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Teilnehmer*innen beim Internationalen Queer Pride Berlin, eine Alternative zum CSD. (Foto von mir)

Der CSD ist nicht queer

Gewalt gegen Frauen soll härter bestraft werden, Deutschland verehrt weiter Faschos als Widerstandskämpfer und der CSD Berlin macht deutlich, dass queer nicht gleich queer bedeutet. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW29

Montag, 18. Juli

Justizminister Buschmann hat am Montag einen Gesetzesentwurf angekündigt, nachdem Gewalt an Frauen künftig härter bestraft werden soll. Auf den ersten Blick ist das eine sehr gute Nachricht. Es ist wichtig, dass künftig bei der Strafzumessung von Gewalttaten eine geschlechtsspezifische Motivation berücksichtigt wird. Es sollte bei der Urteilsfindung einen Unterschied machen, wenn ein Täter eine Frau aufgrund männlichen Besitzdenkens tötet. Das Justizministerium will also § 46 des Strafgesetzbuchs um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe ergänzen. Bislang sind dort „die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende“ aufgelistet. In seiner Presserklärung sagt Marco Buschmann: „Für mich ist klar: Gewalttaten von Männern gegen Frauen dürfen nicht als ‚private Tragödien‘ oder ‚Eifersuchtsdramen‘ bagatellisiert werden.“ Soweit so wichtig und richtig.

Doch regelmäßige Leser*innen von Newsletter und Wochenrückblick ahnen schon: Gleich kommt ein „aber“. Und ja, ihr habt recht, es folgt direkt:

Anhänger*innen des sogenannten Strafrechts-Feminismus (bzw. Carceral Feminism) bejubeln naturgemäß jede Verschärfung des Strafrechts, fordern härtere Strafen oder die Einführung von Straftatbeständen (z.B. das Verbot von „Catcalling“ oder „Upskirting“). Und ja, ich verstehe den Ansatz. Denn natürlich bin ich auch nicht dafür, dass die sexualisierte Gewalt von cis Männern ungestraft bleibt. ABER (da ist es, extra groß) erfahrungsgemäß führen härtere Strafen nicht zu weniger Übergriffen. Überhaupt wird sexualisierte Gewalt selten überhaupt angezeigt, geschweige denn verurteilt. Das Justizsystem steht nicht außerhalb von Patriarchat, Kapitalismus und white Supremacy, es ist Teil davon. Und es ist eine Tatsache, dass Gerichte bestimmte Menschen ohnehin härter bestrafen als andere. In dem Paragrafen, den Buschmann jetzt um geschlechtsspezifische Beweggründe ergänzen will, sind nämlich auch andere Umstände benannt, die das Gericht zur Abwägung des Strafmaßes heranziehen soll. Unter anderem „die Art der Ausführung der Tat“ sowie „das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie zukünftig ein (weißer, christlicher) Richter das Strafmaß bemisst, wenn ein arbeitsloser Mann mit muslimischem Background seine Ehefrau erstochen hat („Ehrenmord!!!“) und wie er urteilt, wenn ein weißer christlicher – sagen wir – Bürgermeister seine Ehefrau „im Streit“ erschlägt („Beziehungsdrama“).

Wie fühlt sich das folgende Zitat des Justizministers in diesem Zusammenhang für euch an? „Wir senden damit auch ein Signal in die Gesellschaft: Wer aus männlichem Besitzdenken Frauen angreift, handelt unserer Werteordnung in besonders eklatanter Weise zuwider.“ Mir gibt es harte Othering Vibes: „Unsere Werteordnung“ als in Deutschland verbindende Haltung, gegen die Andere (Fremde) verstoßen. Wen meint Buschmann mit „uns“? Wird ein Richter, dem der Angeklagte in vielen Punkten ähnlich ist (weiß, christlich, wohlhabend), einen Verstoß gegen „unsere Werteordnung“ erkennen oder sieht er nicht doch einen tragischen Ausgang eines Ehestreits? Bei einem Angeklagten, der ihm „fremd“ ist, fällt das Urteil schon leichter: „Männliches Besitzdenken“ als vermeintlicher Bestandteil der „muslimischen Kultur“.

Das Recht ist nicht gerecht, das ist all denen gut bekannt, die wenig Privilegien haben, wie einen sicheren Job, ein gutes Einkommen, einen sicheren Aufenthaltsstatus. Ronen Steinke hat darüber kürzlich ein ganzes Buch geschrieben („Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“).

Und überhaupt, was haben die ermordeten Frauen davon, dass ein Täter härter bestraft wird? Was haben die Hinterbliebenen davon? Der Femizid steht in den allermeisten Fällen am Ende einer häufig jahrelangen Tortur. Doch Betroffenen von patriarchaler Gewalt wird Hilfe und Unterstützung viel zu oft verwehrt. In vielen Fällen von Femizid kommt hinterher heraus, dass das Opfer schon versucht hatte, sich zu trennen, den Täter angezeigt hat, Schutz gesucht hat. Hier muss angesetzt werden. So kann gewaltbetroffenen Menschen wirklich geholfen werden.

Fakt ist, ein Feminismus, der Polizei und Justiz als seine natürlichen Verbündeten versteht, wird uns nicht befreien. Denn er festigt die patriarchalen, kolonialen und rassistischen Strukturen, die das rassistische und misogyne System aufrechterhalten. Der Ruf nach Recht und Gesetz wird in der Regel aus privilegierter Position laut. Das Privileg, sich auf die „Gerechtigkeit“ der Justiz verlassen zu können, haben in erster Linie reiche weiße Leute. „The Master’s Tool Will Never Dismantle the Master’s House“, hat Audre Lorde gesagt. Was wir brauchen sind nicht härtere Strafen oder neue Straftatbestände, wir brauchen einen strukturellen Wandel hin zu einem System, in dem nicht die binäre Heteronormativität das Zusammenleben bestimmt. Wir brauchen finanzielle Absicherung von Gewaltschutzeinrichtungen. Wir brauchen sichere Aufenthaltsmöglichkeiten für Frauen, denen eine Abschiebungen droht, wenn sie sich von gewalttätigen Partnern trennen. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und Löhne, die ein Leben als Alleinerziehende möglich machen. Und so weiter. Law and Order ist ganz offensichtlich keine Lösung.

Dienstag, 19. Juli

„Heißester Tag des Jahres – 40 Grad“ – so die Schlagzeile der Tagesschau am Dienstag. Ich könnte jetzt etwas über den kapitalismusgemachten („menschengemacht“ ist mir zu unspezifisch) Klimawandel schreiben oder darüber, warum Erderwärmung ein feministisches Thema ist, aber ganz ehrlich: Mir ist zu heiß! Stattdessen muss dieses Meme für heute reichen:

Mittwoch, 20. Juli

Der 20. Juli ist traditionell der Tag, an dem Deutsche einem Faschisten gedenken, der wegen der militärischen Aussichtslosigkeit ein Attentat auf Adolf Hitler plante. Der Wehrmachtsoffizier Graf von Stauffenberg gilt in Deutschland noch immer als „Widerstandskämpfer“ und ist ein Symbol für die Verklärung der Geschichte. Dass in Deutschland Schulen nach Stauffenberg benannt sind, ist absolut grotesk, geschichtsrevisionistisch und kurz gesagt ekelhaft. Hier ein paar Zitate des gefeierten Helden, falls noch nicht klar sein sollte, warum ich Stauffenberg und seine Verehrung verachte:

„Der Gedanke des Führertums […] verbunden mit dem einer Volksgemeinschaft, der Grundsatz ‚Gemeinnutz geht vor Eigennutz‘ und der Kampf gegen die Korruption, der Kampf gegen den Geist der Großstädte, der Rassengedanke und der Wille zu einer neuen deutschbestimmten Rechtsordnung erscheinen uns gesund und zukunftsträchtig.“

Stauffenberg 1932

„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu brauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“

Stauffenberg nach dem Überfall auf Polen in einem Brief an seine Frau

„Seither erleben wir in erschütternder Form den Anfang des Zusammenbruchs einer großen Nation, nicht nur militärisch, sondern auch psychisch (…) Uns geht es köstlich. Wie sollte es auch anders sein bei solchen Erfolgen.“

Stauffenberg 1940 über den Krieg gegen Frankreich

Nun ja, jedes Land hat halt die Helden, die es verdient.

Währenddessen haben Unbekannte in der Nähe der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar in Thüringen sieben sogenannte „Erinnerungsbäume“ abgesägt. Die Bäume waren sechs namentlich genannten Häftlingen gewidmet sowie den Kindern, die in Buchenwald ermordet wurden. Die Stadt Weimar hat 10.000 Euro Belohnung angekündigt für Hinweise, die zur Ergreifung von Tätern führen.

Donnerstag, 21. Juli

Die Zahl der Drogentoten hatte im vergangenen Jahr mit 1.826 Personen den höchsten Stand seit 20 Jahren. Die Zahlen wurden am 25. Nationalen Drogentotengedenktag bekanntgegeben und beziehen sich nur auf illegalisierte Drogen. Denn dass auch Alkohol eine Droge ist, wird regelmäßig verschwiegen. Rund 6,7 Millionen der Erwachsenen in Deutschland trinken Alkohol in riskanten Mengen, ca. 20.000 Todesfälle werden in Deutschland jedes Jahr nur durch Alkoholkonsum verursacht. Trotzdem wird das Trinken als „Kulturtechnik“ verklärt und verharmlost. Der Rekordwert der Todesfälle durch illegale Drogen geht möglicherweise auf die Folgen der Corona-Pandemie zurück. Denn viele Hilfe- und Unterstützungseinrichtungen waren geschlossen oder nur eingeschränkt erreichbar. Die meisten der gezählten Tode gehen auf den Gebrauch von Heroin zurück. Schätzungsweise rund 165.000 Heroinabhängige gibt es in Deutschland, die am effektivsten durch die legale Abgabe von Substituten geschützt werden können. Denn die enthalten keine Verunreinigungen wie der illegale Stoff und die Konsument*innen werden durch die kontrollierte Abgabe zusätzlich vor Infektionen geschützt. „Wir sehen, dass trotz eines kontinuierlichen Ausbaus niedrigschwelliger Hilfen und einem vielfältigen Hilfeangebot, immer mehr Menschen an den Folgen von Krankheit und Überdosierung als Folge von Schwarzmarktsubstanzen und jahrzehntelanger Kriminalisierung in Berlin und bundesweit versterben“, erklärte der Drogennotdienst Berlin angesichts des Gedenktages. Der Verein fordert „den lange überfälligen Drogenpolitikwechsel“. In der Erklärung heißt es weiter: „Es gilt mit einer kontrollierten und legalen Vergabe für Erwachsene den Schwarzmarkt zurückzudrängen. Durch eine Entkriminalisierung von Erwerb und Besitz geringer Mengen gilt es den Kreislauf der Kriminalisierung zu durchbrechen und die Artikulation eines Hilfebedarfs zu befördern.“ Drogenabhängige sind in Deutschland immer noch eine stark stigmatisierte Gruppe, die nicht die Unterstützung erhält, die sie braucht.

Freitag, 22. Juli

Der 22. Juli ist der Gedenktag mehrerer rassistischer Attentate. Am 22. Juli 2011 zündete der rechtsextreme Anders B. zunächst eine Bombe in der Innenstadt von Oslo und tötete acht Menschen, bevor er auf der Insel Utøya 69 Menschen erschoss, überwiegend Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Auch zehn Jahre nach diesem grausamen Massenmord ist der Terror nicht vorbei. Überlebende des Anschlags berichten von Hassbotschaften und Drohungen, die sie bis heute erhielten. Ali Esbati, Überlebender und heute Abgeordneter der Linken, sagt jede*r Dritte der Überlebenden sei betroffen: „Es ist wirklich beängstigend, dass so viele damit konfrontiert wurden (…) Gleichzeitig ist es ein Grund dafür, dass ich so viel wie möglich darüber rede, dass diese Gedanken da draußen weiterleben und eine Gefahr sind für alle, auch an Tagen, wo sie nicht zum Massenmord führen.“

Möglicherweise als grausame Hommage an das Utøya-Massaker tötete fünf Jahre später, am 22. Juli 2016 der 18-jährige Schüler David S. neun Menschen im Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ). Die Opfer waren überwiegend Jugendliche und sahen für den Täter aus wie Menschen, die er für „Kanaken“ und „Untermenschen“ hielt, einen „Virus“, den er auszurotten wollte. Es hat drei Jahre gedauert, bis dieser rassistische Terroranschlag nicht länger als „Amoklauf“ eines „gemobbten Jugendlichen“ entpolitisiert wurde. Das bayerische Innenministerium weigerte sich lange, die rechtsextreme Motivation des Terrors anzuerkennen.

In Gedenken an die Opfer des rassistischen Attentats vom 22. Juli 2016

Selçuk Kiliç, 15

Sabine S., 14

Can Leyla, 14

Sevda Dağ, 45

Hüseyin Dayıcık, 17

Roberto Rafael,15

Guiliano Kollmann, 19

Armela Segashi, 14

Dijamant Zabërgja, 20

Der dritte rassistische Anschlag vom 22. Juli der in der medialen Berichterstattung leider in Vergessenheit geraten ist, ereignete sich 2019 in Wächtersbach (Hessen). Der damals 26-jährige Bilal M. war auf dem Rückweg von der Berufsschule, als aus einem Auto heraus auf ihn geschossen wird. Der Täter: Roland K., Rassist, der aus seiner Gesinnung keinen Hehl machte. Kurz vor der Tat hatte der 55-Jährige in seinem Stammlokal angekündigt, was er vorhatte. Niemand rief die Polizei. Bilal M. überlebte schwerverletzt. Noch heute leidet er unter den Folgen der Tat. „Ich habe Rückenschmerzen, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Atemprobleme“, erzählte Bilal M. vorletztes Jahr der Frankfurter Rundschau. Der 2012 aus Eritrea geflüchtete ehemalige Bäcker-Lehrling musste seine Ausbildung abbrechen. Unterstützung vom Staat gab es kaum. Wie die FR schreibt, erhielt er nur fünf Termine zur Gesprächstherapie, keine Reha, keine finanzielle Unterstützung. Ein Mitglied der Landesregierung hätte Bilal M. und seine Familie nach dem Attentat besucht, danach allerdings nichts mehr von sich hören lassen.

Samstag, 23. Juli

Gestern war CSD in Berlin. Ich war zum ersten Mal vor Ort und ich fand es furchtbar. Nicht nur, dass niemand mehr eine Maske trug und Reichsbürger-Impfgegner „Captain Future“ unwidersprochen seine Propaganda verbreiten konnte, es war auch einfach komplett unpolitisch. Irgendwie dachte ich „Pride“ sei eine Demo, aber das war eher ein Karnevalsumzug. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber ich war definitiv nicht vorbereitet auf grölende Saufgruppen, die lauthals „Layla“ singen. Hinterher erfuhr ich auf Twitter, dass beim zuständigen Ordnungsdienst auch Nazis eingesetzt waren. Angesichts der weltweiten Bedrohung queerer Rechte, der Situation von trans Frauen in der Ukraine oder auch der Diskriminierung und Stigmatisierung in Deutschland habe ich etwas mehr Protest und weniger Party erwartet. Allerdings muss ich auch zugeben, dass der CSD selbst diesen Anspruch längst nicht mehr hat. Es ist ein durchkommerzialisiertes Event, das ähnlich der „Love Parade“ vor allem für ein feier- und trinkfreudiges Publikum gemacht ist. Am CSD lässt sich aber auch gut illustrieren, dass „queer“ nicht gleich „queer“ bedeutet. „Queer“ ist zu einem Sammelbegriff für alles rund um LGBTQIA+ geworden und das ist das Problem. Denn nicht jede Person, die nicht hetero ist, ist auch queer*. Es gibt zahlreiche Schwule, Lesben und Bisexuelle, die mit Queerness so viel zu tun haben, wie Angela Merkel mit Feminismus. Denn natürlich sind Jens Spahn oder Alice Weidel nicht queer. Queerness ist mehr als sexuelle Orientierung. Queer sein ist eine Haltung, die das cis-heteronormative System durchkreuzt. Queer sein bedeutet, dem cissexistischen, patriarchalen, rassistischen und kapitalistischen(!) Mainstream etwas entgegenzusetzen.

*Übrigens gibt es auch queere Heteros, denn queer sein bezieht sich nicht nur auf die sexuelle Orientierung, sondern auch auf das Geschlecht. Trans oder inter Personen zum Beispiel, können hetero und queer sein.

Sonntag, 24. Juli

Der Wochenrückblick muss heute etwas kürzer ausfallen. Ich tippe die letzten Sätze in einer Jugendherberge in Schleswig-Holstein. Ich bin hier eine Woche zum Arbeiten. W-LAN gibt es nicht. Also ich mache es kurz! Bis nächste Woche, gleiche Stelle gleiche Welle.

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