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Faith Rodgers ist eine der Klägerinnen gegen R. Kelly. (Illustration von mir).

Die Macht der Männer

In den USA hat der Prozess gegen R. Kelly begonnen, in Deutschland wird Ableismus Kassenleistung und Luke Mockridge bekommt viel Support für seine Heuchelei. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW33

Montag, 16. August

Die schockierenden Bilder aus Afghanistan haben eine andere (menschengemachte) Katastrophe an den Rand der Aufmerksamkeit gedrängt: Das schwere Erdbeben in Haiti am vergangenen Samstag kostete mehr als 2.000 Menschen das Leben. Die Zerstörungen sind so verheerend wie nach dem sogenannten Jahrhundertbeben von 2010, bei dem geschätzte 200.000 Menschen getötet wurden. Das Land ist dringend auf Hilfe angewiesen. Die Tagesschau hat Hilfsorganisationen zusammengestellt, die Spenden für Haiti sammeln. Die Katastrophe zeigt aber auch, dass sich dringend etwas ändern muss in der internationalen „Entwicklungshilfe“. Katja Maurer von Medico International sagt: „Viele glauben, dass all die Katastrophen und Krisen in Haiti so etwas wie Schicksal sind und das Land angeblich nicht ‚entwickelbar‘ ist. Dabei wird aber ausgeblendet, dass Europa und die USA maßgeblich mit beteiligt sind an der Situation des Landes“. Ein lesenswerter Artikel in der Süddeutschen kritisiert diese Arroganz des Westens und zeigt auf, wie Kolonialisierung und jahrhundertelange Ausbeutung des Inselstaats für das Leid von heute verantwortlich sind. Es braucht dringend ein Umdenken, um den Katastrophen der Zukunft zumindest ein wenig wirkungsvoll begegnen zu können. Haiti wird eines der Länder sein, die von den Folgen der Klimakrise am stärksten betroffen sein werden.

Dienstag, 17. August

Ich frage mich manchmal, ob es effizienter wäre über die prominenten Männer zu berichten, denen keine sexuelle Gewalt vorgeworfen wird, als umgekehrt. Diese Woche wurde bekannt, dass gegen Bob Dylan eine Klage am Obersten Gericht von Manhattan eingereicht wurde, weil er 1965 gegen eine 12-Jährige mehrfach sexuelle Übergriffe begangen haben soll. Der Anwalt der Klägerin erklärte: „Dylan hat mit einer Kombination aus Drogen, Alkohol und Androhung von körperlicher Gewalt C.J.s Hemmungen überwunden und sie sexuell missbraucht. Sie hat bis zum heutigen Tag emotionale Wunden und psychologischen Schaden davongetragen.“ (Ich finde den Begriff „Missbrauch“ sehr problematisch. Denn er impliziert, dass es auch eine legale oder angemessene Form des „Gebrauchs“ geben würde. Sogenannter sexueller Missbrauch ist Gewalt und das sollte auch so benannt werden.) Bob Dylan weist die Vorwürfe zurück.

Mittwoch, 18. August          

Wo wir schon bei sexueller Gewalt gegen Minderjährige sind: Am Mittwoch hat der Prozess gegen R. Kelly begonnen. Dem R’n’B-Sänger wird jahrzehntelange sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder vorgeworfen. 1994 soll Kelly einen Beamten für gefälschte Papiere bestochen haben, damit er die damals 15-jährige Sängerin Aaliyah heiraten konnte. R. Kelly hatte Aaliyah kennengelernt, als diese 13 Jahre alt war und später ihr Album „Age Ain’t Nothing But A Number“ produziert. Insgesamt sechs Personen treten im Prozess gegen R. Kelly als Nebenkläger*innen an, fünf Frauen und ein Mann. Ihre Erlebnisse zeichnet auch die Netflix-Dokumentation „Surviving R. Kelly“ nach. Die erste Zeugin, eine heute 28-Jährige, sagte beim Prozessauftakt am Mittwoch, dass R. Kelly sie im Alter von 16 Jahren sexuell und körperlich misshandelt habe. Er habe sie u.a. bewusstlos geschlagen, weil sie gegen die strikten Regeln des Sängers verstoßen habe. Staatsanwältin Maria Cruz Mendelez sagte zu Prozessbeginn: „Es geht hier um ein Monster (…) Er hat seine Prominenz, Popularität und sein Netzwerk missbraucht, um junge Menschen für sein sexuelles Vergnügen auszunutzen.“ Kelly habe dabei wie nach einem Handbuch für Sexualstraftäter gehandelt und von seinen Opfern „absoluten Gehorsam“ verlangt.

Der Prozess gegen den ehemaligen Superstar wird sich voraussichtlich mehrere Wochen hinziehen, mehr als 3.500 Beweisstücke könnten eingebracht werden. Während sich jetzt die Presse darauf stürzt wie zuletzt auf das Verfahren gegen Harvey Weinstein, waren die Medien ziemlich lange still. Die ersten Vorwürfe gegen R. Kelly sind bereits 25 Jahre alt. 2008 stand er dann wegen des Besitzes von Bildern schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder vor Gericht, wurde aber freigesprochen.

Tarana Burke, Schwarze Aktivistin aus den USA, die u.a. die „MeToo“-Bewegung startete, sagte in einem Interview mit Trevor Noah 2018: „If R. Kelly’s victims were white girls, (…) if they were black boys, there would have been a movement against him that would’ve started and ended 10, 15, 20 years ago. I think specifically because it’s black and brown girls it had been slow, because we think about black and brown girls differently.“ (auf Deutsch etwa: „Wenn R. Kellys Opfer weiße Mädchen oder Schwarze Jungs gewesen wären, hätte es bereits vor 10, 15, 20 Jahren eine erfolgreiche Bewegung gegen ihn gegeben. Ich denke, dass es insbesondere deshalb langsam ging, weil es um Schwarze und braune Mädchen geht, weil wir anders über Schwarze und braune Mädchen denken.“)

Eine Studie der Georgetown University von 2017 fand heraus, dass Erwachsene Schwarze Mädchen als „sexuell reifer“ („more sexually mature“) als ihre weißen Peers wahrnehmen. Im Ergebnis führt das dazu, dass Schwarzen Mädchen, die Opfer sexualisierter Gewalt werden, weniger geglaubt wird. Rebecca Epstein, eine der Co-Autor*innen der Studie sagte der Washington Post: „Unsere Untersuchungen zeigen, dass schwarze Mädchen von Autoritätspersonen noch größerer Skepsis ausgesetzt sind als andere Opfer sexueller Gewalt.“ („What our research indicates is that black girls face even greater skepticism by the figures that wield such authority over their lives than other victims of sexual violence”.)

Wer mir im Übrigen jetzt noch erzählen will, man müsse Künstler und Werk trennen, wer also immer noch die Musik von R. Kelly hört (und ihn damit finanziell supportet), möge sich gepflegt verpissen.

Donnerstag, 19. August

Ein Bluttest in der Schwangerschaft, der anzeigt, ob das werdende Kind eine Trisomie hat, wird ab nächstem Jahr Kassenleistung. Am Donnerstag wurde dafür die letzte Hürde genommen. Künftig müssen werdende Eltern die 200 Euro, die so ein NIPT-Test kostet, nicht mehr selbst zahlen. Ich bin sehr zwiegespalten in dieser Frage, aber eigentlich nur aus dem Grund, dass ich es klassistisch finde, wenn manche Eltern sich das Verfahren leisten können und andere nicht. Denn zu der Frage, ob diese Art der Diagnostik überhaupt durchgeführt werden sollte oder nicht, habe ich eine klare Meinung: Nein. Versteht mich nicht falsch: ich finde es absolut richtig und wichtig, dass Schwangere entscheiden können, ob sie ein Kind austragen möchten oder nicht. Was ich ethisch nicht vertretbar finde, ist die Wahlmöglichkeit welches Kind sie austragen möchten. Die allermeisten Behinderungen entstehen im Laufe des Lebens: 96 Prozent! Was wir brauchen ist mehr Inklusion und Barrierefreiheit, mehr Akzeptanz von behinderten Menschen und generell bessere Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder. In dem die NIPT-Tests Kassenleistung werden, wird noch mehr Druck auf werdende Eltern aufgebaut, die Diagnostik durchzuführen. Es ist schon heute so, dass Eltern von Kindern mit Down Syndrom schiefe Blicke ernten und gefragt werden, ob sie es denn „vorher gewusst“ hätten. Dahinter steckt die zutiefst ableistische Haltung, dass behindertes Leben nicht lebenswert sei. Je weniger Kinder mit Trisomie 21 es zukünftig geben wird, desto mehr werden die Sorgen der Eltern individualisiert. Sie hätten ja abtreiben können. Dass nicht die Behinderung des Kindes das Problem ist, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen es groß wird, bedenken die meisten nicht.

Freitag, 20. August

Auf Spiegel Online ist am Freitag eine lange Recherche über Kasia Lenhardt und Jérôme Boateng erschienen. Ich habe dank meines Büchereiausweises Zugang zum Spiegel im Volltext und konnte den langen Artikel lesen, der sonst hinter einer Paywall liegt. Es ist die tragische Geschichte einer missbräuchlichen Beziehung, die mit dem Suizid von Kasia Lenhardt endete. Es ist aber auch die Geschichte eines mächtigen Mannes, der seine Ex-Freundin zunächst mit einer rechtswidrigen Verschwiegenheitserklärung zum Schweigen bringen will und sie anschließend mithilfe der BILD-Zeitung vernichtet. Das Drecksblatt machte sich mitschuldig am Suizid der 25-Jährigen und anstatt anschließend auch nur einen Funken Reue zu zeigen, schiebt der Springer-Verlag noch eine gute Portion Victim Blaming hinterher. „Aber so tragisch und bedauerlich der konkrete Fall auch ist, uns ist wichtig: Wer prominent ist und auf Plattformen wie Instagram private Dinge öffentlich macht, muss natürlich damit rechnen, dass Aussagen auch von Medien wie ›Bild‹ aufgegriffen werden“, sagte ein Sprecher zum Spiegel. Und Boateng? Der bedroht weiter die Familie der Toten, während er auf Mykonos oder im Privatjet chillt. Am 9. September steht er dann wegen Körperverletzung an der Mutter seiner Zwillinge vor dem Amtsgericht München. Ich bin gespannt, wer ihm diesmal raushilft.

Samstag, 21. August

Ich kriege gerade richtig schlechte Laune, während ich diesen Wochenrückblick schreibe. Dylan, Kelly, Boateng und am Samstag: Luke Mockridge. Der Comedian hat sich gestern erstmals zu den Vorwürfen der sexualisierten Gewalt gegen seine Ex-Freundin geäußert. Der knapp 9-minütige Clip auf Instagram ist an selbstmitleidigem Geflenne und perfider Täter-Opfer-Umkehr kaum zu überbieten. Luke jammert, dass er die „Welle des Hasses“ nicht mehr ertragen könne. (Was für eine miese Verharmlosung von Hass im Netz, dem vor allem Frauen und nicht weiße Menschen ausgesetzt sind!) Das Video scheint ein gut-choreografierter PR-Stunt zu sein, in dem sich Luke Mockridge als der arme, harmlose Sunnyboy gibt, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht: „Ich kenne das nicht. Ich bin Comedian, ich stehe für fröhliche Sachen, für eine gute Zeit und nicht für diesen Hass, den das Internet in der Lage ist, hervorzubringen“. Luke hatte viel Zeit für die Planung dieser Inszenierung. Während seine Anwälte damit beschäftigt waren, alle zu bedrohen, die es gewagt haben, Lukes Namen mit den Vorwürfen in Verbindung zu bringen, hätte sich der 32-Jährige mit sexualisierter Gewalt beschäftigen können. Wenn er so unschuldig ist, wie er tut, hätte er die Zeit nutzen und Betroffenen zuhören können, nur so als Beispiel. Dann wüsste er, dass es Opfern sexualisierter Gewalt nicht immer sofort klar ist, dass das, was sie erlebt haben, Gewalt ist. Dass es manchmal Jahre braucht, um zu realisieren, dass man vergewaltigt wurde. Luke Mockridge weiß das alles nicht, sonst würde er nicht einen Satz wie diesen raushauen: „Umso überraschender war es dann, als ich Monate danach, wirklich wie aus dem Nichts eine Anzeige bei mir im Briefkasten hatte von ihren Anwälten und von ihr, in der es darum ging, dass es eine Nacht innerhalb unserer Beziehung gegeben haben soll, wo ich Sex wollte, aber sie nicht, wo es dann auch nicht zum Sex kam, aber es sich für sie rückwirkend nach all diesen Monaten angefühlt haben soll wie eine versuchte Vergewaltigung“. Luke Mockridge erwähnt in seinem Statement mit keinem Wort Bedauern. Außer für sich selbst. Er inszeniert sich als das wahre Opfer und erklärt: „Ich möchte mich im Stillen sammeln, ich möchte wieder zu mir finden und möchte mich wieder gut finden, um dann irgendwann mal wieder so auf der Bühne zu stehen, wie ihr das von mir kennt.“ Mir kommt wirklich die Galle hoch bei so viel perfider Täter-Opfer-Umkehr. Aber der PR-Stunt hat sein Ziel erreicht. Kaum war das Video online schwärmte die Fan-Armee aus, um alle anzugreifen, die Zweifel an Lukes Aufrichtigkeit artikulierten. Auch von vielen Prominenten erhielt der Comedian Unterstützung, u.a. von Yvonne Catterfeld, Steffen Hallaschka und Oliver „Misogynie-ist-sein-zweiter-Vorname“ Pocher. Das Schlimmste an Lukes Video und den damit verbundenen Solidaritätsbekundungen ist nicht nur der Gedanke an Ines Anioli, sondern auch der an alle anderen Opfer sexualisierter Gewalt, die sich nach dem Lesen dieser Kommentare vermutlich noch weniger trauen, ihre Erlebnisse öffentlich zu machen.

Sonntag, 22. August

Ich weiß nicht, wie ich diesen Wochenrückblick noch mit einem Lichtblick enden lassen soll. Es fühlt sich auch falsch an. Die Situation in Afghanistan habe ich kaum erwähnt. Ich wünsche mir zum Abschluss, dass ihr alle an eure*n Bundestagsabgeordneten schreibt und euch für die sichere Evakuierung der Menschen einsetzt. Das geht ganz leicht mit einer Vorlage, es dauert keine zwei Minuten. Bitte macht das! Wir müssen Druck auf unsere Regierung aufbauen.

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