Generisches Femininum im Gesetzestext, notorischer Sexismus im Spiegel-Interview, fünf Femizide in Deutschland, der nächste „Einzelfall“ in der Polizei und weltweit wachsender Einfluss von Evangelikalen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW42
Montag, 12. Oktober
Helle Aufregung im Bundesinnenministerium am Montag! Doch wer jetzt glaubt, Horst Seehofer hätte endlich die unzähligen „Einzelfälle“ rechtsextremer Polizist*innen als Problem erkannt, täuscht sich. Der Heimatminister war wegen eines Gesetzesentwurfs des Bundesjustizministeriums so aufgebracht. Und zwar nicht wegen dessen Inhalt, sondern allein aufgrund der Form. Der Referentenentwurf zum neuen Sanierungs- und Insolvenzrecht war im generischen Femininum verfasst. Weil von „Geschäftsführerin“, Schuldnerin“ und „Verbraucherin“ die Rede war, behaupteten Seehofer und seine Leute, der Gesetzesentwurf sei möglicherweise sogar verfassungswidrig, weil durch die weibliche Form Männer explizit nicht angesprochen würden. Sich „mitgemeint“ fühlen sollen sich also grundsätzlich nur Frauen. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch erklärte im Interview mit rbbKultur „ein generischer Gebrauch des Femininums ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht sicher nicht anerkannt, ein generischer Gebrauch des Maskulinums aber eben auch nicht.“
Inzwischen hat das Justizministerium das generische Femininum wieder aus dem Gesetzesentwurf gestrichen. Der Druck von außen war wohl doch zu groß, das Gesetz sollte ohne weitere Reibereien auf den Weg gebracht werden. Ich bin dafür, dass wir ab jetzt immer das Gendersternchen nutzen, wenn vom „Bundes*innenministerium“ die Rede ist. Das wäre nur fair.
„Traditionen sind dazu da, dass sie irgendwann mal durchbrochen werden. Und diese Tradition des generischen Maskulinums muss auf jeden Fall durchbrochen werden. Die ist irre. Wenn sie je zeitgemäß war – jetzt ist sie es auf jeden Fall nicht mehr. Dieses generische Femininum war immer eher gedacht, um zu irritieren und um zu zeigen, wie absurd die Idee einer generischen Bezugnahme durch eine geschlechtlich spezifizierte Form ist. Deshalb ist es keine Lösung. Aber es ist natürlich eine interessante Strategie des Justizministeriums gewesen, um auf das Problem aufmerksam zu machen.“
Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der FU Berlin
Dienstag, 13. Oktober
Teresa Bücker hat für die SZ über das Alleinerziehen geschrieben. Darüber, dass es nicht als Notlösung gelten sollte, ein Kind ohne Partner*in großzuziehen. Dass Menschen nicht auf eine „passende“ Paarbeziehung warten sollen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen.
Die Vorstellung, romantische Liebe sei eine zwingende Voraussetzung fürs Gründen einer Familie, ist längst überholt, und dennoch hält sich das Ideal der Kleinfamilie aus „Vater, Mutter, Kind(er)“ hartnäckig. Das Stigma, das Alleinerziehenden anhaftet, lässt sich auch durch empowernde Selbstbezeichnungen wie „Single Mom“ oder „Solo Mama“ nicht so leicht abschütteln. Dazu tragen auch die gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bei, die Ein-Eltern-Familien nach wie vor schlechter stellen und es ihnen, ohne ein gut funktionierendes soziales Netz, nahezu unmöglich machen, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Politik und Wirtschaft haben kein Interesse daran, das Modell des heterosexuellen, cis geschlechtlichen Ehepaares als „Ideal-Familie“ zu überwinden, denn es sichert nicht nur die patriarchale Vorherrschaft, sondern den Kapitalismus höchst selbst. So können (überwiegend) die Frauen weiterhin in unbezahlter Care-Arbeit ausgebeutet werden, ohne die das gegenwärtige Wirtschaftssystem schlicht und einfach zusammenbrechen würde.
Das Private ist und bleibt politisch, weiß auch Teresa Bücker, die es so zusammenfasst:
„Je mehr Menschen ihr Leben in anderen Familienmodellen verbringen, desto mehr Druck entsteht auf Politik und Wirtschaft, für den Alltag dieser Menschen Rechte und Strukturen zu entwickeln. Dass also insbesondere von rechts immer wieder kritisiert wird oder versucht wird zu verhindern, schon in Kitas und Schulen über die Vielfalt von sexueller Orientierung und Identität zu sprechen, dass konservative Politik weitere Familienmodelle rechtlich nicht anerkennen und absichern will, hat nicht nur mit fehlender Toleranz, offener Ablehnung von queeren Menschen oder Antifeminismus zu tun – es geht darum, eine umfassende gesellschaftliche Veränderung, die die Wirtschaft einschließen würde, zu verhindern.“
Teresa Bücker in der SZ
Mittwoch, 14. Oktober
Im Deutschlandfunk Kultur sind zwei Beiträge über den Einfluss evangelikaler Christ*innen erschienen. Eine 25-minütige Reportage, die von evangelikalen Abtreibungsgegner*innen handelt, die weltweit, u.a. in Nigeria, auf dem Vormarsch sind. Ergänzend dazu ist ein knapp zehnminütiges Gespräch mit Gilian Kane von IPAS zu hören, einer US-amerikanischen NGO, die sich für reproduktive Selbstbestimmung einsetzt. „Unter Trump zum Beispiel war es schockierend zu sehen, wie viele Gesetze zurückgenommen wurden, die Frauen ermöglichten abzutreiben. Es ging soweit, dass in einigen Bundesstaaten nur einem einzigen Krankenhaus erlaubt war, die Abtreibungen im gesamten Bundesstaat vorzunehmen. Das ist schlimm“, sagt Gilian Kane.
Mittwochs kommt auch immer eine neue Folge von „Darf sie das?“, der Podcast von Nicole Schöndorfer, den ich ohne zu zögern als meinen absoluten Lieblings-Podcast bezeichne. (ganz knapp dahinter aber direkt Hengamehs „Auf eine Tüte mit…“) In Folge Nummer 70 geht „Schöni“ der Frage nach: „Wie soll man in diesem Gesellschaftssystem gesund bleiben?“ und traf damit bei mir -mal wieder- einen Nerv. Nach den niederschmetternden Ereignissen der letzten Woche mache ich mir wieder verstärkt Gedanken darüber, wie ein „richtiges Leben im falschen“ aussehen kann.
Der Kapitalismus macht krank, ist das kurzgefasste Fazit, denn er steht der Befriedigung unserer Bedürfnisse nach tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen, Zugehörigkeitsgefühl, persönlicher Identität und sinnstiftender Existenz im Weg. Das kapitalistische System beutet aus, produziert Einsamkeit und Entfremdung und isoliert uns in der Konkurrenz zu unseren Mitmenschen. „Der Kampf um unsere Gesundheit muss Teil des Klassenkampfes sein“, sagt Nicole Schöndorfer und liefert in ihrem Podcast wichtige Anregungen dafür.
Donnerstag, 15. Oktober
Wieder ein Femizid (von dem ich rechtzeitig höre, um im Wochenrückblick davon zu berichten). Alle 72 Stunden tötet in Deutschland ein Mann eine Frau. Meistens handelt es sich dabei um eine (Ex-)Partnerin. So auch offenbar in Berlin-Gesundbrunnen, wo ein 35-Jähriger in der Nacht zu Freitag gestand, seine „vier Jahre jüngere Freundin“ (Polizei) getötet zu haben. Das ist kein Beziehungsdrama, keine Tragödie, kein eskalierter Streit oder sonst was, es ist ein Femizid.
Weitere Femizide diese Woche:
Mittwoch, 14. Oktober, Schwäbisch Hall: Eine 94-Jährige wurde in ihrer Wohnung Opfer eines Tötungsdelikts.
Mittwoch, 14. Oktober, Waldstetten: Ein 44-jähriger Mann tötete seine 61-jährige Betreuerin mit einem Messer.
Dienstag, 13. Oktober, München: Ein 36 Jahre alter Mann gestand, seine 38-jährige Ehefrau erstochen zu haben, weil er Nachrichten auf ihrem Handy gelesen hatte, die er verdächtig fand.
Montag, 12. Oktober, Nürnberg: Eine 46-Jährige wurde tot in ihrer Wohnung gefunden. Der 52-jährige Ehemann wurde als Tatverdächtiger festgenommen. Nachbar*innen hatten Schreie gehört und die Polizei alarmiert, die bislang keine näheren Angaben zur tödlichen Gewalttat machte.
Freitag, 16. Oktober
Die Frankfurter Rundschau macht einen großen Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit und verkündete, von nun an „Frauen als Akteurinnen sichtbar machen“ zu wollen. In einer Erklärung der stellvertretenden Chefredakteurin, Karin Dalka, heißt es: „Das generische Maskulinum wird in der FR kein Standard mehr sein. Es lässt sich leicht ersetzen: durch geschlechtsneutrale Begriffe oder Partizipialformen. Sehr oft, aber nicht immer. Deshalb werden wir auch den Doppelpunkt nutzen (der das dritte Geschlecht mit umfasst).“ Der Entscheidung vorangegangen war eine rege Debatte mit den Leser*innen. Natürlich habe es einige gegeben, die die geschlechtergerechte Sprache in der Zeitung grundsätzlich ablehnten, doch andererseits „bestätigen uns die Zuschriften, dass sehr vielen Menschen das exklusive, Frauen (und Minderheiten) ausgrenzende Sprechen und Schreiben mittlerweile gänzlich unvertraut, ja fremd geworden ist. Und dass sie sich darüber ärgern. Weil, und das stellen Sie zu Recht fest, die männliche Dominanz in der Sprache patriarchalische Machtverhältnisse nicht nur abbildet, sondern auch zementiert.“
Ich feiere die Frankfurter Rundschau dafür. Denn leider ist dieser Schritt keine Kleinigkeit. Geschlechtergerechte Sprache ist in Deutschland nach wie vor eher die Ausnahme.
Samstag, 17. Oktober
In den USA gingen trotz der Corona-Pandemie Tausende auf die Straße, um gegen die Wiederwahl Trumps und für Frauenrechte zu demonstrieren. Die Tagesschau spricht von über 100.000 Menschen die, laut Veranstalter*innen, bundesweit an rund 430 Kundgebungen und Demonstrationen teilgenommen haben.
In Washington zog der „Women’s March“ bis zu den Stufen des Supreme Courts und protestierte gegen die Nominierung der evangelikalen Hardlinerin Amy Coney Barrett zur Obersten Bundesrichterin.
Währenddessen hetzte Donald Trump erneut gegen die demokratische Gouverneurin Michigans, Gretchen Whitmer, die immer wieder von Rechtsextremisten bedroht wird. Erst letzte Woche nahm das FBI über ein Dutzend Männer fest und vereitelte so deren Pläne, Whitmer zu entführen und das Parlament zu stürmen.
Sonntag, 18. Oktober
Im aktuellen SPIEGEL gibt es ein Interview mit der Virologin Sandra Ciesek, die seit Kurzem im Wechsel mit Christian Drosten im NDR-Podcast „Coronavirus Update“ zu hören ist. Die Einstiegsfrage dieses insgesamt unsäglichen Interviews ist Folgende: „Ihnen ist klar, dass Sie die Quotenfrau sind?“
Auf Twitter fragt Theresa Bücker ihre Follower*innen um Vorschläge für gute Einstiegssätze für Interviews mit Männern. Die Antworten sind einfach nur Gold. Lest mit, wenn ihr Aufheiterung braucht.
In Wahrheit ist das Ganze natürlich überhaupt nicht aufheiternd. Es ist viel mehr niederschmetternd, wie sexistisch und oft misogyn die Medien nach wie vor mit Frauen umgehen.
Und zum Abschluss noch der tägliche „Einzelfall“. Heute wieder Mal aus Berlin: