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Transparent vor der SPD-Zentrale am Dienstag in Berlin (Foto von mir)

Wasser ist nass

Georgien verabschiedet ein queerfeindliches Gesetz, die Polizei entlarvt sich selbst, Abtreibungsgegner*innen werden gestört und in einer Wohngruppe in Bremen wurden behinderte Frauen von Betreuungskräften misshandelt. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW38

Montag, 16. September

Die Woche begann, wie so häufig, mit einem Femizid. Im hessischen Lampertheim wurde die Leiche einer 36-jährigen Frau in einem Waldstück gefunden, die offenbar mit mehreren Messerstichen getötet wurde. Den Ermittlungskräften zufolge war die Frau Joggen, als es zum Angriff kam. Ein Tatverdächtiger wurde bislang nicht ermittelt, auch zum möglichen Motiv gibt es keine Hinweise.

Dienstag, 17. September

Dass wir in Deutschland auf eine politisch dunkle Zukunft zusteuern, ist keine Breaking News, aber als am Dienstag die CDU/CSU öffentlich machte, dass sie mit Friedrich Merz als Kanzlerkandidat in den Bundestagswahlkampf geht, wurde es noch ein bisschen dunkler. Merz‘ CDU steht für Rassismus, radikalen Konservatismus, Antifeminismus, Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, Klassenkampf von oben und soziale Kälte. Millionär Merz will nicht nur den Sozialstaat abbauen und die Bildung privatisieren , er bezeichnet auch Umweltverbände als Gegner von Demokratie und Markwirtschaft und hält den Klimawandel für überbewertet. Nachdem ein Rassist 2020 in Hanau neun Menschen tötete, sagte Merz wenige Tage später auf einer Pressekonferenz, er halte „Clankriminalität“ und Migration für die Ursache des erstarkenden Rechtsextremismus. Grenzkontrollen und die Bekämpfung von „Clans“ seien die „richtige Antwort“ auf den rassistischen Terror.  Wer einen Kanzler Merz hat, braucht sich vor der AfD nicht zu fürchten.

Auch am Dienstag

Vor dem Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Berlin, demonstrierten am Dienstag über 1.000 Menschen gegen das sogenannte „Asyl- und Sicherheitspaket“ der Bundesregierung. Versammelt hatte sich nur ein Bruchteil der Menschen, die im Januar zu den „größten Demonstrationen seit der Wiedervereinigung“ auf die Straße gingen. Der Wind hat sich gedreht, 81 Prozent der Deutschen wünschen sich „mehr Abschiebungen“. Die Ampelkoalition hat die Anfang des Jahres formulierten Forderungen nach grenzenloser Humanität und Solidarität mit allen migrantisierten Menschen ohnehin nie ernstgenommen. Das zeigt sich nicht zuletzt Haushaltsplan für 2025. Bei Integrationskursen wird um 53 Prozent gekürzt und Programme, die tatsächlich Fluchtursachen bekämpfen können, werden gestrichen. Stattdessen wird in Abschottung investiert, in die Verfolgung Geflüchteter und in Abschiebungen. Das Asylrecht wird ausgehöhlt, faktisch abgeschafft, während gleichzeitig die Überwachung ausgeweitet wird, mit Gesichtserkennung und der Befugnis, heimlich Wohnungen von Verdächtigen zu betreten. Der gesellschaftliche Aufschrei bleibt aus. Lediglich die „üblichen Verdächtigen“, wie Pro Asyl oder die Seebrücke, zeigen sich entsetzt über die Pläne der Bundesregierung und ein paar Datenschützer*innen und Netzfreiheitsaktivist*innen warnen vor der totalen Überwachung. Aber die Zivilgesellschaft? Weitgehend Schweigen. Das überrascht diejenigen, die dachten, dass die Demonstrationen im Januar sich für universelle Menschenrechte eingesetzt hätten. Nur: Das haben sie nie. Es war eine Bewegung der bürgerlichen Mitte, die nach der Enthüllung der „Wannseekonferenz 2.0“ ihr liberales Deutschland in Gefahr sah. Es war nie: pro Migration oder gar für offene Grenzen. Es war nie: gegen Abschiebungen und für Bleiberecht. Es war immer: Für ein Erhalt des Deutschlands, das wir kennen und lieben. Und genau dieses Deutschland ist völlig d’accord mit einer Politik, die geflüchtete, insbesondere muslimische Menschen pauschal zur Gefahr erklärt. Die so tut, als könnten Grenzkontrollen die islamistische Radikalisierung in deutschen Klassenzimmern verhindern. Die behauptet, Gewalt sei ein „ethnokulturelles“ Problem und kein kapitalistisches und patriarchales. „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“, hat Esther Bejarano gesagt und ich möchte ergänzen: Wer gegen Rassismus kämpft, kann sich auf die Mehrheitsgesellschaft nicht verlassen. Menschenrechte verteidigen ist in der Dominanzkultur eben nur dann en vogue, wenn die Falschen sie bedrohen.

Mittwoch, 18. September

In Tbilissi, der Hauptstadt von Georgien, wurde Kesaria Abramidse mutmaßlich von ihrem Ex-Partner ermordet. Die 37-jährige trans Frau war als Model und Schauspielerin über Georgien hinaus bekannt. Der 26 Jahre alte Tatverdächtige soll die Frau am Mittwoch in deren Wohnung überfallen und mit 50 Messerstichen getötet haben. Wenige Stunden nach der Tat wurde er festgenommen. Medien berichten, dass der Mann in der Vergangenheit bereits gewalttätig gegen Kesaria Abramidse geworden war. Der Mord ereignete sich einen Tag nachdem das georgische Parlament ein queerfeindliches Gesetz verabschiedet hat, das es u.a. homosexuellen Paaren verbietet zu heiraten und ein Kind zu adoptieren. Auch die medizinische Geschlechtsangleichung wird untersagt und Veranstaltungen mit queerem Bezug, wie beispielsweise Pride-Demonstrationen können zukünftig verboten werden. Medien mit queeren Inhalten werden zensiert, wenn darin gleichgeschlechtliche Beziehungen gezeigt werden. Auch ein Verbot der Regenbogenfahne ist mit dem neuen Gesetz möglich. Bei dem Gesetz „Über den Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“ nahm sich die Regierungspartei „Georgischer Traum“ ein ähnliches russisches Gesetz zum Vorbild und will so die „traditionellen moralischen Standards in Georgien“ schützen. „Uns ist klar, welches Ziel dieses Gesetz in Wirklichkeit verfolgt: die Einschränkung grundlegender Rechte für alle, die kritisch denken, die für Gleichheit und Freiheit kämpfen. Wir erkennen, dass dieses Gesetz letztendlich nicht nur auf LGBTQ+-Personen, sondern auch auf zivilgesellschaftliche Aktivist*innen, Jurist*innen, Künstler*innen, Professor*innen, Ärzt*innen und Vertreter*innen anderer Bereiche angewendet wird“, erklärte die Organisation Tblisi Pride auf Facebook.

Donnerstag, 19. September

Im letzten Wochenrückblick habe ich vom Wohnhausbrand in Eberswalde berichtet, bei dem eine 44-jährige Frau und ihr vier Jahre alter Sohn getötet wurden. Am Donnerstag berichtete der rbb, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt Oder ein Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung gegen Unbekannt eröffnet hat, einen technischen Defekt schließen die Ermittler*innen aus. In dem abgebrannten Mehrfamilienhaus lebten überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund, im Erdgeschoss befanden sich ein Barbershop und ein Döner-Imbiss.

Auch am Donnerstag

„Rassistische Äußerungen sind in den Reihen der Polizei kein Einzelfall“, meldete die Tagesschau am Donnerstag, kurz darauf folgte dann die Eilmeldung: „Wasser ist nass.“ Okay, das war ein Scherz natürlich, aber ich bin doch immer wieder erstaunt, wie hartnäckig sich das „Ausnahme“-Narrativ hält, wenn es um menschenfeindliche Einstellungen bei Polizist*innen geht. Eine Untersuchung, die die Polizei selbst durchführen ließ, kam zu dem Ergebnis, dass 30 Prozent der Cops innerhalb eines Jahres rassistische Aussagen von Kolleg*innen gehört haben und sogar 40 Prozent sagten, Sexismus mitbekommen zu haben. 30 Prozent, die rassistische oder sexistische Vorfälle erlebten, haben nach eigener Aussage darauf nicht reagiert. So weit so erwartbar. Die Studie der Deutschen Hochschule der Polizei wurde zeitlich versetzt zwei Mal durchgeführt: Die erste Runde von November 2021 bis Oktober 2022 und dann nochmal zwischen November 2023 und März 2024. So konnte eine Zunahme rassistischer Einstellungen unter den Befragten festgestellt werden: Während in der ersten Befragung noch 60 Prozent nach eigener Aussage keine muslimfeindliche Haltung besaßen, sank der Anteil in der zweiten Runde auf 52 Prozent. Insbesondere der Hass auf geflüchtete Menschen ist in der Polizei offenbar Mainstream. 42 Prozent der Polizist*innen gaben in der jüngsten Befragung an, eine „ablehnende Haltung“ gegenüber Asylsuchenden zu besitzen, 37 Prozent nannten ihre Haltung „ambivalent“. Nur 21 Prozent verneinten eine ablehnende Haltung. 2021/2022 waren es noch 29 Prozent, was natürlich auch schon ein erschreckend geringer Wert war.

Freitag, 20. September

Frauen mit Behinderungen sind in ihrem Leben allen Formen von Gewalt deutlich häufiger ausgesetzt als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt, das ergab bereits 2012 eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Und während patriarchaler Gewalt generell schon kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind behinderte Betroffene praktisch unsichtbar. In Bremen wurde nun bekannt, dass behinderte Frauen in einer kirchlichen Einrichtung körperlicher Gewalt durch Pflegekräfte ausgesetzt waren. Wie der Weser Kurier am Freitag berichtete, wird gegen mehrere Beschäftigte wegen Misshandlung Schutzbefohlener und Körperverletzung ermittelt. Die Betreiberin der Einrichtung, Stiftung Friedehorst hat die beschuldigten Personen vom Dienst suspendiert. Kolleg*innen hatten sie wegen „Übergriffen und Gewalt“ in einer Wohngruppe für junge Frauen mit geistigen und Mehrfach-Behinderungen der Einrichtungsleitung gemeldet. Friedehorst-Vorsteher Pastor Martin Meyer bestätigte das gegenüber dem Weser-Kurier. Er sagte, bei den Betroffenen handle es sich um Frauen mit „extrem niedriger Impulskontrolle“, die angeblich selbst zu Gewalt neigen würden. Es seien Bewohnerinnen, „deren Eigenverantwortung, Selbstständigkeit und gesellschaftliche Normfähigkeit beschränkt ist“, die die „gewohnten und sozialverträglichen Grenzen zumindest in Teilen in einer sie selbst oder andere gefährdenden Form sprengen“. Der Weser-Kurier kommentiert das mit den folgenden Worten: „Eine pädagogisch sehr herausfordernde Situation also, in der sich die Betreuer ständig befinden. Einige von ihnen haben diese Gratwanderung offenbar nicht gemeistert“, und relativiert die Übergriffe auf unerträgliche Weise. Ableismus ist leider trauriger Normalzustand in der Berichterstattung: Opfer von Gewalt werden entmenschlicht zu „Fällen“, mit denen es nun mal schwer sei, „pädagogisch korrekt“ umzugehen. Von „Gratwanderung“ zu sprechen, wenn es darum geht, Menschen nicht zu misshandeln, ist jedoch next level Relativierung. Eine „Gratwanderung“ nicht „zu meistern“ heißt meinetwegen, wegen Überstunden bürokratischen Papierkram nicht immer fristgerecht einzureichen. Gewaltfreiheit sollte für Schutzbefohlene kein Luxus sein.

Samstag, 21. September

In Berlin und Köln demonstrierten am Samstag wieder fundamentale Christ*innen und Rechtsextreme Seite an Seite gegen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Seit 2002 trägt der „Bundesverband Lebensrecht“ seine misogynen und fundamentalistischen Forderungen mit dem „Marsch für das Leben“ (bis 2006 unter dem Namen „1000 Kreuze für das Leben“) öffentlichkeitswirksam auf die Straße. Zwischen 2.000 und 3.000 Menschen nahmen in Berlin (die Veranstaltenden sprachen von 4.500) an der Demo gegen das Recht auf Abtreibung teil, in Köln sollen es rund 2.500 gewesen sein, darunter AfD-Politiker*innen, Trump-Unterstützer*innen und Neonazis, wie bspw. Beatrix von Storch, der Holocaustleugner Pablo Munoz Iturrieta aus Argentinien oder Ex-CDU-Politikerin und jetzt „Werteunion“-Vorsitzende Sylvia Pantel. Doch auch in diesem Jahr blieben die Faschos nicht ungestört. Das Berliner Bündnis „What the Fuck“ organisierte kreativen Protest entlang der Aufzugsstrecke und konnte den Marsch zumindest am Anfang auch kurzfristig mit einer Sitzblockade stoppen. Gleiches gelang in Köln. „Unser Protest zeigt Wirkung – wir lassen uns die Straßen nicht von beige verkleideten Faschos nehmen! Und wir überlassen ihnen auch keine Bühnen dieser Welt: Die Abschlusskundgebung der Fundis wurde durch mutige Aktivist*innen gestürmt. Auf der Bühne konnte dann nur noch hilflos nach der Polizei gerufen werden. Peinlich!“, erklärte das WTF-Bündnis in einer Pressemitteilung.

Sonntag, 22. September

In Brandenburg wurde gewählt und die Ergebnisse überraschen zwar leider nicht, aber laut der ersten Hochrechnungen ist die AfD zumindest nicht stärkste Kraft geworden. Dennoch ist es natürlich kein Grund zum Feiern, dass rund 30 Prozent der wahlberechtigten Menschen in Brandenburg eine rechtsextreme Partei gewählt haben. Wer sich richtig die Laune verderben will, schaut einfach auf die Ergebnisse der U16-Wahl im Land. Hier wurde die AfD mit 29,7 Prozent mit Abstand stärkste Kraft. In 43 selbstorganisierten Wahllokalen in Jugendeinrichtungen und Schulen in ganz Brandenburg nahmen 4.736 Kinder und Jugendliche teil, das Ergebnis ist nicht repräsentativ, aber auf alle Fälle besorgniserregend.

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