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Maja Göpel bleibt sachlich. Respekt! Illustration, Foto und Collage von mir.

Trotzdem sachlich bleiben

Die Frauenquote für Unternehmensvorstände kommt, von den Coronahilfen profitieren vor allem Männer, Maja Göpel hat keinen Bock auf Bullshit und Angela Merkel ist noch immer keine Feministin. Dies und mehr im Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW47

Montag, 16. November
In Moldau ist erstmals eine Frau zur Präsidentin gewählt worden. Die 48-jährige Ökonomin Maia Sandu gewann in der Stichwahl mit knapp 58 Prozent der Stimmen gegen Amtsinhaber Igor Dodon. Während Maia Sandu hierzulande als „pro-westliche“ Kandidatin bezeichnet wird, könnte man sie genauso gut einfach „pro-demokratisch“ nennen. Sandu hat sich vor allem dem Kampf gegen die Korruption sowie der Abkehr der Russlandorientierung ihres Vorgängers auf die Fahnen geschrieben. Das Präsidentenamt verfügt über vergleichsweise wenig Macht, für politische Veränderungen braucht es auch in Moldau Mehrheiten im Parlament.

Dienstag, 17. November
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr mindestens 117 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet. Die Kriminalstatistik Partnerschaftsgewalt wurde bereits vergangene Woche vom BKA veröffentlicht. Im Tagesspiegel ist ein lesenswertes Interview mit dem Kriminalpsychiater Hans-Ludwig Körber erschienen, der darin über die Täter spricht. Ihm zufolge sind das „Männer, die Mängel in ihrer sozialen Kompetenz haben, ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Selbstständigkeit. Einerseits brauchen sie dringend eine stabilisierende Beziehung zu einer Frau, können sich Beziehung aber letztlich nur als Unterwerfung vorstellen.“ Körber berichtet von seiner über 30-jährigen Erfahrungen als Gerichtsgutachter und erzählt, dass der tödlichen Gewalt in der Regel eine Phase der Trennung vorausgeht. Er erklärt, dass Gerichte dann häufig zu dem Schluss kommen, „dass der Angeklagte die Trennung nicht verkraftet habe, weil er die Frau als seinen persönlichen Besitz betrachtete.“ Diese niederen Beweggründe würden heute häufiger festgestellt als noch vor wenigen Jahrzehnten.

„Früher wussten die – deutschen – Angeklagten das ganze Mitgefühl der alteingesessenen konservativen Berufsrichter hinter sich, die oft zum Schluss kamen, dass die Frau ja alles provoziert habe.“

Hans-Ludwig Körber, Kriminalpsychiater, im Tagesspiegel

Eine gesellschaftliche Relevanz sieht Körber in den Femiziden jedoch nicht. Seiner Auffassung nach, liegt einem Femizid zumeist „ein Konflikt zugrunde, der alten Rollenklischees folgt, der aber am Ende nur noch sehr wenig mit der Sozialstruktur der Gesamtgesellschaft zu tun hat“. Leider endet das Interview an dieser Stelle, ich hätte gerne weitergefragt. Zum Beispiel, wie er es sich erklärt, dass zwar Männer ihre (Ex-)Frauen töten, aber selten umgekehrt.

Auch die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds, Maria Wersig, sieht in Femiziden ein strukturelles Problem: „Der Verhinderung, Verfolgung und Sanktionierung der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts wird hierzulande wenig Priorität eingeräumt.“

Die Linkspartei forderte deshalb im Bundestag, dass eine Beobachtungsstelle eingerichtet werden soll, die alle Tötungen, jeden tödlichen Unfall und jeden vermeintlichen Suizid von Frauen erfassen und zu den Ursachen tödlicher Gewalt gegen Frauen forschen soll.

Mittwoch, 18. November
In Berlin haben erneut sogenannte „Corona-Leugner*innen“ demonstriert. Deren Ziel war die Arbeit der Regierung lahmzulegen, die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes zu verhindern. Das ist ihnen nicht gelungen, dennoch stifteten sie Unruhe, verbreiteten Angst und griffen Polizist*innen an. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte dem Tagesspiegel: „Das Potenzial und die Brutalität der Gewalt am Mittwoch waren immens. Einzelne Stimmen haben mir gesagt, sowas haben wir in Berlin seit Jahrzehnten nicht erlebt.“ Beobachter*innen zufolge radikalisieren sich die Corona-Proteste zunehmend. Verstärkt treten auch fundamentale Christ*innen bei den Demonstrationen auf.  

Einigen Rechtsextremen ist es zudem gelungen, sich Zugang zum Reichstagsgebäude zu verschaffen. Sie waren zeitweise unbegleitet im Haus unterwegs, bedrohten Abgeordnete und versuchten Politiker*innen einzuschüchtern. Dem Tagesspiegel zufolge waren es die AFD-Abgeordnete, Udo Hemmelgarn, Petr Bystron und Hansjörg Müller, die die Störer*innen hereingelassen hatten.

Auch diese Woche gab es wieder Femizide
In Delitzsch hat offenbar ein 39-jähriger Mann seine 35-jährige Lebensgefährtin getötet. Die BILD-Zeitung spricht von einem „Beziehungsdrama“. Ein weiterer Femizid ereignete sich in Bochum, wo ein 48-jähriger Mann in der Nacht zu Donnerstag die Polizei darüber informierte, dass er seine Ex-Partnerin getötet hat. Die Polizist*innen fanden die Leiche der 48-Jährigen in deren Wohnung.

Donnerstag, 19. November
Die widerlichen misogynen Anfeindungen von Hendrik Nitsch, der sich im Internet „Udo Bönstrup“ nennt, gegen verschiedene Instagrammerinnen habe ich im vergangenen Wochenrückblick schon thematisiert. Doch auch diese Woche sind die beleidigenden Sprachnachrichten und herabwürdigenden Postings sowie die Hasskommentare der „Udo“-Fans noch Thema. Die Journalistin Anne Dittmann hat in der Welt einen sehr lesenswerten Kommentar veröffentlicht, in dem sie am Beispiel „Bönstrup“ erklärt, warum Frauenverachtung keine „Satire“ ist.

Vermutlich wird auch sie Post von Ralf Höcker bekommen, dem Medienanwalt, der neben Hendrik Nitsch u.a. auch Alice Weidel und andere AFD-Mitglieder vertritt. Nitsch versucht sich aber nicht nur juristisch gegen die berechtigte Kritik zu wehren. Er nutzt auch seine Reichweite (er hat auf Instagram 161.000 Follower*innen) um Kritiker*innen mundtot zu machen. Aktuell hetzt Nitsch seine Troll-Armee auf Verena Maria Dittrich, die sich in ihrer Kolumne auf ntv dem „Vulva-Shaming des Udo Bönstrup“ widmet. Er nennt ihren Namen in seiner Instagram-Story, verlinkt ihren Account und sorgt so dafür, dass sie unzählige beleidigende Nachrichten und Kommentare erhält von (überwiegend) Männern, die „ihren Udo“ verteidigen wollen. Dittrich wird als „F*tze“ und „Miststück“ beleidigt, immer wieder wird sie als „ungef*ckt“ und „hässlich“ bezeichnet. „Hassnachrichten sind der wohl häufigste Fall von digitaler Gewalt“, sagt Josephine Ballon, Juristin bei HateAid, einer Beratungsstelle für Betroffene von digitaler Gewalt. Sie dienen der Einschüchterung und sorgen dafür, dass Mitleser*innen sich nicht trauen sich zu äußern und zu solidarisieren, aus Angst, ebenfalls Ziel des Hasses zu werden.

Nochmal Donnerstag
Maja Göpel war bei Jörg Thadeusz zu Gast. Die promovierte Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin spricht in der Sendung „Talk aus Berlin“ über die Frage der ARD Themenwoche „Wie wollen wir leben?“. Das ist hochinteressant und ich empfehle Jeder und Jedem diese halbe Stunde sehr. Maja Göpel erklärt nicht nur, dass wir den Klimawandel verdammt nochmal ernst nehmen müssen, sie zeigt auch, wie man trotz Fragen wie „Warum lächeln Sie auf dem Buchcover nicht, Frau Göpel?“ nicht wütend wird, sondern weiter sachlich bleibt. Jörg Thadeusz möchte „eingeladen“ werden, um sich für die Umwelt zu interessieren, er reproduziert das Narrativ der verbotsbesessenen Klimaschützer*innen und stellt dann auch noch den Schweregrad der Folgen des Klimawandels in Frage. Maja Göpel bemerkt diesen „komischen Interviewstil“ ihres Gegenübers und nimmt diesen in der Folge vollständig auseinander. Jörg Thadeusz, der einen SUV gekauft hat, weil er da „sehr gut einsteigen kann“, wirkt ziemlich geplättet. Das zeigt meines Erachtens, dass er die Rolle des „alten weißen Mannes“ nicht nur gespielt hat, um die ignorante Hälfte der Bevölkerung zu repräsentieren. Aber hier kann sich ja jede*r eine eigene Meinung bilden.

Freitag, 20. November
Die Große Koalition hat sich auf eine Frauenquote in Vorständen börsennotierter Unternehmen geeinigt. Wer mehr als drei Mitglieder hat, muss künftig mindestens eine Frau mitbestimmen lassen. Auch Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes, Körperschaften des Öffentlichen Rechts, wie die Sozialversicherungsträger, sowie die Bundesagentur für Arbeit wird eine Frauenquote verordnet. Bislang hatte sich die Politik dabei auf Freiwilligkeit verlassen. Ohne Erfolg, wie die Zahlen zeigen: Der Frauenanteil bei Vorständen der betroffenen Unternehmen liegt aktuell bei 7,6 Prozent. Ich habe im Sommer was zum Thema Quote aufgeschrieben, das könnt ihr hier nachlesen: Schluss mit den Männerbünden

Dass Deutschland hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen noch ziemliches Wasteland ist, zeigt auch eine neue Studie der Hochschule Fulda, die die die Verteilungswirkung der Corona-Hilfen des Bundes untersuchte. Das Gesamtvolumen des Konjunkturpakets, das die Corona-bedingten Ausfälle und Einschränkungen abmildern sollte, ging zu 73 Prozent an Branchen und Bereiche, in denen mehrheitlich Männer arbeiten und nur zu 4,3 Prozent an Branchen mit überwiegend weiblichen Beschäftigten.

Am Donnerstag war auch Trans Day of Remembrance:

Samstag, 21. November
Im Tagesspiegel ist anlässlich des Grünen-Bundesparteitages ein Interview mit Aminata Touré erschienen, Schwarze Deutsche und grüne Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein. Sie spricht über mangelnde Vielfalt innerhalb ihrer Partei, Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus und die Black Lives Matter Bewegung.

https://twitter.com/juergenzimmerer/status/1330055156382175234?s=20

Sonntag, 22. November
Angela Merkel ist seit 15 Jahren Bundeskanzlerin
, die erste in Deutschland. Ein Meilenstein ist das allemal. Aber hat die erste Frau im Amt auch etwas für die Frauen insgesamt bewirkt? „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, sagt Merkel selbst: „Aus der Tatsache, dass es mich gibt, darf kein Alibi werden.“ Angela Ulrich aus dem ARD-Hauptstadtstudio hat sich die Kanzlerinnenschaft Merkels im Hinblick auf deren Gender- und Gleichstellungspolitik genauer angesehen. Merkel ist keine Feministin, das machte sie selbst klar: „Die Geschichte des Feminismus ist eine, da gibt es Gemeinsamkeiten mit mir und auch Unterschiede. Und ich möchte mich auch nicht mit einem Titel schmücken, den ich gar nicht habe.“ Sie war lange gegen eine verbindliche Frauenquote für Vorstände und unterstützte Vorschläge, die traditionelle Familienmodelle begünstigen (in der Regel zum Nachteil der Berufstätigkeit von Frauen). Sie stimmte gegen die „Ehe für Alle“ und steht auch sonst vor allem für konservative Positionen. Zwar hat Merkel einigen Frauen in ihrem direkten Umfeld karrieretechnisch weitergeholfen, für Frauen insgesamt hat sie die Chancen dadurch jedoch nicht wesentlich verbessert. Eine Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums ist ein Fortschritt, allerdings lediglich hinsichtlich dessen repräsentativer Strahlkraft und Symbolwirkung. Soziologin Jutta Allmendinger sagte der Süddeutschen Zeitung Ende Oktober: „Meine Hoffnung ist, dass die Bundeskanzlerin noch ein Vermächtnis für die Gleichstellung hinterlässt.“ Ich schließe mich an, bin allerdings kaum optimistisch.

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