Ein mutmaßlicher Rechtsterrorist kandidierte für die CDU, Lisa Eckhart hat eine neue uralte antisemitische Pointe und die BAMS heult mit Luke Mockridge. Immerhin ist Britney frei! Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW45
Montag, 8. November
In Zwickau ist am Montagabend ein Kamerateam des MDR von rechtsextremen Corona-Leugnern angegriffen worden. Der Angriff ereignete sich während eines sogenannten „Spaziergangs gegen Corona-Maßnahmen“. Unter anderem die rechtsextremistische Gruppierung „Freie Sachsen“ hatte zu der nicht-genehmigten Aufmarsch aufgerufen. Die MDR-Intendantin Karola Wille sagte: „Die immer gewalttätigere Auseinandersetzung um Corona-Maßnahmen ist erschreckend und unerträglich, der MDR verurteilt den Angriff aufs Schärfste.“
Dienstag, 9. November
Der 9. November ist historisch aufgeladen. Während viele Deutsche lieber nur an den Mauerfall im Jahr 1989 denken würden, ist es auch das Datum, das als „Reichspogromnacht“ in die Geschichte eingegangen ist. Am 9. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen, Schlägertrupps zerstörten jüdische Geschäfte und andere Einrichtungen, brandschatzten und randalierten. Jüdinnen*Juden wurden misshandelt, getötet und verhaftet. „Spätestens nun konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren“, schreibt die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) und ergänzt: „Diese Nacht war das offizielle Signal zum größten Völkermord in der Geschichte“.
Was nun den ORF dazu bewog, ausgerechnet an diesem Tag das neue Programm der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart auszustrahlen, wird vermutlich für immer ein Rätsel bleiben. (Versteht mich nicht falsch, wenn es nach mir geht, sollte das Programm auch an keinem anderen Tag im Fernsehen laufen.)
Lisa Eckhart, angebliches Opfer einer angeblichen „Cancel Culture“, die wegen antisemitischer „Witze“ bereits in der Vergangenheit vielfach kritisiert wurde, hat sich entschieden, ihren Antisemitismus noch schlechter zu kaschieren als ohnehin schon. „Wieso sind in Sachen Humor die Juden den Frauen zwei Nasenlängen voraus?“, fragt Eckhart und reißt damit den ältesten antisemitischen „Joke“ überhaupt. Die Pointe, die angeblich lange Nase von Jüdinnen*Juden, „in die Köpfe von Millionen Deutschen (und Österreichern) gebrannt durch Tausende judenfeindliche Karikaturen der Nazis und offensichtlich bis heute dort verankert“ (Bayerischer Rundfunk). Aber ist ja alles Satire, klaaaaar.
Mittwoch, 10. November
Jetzt kritisiert selbst der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, die EU für ihr unmenschliches Vorgehen gegen flüchtende Menschen. Bei einer Rede im EU-Parlament beschrieb er den grauenvollen Umgang mit den wehrlosen Menschen und nannte u.a. „die gewalttätigen Pushbacks, die das Schlagen von Flüchtlingen und Migranten mit einschließen“. Die Schutzsuchenden würden „manchmal nackt ausgezogen und in Flüsse geworfen oder zum Ertrinken im Meer gelassen“, sagte Grandi. Auch auf die katastrophale Situation an der Grenze zwischen Polen und Belarus ging Grandi ein. Leider wird die Rede des UN-Kommissars genauso wenig Gehör finden, wie die Appelle von Hilfsorganisationen, die seit Wochen auf die Zustände aufmerksam machen. Mindestens zehn Menschen sind an der Grenze gestorben – zuletzt erfror ein 14-jähriger Junge. Doch das Schicksal der Menschen spielt in der medialen Berichterstattung kaum eine, wenn dann eine untergeordnete Rolle. Dass die EU und ihre Mitgliedstaaten das Leiden und Sterben der etwa 2.000 bis 4.000 Menschen an der Grenze nicht nur ignorieren, sondern sehenden Auges zulassen, wird so gut wie nicht thematisiert, stattdessen wird es als eine militärische Auseinandersetzung konstruiert, die den Deutschen suggerieren soll: „Wir sind im Krieg“.
„Es ist ein alter Diskurs, Schutzsuchende zur Bedrohung zu stilisieren, gegen die man sich verteidigen müsse. Im aktuellen Fall lässt sich die Verantwortung mit Lukaschenko als gegnerischem Gegenüber besonders gut auslagern. Und wenn man sich im Krieg befindet, ist bekanntlich jedes Mittel recht. Eine bessere Legitimation für den sinnlosen Tod von Menschen gibt es kaum.“
analyse & kritik: „Deutsche Medien im Krieg“ (13. November 2021″)
Donnerstag, 11. November
Am Donnerstag wurde bekannt, dass bereits im September im hessischen Spangenberg (Schwalm-Eder-Kreis) ein 20-Jähriger wegen Terrorverdachts festgenommen wurde. Der Schreinerlehrling Marvin E. sitzt seitdem in U-Haft, weil bei ihm, neben etwa 600 selbstgebauten „Kleinsprengkörpern“ und Sprengfallen ein rassistisches Manifest gefunden wurde, in dem er zum „totalen Rassenkrieg“ aufruft. Gegen den Mann wird nun wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie wegen Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt. Dass die Festnahme erst durch Recherchen des Hessischen Rundfunks öffentlich wurde, liegt vielleicht auch daran, dass Marvin E. im März zur Kommunalwahl auf der Liste der CDU für die Stadtverordnetenversammlung und für einen Ortsbeirat kandidierte. Dieses „Detail“ deckte die Kasseler Antifagruppe „task“ auf. Ein erneutes Beispiel dafür, wie wichtig die autonome antifaschistische Arbeit ist. Die CDU selbst betont, dass es sich bei Marvin E. nicht um ein Parteimitglied handle. Über die Gesinnung des Terrorverdächtigen, der keine 200 Meter entfernt vom CDU-Stadtverbandsvorsitzenden, in derselben Straße, wohnt, habe man in der Partei nichts gewusst.
Freitag, 12. November
Im aktuellen SPIEGEL findet sich ein Interview mit Modedesigner Wolfgang Joop. Zwischen langweiligen Takes über Merkels Outfit und Werbung für seine aktuelle Öko-Kollektion für Lidl, haut Wolfgang Joop fast beiläufig den folgenden Satz raus: „Ich habe bei Lagerfelds Tod geweint, weil diese Welt so wunderbar frivol und frigide war. Alles war käuflich. Die Agenturen gaben die Schlüssel zu den Zimmern der Models, die nicht so viel Geld brachten, an reiche Männer. Und wenn sich ein Mädchen beschwerte, hieß es: Wir können auch auf dich verzichten.“ Was zur Hölle?!? Die Interviewer antworten, dass das doch „fürchterlich“ sei und Joop sagt: „Ja. Aber wirklich schön ist die Modewelt nur, wenn es auch die Sünde gibt.“ Es ist genau diese patriarchale Verklärung von sexualisierter Gewalt zu „schöner Sünde“ und „Frivolität“, die die rape culture jegliche MeToo-Bemühung überleben und florieren lässt.
Auch am Freitag
In Istanbul hat ein 27-jähriger Mann auf offener Straße eine 28-jährige Frau mit einem Samurai-Schwert getötet. Medienberichten zufolge kannten sich Täter und Opfer nicht. Der festgenommene Täter soll gesagt haben, er habe aus Langeweile jemanden töten wollen. Da ein Mann sich hätte wehren können, hätte er eine Frau angegriffen. Die NGO „Wir werden Frauenmorde stoppen“ zählte allein in diesem Jahr bisher 310 Femizide in der Türkei.
Samstag, 13. November
Britney Spears ist frei. Seit 2008 stand die heute 39-Jährige unter der Vormundschaft durch einen Rechtsbeistand und bis vor Kurzem auch durch ihren eigenen Vater. Ein Gericht in Los Angeles erklärte diese Vormundschaft nun offiziell für beendet. Britney Spears, einer der größten Popstars unserer Zeit, durfte 13 Jahre lang nicht für sich selbst entscheiden oder über ihr eigenes Leben bestimmen. So sei ihr u.a. untersagt worden, ihren Freund zu heiraten und die eingesetzte Spirale zu entfernen, um noch einmal schwanger zu werden. Fans auf der ganzen Welt feierten mit Britney Spears das Ende der Vormundschaft und auch ich bin glücklich, dass es gelungen ist, die Entmündigung der Sängerin zu beenden. Dass Britney Spears 13 Jahre ihres Lebens nicht selbstbestimmt verbringen durfte, ist auch das Ergebnis der Misogynie der (Boulevard-)Medien. Britney, die schon im Kindesalter vor der Kamera funktionieren musste, war während ihrer gesamten Karriere Projektionsfläche einer patriarchalen Gesellschaft, die jeden Schritt der Sängerin kontrollierte und verurteilte. Britney Spears war eine Gefangene des öffentlichen Blicks, der sie entweder als keusches, aber dennoch sexy All-American-Girl konstruierte oder als verlogenes Luder hinstellte. (Zu letzterem trug maßgeblich Justin Timberlake bei, der seine Karriere zu großen Teilen auf der Abwertung von Britney aufbaute.) Spätestens, als Britney Spears Mutter wurde, eskalierten die Redaktionen und Paparazzi komplett. Nichts, was Britney Spears sagte oder tat, blieb unkommentiert und nicht selten hämisch verurteilt. Als sich die damals 25-Jährige vor den Augen der Weltöffentlichkeit den Kopf rasieren ließ, galt Britney Spears für die Sensationsgeier vollends „gestört“. Menschen auf der ganzen Welt machten sich über sie lustig und Medien sowie Branchenkolleg*innen hatten eine ekelhafte Freude daran, Britney komplett zu zerstören. Am „Fall Britney“ lässt sich so vieles illustrieren, was im Patriarchat falsch läuft. Während ein männlicher Promi vermutlich als „Rockstar“ oder „Bad Boy“ umso beliebter werden würde, wird die Frau pathologisiert und als „Irre“ verlacht. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass Britney Spears ohne die Vormundschaft, nicht nur die Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnt, sondern auch die Deutungshoheit gegen die Hunde der Boulevardmagazine verteidigen kann.
Sonntag, 14. November
Die Bild am Sonntag (BAMS) widmet sich heute einem ihrer Lieblingsthemen: Täter-Opfer-Umkehr. Opfer des Tages ist Luke Mockridge, dem von seiner Ex-Freundin Ines Anioli sowie weiteren Frauen sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird. „Mockridge in der Nervenklinik. Der Komiker leider unter den Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken“ lautet die fette Schlagzeile in der Printausgabe. Das Wort „Hexenjagd“ fällt und es ist von „unzulässiger Verdachtsberichterstattung“ die Rede. Der BAMS-Artikel bezieht sich direkt auf die Spiegel-Recherche zu Luke Mockridge und lässt sie als fiese Verleumdung dastehen. Über Ines Anioli, die eine Anfrage der BAMS-Redaktion unbeantwortet ließ, heißt es: „In ihren Podcasts und Shows geht es fast immer um Sex.“ Was das mit den Vorwürfen gegen Luke Mockridge zu tun hat? Keine Ahnung. Für mich klingt es verdächtig nach einem miesen Versuch, Ines als unglaubwürdig hinzustellen. Das alte Lied von der durchtriebenen Frau, die gar nicht vergewaltigt werden könne, wenn sie so offen mit Sex umgehe. Das Schmutzblatt belässt es aber nicht bei diesem einen Seitenhieb. Der Artikel endet mit: „Aus ihrem Umfeld ist zu hören, sie habe ein Buch geschrieben, in dem sie ihre Erfahrungen verarbeiten will [sic]. Es soll Anfang 2022 erscheinen.“ So baut der Springerverlag das Framing der lügenden Frau auf, die sich aus erfundenen Vorwürfen einen Vorteil verschaffen will. Die Inszenierung des unschuldigen Comedians, der „die Welt nicht mehr“ verstehe und „psychisch komplett am Boden“ sei, weil der „unglaubliche Hass“ ihn „zerstört“, wirkt wie gewünscht. Über Ines Anioli bricht die nächste Welle des Hasses herein. Auf Instagram schreibt sie: „An Tagen wie heute merkt man wieder wie stark misogyne Gedankenstrukturen in den Köpfen vieler Menschen verankert sind“.