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Sasha M. Salzmann hat einen Preis gewonnen und einen wichtigen Text geschrieben.

Die Grenzen der Emotion

Alice Schwarzer hetzt wie üblich, in Texas könnten Eltern von trans Kindern das Sorgerecht verlieren, Kolumbien legalisiert Abtreibungen und in der Ukraine ist Krieg. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW8

Montag, 21. Februar

Auch diese Woche begann mit einem Femizid. Bereits am Sonntag wurde eine 25-jährige Frau in Hamburg-Niendorf offenbar mit einem Messer in ihrer Wohnung getötet. Die Polizei nahm einen ebenfalls 25-jährigen Mann fest. Es soll sich dabei um den Lebensgefährten der Getöteten handeln.

Dienstag, 22. Februar

Der Gouverneur des US-Bundesstaates Texas, Greg Abbott, hat am Dienstag in einem Brief an die staatliche Familienbehörde gefordert, geschlechtsangleichende Behandlungen für trans Kinder und Jugendliche als „Kindesmissbrauch“ zu bewerten. Der Republikaner berief sich dabei offenbar auf den Generalstaatsanwalt von Texas, der sich bereits am vorangegangenen Freitag derartig geäußert hatte. Abbott sagte, dass Ärzt*innen und Pflegepersonal sowie Lehrkräfte verpflichtet seien, Fälle von Kindesmissbrauch zu melden, und dass dementsprechend „strafrechtliche Sanktionen“ vorgesehen seien, wenn Fälle nicht gemeldet würden. In der Praxis würde das bedeuten, dass Eltern, die ihr trans Kind unterstützen, das Sorgerecht verlieren könnten.

Führende medizinische Berufsverbände, wie die Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde (American Academy of Pediatrics), die Psychiatrische Vereinigung (American Psychiatric Association) und der Verband der Hausärzt*innen (American Academy of Family Physicians) unterstützen die geschlechtsangleichende Behandlung von trans Jugendlichen. Im April letzten Jahres sprachen sie sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die transfeindlichen Gesetzgebungen aus: „Wir erkennen Gesundheit als ein grundlegendes Menschenrecht für jeden Menschen an, unabhängig von der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung. Für gender-diverse Menschen, einschließlich Kindern und Jugendlichen, bedeutet dies den Zugang zu geschlechtsangleichender Versorgung, die Teil einer umfassenden Grundversorgung ist.“

Nicht nur in Texas wird versucht, die Behandlungen für trans Kinder und Jugendliche einzuschränken. In mehreren Bundesstaaten wurden Gesetze verhängt, die trans Kindern u.a. den Zugang zu Toiletten und die Teilnahme am Sport verwehren. In mittlerweile zehn US-Bundesstaaten ist es trans Mädchen und Frauen verboten am „Frauen“-Sport teilzunehmen. In Arkansas wurde vor nicht ganz einem Jahr ein Gesetz verabschiedet, das geschlechtsangleichende Behandlungen für Minderjährige gänzlich verbietet.

Auch am Dienstag

Das Verfassungsgericht in Kolumbien hat Schwangerschaftsabbrüche legalisiert. Künftig sind Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche legal. Das Gericht hat damit einer entsprechenden Klage von feministischen Organisationen stattgegeben. „Wir feiern dieses Urteil als einen historischen Sieg für die Frauenbewegung in Kolumbien, die seit Jahrzehnten für die Anerkennung ihrer Rechte kämpft“, sagte die Regionalchefin von Amnesty International, Erika Guevara Rosas laut Deutsche Welle. Legale Abtreibungen waren in dem südamerikanischen Land nur unter strengen Voraussetzungen möglich, nämlich nur dann, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr war, der Fötus Missbildungen aufwies oder die ungewollte Schwangerschaft durch Vergewaltigung entstand. Laut Argumentation der Kläger*innen wurden durch das Gesetz arme Menschen diskriminiert, die keinen Zugang zu Ärzt*innen, Anwält*innen oder Psycholog*innen hätten, um eine legale Abtreibung zu erreichen. Schätzungen gehen davon aus, dass in Kolumbien jährlich 400.000 illegale Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt wurden. Das Abtreibungsrecht in Kolumbien wird damit fortschrittlicher sein als das deutsche.

Mittwoch, 23. Februar

Deutschland hat erstmals eine Antirassismus-Beauftragte. Reem Alabali-Radovan wurde vom Bundeskabinett für das neugeschaffene Amt berufen. Die 31-Jährige ist bereits Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Rassismus nannte sie „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „eine Gefahr für das Land“. Sie forderte: „wir alle müssen Antirassisten sein.“

Auch am Mittwoch

In der ZEIT erschien „ein Debattenbeitrag“ von Alice Schwarzer, in dem die Chefin des transfeindlichen Hetzblattes „EMMA“ das geplante Selbstbestimmungsgesetz als „fataler Irrweg“ bezeichnet. Während „Die Zeit“ wichtige journalistische Arbeit mittlerweile fast ausschließlich hinter Bezahlschranken nur gut betuchten Leser*innen zur Verfügung stellt, ist Schwarzers Geschwurbel frei zugänglich. Sie beklagt darin eine angeblich „fundamentale Leugnung auch des biologischen Geschlechtes“ und eine „problematische Entwicklung“. Sie behauptet: „Jetzt stürmen vor allem junge Mädchen die Trans-Praxen. Ihnen suggeriert der Zeitgeist, die Flucht ins Mannsein sei die Lösung“ und zitiert die US-TERF, Abigail Shrier, die mit ihrem Buch „Irreversible Damage – The Transgender Craze Seducing Our Daughters“ („Irreversibler Schaden. Der Transgender Wahn verführt unsere Töchter“) eine Art Bibel der Transfeind*innen geschrieben hat. Shrier ist Journalistin, weder hat sie medizinische noch psychologische Expertise. Weiter zitiert Schwarzer den Kinder- und Jugendpsychologen Alexander Korte, der bekannt ist für transfeindlichen Aussagen und in Fachkreisen eine Außenseitermeinung zur adäquaten Unterstützung von trans Kindern und Jugendlichen vertritt. Schwarzer ist das natürlich egal, sie bastelt lieber weiter an ihrem Schauermärchen behauptet „auch erwachsene Frauen sind bedroht“ und nennt das geplante Selbstbestimmungsgesetz eine „Auslieferung von Jugendlichen und Frauen“. Natürlich fehlt auch in Schwarzers Text nicht der übliche trans- und queerfeindliche Seitenhieb, der trans Personen in Zusammenhang mit Kindesmissbrauch bringt: „Es wäre nicht das erste Mal, dass die Grünen sich in der Sexualpolitik verrennen. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wollten sie im Namen der ‚sexuellen Freiheit‘ und ‚Selbstbestimmung‘ die Sexualität Erwachsener mit Kindern legalisieren.“ Das schreibt Alice Schwarzer, nicht Alice Weidel. Sie schließt ihren Text mit der „Hoffnung, dass auch hierzulande die Gefahr noch rechtzeitig erkannt wird“ und die Tatsache, dass „Die Zeit“ ihre Hetzschrift in dieser Form veröffentlicht, gibt ihr darin noch recht.

Donnerstag, 24. Februar

Nachdem Russlands Präsident Putin am Montagabend zunächst die Separatistengebiete Luhansk und Donezk anerkannte und in einer etwa 40-minütigen Rede im russischen Fernsehen der Ukraine das Existenzrecht absprach, meldeten OSZE-Beobachter*innen am Mittwoch mehr als 1.000 registrierte Explosionen in der Ukraine. Am frühen Donnerstagmorgen, um 4.29 Uhr, sagt Putin in einer TV-Ansprache: „Ich habe beschlossen, eine Sonder-Militäroperation durchzuführen“ und behauptet, „die Entmilitarisierung und die Entnazifizierung der Ukraine“ anzustreben. Der Krieg, der seit 2014 in der Ostukraine geführt wird, hat nun das gesamte Land erfasst. Um 5:36 Uhr am Donnerstagmorgen verhängt die Ukraine das Kriegsrecht. Während in Deutschland manche ihre Geschichtsvergessenheit offenbarten und von „75 Jahren Frieden“ in Europa sprachen, wie der Bundesverkehrsminister Volker Wissing, wurde anderen auf einmal klar, dass Putin vielleicht doch nicht das missverstandene Väterchen Harmlos ist, für den sie ihn nur zu gerne gehalten haben.

Viele Menschen teilten auf Social Media ihr Entsetzen über die jüngste Eskalation. Während aktuelle Kriege wie bspw. im Jemen, in der Tschadseeregion oder in Myanmar es kaum in die Nachrichten schaffen, ist ein Krieg in der Ukraine für viele sehr nah. Fatma Aydemir hat in der taz über Menschen geschrieben, deren Solidarität „allein aus dem Umstand rührt, dass es sie genauso treffen könnte“. Es scheint, dass gerade vielen Menschen klar wird, dass ihr Gefühl von Frieden und Sicherheit vor allem auf dem Privileg des weiß und europäisch Seins basierte. Für nicht weiße Menschen und jene ohne europäischen Pass hat es diesen Frieden nie gegeben. Allen anderen wird schlagartig klar: das was für die Mehrheit der Weltbevölkerung Realität ist, ist doch nicht so weit weg, wie wir dachten. Deshalb halten sie jetzt inne, bieten ihre Hilfe an, spenden. Die Deutsche Bahn lässt Geflüchtete aus der Ukraine ohne Fahrschein mitfahren und Polen errichtet Aufnahmezentren. Auf einmal sind flüchtende Menschen keine Gefahr, die es abzuwehren gilt. Also vorausgesetzt, sie sind weiß. Schwarze Studierende, die versuchen, die Ukraine zu verlassen, werden an der polnischen Grenze abgewiesen oder von ukrainischen Polizist*innen daran gehindert, in Züge und Busse Richtung Westen zu steigen. Rassismus macht auch im Krieg keine Pause. Der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkov sagte in einem Interview, die ukrainischen Flüchtlinge, seien nicht wie die Flüchtlinge, die „wir gewohnt sind“. Es seien „intelligente Leute, ausgebildete Leute, manche von ihnen sind IT-Spezialisten, hoch qualifiziert“. Es seien nicht die mit „obskurer Vergangenheit, vielleicht Terroristen“.

Freitag, 25. Februar

Erstmals in der Geschichte der USA könnte eine Schwarze Frau Richterin am Obersten Gerichtshof, dem Supreme Court, werden. Ketanji Brown Jackson ist 51 Jahre alt und arbeitet derzeit als Richterin am Bundesberufungsgericht in Washington DC. US-Präsident Joe Biden hatte im Wahlkampf versprochen, eine Schwarze Frau für den Supreme Court zu nominieren und da der 83-jährige Stephen Bryer im Juni in den Ruhestand gehen wird, ist nun ein Platz freigeworden. Brown Jackson sei eine der „klügsten Juristinnen unseres Landes und wird eine außergewöhnliche Richterin sein“, erklärte Biden.

Samstag, 26. Februar

In der Neuen Zürcher Zeitung ist am Samstag dieser besondere Text von Sasha Marianna Salzmann über den Holodomor erschienen, der „systematischen Ermordung der ukrainischen Bevölkerung durch Hunger in den Jahren 1932 und 1933“, mit mehreren Millionen Opfern. Sasha Salzmann schreibt darin:

„Die Grenzen meiner Emotionen sind die Grenzen meiner Welt. Für die meisten von uns, die wir im Westen wohnen, hört die emotionale Landkarte knapp hinter der Uckermark auf, man schüttelt besorgt den Kopf über die Wahlergebnisse in Ostdeutschland und die Menschenrechtslage im EU-Mitgliedsstaat Polen, und dann beginnt – zumindest unserem emotionalen Wissen nach – bereits Russland. Erst seit Dezember letzten Jahres gilt die Ukraine auch bei der breiten Bevölkerung als entdeckt.“

Sasha Marinna Salzmann in der NZZ

Am Freitag gab das Netzwerk der Literaturhäuser bekannt, dass Sasha Marianna Salzmann den mit 20.000 Euro dotierten Preis der Literaturhäuser 2022 erhält. Ich gratuliere Sasha von Herzen!

Sonntag, 27. Februar

Es ist absolut entsetzlich, wie der Krieg in der Ukraine gerade dazu missbraucht wird, die weitere Aufrüstung Deutschlands zu fordern. Während auf Instagram und TikTok junge Ukrainer*innen, die sich der Armee anschließen, als Held*innen inszeniert werden und in emotionsgeladenen Videos der Krieg romantisiert wird, haben auf Twitter rechte Maskus Oberwasser, die die „verweiblichte“ Politik, das Gendern und die „Verschwulung“ der Öffentlichkeit dafür verantwortlich machen, dass Deutschland angeblich keine schlagkräftige Bundeswehr hätte. Die feuchtesten Träume der Waffenindustrie gingen dann heute morgen in Erfüllung: „Die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro als Sondervermögen für Investitionen und Rüstungsvorhaben erhalten“, heißt es auf Tagesschau.de. 100 Milliarden Euro, die dafür aufgewendet werden könnten, die Energiewende voranzubringen, sodass wir zukünftig nicht mehr am Gashahn Russlands hängen müssten. 100 Milliarden Euro, die sichere Fluchtwege und Bleibeperspektiven für tausende Menschen garantieren könnten. 100 Milliarden Euro, die den Welthunger bis 2030 beenden könnten. Nie wieder will ich hören, dass Deutschland es sich „nicht leisten“ könne, die Grundsicherung zu erhöhen, die Schulen zu sanieren oder die Pflegekräfte fair zu entlohnen. 100 Milliarden Euro per sofort für eine Armee, die in den letzten Jahren vor allem durch ihre zahlreichen rechtsextremen Netzwerke Schlagzeilen machte. Und als sei das noch nicht genug, erklärte unsere „sozial“demokratischer Bundeskanzler, Deutschland werde „von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“. Es ist zum Heulen. Es ist einfach nur zum Heulen.

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