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Beatrix von Storch und weitere selbsternannte Lebensschützer*innen beim "Marsch für das Leben" am 19. September 2020 in Berlin. Foto: Celestine Hassenfratz.

Lebensschutz mit (Haken-)Kreuz

Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung wird von bürgerlichen Christ*innen und Rechtsextremen gleichermaßen bekämpft. Während die einen vorgeben, nur das ungeborene Leben schützen zu wollen, befürchten die anderen den Volkstod.

Heute ist internationaler „Safe Abortion Day“, ein guter Anlass, eine neue Serie auf „Der Hase im Pfeffer“ vorzustellen. In der neuen Kategorie „Mein Körper, meine Entscheidung“ wird es hier regelmäßig Beiträge über sexuelle und körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Rechte geben. Dazu gehört neben den Themen Sexualität und Verhütung vor allem das Recht auf Abtreibung.

Abtreibungen sind verboten und stigmatisiert

Der „Safe Abortion Day“ geht zurück auf die „Campaña 28 Septiembre“, die 1990 den Aktionstag zur Entkriminalisierung von Abtreibungen in Lateinamerika und der Karibik ins Leben rief. Was viele nicht wissen: Auch in Deutschland sind Abtreibungen verboten, sie bleiben nur unter bestimmten Umständen straffrei. Mit den §§ 218 und 219a StGB ist das Verbot gesetzlich geregelt. Mediale Berichterstattung, popkulturelle Darstellung und gesellschaftlicher Diskurs sorgen zudem für ein Stigma, das den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen zusätzlich erschwert.

Während viele Menschen in Deutschland keine oder eine ambivalente Meinung zur Abtreibung haben, lassen die selbsternannten Lebensschützer*innen keine Zweifel an ihrer Position. Als radikale Abtreibungsgegner*innen lehnen sie die elementare körperliche Selbstbestimmung von Schwangeren ab und vertreten die These, das menschliches Leben mit der Zeugung beginne. Während letzteres als private Meinung durchgeht, die jede*r für sich vertreten darf, greift ersteres die Freiheit anderer an.

Wer gegen Abtreibung ist, soll halt keine haben

Lebensschützer*innen treten für ein grundsätzliches Abtreibungsverbot ein und haben mit dem „Bundesverbandes Lebensrecht“ eine einflussreiche Lobbyorganisation gegründet, deren Mitgliedsvereine meist unverfängliche Namen haben, wie „Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA)“, „Ärzte für das Leben“ oder „Jugend für das Leben“. Die Mitglieder sind häufig fundamentale Christ*innen, die neben Abtreibungen und Pränataldiagnostik auch Sterbehilfe oder die gleichgeschlechtliche Ehe ablehnen. Der Mitgliedsverein „Weißes Kreuz“ bietet bundesweit und online Beratung u.a. zu den Themen Internetsexsucht, Eheleben und Enthaltsamkeit und nennt Homosexualität neben Pädophilie und „Transsexualität“ eine „sexuelle Identitätsstörung“.

Der „Bundesverband Lebensrecht“ fordert „ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“ und findet damit auch in bürgerlich-konservativen Kreisen Anklang. So zählen die „Junge Union“ und die „Senioren-Union“ bis heute zu den „ideellen Unterstützern“.

„Marsch für das Leben“

Seine misogynen und fundamentalistischen Forderungen trägt der „Bundesverband Lebensrecht“ seit 2002 mit dem „Marsch für das Leben“ (bis 2006 unter dem Namen „1000 Kreuze für das Leben“) öffentlichkeitswirksam auf die Straße. Beim diesjährigen „Marsch“ versammelten sich neben den Angehörigen des Bundesverbands auch Rechtsextreme aller Lager, von AFD bis Identitäre Bewegung.

Celestine Hassenfratz hat den Marsch, an dem sich laut Veranstalter dieses Jahr rund 3.000 Menschen beteiligten, mit der Kamera begleitet.

Die Neonazis finden im Kampf gegen die sexuelle und körperliche Selbstbestimmung schon lange einen Anknüpfungspunkt zum christlich-bürgerlichen Lager. So ließen in der Vergangenheit immer wieder prominente Politiker*innen von CDU/CSU Grußworte beim „Marsch für das Leben“ verlesen, darunter Anette Schavan, Volker Kauder, Karl-Theodor zu Guttenberg, Dorothee Bär, Wolfgang Bosbach oder Philipp Amthor.

Letzterer beklagt in seinem diesjährigen Grußwort, der „vermeintlich moderne Zeitgeist“ suche „seine Antworten auf drängende Fragen der Zeit (…) allzu oft nur in der autonomen Entscheidung durch den Einzelnen und in der Selbstbestimmtheit des Einzelnen“. Amthor erteilt dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung damit eine deutliche Absage. Er fordert mehr Beharrlichkeit beim Einsatz für die „gemeinsame Überzeugung“ und will diese „wieder mutig in den Fokus der gesellschaftlichen Debatte rücken“. Er bedauert, nicht selbst am Marsch teilnehmen zu können: „Leider erlauben es mir terminliche Verpflichtungen nicht, bei Ihnen zu sein“.

Lebensschützer*innen gegen den „großen Austausch“

Statt Amthor war Beatrix von Storch ein prominenter Gast in diesem Jahr. Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion ist ganz auf Parteilinie, wenn sie eine „Willkommenskultur für Kinder“ fordert. Menschenrechte interessieren die AFD bekanntlich nicht, allerdings sieht sie eine „dramatische Zunahme der Ehe- und Kinderlosigkeit“ und damit „eine Schrumpfung unserer angestammten Bevölkerung“. Der angebliche „Trend zur Selbstabschaffung“ dürfe nicht durch das „Recht der Selbstverwirklichung“ vorangetrieben werden. Hier schließt sich der Kreis zwischen den selbsternannten Lebensschützer*innen und der extremen Rechten, deren Narrativ des „großen Austauschs“ eng mit dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ verflochten wurde.

Die „Austausch-Erzählung“ geht in etwa so: Mächtige Geheimeliten (oft „die Juden“) planen die europäische Bevölkerung durch kulturell fremde Gruppen zu ersetzen, da diese leichter zu lenken seien. Dieser Bevölkerungsaustausch würde zum einen durch Immigration vorangetrieben, zum anderen durch den „Volkstod“, für den vor allem Feminist*innen verantwortlich seien, indem sie Abtreibungen fördern und klassische Familienmodelle zerstören würden.

Körperliche Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht

Feministische Gruppen, wie das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, setzen sich für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ein, wozu auch der sichere und kostenfreie Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gehört. Anlässlich des „Safe Abortion Day“ veröffentlichte das Bündnis drei zentrale Forderungen:

  1. „Schwangerschaftsabbrüche müssen flächendeckend verfügbar sein! […] Als Standardeingriff muss der Schwangerschaftsabbruch daher auch grundlegender Bestandteil von Lehre und Forschung sein.“
  2. „Alle Schwangeren müssen das Recht auf und den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch haben. Weder Alter, sozialer Status, Behinderung, Weltanschauung, rassistische Zuschreibungen, Aufenthaltsstatus, Sexualität oder Geschlechtsidentität dürfen dabei eine Rolle spielen.“
  3. „Wir fordern, dass Schwangere endlich als zurechnungsfähig anerkannt werden und selbstbestimmt über ihre Körper entscheiden können. Schluss mit Kriminalisierung und Zwangsberatung!“

Im nächsten Teil dieser Reihe wird es einige Basisinformationen über reproduktive Rechte in Deutschland und weltweit geben. Im Rahmen des Formats „Mein Körper, meine Entscheidung“ sind Themenvorschläge und auch Gastbeiträge willkommen. Hier könnt ihr Kontakt aufnehmen.

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