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Bahar Aslan wurde als Dozentin von der Polizeihochschule NRW gefeuert.

Bedenkliche Signale

Eine Polizeihochschule feuert ihre Dozentin, Ron DeSantis will Präsident werden, in Mailand kommt es zu transfeindlicher Polizeigewalt und endlich geht es Rammstein an den Kragen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW21

Montag, 22. Mai

Die Lehrerin und freiberufliche Dozentin Bahar Aslan wurde am Montag von der Hochschule für Polizei und Öffentliche Verwaltung NRW (HSPV) gefeuert, weil sie in einem Tweet auf die Realität des strukturellen Rassismus in der Polizei hinwies. „Aus Sicht der Hochschulleitung ist die Dozentin aufgrund ihrer aktuellen Äußerungen ungeeignet, sowohl den angehenden Polizistinnen und Polizisten als auch den zukünftigen Verwaltungsbeamtinnen und -beamten eine vorurteilsfreie, respektive fundierte Sichtweise im Hinblick auf Demokratie, Toleranz und Neutralität zu vermitteln“, heißt es in einem Statement der Hochschule. Bahar Aslan erfuhr durch Journalist*innen von ihrem Rauswurf. Die Hochschule reagierte auf ihr Gesprächsanagebot nicht. „Ich bin überrascht, dass sie das gemacht haben, ohne mit mir zu reden. Ich hatte dem Fachbereichsleiter und dem Innenministerium jeweils ein Gesprächsangebot gemacht. Dass sie mich rauswerfen, ist gesellschaftlich ein bedenkliches Signal“, sagte Aslan zu Zeit Online. Doch der Reihe nach. Am Wochenende hatte Bahar Aslan getwittert: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten,weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität,sondern die von vielen Menschen in diesem Land.“ Rechtstwitter reagierte sofort und die Kölnerin erhielt unzählige Hassnachrichten. Der „Focus“ sprang auf den Zug auf und veröffentlichte am Sonntag einen Artikel mit der Überschrift: „Polizeihochschul-Dozentin beschimpft Polizisten als ‚braunen Dreck‘“. Doch die rechte Cancel Culture war auch dann noch nicht fertig, nachdem die Polizeihochschule die Zusammenarbeit mit Bahar Aslan beendete. Als nächstes ging es Aslans hauptberuflicher Existenz an den Kragen. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ prüft die Bezirksregierung Münster dienstrechtliche Konsequenzen gegen die verbeamtete Lehrerin. Am Donnerstag reichte Bahar Aslan Klage gegen die Hochschule ein.

Dienstag, 23. Mai

Im Fall des am Neujahrsmorgen in Braunschweig festgenommenen und anschließend in einer Polizeizelle zu Tode gekommenen 38-jährige Mamadou B. gibt es eine neue, wichtige Erkenntnis. Damals hieß es, der aus Guinea stammende Mamadou B. habe in einem Lokal Pfefferspray versprüht und sei daraufhin verhaftet worden. Wie die Braunschweiger Zeitung in Berufung auf die Staatsanwaltschaft jetzt berichtet, war der 38-Jährige jedoch nicht Täter, sondern Opfer der Reizgas-Attacke. „Wie die Auswertung einer Videoaufnahme durch die Staatsanwaltschaft ergeben hat, war es entgegen der Zeugenaussagen nicht B., der das Pfefferspray einsetzte. Vielmehr verletzten offenbar drei junge Männer im Alter von 20, 21 und 26 Jahren B. und andere Gäste“, heißt es in der taz. Auch fünf Monate nach seinem Tod gibt es keine Erkenntnisse darüber, wie der Mann, den Angehörige und Freunde „Johnson“ nannten zu Tode kam.

Mittwoch, 24. Mai

Am Mittwoch führten Beamt*innen des bayerischen Landeskriminalamts (LKA) und der Generalstaatsanwaltschaft München deutschlandweit Razzien gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ durch. Insgesamt wurden 15 Objekte durchsucht. Gegen sieben Personen im Alter von 22 bis 38 Jahren wurden Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Die Generalstaatsanwaltschaft München fand es unnötig, zwischen Verdacht und Verurteilung zu unterscheiden und ließ die Webseite der Letzten Generation beschlagnahmen. Statt die Homepage der Gruppe zu erreichen, wurden User*innen auf eine Seite des LKA umgeleitet, dort stand dann in drei Sprachen der Hinweis: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)“ Mark Zöller, Jurist an der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärte der Tagesschau, die Formulierung sei „absolut unzulässig“. Es sei stark umstritten und nicht ansatzweise geklärt, ob die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung im Sinne des deutschen Strafgesetzbuchs eingestuft werden könne. „Alles andere ist reine Vorverurteilung und mit dem für staatliche Stellen geltenden Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot unvereinbar“, sagte Zöller. Später räumte die Behörde ein, bei der Beschlagnahmung „einen Fehler“ gemacht zu haben. Insgesamt scheint die Aktion vor allem ein Einschüchterungsversuch gewesen zu sein. Die Aktivistin Carla Hinrichs berichtete anschließend in einem Video, sie habe noch geschlafen, als die bewaffneten Einsatzkräfte ihre Wohnung gestürmt hätten. Ein Polizist in schusssicherer Weste habe vor ihrem Bett gestanden und eine Waffe auf sie gerichtet: „Das macht Angst. Sie machen mir Angst. Sie versuchen mir Angst zu machen. Weil wir jeden Tag allen vor Augen führen, dass diese Regierung gerade ihre Verfassung bricht.“ Es ist erschreckend, welche Maßnahmen der Staat auffährt, um die Aktivist*innen einzuschüchtern, zu kriminalisieren und daran zu hindern, sich gegen die Untätigkeit der Politik zu engagieren. Statt entschieden gegen die immense Gewalt einzustehen, denen die friedlichen Aktivist*innen auf den Straßen ausgesetzt sind, nannte der Bundeskanzler die Letzte Generation „völlig bekloppt“.

Donnerstag, 25. Mai

Der extrem rechte Gouverneur des US-Bundesstaats Florida, Ron DeSantis, kündigte in der Nacht zu Donnerstag (deutscher Zeit) an, ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur für die Republikaner einzusteigen. Er macht damit seinem einstigen Förderer Donald Trump Konkurrenz. Ein interessantes Detail über DeSantis Ankündigung ist, dass er dafür einen Twitterspace mit Elon Musk gewählt hat. Tesla- und Twitterbesitzer Musk ist seit einiger Zeit auf einem rechtsextremen, verschwörungsideologischem Feldzug gegen alles, was er „woke“ nennt. Seine antisemitischen Tweets wechseln sich mit rassistischen Tiraden über den angeblich „großen Austausch“ der weißen Bevölkerung durch Geflüchtete ab. Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, ist die Plattform zu einem Wohlfühlort für Neonazis geworden, alles unter dem Deckmantel der „Free Speech“. Die Journalistin, Autorin und Podcasterin Annika Brockschmidt stellte in einem Gastkommentar für den BR fest: „Allein in den ersten drei Monaten nach Musks Übernahme von Twitter hat sich die Anzahl von antisemitischen Tweets bis März mehr als verdoppelt. Die Zahl neu geschaffener Accounts, die Antisemitismus verbreiten, hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdreifacht.“

Kein Wunder, dass Musk und DeSantis sich so gut verstehen. Sie stehen beide für eine erstarkende Front ultrakonservativer, marktradikaler Turbokapitalisten, die emanzipatorische Kämpfe wie „Black Lives Matter“ oder LGBTQIA-Pride zum ultimativen Feind erklärt haben. Während DeSantis und seine Anhänger*innen häufig christlich-fundamental argumentieren und Besorgnis um den „Kinderschutz“ vortäuschen, sind die Leute aus dem Musk-Lager eher verschwörungsgläubige Incels mit einem Aktiendepot. Wie es in den USA unter President DeSantis aussehen könnte, sehen wir derzeit in Florida, wo alle, die nicht weiß, christlich, hetero und cis männlich sind, reihenweise Rechte verlieren. Wie die Tagesschau am Montag berichtete, warnt die US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation NAACP jetzt sogar vor Reisen nach Florida. „Florida ist offen feindselig gegenüber Afroamerikaner*innen, People of Color und LGBTQ+ Personen“, heißt es in einem Statement. Derrick Johnson, Präsident und CEO der NAACP erklärte: „Unter der Führung von Gouverneur Desantis ist der Staat Florida feindlich gegenüber schwarzen Amerikaner*innen geworden und steht in direktem Konflikt mit den demokratischen Idealen, auf denen unsere Nation gegründet wurde. Er sollte wissen, dass die Demokratie siegen wird, weil ihre Verteidiger*innen bereit sind, aufzustehen und zu kämpfen. Wir geben nicht nach und ermutigen unsere Verbündeten, sich uns im Kampf um die Seele unserer Nation anzuschließen.“

Andreas Scheuer (CSU) gratulierte seinem neues besten Freund DeSantis übrigens mit folgenden Worten auf Twitter: „Die Ankündigung seiner Präsidentschaftskandidatur 2024 mit @elonmusk @RonDeSantis rockt das Internet. Die Entscheidung kommt für mich nicht überraschend. Ich habe Ron als geradlinigen, freundlichen und dynamischen Politiker kennengelernt – ein erfolgreicher Gouverneur. Ich freue mich auf unser nächstes Treffen- Glückwunsch und alles Gute.“

Freitag, 26. Mai

Wie am Freitag bekannt wurde, ereignete sich diese Woche in Mailand ein erschütternder Fall von transfeindlicher Polizeigewalt. Die aus Brasilien stammende trans Frau „Bruna“ wurde von drei Polizisten mit Pfefferspray und Schlagstöcken angegriffen und schwer misshandelt. Ein Zeuge hatte vom Balkon aus das Geschehen gefilmt (bitte schaut das nicht an, es ist brutal. Ich verlinke es nur wegen der Quelle). Bruna sitzt auf dem Bordstein mit erhobenen Händen, die Männer schlagen mehrfach auf sie ein, auch auf den Kopf, sprühen Reizgas und nehmen sie schließlich fest. Einer der Polizisten tritt die bereits am Boden fixierte Frau gegen die Beine. Das Opfer berichtete hinterher: „Ich war high und sehr aufgebracht. Aber ich habe nichts falsches gemacht, ich habe niemanden attackiert.“ Die Polizei behauptete nach der Veröffentlichung des Videos, sie sei von Eltern alarmiert worden, Bruna habe vor einer Schule Kinder belästigt und sich entblößt. Sie habe eine Einsatzkraft mit den Worten „Ich infiziere dich, ich habe AIDS“ bedroht. Zeug*innen widersprechen dieser Darstellung und auch die Schulleitung bestätigte später, es habe keinerlei Beschwerden über Bruna gegeben, die sich häufiger in dem Park nahe der Schule, wo mehrere obdachlose Menschen lebten, aufgehalten habe. Für die italienische Initiative „Movimento Identità Trans“ zeigt der Vorfall „die gewöhnliche, alltägliche Gewalt eines Systems, das von der Wurzel bis zu den Ästen völlig verrottet ist. Es ist die Gewalt eines Unterdrückungssystems, das uns vernichten will, weil es Angst vor uns hat: vor unserer Freiheit, unserer Fabelhaftigkeit und unserer Selbstbestimmung. Wir sehen es seit Monaten und wir prangern es seit Monaten an: Wir sind die Zielscheibe eines blinden, rüpelhaften, vulgären und kleinlichen Hasses; eines feigen und faschistischen Hasses“. Doch die Gruppe will sich nicht einschüchtern lassen: „Wie viele Stockhiebe müssen wir noch ertragen, um den Stilettoabsatz in die Hand zu nehmen, der in Stonewall unsere Revolte war? Unsere Haut ist zäh, ihr werdet sie nicht zerkratzen; aber unsere Geduld ist bereits am Ende. Schwester, wir sind mit dir: denn wenn sie einen von uns angreifen, greifen sie uns alle an!“

Samstag, 27. Mai

Endlich bekommt das, was wie viele seit Jahren vermuten eine etwas größere Aufmerksamkeit. Eine junge Frau aus Irland, die sich in den sozialen Netzwerken Shelby Lynn nennt, machte öffentlich, dass sie auf einer der berühmten „Pre-Parties“ beim Rammstein-Konzert in Vilnius am vergangenen Montag unter Drogen gesetzt worden und später aufgefordert worden sei, mit Till Lindemann Sex zu haben. Sie habe sich geweigert, worauf der 60-Jährige aggressiv geworden sei. Shelby Lynn sei am nächsten Morgen mit Erinnerungslücken und zahlreichen blauen Flecken aufgewacht. Fotos davon sowie Videos vom Konzert teilte sie auf Twitter und Instagram. Sie berichtete auch davon, wie sie von Lindemanns Assistentin, Alena Makeeva, und dem DJ der Band, Joe Letz, für die „Reihe Null“ (also den Graben vor der Bühne) und die Pre- bzw. Afterparties ausgewählt worden sei. Diese „Castings“ sind schon länger im Gespräch, immer wieder hört man davon. Mehrere Personen sind mutmaßlich damit beauftragt, (sehr) junge Frauen zu finden, die bei den jeweiligen Konzerten im Backstage, aber auch in Clubs und Hotelzimmern mitzufeiern. Wie viele Betroffene erzählen, würden die Frauen dort dazu gedrängt, viel zu trinken und manchmal auch Drogen zu konsumieren. Einige berichten zudem davon, dass sie ohne ihr Wissen mit Drogen versetzte Drinks bekommen hätten. Einige der Frauen (bei denen zumindest in Europa wohl darauf geachtet wird, dass sie volljährig sind) werden dann angeblich gefragt, ob sie mit Till Lindemann Sex haben möchten, bzw. sollen sie ihm teilweise auch einfach zugeführt worden sein. Und nicht nur der Frontmann der Band soll sich an diesem System aus Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt aktiv beteiligen. Vorwürfe stehen auch gegen Joe Letz und den Produzenten der Band Anar Reiband im Raum. Shelby Lynn hat nach eigener Aussage Anzeige erstattet und auf ihre Stories und Tweets meldeten sich zahlreiche weitere Betroffene, die eigene Erfahrungen mit Band und Crew schildern. Es sind beängstigende Geschichten. Fans und mutmaßlich auch Personen aus dem Umfeld der Band betreiben derweil offenbar eine Gegenkampagne und rufen sowohl dazu auf, Shelby Lynn als Lügnerin zu diskreditieren, als auch eigene (ausschließlich positive) Erfahrungen von den Parties zu teilen. In einer geleakten Gruppennachricht aus einem Messengerdienst, schreibt eine Person, die möglicherweise Alena Makeeva ist: „Please, post your story with photo and video about aftershow party and pre-show party! Tell to people truth about real situation (…) If you will not support us – May be zero row and aftershow party will canceled forever”, außerdem ruft sie dazu auf, die Hashtags #istandwithrammstein und #justiceforrammstein zu verbreiten. Ein offizielles Statement der Band gibt es bislang nicht.

Sonntag, 28. Mai

Puh! Das war viel diese Woche. Deswegen heute nur noch dieser Tweet:

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