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Kirsten Boie: meine Heldin der Woche. Illustration von mir, Foto von Tatjana (Pexels.com)

Ihrem Beispiel folgen

Kirsten Boie zeigt Haltung, in Schottland gibt’s Menstruationsartikel bald kostenfrei, Olaf Scholz biedert sich an und der Gewalt gegen Frauen wurde diese Woche etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet als sonst. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW48

Montag, 23. November
Die Woche beginnt erneut mit einem Femizid. In Hüde, im Kreis Diepholz wurde eine 33-jährige Frau an einem Straßenrand tot aufgefunden. Die Polizei geht davon aus, dass der 39-jährige Ehemann der Täter ist.

Ich mochte am Montag vor allem diesen Tweet:

Dienstag, 24. November
Die Schriftstellerin Kirsten Boie hat eine Auszeichnung durch den Verein für Deutsche Sprache abgelehnt. Der Grund dafür: Walter Krämer. Der Bundesvorsitzende des Vereins fällt immer wieder mit rechtskonservativen, bis rechtsextremen Äußerungen auf. Boie erklärte in einem Brief, warum sie den „Sprachpreis“ nicht haben will. Sie schreibt über Krämer: „Da ist die Rede von der ‚Lügenpresse‘, sogar vom ‚aktuellen Meinungsterror unserer weitgehend linksgestrickten Lügenpresse‘; von der ‚Überfremdung der deutschen Sprache‘, vom ‚Genderwahn’“. Kirsten Boie zeigt damit Haltung in einer Zeit, in der sich (gefühlt) immer weniger Menschen klar positionieren. Dass Aussagen, wie die von Walter Krämer, heute als legitime Beiträge zur Debatte, als „eine Meinung unter vielen“ gelten, ist einer seit Jahren andauernden Diskursverschiebung nach rechts zu verdanken.

Während es früher (ich nenne es die Vor-Sarrazin-Ära) undenkbar gewesen wäre, dass die Tagesthemen über sechs Minuten lang mit einer Rechtsextremen plaudern (wie diese Woche mit Alice Weidel) oder einem Faschisten im „Sommerinterview“ einer Bühne bieten, ist das alles heute vollkommen normal. Nicht den Rechtsextremen, sondern deren Kritiker*innen wird die Bedrohung der Demokratie vorgeworfen, es ist die Rede von „Cancel Culture“ und „Meinungsterror“. Diese Diskursverschiebung ist kein Zufallsprodukt. Sie wurde von der sogenannten „Neuen Rechten“ jahrelang anvisiert und vorbereitet. Der Rahmen des Sagbaren, innerhalb dessen sich die öffentlich geäußerten Meinungen befinden, hatte seine Grenze lange Zeit da, wo die Menschenverachtung begann. Es war Konsens, dass menschenfeindliche Positionen nicht im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gesendet oder in den seriösen deutschen (Tages-)Zeitungen diskutiert wurden. Diese Grenze wurde über viele Jahre aufgeweicht. Schlagartig deutlich wurde das 2010, als Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ ein Bestseller wurde. Plötzlich war es legitim, rassistische und antisemitische Ansichten als „Meinungen“ zu diskutieren, und damit menschenverachtende Positionen unter den Schutz der Meinungsfreiheit zu stellen. Die Grenzen verschoben sich Schritt für Schritt weiter nach rechts, sodass 2018 die ZEIT auf ihrer Titelseite fragte „Oder soll man es lassen?“ und damit die Rettung von in Seenot geratenen Geflüchteten grundsätzlich in Frage stellte. In einem Interview mit dem NDR-Medienmagazin „Zapp“ erklärt der Historiker Jürgen Zimmerer die Diskursverschiebung anschaulich und geht auf die Rolle der Medien dabei ein: „Was ich beobachte ist, dass Journalisten und Journalistinnen sich dann gerne zurückziehen auf ein: ‚die Meinungen sind da und wir bilden’s ab‘, aber nicht Verantwortung übernehmen für die Folgen, die dann daraus erwachsen. Ob das die Radikalisierung ist, wenn man vom ‚Erschießen‘ und ‚Vergasen‘ von Migranten redet, ob es die Anschläge von Hanau sind oder von Halle, etc. etc. – und dann einfach nur berichtet wird und alle sind schockiert. Aber diese Diskursverschiebung kann man eben verfolgen.“ Zimmerer sagt: „Ich glaube es wird Zeit, dass die Bürgerinnen und Bürger, die das nicht wollen, diese rechte Republik, einfach wach werden und (…) ihren Widerstand artikulieren und sagen: Nein, wir wollen das nicht! Wir wollen die liberale Demokratie, wir wollen die Menschenrechte schützen“. Das ist das, was Kirsten Boie getan hat, indem sie den Preis abgelehnt hat. Sie hat ihren Widerstand artikuliert. Ich wünsche mir, dass viele ihrem Beispiel folgen.

Auch am Dienstag:
Schottland wird das erste Land sein, das kostenfreie Menstruationsprodukte in öffentlichen Gebäuden zur Verfügung stellt. Dem entsprechenden Gesetzesentwurf der Labour-Abgeordneten Monica Lennon wurde im Parlament einstimmig verabschiedet. Damit weitet das Land sein Engagement zur Bekämpfung von Periodenarmut aus. In Schottland sind schon seit längerem Tampons und Binden in Schulen und Universitäten kostenfrei verfügbar, nun kommen andere öffentliche Gebäude und Einrichtungen dazu.

In Deutschland ist so eine staatliche Unterstützung für viele völlig undenkbar. Viele cis Männer würden sich davon benachteiligt fühlen, obwohl es sie einfach null betrifft. Die Online-Kommentarspalten waren am Dienstag voll mit absurden Vergleichen (freie Tampons = Sozialismus, Rasierklingen müssten dann auch gratis sein und anderes Blabla). Während wir es vollkommen selbstverständlich finden, dass uns in öffentlichen Einrichtungen Toilettenpapier gratis zur Verfügung gestellt wird, sind kostenlose Binden und Tampons für viele absolut absurd. Das sagt eine Menge aus über eine Gesellschaft, in der etwa die Hälfte der Menschen regelmäßig ihre Periode hat oder hatte.

Mittwoch, 25. November
Seit 2015 führt das Bundeskriminalamt die Statistik „Partnerschaftsgewalt“. Anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen werden die erschreckenden Zahlen medial thematisiert. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch ihren (Ex-)Partner getötet. Diese Tatsache sorgt selbstverständlich für Abscheu in allen politischen Lagern. Doch während Feminist*innen schon lange mehr fordern, als eine härtere Bestrafung der Täter, versuchen noch immer viele, die Gewalt als „Beziehungs-“ oder „Familiendramen“ zu verharmlosen. Das Gewalt gegen Frauen und Femizide selbst auf höchster politischer Ebene eher als „Privatsache“ verstanden werden, zeigt sich u.a. darin, dass der Themenkomplex dem Bundesfamilien- und nicht etwa dem (für Kriminalität zuständigen) Innenministerium zugeordnet wird. „Frauen“ sind in Deutschland eben immer noch ein „Nischenthema“. Die Hälfte der Bevölkerung wird nach wie vor als eine „Minderheit“ unter vielen verstanden. Dass weite Teile der CDU einen Bundeskanzler favorisieren, der 1997 gegen den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hat, ist ein weiteres Indiz dafür, dass Misogynie und häuslicher Gewalt noch immer wenig Relevanz eingeräumt wird.

Der Deutsche Juristinnenbund hat seinen Bericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland veröffentlicht und zeigt darin den dringenden Umsetzungsbedarf auf. Unter anderem sehen die Juristinnen Nachholbedarf im Bereich der Prävention, insbesondere bei Partnerschaftsgewalt. Sie fordern umfassenden Schutz, Unterstützung und Beratung von gewaltbetroffenen Frauen und deren effektiven Zugang zum Recht. Dies muss insbesondere auch für Migrantinnen und geflüchtete Frauen gelten. Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des djb, erklärt: „Es ist noch Einiges zu tun, bis die Istanbul-Konvention in Deutschland vollständig umgesetzt ist und wirklich alle Frauen von den darin vorgesehenen Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen im Fall von geschlechtsspezifischer Gewalt profitieren können.“

Donnerstag, 26. November
Die Filmproduktionsfirma UFA hat sich eigenen Angaben zufolge eine Selbstverpflichtung für mehr Diversity gegeben. Ziel der UFA ist es, bis Ende 2024 im Gesamtportfolio der Programme die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden. Wie das Branchenmagazin „Werben & Verkaufen“ am Donnerstag meldete, setzt die UFA bei der Umsetzung auf eine starke Einbindung der Mitarbeiter*innen. Dazu dienen interne Diversity-Circles mit den Fokusthemen Gender, LGBTIQ*, People of Color sowie „Menschen mit Beeinträchtigungen“.

Der UFA-Geschäftsführer Joachim Kosack erklärt: „Wir haben als Medienschaffende eine besondere Verantwortung und müssen die uns zur Verfügung stehenden kreativen Mitteln nutzen, um verantwortlich zu handeln und als Vorbild zu dienen. Wir müssen diskriminierenden Tendenzen entschieden entgegentreten, entsprechende Themen setzen und diese in unseren Programmen sichtbar machen.“

Ich bin gespannt, was diesen großen Worten folgt!

Freitag, 27. November
Olaf Scholz erklärte auf Twitter, sollte er Bundeskanzler werden, wäre sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzt.

Ein sehr gewagter Move eines Mannes, dessen Partei von der Forschungsgruppe Wahlen zum Zeitpunkt des Tweets 16 Prozent der Wähler*innenstimmen prognostiziert wurden. Ich nehme Scholz‘ Ankündigung dennoch dankend als Vorlage für das Folgende: Wieso nutzt Olaf Scholz nicht in seinen Einfluss im aktuellen Amt, um die Gleichstellung zu verbessern? Sein Ministerium (geführt von ihm, einem Mann), beschäftigt vier männliche Staatssekretäre. Nur die zwei parlamentarischen Staatssekretärinnen sind Frauen. Bei den Abteilungsleitungen ist die Verteilung wie folgt: Sieben Männer, vier Frauen. Personell also schon mal keine Parität. Und politisch? Erst kürzlich hat eine Studie ergeben, dass die Corona-Hilfen des Bundes zu 73 Prozent auf Branchen entfallen, in denen mehrheitlich Männer arbeiten. Nur 4,3 Prozent der Milliarden-Unterstützung kam Branchen zugute, in denen überwiegend Frauen tätig sind. Also aus meiner Sicht reicht Scholz‘ Tweet nicht aus, um ihn als Fellow-Feministen anzuerkennen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Samstag, 28. November
Für große Empörung sorgte in dieser Woche die Besetzung des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, der nach den rassistischen Morden in Hanau gegründet wurde. Während es heute für viele unvorstellbar wäre, einen Ausschuss gegen die Diskriminierung von Frauen ausschließlich mit Männern zu besetzen, hat die Bundesregierung offenbar kein Problem damit, dass ein rein weißes Gremium zum Thema Rassismus arbeitet. Das allein zeugt schon von Ignoranz. Dass aber Heimatminister Horst Seehofer diesem Ausschuss angehört, ist nichts anderes als eine Verhöhnung aller von Rassismus betroffenen Menschen. Seehofer, der die Migration „als Mutter aller Probleme“ bezeichnet, der sagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, der eine Studie zu Rassismus in der Polizei verhindert und Verständnis für rechtsextreme Demonstrant*innen in Chemnitz zeigte, ist eines Innenministers schlicht unwürdig. Er muss zurücktreten.

Sonntag, 29. November
Heute ist der erste Advent und das ist für mich ein ausreichend guter Anlass, um auf meinen diesjährigen Adventskalender hinzuweisen.

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Es läuft hier etwas anders, als ihr es vielleicht gewohnt seid, denn es gibt zwar jeden Tag ein Türchen, aber dahinter keine Geschenke. Dafür gibt es eine schöne Charity-Aktion zugunsten von Social Period e.V. Gemeinsam möchten wir auf das Thema Perioden-Armut aufmerksam machen. 

Hier geht’s zum Adventskalender und weiteren Infos dazu. Das erste Türchen könnt ihr dann am 1. Dezember öffnen.

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