Beamt*innen soll zukünftig das Kopftuch verboten werden, immer mehr distanzieren sich vom LFT, in Potsdam wird weißen Rollstühlen gedacht und ich verrate, warum ich kein Sophie-Scholl-Fangirl mehr bin. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW18
Montag, 3. Mai
Am Montag war Internationaler Tag der Pressefreiheit. Im Jahr 2020 hat die Gewalt gegen Journalist*innen in Deutschland eine noch nie da gewesene Dimension erreicht, mindestens 65 gewalttätige Angriffe auf Medienschaffende wurden registriert. Die Zunahme der Gewalt liegt Expert*innen zufolge an den Schwurbel-Demos der Querdenker*innen.
Dienstag, 4. Mai
In einer Doppelhaushälfte in Backnang in der Nähe von Stuttgart hat die Polizei am Dienstag eine tote Frau gefunden. Die 25-Jährige wurde offenbar von ihrem vier Jahre älteren Lebensgefährten erstochen.
Ebenfalls am Dienstag tötete ein 51-Jähriger eine 52-jährige Frau in Schwabach (Bayern). Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt, „habe sich die Frau von ihrem Partner trennen wollen“. Die Polizei fand die Leiche mit mehreren Stichverletzungen in der Wohnung der Frau.
Auch in Österreich ereigneten sich diese Woche wieder zwei Femizide. Das Land hat inzwischen den traurigen Rekord: Es ist das einzige EU-Land, in dem es mehr Morde an Frauen als an Männern gibt. In diesem Jahr allein wurden in dem Land mit rund 8,9 Millionen Einwohnerinnen, bereits 11 Frauen getötet. Zuletzt erschoss ein 51-Jähriger in der Nacht zu Donnerstag seine ehemalige Lebensgefährtin (50) und ihre Mutter (76).
Mittwoch, 5. Mai
Immer mehr Einzelpersonen, Initiativen und Organisationen distanzieren sich vom „Lesbenfrühlingstreffen“ (LFT). Den Organisatorinnen wird vorgeworfen, trans Lesben auszuschließen und Referentinnen mit explizit transfeindlichen Positionen eingeladen zu haben. Die Bremer Frauensenatorin Claudia Bernhard (Linke) zog ihre Schirmherrschaft zurück und auch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die das virtuelle Treffen mit 2.700 Euro fördert, distanzierte sich. „Fast die Gesamtheit der namhaften LGBTI-Organisationen hat sich von der Veranstaltung zurückgezogen“, schreibt die taz.
Donnerstag, 6. Mai
Am Donnerstag fand in Potsdam ein Gedenkgottesdienst für die vier ermordeten Bewohner*innen des Oberlinhauses statt. Dafür wurden vier weißgestrichene Rollstühle auf die Bühne gestellt. Eine mindestens merkwürdige Idee, ist es doch normalerweise üblich, gerahmte Fotos der Toten aufzustellen oder große Blumengestecke. Die Getöteten sind:
Martina W.
(1990 – 2021)
Christian S.
(1985 – 2021)
Lucille H.
(1978 – 2021)
Andreas K.
(1964 – 2021)
Mir kommt es vor, als würde die Entmenschlichung der Getöteten auch nach deren Tod fortgesetzt. Es waren ja „nur Behinderte“. Auch in den Trauerreden blieben die Getöteten abstrakt, wurden auf ihr „Opfer sein“ reduziert. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke sagte: „Wir sind zutiefst erschüttert, weil es die Schwächsten waren, die besonders Hilfsbedürftigen, Menschen, die unsere Hilfe brauchen, die hier zu Opfern geworden sind.“ Es ging dann noch viel um das Vertrauen, dass jetzt bitte niemand in die Einrichtungen verlieren solle, denn dort würden ja alle so einen guten Job machen und sich „aufopferungsvoll“ um die Bewohner*innen kümmern. Die grausame Tat wird als tragischer Einzelfall einer psychisch Erkrankten abgetan. Alles, damit wir nicht über die entwürdigenden, teilweise katastrophalen Bedingungen reden, unter denen viele Menschen mit Behinderung leben müssen.
Freitag, 7. Mai
Der Bundesrat ein Gesetz gebilligt, das es erlaubt, Beamt*innen das Tragen religiöser Merkmale einzuschränken oder zu untersagen, „wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beinträchtigen“. Als Begründung wird die Neutralitätspflicht des Staates angeführt. Dem Gesetz vorausgegangen war ein Urteil im Falle eines Berliner Polizisten, der wegen eines rechtsextremen Tattoos entlassen wurde. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine eindeutige gesetzliche Regelung gefordert. Unter dieser werden in Zukunft aber vor allem Angehöriger religiöser Minderheiten in Deutschland leiden: Muslima mit Kopftuch und Juden mit Kippa. Die werden in ihrer Religionsfreiheit durch das neue Gesetz massiv eingeschränkt. Eine christliche Halskette oder ein tätowiertes Kreuz lässt sich ja easy unterm Hemdkragen verstecken.
Die Annahme, ein Mensch könne weltanschaulich nicht neutral urteilen, wenn er eine Kippa oder ein Kopftuch trägt, ist so unfassbar ignorant, dass es mir wirklich schwerfällt, hier sachliche Worte zu finden. Davon auszugehen, dass religiöse Menschen pauschal nicht in der Lage seien, objektive Urteile zu fällen, trieft von antimuslimischem Rassismus, Antisemitismus und Misogynie. Hier liegt die übliche patriarchale Haltung zugrunde, die den weißen Mann als Normalzustand definiert, der per se als „neutral“ und „objektiv“ gilt. Jede Person, die von dieser Norm abweicht, muss zunächst auf den Grad ihrer Andersartigkeit abgeklopft werden, um zu prüfen, wie „professionell“ sie sein kann. Als wäre die Entscheidung, ein Kopftuch oder eine Kippa zu tragen, untrennbar und automatisch mit einer ganzen Reihe weiterer Haltungen verbunden, die unmöglich mit den freiheitlich-demokratischen Grundwerten vereinbar seien.
Für das Gesetz stimmten CDU/CSU, SPD und AfD. Kritik kam unter anderem von den Linken, aber auch von Islamverbänden. Das Bundesinnenministerium betonte, Beamt*innen dürften „selbstverständlich“ weiter religiöse Symbole und Kleidungsstücke tragen. Dies könne nur „in einigen Ausnahmefällen“ untersagt werden, „nämlich dann, wenn der Staat klassisch hoheitlich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern auftritt“, also z.B. in Polizei und Justiz.
Samstag, 8. Mai
Warum der 8. Mai in Deutschland kein gesetzlicher Feiertag ist, wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Was könnten wir mehr feiern als das Ende des Nationalsozialistischen Terrors? Dass der „Tag der Befreiung“ vor allem die Welt vom Deutschen Reich befreit hat und weniger die Deutschen von ihrer faschistischen Gesinnung hat sich bei der komplett gescheiterten „Entnazifizierung“ gezeigt.
Für mich persönlich war der Samstag auch ein Tag der Befreiung, weil ich es endlich geschafft habe, meine Masterarbeit abzuschließen.
Sonntag, 9. Mai
Heute wäre Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. Eine gute Gelegenheit, Deutschlands zweitliebste Ikone des Widerstands (nach Graf von Stauffenberg) etwas genauer zu betrachten. Sophie Scholl war sieben Jahre lang, auch in leitender Position, aktives Mitglied des BDM, auch über das 18. Lebensjahr hinaus, ab dem die Mitgliedschaft freiwillig war. Sie war glühende Anhängerin des Nationalsozialismus und wandte sich erst in ihren letzten Lebensjahren davon ab. Eine führende Rolle im Widerstand, wie ihr posthum nachgesagt wird, hatte sie nie. Dass sie ihre Meinung änderte, ist lobenswert, aber macht es sie zur historischen Ikone? Rechtfertigt ihr kurzes, wenig einflussreiches Engagement in der Widerstandsgruppe die Verklärung zur Heldin, nach der in Deutschland rund 600 Straßen und etwa 200 Schulen benannt sind? Oder erfüllt ihr Andenken nicht viel mehr den Zweck, „gute christliche Deutsche“ zu verehren, die es ja schließlich auch gegeben hat?! „Es waren ja nicht alle Nazis!“ Wieso kennen wir alle Sophie Scholl und den Wehrmachtsoffizier Stauffenberg, aber kaum jemand Herbert Baum oder Antje Kind-Hasenclever? Vermutlich, weil sie jüdisch (Herbert Baum), bzw. Kommunist*innen (beide) waren.
Nichtsdestotrotz war Sophie Scholl eine mutige Frau, von der es mehr gebraucht hätte. Das Zitat, das die Deutsche Welle von ihr ausgesucht hat, ist für mich eine Art Lebensmotto: „Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben. Dafür brauchen wir einen harten Geist und ein weiches Herz.“