You are currently viewing Danke Antifa
Fröhlichen 13.12., allen die feiern. (Foto: Eric Yeich, Pexels.com)

Danke Antifa

Friedrichshain vermiest den Nazis den Samstag, die Mörder von Mouhamed Dramé wurden freigesprochen, den Tafeln fehlen die Lebensmittel und Großbritannien setzt seinen Feldzug gegen trans Kinder fort. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW50

Montag, 9. Dezember

Deutschland, du mieses Stück… Syrien ist nicht mal einen Tag von jahrzehntelanger diktatorischer Schreckensherrschaft befreit, und schon fordern besonders Deutsche, dass Syrer*innen schnellstmöglich die Bundesrepublik verlassen sollen. „Ich würde in einem ersten Schritt mal sagen, wir machen ein Angebot. Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurück will nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1.000 Euro“, schlägt Jens Spahn vor, der seinen Rassismus schon lange nicht mehr versteckt. Christian Lindner gefällt das. Sahra Wagenknecht sind glückliche Menschen aus Syrien ein Dorn im Auge: „Von den Syrern, die hierzulande die Machtübernahme durch Islamisten bejubeln, erwarte ich, dass sie möglichst bald in ihr Heimatland zurückkehren“, erklärte sie und ist damit mal wieder mit Alice Weidel einer Meinung. Die sagte: „Wer in Deutschland das ›freie Syrien‹ feiert, bei dem liegt augenscheinlich kein Fluchtgrund mehr vor. Er sollte umgehend nach Syrien zurückkehren.“ Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es nicht auch ganz bürokratisch korrekte Reaktionen geben würde: Das BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, hat direkt am Montag alle Asylverfahren von Syrer*innen gestoppt. Natürlich nur die, bei denen die Antragsstellenden eine Bleibeperspektive hätten. Verfahren nach dem Dublin-Abkommen werden weiterhin bearbeitet, um Schutzsuchende schnellstmöglich wieder aus dem Land zu schaffen.

Dienstag, 10. Dezember

Es ist ein bisschen (=sehr) lächerlich, dass der amtierende Bundeskanzler jetzt Wahlkampf macht statt Politik. Olaf Scholz hatte einige Jahre Zeit, gute Politik zu machen, und hat sich dagegen entschieden (bzw. zuerst natürlich für einen Koalitionspartner, mit dem „gute Politik“ von vorneherein ausgeschlossen war). Diese Woche schlug Olaf „Brechmittelfolter“ Scholz vor, die Mehrwertsteuer auf alle Lebensmittel auf 5 Prozent zu senken. Am Dienstagabend sagte er in den Tagesthemen: „Das würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen und es wäre für den Bundeshaushalt keine übermäßige Belastung.“ Und das stimmt. Denn für Menschen mit geringem Einkommen machen die Kosten für Lebensmittel im Verhältnis einen sehr viel größeren Anteil an den monatlichen Gesamtausgaben aus als bei reichen Menschen. Die Linke fordert deshalb schon länger, die Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel, Hygieneprodukte und Bahnfahrkarten gänzlich abzuschaffen, um arme Haushalte zu entlasten. Darüber hinaus bräuchte es aber auch mehr staatliche Regulierung der Preise, um zu verhindern, dass die Supermärkte die Steuersenkung nicht einfach durch höhere Grundpreise ausgleichen und sich so noch mehr als ohnehin schon auf Kosten der Kund*innen zu bereichern. Die Lidl-, Aldi-, Kaufland-Besitzer sind schließlich nicht einfach so die reichsten Menschen Deutschlands geworden. Was den armen Menschen auch zumindest kurzfristig helfen würde, wäre ein Gesetz, dass Supermärkte und Discounter zwingt Lebensmittel zu spenden, statt sie wegzuwerfen. In Frankreich hat ein entsprechendes Gesetz dazu geführt, dass die Tafeln spürbar mehr Spenden erhalten. In Deutschland teilten die Tafeln diese Woche mit, an ihre Kapazitätsgrenze gekommen zu sein. 60 Prozent der Einrichtungen müsse die Lebensmittelausgabe rationieren, sagte Andreas Steppuhn, Vorsitzender des Tafel-Dachverbandes. Bei einem Drittel gibt es demnach temporäre Aufnahmestopps. Immer mehr Menschen in Deutschland sind auf die Lebensmittelspenden der Tafeln angewiesen. Ein Grund ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine: Seit dessen Beginn sei die Zahl der Tafelkund*innen in Deutschland um 50 Prozent gestiegen. Aber auch die allgemein wachsende Armut in Deutschland, die hohen Preise insbesondere für frische Lebensmittel, Obst, Gemüse und Brot, und die abnehmenden Spenden der Supermärkte, bringen die Tafeln an ihre Grenzen. Auf lange Sicht wird es übrigens nicht reichen, die Handelsketten zum Spenden zu bewegen oder gesetzlich dazu zu verpflichten. Denn neue Technologien und Künstliche Intelligenz sorgen schon heute dafür, dass die Läden besser kalkulieren und weniger Lebensmittel wegwerfen. Es braucht vielmehr eine gerechte Besteuerung, die den Gewinn der Konzerne zugunsten des Staatshaushalts reduziert. So kann der Staat seiner Aufgabe gerecht werden und dafür sorgen, dass niemand hungern muss. Almosen von Superreichen sind undemokratisch, es braucht endlich eine echte Umverteilung des Reichtums.

Mittwoch, 11. Dezember

In Großbritannien wurde ein unbefristetes Verbot von Pubertätsblockern für unter 18-Jährige beschlossen. Gesundheitsminister, Wes Streeting, erklärte, dass das Verbot, das die staatliche Gesundheitsbehörde (NHS) im Mai umsetzte, nun unbefristet gelte. Eine Katastrophe für die Gesundheitsversorgung von trans* Kindern und Jugendlichen. Auslöser für das Verbot war der höchst umstrittene „Cass-Report, den Kritiker*innen als „grundsätzlich diskriminierend“ bezeichnen und darin einen Verstoß „gegen die Gleichheits- und Menschenrechtsvorschriften“ sehen. Bei der Verkündung des unbefristeten Verbots von Pubertätsblockern am Mittwoch heuchelte der Gesundheitsminister Verständnis für die Verzweiflung der Betroffenen. „„Ich weiß, dass es nicht einfach ist, in unserem Land ein trans Kind zu sein. Die Trans Community steht am falschen Ende aller Statistiken für psychische Erkrankungen, Selbstverletzungen und Selbstmordversuche. (…) Ich weiß, dass sich die Entscheidungen, die ich heute treffe, nicht so anfühlen werden, aber mir liegt das wirklich am Herzen und dieser Regierung auch. Ich bin entschlossen, die Qualität der Pflege und den Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle trans Menschen zu verbessern“, sagte Streeting. Wie er das konkret angehen will, sagte er nicht und es ändert auch nichts daran, dass sich die Situation für trans Kids, die jetzt von dem Verbot betroffen sind, massiv verschlechtert. Denn Pubertätsblocker haben genau einen Effekt: Sie zögern das Voranschreiten der körperlichen Entwicklung hinaus. Sie verschaffen den Jugendlichen Zeit. Eine einmal durchlaufene Pubertät ist nicht rückgängig zu machen. „Die Voraussetzung, überhaupt an Pubertätsblocker zu denken, ist eine bereits bestehende hohe diagnostische Sicherheit, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine persistierende transgeschlechtliche Entwicklung handelt, die sich nicht mehr ändern wird. Meist gibt es trotzdem Gründe, dem ganzen Prozess noch etwas mehr Zeit zu lassen. Und für ein solches Zeitfenster ist das eine vertretbare Option, um irreversible Veränderungen im Körper in beide Richtungen vorerst aufzuhalten“, erklärt der Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Georg Romer, der seit 25 Jahren Jugendliche mit Pubertätsblockern behandelt. Er sieht ein Verbot entsprechend kritisch: „Wenn wir zu lange abwarten, bevor wir eine Behandlung anbieten, hat die betroffene Person meist einen sehr langen vorprogrammierten Leidensweg vor sich. Eine trans Person ist natürlich nicht psychisch krank. Geschlechtsinkongruenz ist genau wie Homosexualität weder eine Störung noch eine Krankheit. Es ist eine Normvariante menschlicher Geschlechtervielfalt. Aber eine betroffene Person wird mit den sich fortschreitend entwickelnden Geschlechtsmerkmalen im Körper absehbar keinen Frieden finden. Es wird sich für sie immer falsch anfühlen. Und dieser dauerhafte Stress führt gemeinsam mit dem permanenten sozialen Druck, gesellschaftlich nicht akzeptiert zu sein, häufig zu psychischen Erkrankungen. Vierzig Prozent aller erwachsenen trans Personen berichten, schon mindestens einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch gemacht zu haben. Bei Jugendlichen sind es 19 Prozent. Das heißt auch, wenn man nichts tut und es einfach bis ins Erwachsenenalter laufen lässt, steigt das Risiko psychischer Erkrankungen.“ Pubertätsblocker wurden in Großbritannien übrigens lediglich für trans Jugendliche verboten. Cis Kinder, bei denen damit eine verfrüht einsetzende Pubertät aufgehalten wird, dürfen sie weiter erhalten.

Donnerstag, 12. Dezember

Die Polizist*innen, die für den Tod von Mouhamed Dramé verantwortlich sind, wurden am Donnerstag vom Dortmunder Landgericht freigesprochen. Am 8. August 2022 hatten sie den jungen Geflüchteten im Hof einer Jugendhilfeeinrichtung mit sechs Kugeln aus einer Maschinenpistole getötet. Mouhamed war im April des gleichen Jahres in Deutschland angekommen, in Dortmund war er erst wenige Tage. Die psychischen Probleme des Jungens waren bekannt, mehrfach hatte er Suizidgedanken geäußert. Er hatte sich selbst in eine psychiatrische Klinik begeben. An seinem Todestag war er gerade wieder in der Jugendhilfeeinrichtung angekommen. Er war im Hof, hielt sich ein Messer an den Bauch, war ganz offensichtlich verzweifelt. Ein Betreuer rief die Polizei. Die Cops rückten zu zwölft an, setzten Taser und Reizgas ein, bevor einer der Beamten mit einer Maschinenpistole sechs Mal auf den Jungen schoss. Fünf Kugeln trafen: in den Unterarm, zwei Mal in die Schulter, in den Bauch und in den Kiefer. Mouhamed war zu keinem Zeitpunkt aggressiv. Der WDR berichtet: „Aus dem Dortmunder Polizeifunkverkehr vom 08. August geht hervor, dass zwischen dem Einsatz des Pfeffersprays und den fast zeitgleichen Taser- und Maschinenpistolen-Schüssen nicht einmal 20 Sekunden lagen. Und das, obwohl Mouhamed bis dahin ruhig in einer Ecke saß, keine anderen Menschen bedroht hatte.“ Auch habe es keinerlei Warnung gegeben, weder vor dem Pfeffersprayeinsatz noch vor den tödlichen Schüssen. Nur ganz kurz und auf Spanisch sei Mouhamed von einem Beamten angesprochen worden. Eine Sprache, die er nicht verstand. Keine zwei Minuten habe der Gesprächsversuch gedauert. Fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Polizist*innen waren wegen Totschlags, gefährlicher Körperverletzung bzw. Anstiftung dazu angeklagt. Sie hätten „rechtmäßig gehandelt“, stellte Richter Thomas Kelm fest. Nach Auffassung dieses Mannes ist es „rechtmäßig“ einen nachweislich ungefährlichen Menschen brutal niederzumähen, ihn abzuknallen. Im Prozess blieben Mouhamed und seine Familie unsichtbar, der Getötete wurde erneut entmenschlicht. Auch die systemische rassistische Polizeigewalt bliebt unerwähnt. „Mouhameds Brüder Sidy und Lassana Dramé fordern, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben. Mouhamed ist kein Einzelfall“, sagte Anna Neumann, Pressesprecherin des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed nach der Urteilsverkündung. Bis heute hat keiner der Cops bei Mouhameds Angehörigen um Entschuldigung gebeten. Das Urteil des Dortmunder Landgerichts ist auch über den konkreten Fall hinaus relevant. Es ist ein klares Signal an die Polizei: Ihr könnt töten, es wird euch nicht schaden. Die Justiz macht sich immer wieder zur Komplizin im System tödlicher Polizeigewalt. 17 Menschen wurden allein dieses Jahr von den Cops erschossen, so viele wie zuletzt vor 25 Jahren.

Freitag, 13. Dezember

Ein aktuelles „Lagebild“ des Bundeskriminalamts zeigt den massiven Anstieg queerfeindlicher Gewalt in Deutschland. Insgesamt 1.785 Straftaten gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen registrierte die Behörde 2023, fast fünf pro Tag. Ein Anstieg um rund 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend“, sagte Nancy Faeser am Freitag. Erschreckend vielleicht, Frau Bundesinnenministerin, aber nicht überraschend. Queerfeindliche Hetze ist Mainstream in Deutschland und immer öfter wird sie ganz offen artikuliert und damit normalisiert. So plant zum Beispiel der ehemalige und zukünftige Koalitionspartner von Faesers Partei, die CDU/CSU, laut ihrem Wahlprogramm, das gerade erst eingeführte Selbstbestimmungsgesetz wieder abzuschaffen. Wahlkampf auf dem Rücken queerer Menschen, einfach weil es derzeit erfolgversprechend ist.

Samstag, 14. Dezember

In Berlin-Friedrichshain haben sich am Samstag über 3.000 Menschen einem elendigen Häufchen von 60 Neonazis in den Weg gestellt. Die Faschos wollten unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen jeden Linksextremismus“ durch den Kiez marschieren, haben aber ihre Rechnung ohne die lokale Antifa gemacht. Obwohl die Polizei erwartungsgemäß alles gegeben hat, um die Gegenproteste von der Straße zu knüppeln, gelang es ihr nicht, den Nazi-Aufmarsch wie geplant durchzusetzen. Nach knapp 1.000 Metern, die von durchgehendem Pfeifkonzert und „Nazis raus“-Rufen begleitet waren, wurde die Demo vorzeitig abgebrochen. Danke Friedrichshain, Danke Antifa.

Sonntag, 15. Dezember

Heute wurde bekannt, dass vier feige Nazis auf ihrem Weg zum Aufmarsch einen Wahlkampfstand der SPD in Steglitz-Zehlendorf angegriffen haben. An einer Bushaltestelle sollen die vier Männer zwei SPD-Wahlhelfende zunächst beleidigt und dann körperlich attackiert haben. „Die Wahlhelfenden gingen zu Boden. Auf einen prügelten die Tatverdächtigen ein, traten mit Springerstiefeln mehrfach massiv gegen Kopf und Rumpf“, berichtet der rbb. Auch zwei hinzugekommene Polizisten seien verletzt worden, einem brachen die Nazis die Hand, dem anderen fügten sie mit einer Glasscherbe eine Schnittwunde im Gesicht zu. Die Staatsanwaltschaft teilte heute mit, vier Tatverdächtige festgenommen zu haben, junge Männer im Alter zwischen 16 und 19 Jahren, für die Untersuchungshaft beantragt wurde.

Das wars für heute, ich danke euch wie immer fürs Lesen. Wer kann und will: via PayPal gibt es die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, die Arbeit am Wochenrückblick dauerhaft zu finanzieren.

Newsletter (kostenlos!) abonnieren