Mouhamed Dramé wurde von der Dortmunder Polizei hingerichtet, Kurt Krömer bietet Julian Reichelt eine Bühne, Diether Dehm soll aus der Linken ausgeschlossen werden und am TDOR erschießt ein Attentäter fünf Menschen in einem queeren Club. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive #KW46.
Montag, 14. November
Seit Sahra Wagenknecht eine reaktionäre Bombe nach der anderen zündet, hatte ich nicht mehr daran geglaubt, dass Die Linke sich nochmal von problematischen Köpfen in der Partei distanziert. Aber offenbar besteht noch ein Fünkchen Hoffnung: Diether Dehm soll nun endlich(!!!) ausgeschlossen werden. Dem „Typ-ekliger-Onkel“ wird im Antrag zum Parteiausschluss parteischädigendes Verhalten vorgeworfen. Er habe Die Linke „ehrenrührig und herabsetzend verächtlich gemacht“, der „inakzeptable Höhepunkt unzähliger Äußerungen“, die der Partei massiv geschadet hätten. Dehm, der sich selbst „Putinversteher“ nennt, ist einer der bekanntesten, der u.a. Xavier Naidoo und Ken Jebsen verteidigte und während der Covid-19-Pandemie ein antisemitisch-verschwörungsschwurblerisches Lied veröffentlichte, in dem er u.a. singt „Ein junger Virus plus uralte Mächte. Ja, dieser Mix macht geil auf unsre Rechte“. Das wurde zwar nicht ganz so ein großer Hit wie sein Lied „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“ von 1984, aber immerhin von Dieter Hallervorden auf der „#AlarmstufeRot“-Demo im Herbst 2020 vor Tausenden Menschen vorm Brandenburger Tor vorgetragen. Diether Dehm ist nicht nur voller Verschwörungsideologien und Nationalismus, er steht auch immer wieder wegen sexistischen Übergriffigkeiten in der Kritik. Kürzlich hat Dehm erklärt, bei der Europawahl 2024 einen „konkurrierenden Wahlauftritt“ zur Linken zu unterstützen – ein Verstoß gegen die Parteisatzung laut Ausschluss-Antrag. Auch Sahra Wagenknecht kündigt immer wieder öffentlich an, eine eigene Partei gründen zu wollen. Ihre „Aufstehen“-Bewegung ist gescheitert, aber sicher steht da schon das nächste chauvinistisch-„sozialistische“ Projekt in den Startlöchern. Eine gute Gelegenheit, Wagenknecht, Dehm und alle anderen aus dem Querfrontlager loszuwerden und Die Linke so vielleicht wieder zu einer wählbaren Partei zu machen. Man wird ja noch träumen dürfen.
Dienstag, 15. November
Julian Reichelt, ehemaliger BILD-Chefredakteur, war Gast in der RBB-Sendung „Chez Krömer“. Alexander Bojcan, der sich als Kunstfigur „Kurt Krömer“ nennt, lädt seit mittlerweile sieben Staffeln prominente Menschen in sein „Verhörzimmer“ ein und befragt sie dort in seiner gewohnt patzigen Art. Vor Reichelt waren u.a. Frauke Petry (ehemalige AfD-Politikerin), Dieter Dehm oder der österreichische Neofaschist H.C. Strache in der Show. Mir ist dieses Konzept ehrlicherweise ein Rätsel. Ich weiß schlicht nicht, was das soll. Wieso sollte ich irgendwelchen rechten Selbstdarsteller*innen eine halbe Stunde zuhören? Nun ja, die Folge mit Julian Reichelt habe ich mir dann angeschaut und ich frage mich auch mit ein paar Tagen Abstand noch: Was war das Ziel? Reichelt wurde mit den bekannten Vorwürfen konfrontiert (Rügen des Presserats gegen BILD, Kokainkonsum, Machtmissbrauch, sexualisierte Belästigungen usw.) Reichelt hat entweder nichts dazu gesagt („Privatsphäre“) oder, wenn er etwas sagen wollte, wurde er von Krömer unterbrochen. Der Host machte keinen einzigen Punkt, war meiner Ansicht nach überhaupt nicht vorbereitet über die Fragen auf seinem Zettel hinaus und bot Reichelt die Gelegenheit sich mal als Opfer eine Kampagne gegen seine Person, mal als Kämpfer gegen die „Staatsmedien“ zu inszenieren. Kurt Krömer fährt seine übliche Art, wahrscheinlich soll das lustig sein, ich weiß es nicht. Aber ein gelungenes Interview sieht sehr, sehr anders aus. Wenn das Ziel dieser Sendung einzig eine gute Quote war, dann hat Krömer es dank seines „umstrittenen“ Gasts definitiv erreicht. Auf Twitter gab es kaum ein anderes Thema. Vermeintlich „linke“ Leute aus der Medienbubble lieben Reichelt – als Witzfigur, auf die sie selbstgerecht herabsehen, die sie verspotten können. Es ist diese Alles-ist-Satire-Haltung, hahaha, Faschismus so funny. Nur ist daran überhaupt nichts lustig! Reichelt und seine Gefolgschaft bauen gerade ein rechtslibertäres Medienunternehmen auf, dass mit Fake News und Hetze die öffentliche Meinung beeinflusst. Mit unbekannten Geldgeber*innen im Hintergrund entsteht da eine Plattform, die sich bewusst von sogenannten „Alternativen Medien“ abgrenzt (keine Querfront, keine Putinpropaganda) und stattdessen gezielt die selbsternannte „Mitte“ adressiert, die sich von „Wokeness“, Fleischersatzprodukten und angeblicher „Cancel Culture“ bedroht fühlt. Reichelt greift aktiv polarisierende Themen auf (Klimaproteste, Skandale im Öffentlich Rechtlichen Rundfunk, Selbstbestimmungsgesetz, Anti-Rassismus, etc.) und bedient die empörte Masse mit Populismus von Rechts. Inzwischen arbeiten rund 20 Personen für „Rome Medien“, das u.a. „Achtung Reichelt!“ produziert. Darunter die transfeindliche Journalistin Judith Sevinç Basad, der ehemalige Leiter der BILD-Parlamentsredaktion, Ralf Schuler, oder Jan A. Karon, der kürzlich mit rassistischen Tweets aufgefallen und ebenfalls transfeindlich ist. „Achtung Reichelt!“ ist im Kern rassistisch, islam-, queer- und transfeindlich und in weiten Teilen antidemokratisch. Dass Politiker wie Wolfgang Kubicki in dieser Sendung auftreten und ihr damit einen Anschein von Seriosität verleihen, ist gefährlich. Es wird nicht lange dauern bis andere Politiker*innen die Chance nutzen, die potentiellen Wähler*innen in Reichelts Publikum zu erreichen.
Mittwoch, 16. November
Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus muss komplett wiederholt werden. Das hat der Berliner Verfassungsgerichtshof am Mittwoch entschieden. Das Bemerkenswerteste an dieser Meldung war für mich, dass es hier in der Hauptstadt niemanden so wirklich zu jucken scheint. Wir sind es einfach gewohnt, dass die Verwaltung nichts auf die Reihe bekommt. Wer einmal versucht hat, einen Termin im Bürgeramt zu bekommen, beispielsweise um ein Erweitertes Führungszeugnis zu beantragen oder einen Reisepass, weiß, dass der Laden komplett lost ist. Aber juti, wählen wir also nochmal. Ich sehe es positiv und hoffe, dass Franziska „Vermieterliebling“ Giffeys Amtszeit im Februar beendet ist und sich ENDLICH jemand um die Umsetzung des Volksentscheids kümmert und die großen Immobilienkonzerne enteignet.
Donnerstag, 17. November
Alexander M., der mehr als 100 Drohschreiben unterzeichnet mit „NSU 2.0“ per Fax, Mail und SMS an Jurist*innen, Politiker*innen, Künstler*innen und Personen des Öffentlichen Lebens (überwiegend Frauen) verschickt haben soll, wurde vom Landgericht Frankfurt am Main zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Die Schreiben, laut Tagesschau „gespickt mit wüsten Beschimpfungen und Todesdrohungen“ wurden zwischen August 2018 und März 2021 an die Betroffenen verschickt. Der Angeklagte, ein 54 Jahre alter, arbeitsloser IT-Techniker plädierte auf Freispruch, er behauptet, Staatsanwaltschaft und Polizei würden lügen, „um den Verdacht auf ihn als angeblichen Einzeltäter zu lenken“, so die Tagesschau. Es ist ungewöhnlich, dass sich Verteidigung und Nebenklage einig sind, im Falle der „NSU 2.0“-Drohschreiben gehen beide Parteien davon aus, dass der Angeklagte nicht allein gehandelt hat. So ist bis heute nicht geklärt, warum es kurz vor dem ersten Drohfax im August 2018 an die Anwältin Seda Başay-Yıldız auf dem 1. Frankfurter Polizeirevier eine „umfangreiche Datenabfrage zu ihrer Person“ gab. In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten die Empfänger*innen von Drohschreiben Janine Wissler, Martina Renner, Anne Helm, Idil Baydar, Hengameh Yaghoobifarah Seda Başay-Yıldız am Dienstag: „Wir gehen nach der Beweisaufnahme davon aus, dass der Angeklagte M. die Daten von Seda Başay-Yıldız nicht durch einen Anruf auf dem Revier erhalten haben kann und dass er nicht die technischen Mittel zum Versenden dieses ersten Drohfaxes hatte. Hingegen hat die Beweisaufnahme für den Datenabruf und das Verschicken des Drohfaxes einen plausiblen Alternativtäter ergeben: Den Beamten des 1. Polizeireviers Johannes S.“ Der Frankfurter Polizist Johannes S. steht derzeit in einem anderen Verfahren vor Gericht, weil er Mitglied der rechtsextremen Chatgruppe „Itiotentreff“ war, in der hessische Cops Rassismus, Antisemitismus und andere Menschenfeindlichkeit verbreiteten.
Freitag, 18. November
Am Freitag wurde ein Betreiber eines Fitnessstudios vom Amtsgericht Neumünster zu einer Geldstrafe über 1.000 Euro plus Zinsen verurteilt. Kelly Laubinger, 32-jährige Sintiza, hatte geklagt, weil ihr die Mitgliedschaft im Studio verwehrt wurde. Laubinger ist im Vorstand der Sinti-Union Schleswig-Holstein und Co-Chefin der Bundesvereinigung der Sinti und Roma. Das Gericht urteilte, dass das Fitnessstudio gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen hat. Denn während Laubingers Mitgliedsantrag „auf Grund der aktuellen Lage, welche durch die Corona-Situation entstanden ist“ abgelehnt wurde, wurden anderen Personen Verträge angeboten. Der Betreiber des Fitnessstudios konnte keine anderen Gründe für die Ablehnung Laubingers vorweisen, sodass das Gericht eine Benachteiligung aus Gründen der ethnischen Herkunft feststellte. „Eine finanzielle Wiedergutmachung gibt es für den erlittenen Schmerz nicht. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass wir den richtigen Weg gegangen sind“, sagte Kelly Laubinger zum NDR. Das Geld will sie spenden.
Auch am Freitag
In Speyer wurde eine 23-Jährige mutmaßlich von einem 22 Jahre alten Mann erstochen. Das Motiv und auch die Beziehung der beiden ist laut Ermittlungsbehörden noch unklar.
Samstag, 19. November
N’deye Mareame Sarr, Kamal Ibrahim, Oury Jalloh, Christy Schwundeck, Georgious Zantiotis, Elyas H., Qosay Khalaf, Mouhamed Dramé – das sind nur ein paar der Menschen, die von der deutschen Polizei möglicherweise aus rassistischer Motivation getötet wurden. Der jüngste „Einzelfall“ ist Mouhamed Dramé: Ein Kind, geboren im Senegal, das aus Mali nach Deutschland geflohen ist und erst wenige Tage zuvor aus Mainz nach Dortmund kam, wo es in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht war. Wie die taz schreibt, verlor Mouhamed auf der Flucht seinen jüngeren Bruder, der im Mittelmeer ertrunken ist, die Eltern seien schon vor einigen Jahren verstorben. Seit seiner Ankunft in Deutschland im April dieses Jahres sind die psychischen Probleme des Jungens bekannt gewesen, mehrfach habe er Suizidgedanken geäußert. Am Montag war Mouhamed gerade aus einer psychiatrischen Klinik zurückgekommen, die er auf eigenen Wunsch aufgesucht hatte. Ein Betreuer der Jugendeinrichtung hatte die Polizei gerufen, weil Mouhamed im Hof der Wohngruppe mit einem Messer „hantiert“ haben soll. Die Cops rückten zu elft an, setzten Taser und Reizgas ein, bevor einer der Beamten mit einer Maschinenpistole sechs Mal auf den Jungen schoss. Fünf Kugeln trafen: in den Unterarm, zwei Mal in die Schulter, in den Bauch und in den Kiefer. Inzwischen ist klar: Mouhamed ist zu keinem Zeitpunkt aggressiv gewesen, so berichten es am Einsatz beteiligte Polizist*innen. Die Situation sei eskaliert, als die Einsatzkräfte Pfefferspray gegen den sitzenden Jungen anwendeten. Der WDR berichtet: „Aus dem Dortmunder Polizeifunkverkehr vom 08. August geht hervor, dass zwischen dem Einsatz des Pfeffersprays und den fast zeitgleichen Taser- und Maschinenpistolen-Schüssen nicht einmal 20 Sekunden lagen. Und das, obwohl Mouhamed bis dahin ruhig in einer Ecke saß, keine anderen Menschen bedroht hatte.“ Auch habe es keinerlei Warnung gegeben, weder vor dem Pfeffersprayeinsatz noch vor den tödlichen Schüssen. Nur ganz kurz und auf Spanisch sei Mouhamed von einem Beamten angesprochen worden. Keine zwei Minuten habe der Gesprächsversuch gedauert. Lisa Grüter, Anwältin von Mouhameds Familie erklärt: „Das ist mir ein Rätsel, warum die Entscheidung getroffen worden ist, Mouhamed danach direkt mit Pfefferspray anzugreifen. Ohne zu warten, dass Profis dazukommen, die sich mit psychischen Ausnahmesituationen auskennen.“ Ich finde keine angemessenen Worte dafür, dass die Polizei einen Jugendlichen hinrichtet, der Hilfe und Unterstützung gebraucht hätte. Ich finde auch keine Worte dafür, dass das passieren kann und alles einfach ganz normal weiterläuft. Dass es keine Sondersendungen gibt, keinen Aufschrei. Dieses Land, diese Gesellschaft, ist noch viel verlorener als ich dachte.
Sonntag, 20. November
Eigentlich halte ich den Sonntag ja immer kurz. Weil ich hungrig bin und müde und einfach zum Ende kommen will. Aber heute scheint mir das kaum möglich. Aufgewacht bin ich heute zu der Meldung, dass die Türkei Nordsyrien und Irak bombardiert, die Gegenden, wo sie kurdische Kämpfer*innen vermutet. Hauptziel sei es gewesen, dass Hauptquartier der YPG in Kobane zu vernichten, berichtet die taz. Der türkische Verteidigungsminister, Hulusi Akar, twitterte, die „Stunde der Abrechnung“ habe begonnen. Die türkische Regierung hatte sofort nach dem Bombenanschlag in einer Istanbuler Einkaufsstraße am vergangenen Sonntag kurdische Freiheitskämpfer*innen für die schreckliche Tat verantwortlich gemacht. Die syrische Beobachtungsstelle in London gibt an, dass bei den Angriffen mindestens zwölf Menschen getötet worden sein. Die zahlreichen deutschen Politiker*innen, die sich kürzlich noch mit dem Slogan der kurdischen Befreiungsbewegung „jin jiyan azadî“ ablichten ließen, um sich mit den Frauen im Iran zu solidarisieren, sind heute sehr still. Überraschend ist das natürlich nicht.
Heute, am 20. November, ist außerdem Trans Day of Remembrance (TDOR), der Tag der Erinnerung an die Opfer von Transfeindlichkeit. Im letzten Jahr wurden zwischen dem 1. Oktober 2021 und dem 30. September 2022 327 Morde an trans und genderqueeren Menschen gemeldet. Erstmals wurden Fälle aus Estland und der Schweiz gemeldet. Die Opfer waren Schwarze trans Frauen mit Migrationshintergrund – Sabrina Houston aus Jamaika und Cristina Blackstar aus Brasilien. Sie wurden beide in ihren eigenen Wohnungen erstochen. 95 % der weltweit Ermordeten waren trans Frauen oder trans weibliche Personen. Die Hälfte der Ermordeten, deren Beruf bekannt ist, waren Sexarbeiter*innen. Von den Fällen, in denen Daten über „ethnische“ Zugehörigkeit vorliegen, waren 65 % der Getöteten rassifizierte trans Menschen. 36 Prozent der ermordeten Menschen in Europa waren Migrant*innen. Die meisten der Opfer waren zwischen 31 und 40 Jahre alt. Die NGO „Transrespect versus Transphobia Worldwide“ (TvT), die die Zahlen erhebt, weist daraufhin, dass viele Fälle überhaupt nicht erfasst werden.
Transfeindlichkeit ist tödlich! Das zeigte sich in seiner ganzen Grausamkeit heute erneut: In einem queeren Nachtclub in Colorado Springs (USA), „Club Q“, sind fünf Menschen getötet und mindestens 18 verletzt worden. Es fand gerade eine „Transgender-Party mit Drag-Show“ (Tagesschau) statt, als ein bewaffneter 22-Jähriger in den Club stürmte und sofort anfing zu schießen. Der Angreifer wurde von Gästen überwältigt und befindet sich derzeit im Krankenhaus. Laut Polizei sei es „noch unklar, ob es sich um einen Fall von Hasskriminalität“ handle, so die Tagesschau.
Das wars für heute mit dem Wochenrückblick. Wie immer: Danke fürs Lesen.
Noch ein Hinweis in eigener Sache. Nächsten Sonntag wird es keinen Wochenrückblick geben. Da werde ich ein paar Tage Auszeit in London genießen. Hier geht es dann am 4. Dezember weiter.
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