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Fotos: Gage Skidmore, (H. Berry) und Martin Kraft - CC BY-SA 3.0 (F. Giffey)

67 Einzelmaßnahmen und ein Femizid

Halle Berry cancelt ein Filmprojekt, Franziska Giffey schafft einen Meilenstein und in Nürnberg wird ein Frauenmord erneut als Beziehungstat verharmlost. Die Woche aus feministischer Perspektive. #KW28

Montag, 6. Juli
Aus dem aktuellen Welt-Aids-Bericht der UN geht hervor, dass im vergangenen Jahr weltweit knapp 700.000 Meschen an den Folgen einer HIV-Infektion gestorben sind, gegenüber dem Jahr 2010 ist das ein Rückgang um fast 40 Prozent. Auch die Neuinfektionen gehen zurück, allerdings lange nicht so stark, wie erhofft und angestrebt. 1,7 Millionen Menschen haben sich 2018 neu mit HIV infiziert, insgesamt lebten Ende 2018 weltweit 37,9 Millionen Menschen mit HIV.

Soweit die nackten Zahlen, die es in die Berichterstattung der Tagesschau geschafft haben. Was wir dort nicht erfahren: In den so genannten Entwicklungsländern sind 55 Prozent der HIV-positiven Erwachsenen Frauen. (The Henry J. Kaiser Family Foundation: 2014.) Geschlechtsspezifische Ungleichheiten und Gewalt treiben die Epidemie weiter an. 2019 entfiel jede vierte Neuinfektion in Subsahara-Afrika auf junge Frauen und jugendliche Mädchen, obwohl sie nur ca. 10% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Mädchen und Frauen, die in ihren Familien oder Partnerschaften sexuelle und/oder körperliche Gewalt erfahren, infizieren sich 1,5 Mal häufiger mit HIV. Schätzungen zufolge waren in den letzten 12 Monaten weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren Partnerschaftsgewalt ausgesetzt. Sexarbeiterinnen haben sogar ein 30-mal höheres Risiko, sich mit HIV zu infizieren, als die allgemeine Bevölkerung.

Trotzdem werden HIV und AIDS noch immer häufig ausschließlich mit männlichen Betroffenen assoziiert. Das ist vor allem in der Forschung ein Problem: Der Anteil weiblicher Proband*innen in Studien zur Erforschung von HIV lag in der USA zwischen 38,1 Prozent (Impfstudien) und 11,1 Prozent (Studien zur Heilung von HIV). Schwangere Frauen sind von diesen Studien grundsätzlich ausgeschlossen. (Mehr dazu im großartigen Buch „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez.)

Dienstag, 7. Juli
Eigentlich wollte Halle Berry in ihrem nächsten Film einen trans Mann spielen, das erzählte sie zumindest in einem Insta Live am vergangenen Freitag. Die Reaktionen darauf haben sie jetzt allerdings dazu bewogen, davon Abstand zu nehmen.

https://twitter.com/halleberry/status/1280304782528311296?s=20

Es ist nicht das erste Mal, dass berühmte Cis-Schauspielerinnen transgender Rollen spielen wollen. Scarlett Johansson hatte vor ziemlich genau zwei Jahren angekündigt, im Film „Rub & Tug“ von Regisseur Rupert Sanders einen Transmann darzustellen. Auch sie hatte nach Kritik aus der Trans Community ihren Rückzug aus dem Projekt erklärt. Von dem Film ist seitdem bis heute nichts mehr zu hören gewesen. Warum es problematisch ist, wenn Cis-Schauspieler*innen trans Personen spielen, wird auch in der neuen (und sehr sehr sehenswerten) Netflix-Dokumentation „Disclosure“ thematisiert.

Mittwoch, 8. Juli
Mit 67 Einzelmaßnahmen will die Bundesregierung die Gleichstellung von Männern und Frauen voranbringen. Die ressortübergreifende „Gleichstellungsstrategie“ ist laut Familienministerin Franziska Giffey ein „Meilenstein“. Neun zentrale Ziele wurden vereinbart:

Um nicht gleich wieder zu meckern, lasse ich es heute erstmal unkommentiert. Ich gucke mir die einzelnen Ziele und die vorgesehenen Maßnahmen aber selbstverständlich ganz genau an und werde mich sicher dazu noch äußern.

Donnerstag, 9. Juli
Nachdem die CDU am Mittwoch beschlossen hat, bis 2025 alle Parteiämter paritätisch zu besetzen, dreht Twitter auch am Donnerstag immer noch durch. Die Frauenquote sei sexistisch, diskriminiere Männer und sowieso nur was für unfähige Weiber.  Ich erspare euch den ganzen Bullshit und teile lieber diese drei Tweets:

https://twitter.com/pickinese/status/1281162997088518145?s=20
https://twitter.com/DuezenTekkal/status/1281203322804940800?s=20

Meinen Senf habe ich dazu selbstverständlich auch schon abgegeben.

Freitag, 10. Juli
Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann eine Frau zu töten. Wieder einmal ist es gelungen. Wieder einmal hat sich ein Femizid ereignet, der vom Bayerischen Rundfunk als „Beziehungstat“ verharmlost wird. In Nürnberg wurde am Freitagmorgen eine 23-Jährige mutmaßlich von ihrem (Ex-)Partner getötet. Der 26-jährige Tatverdächtige soll laut Zeuginnenaussage mehrfach „Ich liebe nur dich“ gerufen haben. Anwohner*innen hatten Medienberichten zufolge laute Hilfeschreie gehört und die Polizei gerufen, die die Frau leblos in der Wohnung fand und den mutmaßlichen Täter festnahm.

Samstag, 11. Juli
Es ist eine verdammte Epidemie. 2020 wurden in den USA bereits 21 trans oder sich als nicht-binär identifizierende Menschen getötet. Ihre Geschichten werden selten gehört. Ihre Namen bleiben ungenannt.
(Black) Trans Lives Matter!

https://twitter.com/IndyaMoore/status/1281733300772638720?s=20

Sonntag, 12. Juli
Die Tagesschau berichtet von einem Anstieg der häuslichen Gewalt in Deutschland während der Corona-Pandemie. Die Nachrichtenagentur dpa hatte eine Befragung der zuständigen Stellen in allen Bundesländern durchgeführt und bestätigt, was bereits vermutet wurde. Quarantäne, Schulschließungen, Home-Office und Co. führen zu mehr Gewalttaten in den eigenen vier Wänden. Expert*innen warnten schon zu Beginn der Corona-Maßnahmen vor einer Zunahme der häuslichen Gewalt. Dies scheint sich jetzt auch mit Zahlen belegen zu lassen. Zumindest in einigen Bundesländern. Die Gewaltschutzambulanz in Berlin gibt für Juni einen Anstieg von 30 Prozent der Fälle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an, auch Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern melden eine starke Zunahme. In zwei Bundesländern hat es rückläufige Zahlen gegeben, doch ließe dies eher auf eine höhere Dunkelziffer schließen als auf einen tatsächlichen Rückgang. Social Distancing führt eben auch dazu, dass Gewalttaten unentdeckt bleiben und die Opfer seltener Hilfe und Unterstützung angeboten bekommen. Deutschlandweit fehlen 14.600 Plätze in Frauenhäusern.

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