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Clowns der Woche: Till Lindemann, Dieter Nuhr, Lorenz Caffier und Udo Bönstrup. Illustration von mir-

Privilegiert, ignorant und toxisch

Gewalt gegen Frauen findet im Privaten statt, aber auch im Netz. Till Lindemann geht lieber jagen als zum Therapeuten, Dieter Nuhr hat keine Lust ein Buch zu lesen und Lorenz Caffier kauft Waffen von Nazis. Dies und mehr im Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW46

Montag, 9. November

Berlin bekommt ein neues Frauenhaus. Das teilte die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung mit. 55 weitere Plätze sollen so entstehen. Staatssekretärin Barbara König erklärte: „Wir haben bereits im April zwei Notunterkünfte geschaffen, so dass Frauen und ihren Kindern bisher gut 150 Plätze zur Verfügung stehen. Wir wollen auch dauerhaft Sicherheit schaffen.“ Dass die dann 205 Plätze nicht ausreichend sind, in einer Stadt, in der die häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder stetig steigt, weiß sie selbst. Dass hinsichtlich der Fallzahlen auch von offizieller Seite keine Besserung erwartet wird, zeigt sich in der Ankündigung der Senatsverwaltung, nächstes Jahr ein achtes und in 2022 ein neuntes Frauenhauses einzurichten.

Dienstag, 10. November
Im vergangenen Jahr hat statistisch betrachtet an fast jedem dritten Tag ein Mann seine (Ex-)Partnerin getötet. Umgerechnet alle 45 Minuten wird eine Frau durch ihren (Ex-)Freund oder Mann verletzt oder angegriffen. Das belegen die Zahlen des Bundeskriminalamts. Insgesamt zählt die kriminalstatistische Auswertung „Partnerschaftsgewalt“ mehr als 141.000 Betroffene von vollendeten und versuchten Delikten der Partnerschaftsgewalt, rund vier Fünftel der Opfer waren Frauen und ein Fünftel Männer. Und das sind nur die gemeldeten Fälle. „Das Dunkelfeld ist erheblich“, erklärte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts. Die meisten Gewalttaten ereignen sich in der eigenen Wohnung und werden, Expert*innen zufolge, in etwa 75 bis 80 Prozent der Fälle nicht aktenkundig. Die Betroffenen würden sich meist nicht trauen, Anzeige zu erstatten: aus Scham, Angst oder auch aus finanzieller Abhängigkeit.

Die Statistik erfasste folgende versuchte oder vollendete Delikte gegen Frauen im Jahr 2019:

  • Vorsätzliche, einfache Körperverletzung: 69.012 Fälle
  • Gefährliche Körperverletzung: 11.991 Fälle
  • Bedrohung, Stalking, Nötigung: 28.906 Fälle
  • Freiheitsberaubung: 1514 Fälle
  • Mord und Totschlag: 301 Fälle
  • sex. Übergriff, sex. Nötigung, Vergewaltigung: 3.027

Bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in Partnerschaften sind die Opfer zu 98,1 Prozent weiblich, bei Stalking, Bedrohung und Nötigung in der Partnerschaft sind es 89 Prozent. Bei vorsätzlicher, einfacher Körperverletzung waren 79,5 Prozent der Opfer Frauen und bei Mord und Totschlag in Paarbeziehungen waren es 76,4 Prozent.

Mittwoch, 11. November
Der Rammstein-Frontmann und Vergewaltigungs-Dichter Till Lindemann hat gemeinsam mit seinem Kumpel Joey Kelly dem Playboy ein Interview gegeben, dass vor peinlichen Männlichkeitsidealen nur so strotzt. Während Joey Kelly hauptsächlich Lindemanns Stiefel leckt, haut letzterer einen üblen Take nach dem anderen raus. Für Lindemann ist eine Psychotherapie „rausgeschmissenes Geld für Luxusprobleme“. Er glaubt zudem „ganz fest daran, dass man sich selber therapieren kann“ und er weiß auch wie: „mit urtümlichen, archaischen Mitteln“. Echte Männer gehen nicht zur Therapie, sondern „raus in die Natur“. Lindemann ist ein so klischeehaft toxischer Steinzeit-Typ, man glaubt kaum, dass er da immer noch einen draufsetzen kann. Er kann. Auf die Frage, in welchen Momenten er zu sich selbst findet, antwortet er: „Wenn ich mir ein Weinchen aufmache, jage und angle.“ Großartige Idee: Probleme im Alkohol ertränken und ein paar Tiere töten. Auf maximal männliche Weise versteht sich.

Aber es geht noch weiter: Lindemann und Kelly geben beide an, keine Freundschaft mit Frauen zu haben. Der Grund dafür ist so sexistisch wie heteronormativ: Die angebliche sexuelle Spannung. Prinzipiell ausschließen will Lindemann die Freundschaft zu einer Frau allerdings nicht: „Ich glaube, wenn man sie vorher gepoppt hat, dann vielleicht schon. Aber das muss passiert sein“, sagt er in klassischer Machomanier („ER poppt SIE“).

Ich kann mit Worten gar nicht ausdrücken, wie sehr ich mir wünsche, dass diese Art von Männlichkeit endlich ausstirbt. Fairerweise muss ich aber sagen, dass ich auch schon viele Frauen kennengelernt habe, die im Hinblick auf intergeschlechtliche Freundschaften so denken wie Lindemann und Kelly. Während im Patriarchat Jungs damit aufwachsen, Frauen in erster Linie als (potenzielle) Sexualpartnerinnen zu bewerten, lernen Mädchen in anderen Frauen vor allem Konkurrentinnen zu sehen, die es auf den eigenen Mann abgesehen hätten. Was für ein riesengroßer Bullshit! Aber leider Realität für viele, die in der Paarbeziehung vor allem Besitzansprüche fühlen.

Donnerstag, 12. November
Auch in dieser Woche wurden wieder Frauen von Männern getötet. In Castrop-Rauxel machte die Polizei am Donnerstag einen Femizid öffentlich: Ein 52-Jähriger soll seine Ehefrau ermordet und sich anschließend selbst das Leben genommen haben, indem er mit dem Auto gegen einen Baum fuhr. Die Polizei teilte mit, einen „Abschiedsbrief“ im Fahrzeug gefunden haben, der Hinweise auf die Tötung der 49-jährigen Frau enthielt.

In Helmstedt wurde eine 34-Jährige tot in ihrer Wohnung gefunden. Die Polizei geht von einem Kapitalverbrechen aus, die Frau sei durch massive Gewalteinwirkung gegen den Oberkörper getötet worden. Einen Verdächtigen gibt es bislang noch nicht.

In Marl fand die Polizei am Dienstag die Leiche einer 27-Jährigen und einen schwer verletzten Vierjährigen in einer Wohnung. Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus. Noch in der Nacht wurde ein 20-jähriger Mann, angeblich der Nachbar der Getöteten, festgenommen. Mehr Details teilten Staatsanwaltschaft und Polizei bislang nicht mit.

Freitag, 13. November
Dieter Nuhr ist einfach so ein Clown.
Und das nicht im lustig-künstlerischen Sinne, sondern im peinlich-fremdscham Sinne. Leider hat dieser Clown einen regelmäßigen Sendeplatz in der ARD und verdient gutes Geld mit seinen chauvinistischen Boomer-Takes, die er wohlkalkuliert raushaut, um sich bei berechtigter Gegenrede dann über einen vermeintlichen „Shitstorm von links“ zu beschweren.

In seinem jüngsten Peinlo-Auftritt versucht er, die Journalistin und Autorin Alice Hasters schlecht zu machen. Der Titel ihres Buches „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ hat dem mehrfach privilegierten „Comedian“ nicht gefallen: Der sei nämlich rassistisch gegen ihn, den weißen Mann.

Hätte Dieter „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ Nuhr das Buch gelesen, wüsste er, dass es bei Rassismus nicht nur um die „Hautfarbe“ geht, sondern um Macht- und Herrschaftsstrukturen und dass es deshalb keinen Rassismus gegen „Weiße“ geben kann. Er wüsste auch, dass Alice Hasters eine deutsche Autorin ist, born and raised in Köln Nippes, und ihr Buch einzig in deutscher Sprache erschienen ist. Es war keinesfalls „in den USA ein Renner“, wie Nuhr behauptet. Vielleicht hat Nuhr Alice Hasters mit Reni Eddo-Lodge verwechselt, vielleicht mit Noah Sow, es ist völlig egal. Es zeigt nur, wie ignorant er ist und dass er einfach überhaupt keine Ahnung hat. Diese Ignoranz, gepaart mit White Fragility ist übrigens der Grund, „dass es so etwas wie Donald Trump geben konnte“ und nicht Alice Hasters Buch, wie Dieter Nuhr behauptet.

Ich wünschte, die viel beschworene Cancel Culture würde tatsächlich existieren und uns künftig die geistigen Ausdünstungen eines Dieter Nuhr ersparen.

Samstag, 14. November

Lorenz Caffier, Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern, hat 2018 Frank T., damals Mitglied der rechtsextremen „Nordkreuz“-Gruppe, eine Waffe abgekauft. 2016 hat Caffier, in Outdoor-Jacke und Basecap, die nächtliche Abschiebung einer albanischen Familie begleitet. Er steht ungerührt daneben, als das Einsatzteam der Polizei mitten in der Nacht die Wohnung der Familie stürmt, ihr kaum Zeit gibt, ein paar Sachen zu packen. Ein Kamerateam des NDR war auch dabei, die Dokumentation „45 Minuten: Protokoll einer Abschiebung“ wurde ein Jahr später mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Sonntag, 15. November
Am Sonntag konnte man auf Instagram live miterleben, wie sich misogyner Hass im Internet äußert. Kurze Chronologie: Die erfolgreiche Bodybuilderin Franziska Lohberger hatte einen Beitrag gepostet, in dem es um das Thema „Camel Toe“ ging, also darum, dass manche Hosen so eng sitzen, dass sich die Vagina abzeichnet. Lohberger erklärte, dass sie häufig beleidigende Nachrichten erhält, wenn sie Fotos in Leggings postet und machte dies mit ihrem Post öffentlich. Ihr Beitrag, mit inzwischen über 12.000 Likes, provozierte offenbar Udo Bönstrup, selbsternannter „Mobbingopfer-Täter-Therapeut“, der sich in einem eigenen Beitrag über Lohberger und andere Influencerinnen lustig machte. So weit, so „normal“. Die weitere Entwicklung dieser – zugegeben belanglosen Story – ist ein Lehrstück digitaler Gewalt, die überwiegend Frauen erfahren. Verschiedene Instagrammerinnen, die sich mit Lohberger solidarisierten, erhielten Nachrichten und Kommentare widerlichsten Inhalts. Sowohl von Udo Bönstrup selbst als auch von einigen seiner 162.000 Follower. Kristina Lunz, Gründerin des Center for Feminist Foreign Policy, wehrte sich gegen die Beleidigungen und Bedrohungen und machte sie öffentlich, was wiederum Udo Bönstrup veranlasste, ihr mit seinen Anwälten (nicht gegendert) zu drohen.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Bert Kaesser

    Fremdschämen pur. Es tut richtig weh, zu lesen, welche Idioten (nicht gegendert!!!) frei herumlaufen und ihren Wahnsinn in Worten verbreiten und in der Tat verüben. Umso mehr freue ich mich über alle Menschen, die dagegen anschrei(b)en.
    Vielen Dank!

    1. Ulla

      Ja, du hast Recht! Das tut wirklich weh… Hoffen wir, dass irgendwann so viele dagegen anschrei(b)en, dass es diese Typen begreifen und sich zurück in ihre Höhlen verziehen!

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