anstatt dagegen zu halten. gibt die Buchmesse erneut diesem gefährlichen Verlag [Anmerkung: „Junge Freiheit“] eine Plattform. Das ist eine politische Entscheidung des Geschäftsführers der Buchmesse Boos. Meine Entscheidung alle Anfragen für Auftritte auf der Buchmesse abzusagen, treffe ich nicht freiwillig, sondern weil ich mich dort nicht sicher fühle. Rechte Verlage ziehen nicht nur entsprechendes Publikum an, sondern ihre Präsenz neben anderen Verlagen normalisiert auch ihre Ideologie.“ Dass die Buchmesse sehr wohl politisch Stellung beziehen kann, wenn sie denn will, zeigte sich u.a. in der Entscheidung die Verleihung des „LiBeraturpreisan die palästinensische Autorin Adania Shibli „zu verschieben“.  Es ist wie immer: Der (vermeintliche) Antisemitismus der Einen wird anders bewertet als der (tatsächliche) Antisemitismus der Anderen. Dieter Stein, Verleger der „Jungen Freiheit“, kann Texte über die „Holocaust-Zivilreligion“ oder den „Schuldkult“ veröffentlichen und ist weiterhin willkommen, für eine palästinensische Autorin ist hingegen schlicht „ungeeignet“.

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