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Owen Hurcum, erste*r non-binary Bürgermeister*in der Welt. (Illustration von mir, Foto im Hintergrund gemeinfrei)

Still a Man’s World

Ein Femizid in Bayern, ein Skandalurteil in Gera, der § 218 wurde immer noch nicht abgeschafft und der jeher von Männern geführte Nahostkonflikt eskaliert, aber ein Städtchen in Wales hat jetzt eine*n nicht-binäre*n Bürgermeister*in. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW19

Montag, 10. Mai

Owen Hurcum, 23, ist Wales‘ erste*r non-binary Bürgermeister*in. Owen war zuvor schon Mitglied im Stadtrat von Bangor, der knapp 18.000 Einwohner*innen-Stadt im Nordwesten von Wales. Zuletzt war Owen ein Jahr lang stellvertretende*r Bürgermeister*in. Auf Twitter schreibt Owen: „Als ich vor zwei Jahren mein Coming-Out hatte, war ich so besorgt, dass ich von meiner Gemeinde geächtet würde oder Schlimmeres. Heute hat mich meine Gemeinde als Bürgermeister*in unserer großen Stadt gewählt. Als jüngste*r Bürgermeister*in in Wales. Als erste*n offen nicht-binäre*n Bürgermeister*in einer Stadt überhaupt. Mehr als demütig, Danke Bangor.“

https://twitter.com/OwenJHurcum/status/1391824181696909317?s=20

Dienstag, 11. Mai

Der Katholische Kinder- & Jugendbuchpreis wird dieses Jahr nicht vergeben. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte die Vergabe an das Buch „Papierklavier“ gestoppt, da dieses nicht den Kriterien des Statuts entspreche. Über die Details wird sich ausgeschwiegen. Ob es daran liegt, dass in der Geschichte der österreichischen Autorin Elisabeth Steinkellner eine trans Person vorkommt, wie vielfach vermutet, wurde offiziell nicht bestätigt.

https://twitter.com/LinksLesen/status/1392195028529950720?s=20

Auch am Dienstag

Die diesjährigen Grimme-Preisträger*innen sind vor allem eins: weiß. Einzige Ausnahme: Mai Thi Nguyen-Kim, die einen Sonderpreis „für ihre sowohl wissenschaftlich hochkompetente als auch breitenwirksame Informationsvermittlung zum Thema Corona in ihrem funk-Format ‚maiLab‘ sowie bei ihren Moderationen von ‚Quarks – Corona in 5 Minuten‘“ erhielt.

Ich will noch einen anderen Preisträger hier erwähnen: „Männerwelten“, ein 15-minütiger Spot, der vor einem Jahr zur Hauptsendezeit aus Pro7 lief. Darin führt Sophie Passmann durch eine fiktive Ausstellung, die sexuelle Gewalt gegen Frauen thematisiert. 2,04 Millionen Zuschauer*innen sahen live dabei zu, wie prominente Frauen über „Dick Pics“, Hasskommentare und sexualisierte Beleidigungen in Privatnachrichten berichteten. Im letzten Raum der Ausstellungen waren verschiedene Kleidungsstücke zu sehen, die Betroffene anhatten, als sie vergewaltigt wurden. Das Video wurde auf YouTube fast 4,4 Millionen Mal angeklickt. Anlass für die Ausstrahlung war, dass die beiden Entertainer „Joko und Klaas“ irgendeine Gameshow gewonnen haben und sie ihren Preis, 15 Minuten Sendezeit, für „Männerwelten“ einsetzten. Das ist ohne Frage lobenswert, genauso wie die Tatsache, dass sich die beiden Männer nach einem kurzen Eingangsstatement zurückzogen und Frauen zu Wort kommen ließen. Es hat ihnen viel Anerkennung eingebracht, die Sendezeit dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ zu widmen und es ist zweifelsohne wichtig, dass dadurch die Thematik einem breiten Publikum vielleicht erstmals vor Augen geführt wurde. Mich hat einiges daran gestört, was durch die Auszeichnung mit dem Grimme-Preis wieder aufgewärmt wurde. Unter anderem stört es mich, dass in den „Männerwelten“ ausschließlich nicht behinderte, cis Frauen und (bis auf eine Ausnahme) nur weiße Frauen zu Wort kommen, die meisten prominent. Die Auswahl der Protagonistinnen täuscht darüber hinweg, dass behinderte Frauen und Mädchen überproportional häufig Opfer von sexualisierter Gewalt sind. Auch trans Frauen sind verhältnismäßig stärker betroffen. Das wird in „Männerwelten“ mit keinem Wort erwähnt. Damit zeichnet der Clip das Bild der schönen, weißen, heterosexuellen, cis Frau als schützenswertes Opfer. „Männerwelten“ ist in keiner Weise innovativ: Es ist die ewig gleiche Erzählung der „armen Opfer“, denen sexuelle Gewalt „passiert“. Statt die Gewalt als die Tat von (überwiegend) Männern darzustellen, in den meisten Fällen (Ex-)Freunden oder Familienangehörigen, entscheidet „Männerwelten“ die Täter einfach auszublenden. Das Publikum darf bestürzt Betroffenheit ausdrücken, muss sich aber nicht damit auseinandersetzen, wer die Täter sind: Ehemänner, Brüder, Söhne, Freunde, Nachbarn und Kollegen.

Mittwoch, 12. Mai

In der Nacht des 12. Mai wurde eine 28-jährige Frau in Taufkirchen (Bayern) mutmaßlich von ihrem Ex-Partner getötet. Die Lehrerin ist laut Obduktion Opfer einer Gewalttat geworden. Ein 34-jähriger Mann wurde festgenommen.

In Gera fiel am Mittwoch das Urteil gegen einen 43-Jährigen, der im Juni 2020 seine 32-jährige Partnerin totgeschlagen hat. Der Täter hatte so massiv auf sie eingeprügelt, dass sie kurz darauf verstarb. Der Richter sagte, so einen massiven Fall von häuslicher Gewalt hätte er noch nie verhandelt. Der Femizid sei „der traurige Höhepunkt einer anderthalb Jahre langen gewaltsamen Beziehung“ gewesen. Im Dezember 2019 hatte der Täter die Frau bereits mit einer Axt angegriffen und schwer verletzt. Trotzdem sah das Gericht den Mordvorwurf nicht als belegbar an. Die tödliche Lungenembolie der Frau lasse sich nicht sicher auf die schweren Verletzungen zurückführen. Der Täter wurde zu einer Haftstrafe von acht Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, da der Richter es nicht als erwiesen ansah, dass der Mann die Frau wirklich habe töten wollen.

I don’t wanna live in a man’s world anymore.

Donnerstag, 13. Mai

In Glasgow haben Nachbar*innen die Abschiebung von zwei Männern (vorläufig) verhindert. Etwa 200 Personen waren beteiligt. Ein Mann hatte Medienberichten zufolge acht Stunden lang unter dem Fahrzeug gelegen, in dem die beiden Männer abtransportiert werden sollten. Einer der beiden, Lakhvir Singh aus Indien, bedankte sich anschließend durch einen Übersetzer für die Hilfe. Der 34-Jährige sagte: „Ich war erstaunt und überwältigt von der Unterstützung, die ich von den Menschen in Glasgow erhalten habe.“ Nicola Sturgeon, schottische Regierungschefin, kritisierte das britische Innenministerium für die Aktion. Sie twitterte, es sei unverantwortlich, inmitten der Coronakrise und ausgerechnet am Tag des Fastenbrechens inmitten der muslimischen Gemeinschaft so eine Aktion durchzuziehen.

Freitag, 14. Mai

Zusammen mit der CDU stimmten die Grünen in Hessen gegen die Öffnung der NSU-Akten. Diese sind bis zum Jahr 2134 unter Verschluss und enthalten offenbar wichtige Informationen über die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den rechtsextremen Terror und das Staatsversagen bei der Aufklärung. Eine Petition, die von fast 130.000 Bürger*innen unterzeichnet wurde, fordert die Öffnung der Akten. Doch die mitregierenden Grünen sind offenbar nur an antifaschistischer Aufklärungsarbeit interessiert, so lange sie in der Opposition sitzen. Sie entschieden sich für den Koalitionsfrieden und gegen Transparenz. Die Rechtfertigung der Partei: „Wahrung der Persönlichkeitsrechte von unbeteiligten Dritten und nicht zuletzt in Bezug auf den Schutz von Informant*innen über die rechte Szene“. Als wäre es nicht möglich, personenbezogene Daten von V-Leuten in den Akten zu schwärzen. Diese Partei ist einfach jedes Mal aufs Neue eine Enttäuschung.

https://twitter.com/robert_fietzke/status/1393113404957728768?s=20

Samstag, 15. Mai

Der 15. Mai ist der Aktionstag gegen den Paragrafen 218 StGB. Dieser regelt seit 150 Jahren das Verbot von Abtreibungen. Denn Schwangerschaftsabbrüche sind auch in Deutschland nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen straffrei. Abgetrieben wurde und wird immer. Kein Verbot, keine Kriminalisierung ändert das. Das einzige, was die gesetzlichen Bestimmungen beeinflussen ist die Sicherheit der Schwangeren. Nicht selten führen illegal durchgeführte Abtreibungen zu schweren Verletzungen oder sogar zum Tod. Zehntausende ungewollt Schwangere sterben jedes Jahr an den Folgen von unsachgemäß durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen.

Abtreibungen haben im Strafgesetzbuch nichts zu suchen, der Paragraf 218 muss ersatzlos gestrichen werden. Schwangerschaftsabbrüche müssen wie andere Behandlungen der medizinischen Versorgung für ungewollt Schwangere kostenlos zugänglich sein. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass der Beratungszwang beendet wird, der es Schwangeren vorschreibt, zunächst eine Beratungsstelle aufzusuchen, bevor sie sich zur Abtreibung entscheiden. Schwangere Menschen müssen das Recht haben, selbstbestimmt und frei über sich, ihren Körper und ihre Zukunft zu entscheiden. Schwangerschaftsabbrüche müssen verbindlich in die fachärztliche Ausbildung integriert werden.

Sonntag, 16. Mai

Ich habe mich bislang nie öffentlich zum sogenannten Nahostkonflikt geäußert, mir fehlt da wichtiges Wissen über die Historie und die politische Entwicklung. Ich habe immer das Gefühl gehabt, meine „Meinung“ dazu sei nicht von Belang, es sei besser dazu zu schweigen. Aber dieses Schweigen ist ein großes Privileg. Es ist ein Augenverschließen und es ist ein bequemes „ich weiß nicht genug, deshalb schweige ich“. Es ist die Angst davor, mich angreifbar zu machen, Fehler zu machen auf dünnem Eis.

Ich habe nicht genug Wissen. Aber hat das irgendjemand?

Was ich weiß: ich stehe solidarisch an der Seite der Jüdinnen*Juden in Deutschland, die bedroht und angegriffen werden, die sich rechtfertigen sollen für eine rechtskonservative, rassistische Politik, die sie nicht zu verantworten haben. Ich trete aktiv gegen Antisemitismus ein und verurteile die Gewalt, die Bedrohung und die Verächtlichmachung von Jüdinnen*Juden.

Was ich weiß: ich lehne die Hamas ab und alle, die Israel das Existenzrecht absprechen. Die Hamas ist in meinen Augen keine Befreiungsorganisation, sondern eine Terrorgruppe, die die palästinensische Bevölkerung als menschliche Schutzschilde in ihrem Feldzug gegen Israel opfert.

Was ich weiß: Ich bin entsetzt über die massive Gewalt des israelischen Militärs. Die Bombardierung eines Geflüchtetencamps und die Tötung von Familien mit Kindern. Die völkerrechtswidrige Bombardierung des Medien-Hochhauses in Gaza. Ich bin entsetzt über die Eskalation der Gewalt und das Töten von Zivilist*innen auf beiden Seiten.

Was ich weiß: ich verurteile die israelische Siedlungspolitik, die Besatzung und die Entrechtung palästinensischer Menschen. Rassismus und Polizeigewalt sind nicht gerechtfertigt oder „weniger schlimm“, wenn sie von Israelis ausgehen.

Was ich weiß: ich bin entsetzt über die innerisraelische Gewalt, über Jagdszenen und Lynchmorde in Ostjerusalem, bei denen Juden und Araber sowohl Opfer als auch Täter sind.

Was ich weiß: ich wünsche mir Frieden und ein Ende der Gewalt.

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