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Am Weltflüchtlingstag haben die Ministerpräsident*innen ihren menschenfeindlichen Kurs auf die nächste Ebene gehievt. (Foto via Canva)

Mobbing und Meilensteine

Am Weltflüchtlingstag beschließt Deutschland weitere Schikanen gegen Geflüchtete, in Dänemark wird der Gender Pay Gap im Fußball kleiner und in Berlin begrüßt der Kanzler einen argentinischen Rechtsextremisten. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW25

Montag, 17. Juni

Noch vor der Sommerpause will die schwarz-rote Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus die Verschärfung des Hochschulgesetzes beschließen. Wie der rbb am Montag berichtete, hat der Wissenschaftsausschuss zugestimmt. Demnach sollen zukünftig Studierende nach „Gewalttaten“ exmatrikuliert werden können. Angeblich sollen so Gewaltopfer besser geschützt werden, doch das scheint angesichts der aktuellen Debatte eher ein vorgeschobener Grund zu sein. Weder ist der Gewaltbegriff klar definiert (auch Blockaden und andere Formen des Protests können als Gewalt ausgelegt werden), noch sorgen ordnungsrechtliche Verfahren für tatsächlichen Opferschutz, da sie oft erst nach langwierigen Prozessen umgesetzt werden. Das Grundproblem, dass bspw. Opfer sexualisierter Übergriffe den Täter*innen in der Universität begegnen, wird die Gesetzesänderung nicht lösen. Viel mehr scheint es ein weiteres Instrument der Repression zu sein. Die „Kampagne gegen Zwangsexmatrikulation“ versucht die Änderung des Hochschulgesetzes zu verhindern. „Politische Exmatrikulationen sind eine Gefahr für die akademische Freiheit und bieten ein Einfallstor für Diskriminierung von marginalisierten und/oder dissidenten Studierenden“, heißt es in einer Petition, die sich u.a. an Berlins Wissenschaftssenatorin und den Regierenden Bürgermeister richtet. Darin wird an die „unrühmliche Geschichte von Exmatrikulationen als Ordnungsmaßnahme als Werkzeug reaktionärer Kräfte gegen Andersdenkende“ erinnert und auf die Bedeutung von Einschüchterung insbesondere von nicht-deutschen Studierenden verwiesen: „Ausgerechnet an Unis – Orten des freien Denkens – eine solche schwerwiegenden zusätzlichen Sanktionen einzuführen, ist selbstverständlich höchst problematisch – zumal dieses Damoklesschwert mit besonderer Schärfe über internationalen Studierenden schwebt, deren Visa von der Immatrikulation abhängig sind.“ Kritik kommt auch aus der Opposition im Abgeordnetenhaus, die u.a. auf bereits existierende Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung und Gewalt verweisen und fordern, diese besser auszustatten.

Dienstag, 18. Juni

Am Dienstag berichteten verschiedene Medien über die erfolgreiche finanzielle Gleichstellung von Dänemarks Fußballnationalteams. Die Männermannschaft setzte sich erfolgreich dafür ein, dass die Frauen eine Grundvergütung in der gleichen Höhe wie ihre männlichen Kollegen erhalten. „Das ist ein außergewöhnlicher Schritt, um die Bedingungen für das Frauenteam zu verbessern. Die Spieler haben nicht nach besseren Bedingungen für sich selbst gesucht, sondern sich Gedanken über die Unterstützung des Frauenteams gemacht“, sagte der Leiter der dänischen Spielervereinigung, Michael Sahl Hansen. Und ja, die ganze Geschichte wird uns medial natürlich als „male saviour story“ präsentiert, die männlichen Retter, die sich dazu herablassen, für die Rechte von Frauen einzustehen. Das ändert aber nichts daran, dass hier tatsächlich eine Verbesserung erreicht wurde. Es ist kein reines Lippenbekenntnis, sondern die Nationalteams Dänemarks erhalten zukünftig tatsächlich gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Der Vertrag tritt direkt nach der EM in Kraft und sieht unter anderem vor, den Versicherungsschutz der Spielerinnen erheblich zu verbessen. Im Deutschen Fußball-Verband (DFB) gibt es nicht mal ein Lippenbekenntnis. Nix.

Mittwoch, 19. Juni

Donald Trump hat angekündigt, dass er im Falle des erneuten Wahlsiegs von Tag 1 seiner Präsidentschaft alle staatlichen Fördergelder für Schulen streichen wird, die trans Kinder und Jugendliche unterstützen. In einer Rede, die er am Mittwoch in Racine, Wisconsin, hielt, sagte er: „Gleich am ersten Tag werde ich eine neue Verfügung unterzeichnen, um die Bundesmittel für alle Schulen zu kürzen, die unseren Kindern die Critical Race Theory, den Transgender-Irrsinn und andere unangemessene rassenbezogene [racial], sexuelle oder politische Inhalte aufzwingen, und ich werde keiner Schule, die ein Impfgebot oder eine Maske hat, auch nur einen Penny geben.“ Außerdem kündigte er an, dass er trans Athlet*innen ins Visier nehmen werde. In aktuellen Umfragen liegen Donald Trump und Amtsinhaber Joe Biden gleichauf. Die Wahrscheinlichkeit, dass Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt werden könnte, ist hoch.

Im US-Bundesstaat Louisiana wurde währenddessen ein Gesetz erlassen, demzufolge in allen öffentlichen Bildungseinrichtungen „Die zehn Gebote“ ausgehängt werden müssen, „vom Kindergarten bis hin zur Universität“. Was anderswo zum Meilenstein auf dem Weg in den Gottesstaat erklärt werden würde, wird hier lediglich als „umstritten“ bezeichnet. Zum Glück hat die Bürgerrechtsorganisation ACLU bereits Klage eingereicht.

Donnerstag, 20. Juni

Der 20. Juni ist „Internationaler Tag des Flüchtlings“. Passend dazu trafen sich die deutschen Ministerpräsident*innen, um ihren menschenfeindlichen Kurs auf die nächste Ebene zu hieven. Dazu gehört unter anderem der Plan, das Asylrecht faktisch abzuschaffen und geflüchtete Menschen in Drittstaaten zu deportieren, wo dann über die Gewährung von basalen Menschenrechten entschieden werden soll. Hier kam keine finale Einigung zustande, was aber nicht an der Menschlichkeit der Teilnehmenden liegt, sondern schlicht daran, dass es Gesetze gibt, die so ein Vorhaben derzeit verhindern. Der „größte Erfolg des Tages“, so das Gremium, war die Einigung zur sogenannten Bezahlkarte für Geflüchtete. Asylsuchende Menschen dürfen in Deutschland künftig maximal 50 Euro Bargeld im Monat besitzen. „Die Bezahlkarte ist die Verkörperung staatlichen Mobbings gegen schutzsuchende Menschen“, sagte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von ProAsyl. „Und 50 Euro als Bargeldgrenze im Monat ist ein Witz, diese würden Herrn Scholz nicht mal für eine Mahlzeit in einer Gaststätte reichen.“

Der Flüchtlingsrat Berlin und über 60 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen protestierten bereits im Februar gegen die Einführung der sogenannten Bezahlkarte. Diese sei „entmündigend“ und verstoße gegen Artikel 1 des Grundgesetzes. „Die Bezahlkarte eröffnet die Möglichkeit, massiv in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen einzugreifen. Es kann von außen reglementiert werden, welche Waren Menschen wo einkaufen können (…) und Überweisungen ins In- und Ausland werden ihnen komplett untersagt. (…) Asylsuchende werden einmal mehr als Menschen zweiter Klasse behandelt“, heißt es in dem Brief.

Derweil berichtet die BBC, dass die griechische Küstenwache (im Auftrag der EU?) in mindestens 15 Fällen zwischen Mai 2020 und 2023 Menschen gezielt ins Meer gedrängt oder geworfen hat. Dabei sollen, den Recherchen zufolge, mindestens 43 Menschen gestorben sein. „Die Veröffentlichungen zeigen, dass Deportationen und Verbrechen – von Kidnapping bis hin zu Mord – Teil des griechischen und europäischen Grenzschutzes sind. Dass dies weiter geleugnet wird, ist eine Farce“, sagte der österreichische Menschenrechtsaktivist Fayad Mulla zum ZDF.

Freitag, 21. Juni

Gute Nachrichten kamen diese Woche aus Namibia. Der Oberste Gerichtshof hat das „Verbot von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern“ gekippt. Das Gesetz, das im Kolonialismus erlassen wurde, hatte „Sodomie“ und „unnatürliche sexuelle Handlungen“ als Straftatbestand gelistet. Die Streichung des Gesetzes ist das Ergebnis der engagierten Arbeit von LGBTQIA-Aktivist*innen. Einer von ihnen ist Friedel Dausab. Der Menschenrechtsaktivist sagte auf einer Pressekonferenz nach der Urteilsverkündung: „Das ist ein Meilenstein für die Geschichte Namibias und für unsere rechtsstaatliche Demokratie.“ Dausab erklärte, dass der Grund für sein Engagement gegen das Gesetz auch ein persönlicher war. Seine Beziehungen mussten sein Leben lang geheim bleiben, „weil Sodomie ein Verbrechen war“. Er hofft, „dass das heutige wegweisende Urteil bedeutet, dass wir in der Öffentlichkeit Händchen halten können, dass wir unsere Liebhaber unseren Familien vorstellen können, dass wir öffentlich über unsere Liebe sprechen und unsere Liebe feiern können.“

Samstag, 22. Juni

Rund 48.000 Menschen sind Mitglied der AfD, das berichtet Tagesschau.de am Samstag. Es wird erwartet, dass die Mitgliederzahl in den kommenden vier bis acht Wochen auf 50.000 steigen und die rechtsextreme Partei das öffentlichkeitswirksam feiern wird. „Auch eine Medaille oder ein Pokal seien im Gespräch, mindestens aber ein gerahmtes Autogramm für die Person. Einige Tausend Euro wolle sich die Partei das kosten lassen“, schreibt die Tagesschau werbewirksam und ich frage mich, ob die noch irgendwas mitkriegen in der Redaktion. „Die AfD ist eine konkrete Bedrohung für das Wohlergehen, die körperliche Unversehrtheit und das Leben unzähliger Menschen. Sie schürt Hass und Rassismus und legitimiert damit Gewalt. Keine Organisation erzeugt derzeit mit so vielen Ressourcen, Mitarbeiter:innen und staatlichen Geldern wie die AfD ein gesellschaftliches Klima, in dem Täter:innen sich zu Gewalt ermutigt fühlen“, heißt es im Aufruf des Bündnisses „Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot jetzt!“, das am vergangenen Montag eine bundesweite Kampagne gestartet hat, deren Ziel das Parteiverbot ist. Wer, wie ich lange, skeptisch ist, was die Verbotsforderung angeht, findet auf der Kampagnen-Website ein „FAQ“, wo zahlreiche Argumente gesammelt wurden, die dafür sprechen. Mich hat letztendlich das hier überzeugt: „Ein Parteiverbot allein wird nicht zu einem Verschwinden von Rassismus, Intoleranz und autoritären Vorstellungen der AfD in der Gesellschaft führen. (…) Die AfD ist aber der wichtigste Sammelpunkt dieser menschenfeindlichen Ansichten. Sie ist das zentrale Netzwerk rechter und demokratiefeindlicher Strukturen. Ein Verbot kann die organisatorische Struktur der Partei zerschlagen und ihr die finanzielle Unterstützung entziehen, die sich fast zur Hälfte aus staatlichen Mitteln zusammensetzt. Zudem kann es der AfD die Legitimität nehmen, die sie für sich in Anspruch nimmt, solange sie demokratisch gewählt werden kann.“

Sonntag, 23. Juni

In Berlin trifft sich heute Olaf Scholz mit Argentiniens Präsidenten Javier Milei. Der rechtsextreme „Anarchokapitalist“ erhielt am Samstag in Hamburg den Preis der Hayek-Gesellschaft, ein ursprünglich angeblich „liberaler“ Verein, der seit Jahren aber vor allem mit antifeministischen bis rechtsradikalen Positionen auffällt. Im Publikum jubelten ihm Hans-Georg Maaßen und Beatrix von Storch zu. Milei wurde dafür ausgezeichnet, dass er „den Kapitalismus aus der Defensive“ holen würde. Wie das in der Praxis aussieht, zeigte sich u.a. am Anstieg der Armut: Bevor Milei im Dezember 2023 Präsident wurde, lag der Anteil der Armen bei 42 %, 12 % davon lebten in extremer Armut. Inzwischen leben 58 % der Argentinier*innen (24,9 Millionen Menschen) unter der Armutsgrenze, 17,5 % (7,8 Millionen) in extremer Armut. Doch der radikale Weg der argentinischen Regierung dient nicht allein den Sparzielen. Die Ankündigung, das Amt zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt zu schließen, ist vor allem ein politisches Statement. Die Behörde betreut u.a. die Notrufnummer 144 und Programme zur Unterstützung von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. Verónica Gago, Forscherin und Mitglied der feministischen Bewegung #NiUnaMenos sagte zum Guardian: „Milei ist dabei, das letzte Mittel gegen geschlechtsspezifische Gewalt in der öffentlichen Politik zu demontieren. Er hat den Feminismus zu seinem Feind erklärt und bestraft Frauen erneut“. Bereits im ersten Quartal 2024 wurde die öffentliche Förderung für das Amt zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt um 26,8 % (im Vergleich zum Vorjahr) gekürzt. Und das in einem Land, in dem die Zahl der Femizide, im vergangenen Jahr um 11 % gestiegen. Die lokale Beobachtungsstelle „Now They See Us“ verzeichnete von Januar bis April dieses Jahres 78 Femizide, ein Mord alle 37 Stunden.

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Der Wochenrückblick macht Sommerpause. Der nächste erscheint voraussichtlich am 4. August 2024.

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