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Evan Rachel Wood beweist Mut und spricht öffentlich über den Missbrauch durch "Marilyn Manson". Illustration von mir.

Act Out, Speak Up!

Marilyn Manson ist offenbar ein Sexualstraftäter, #ActOut macht auf die Queerfeindlichkeit in Film und Fernsehen aufmerksam, in Berlin wird mitten in der Nacht eine Zeltstadt geräumt und eine literarische Neuerscheinung ist der einzige Lichtblick im Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW5

 

Montag, 1. Februar

Die US-amerikanische Schauspielerin Evan Rachel Wood machte auf Instagram öffentlich, dass Brian Warner, besser bekannt als „Marilyn Manson“ sie jahrelang schwer missbraucht hat. Sie war noch ein Teenager als sie Warner kennenlernte, der damals Ende 30 war. Sie teilte mit, dass sie „diesen gefährlichen Mann“ und alle, die ihn gewähren ließen, entlarven will, „bevor er weitere Leben ruiniert“.

Nach ihrem Posting meldeten sich weitere Frauen, die Warner unter anderem psychischen und physischen Missbrauch, sexuelle Gewalt und Nötigung vorwerfen. Die Musikerin Phoebe Bridgers twitterte ein paar Tage später, sie sei als Teenager mal in Warners Haus gewesen, in dem er ihr seinen „Vergewaltigungsraum“ zeigte. Sie sagt: „Das Label wusste es, das Management wusste es, die Band wusste es. Sich jetzt zu distanzieren und vorzutäuschen, schockiert und entsetzt zu sein, ist verdammt erbärmlich.“

Was ich zudem sehr erbärmlich finde, sind nicht nur die Menschen, die Warner immer noch verteidigen, sondern vor allem auch die, die sich nun hinstellen und sagen „War doch klar“ oder „Überrascht mich gar nicht“. In solchen Aussagen schwingt nicht nur „Die Opfer sind selbst schuld“ mit, denn sie „hätten es wissen müssen“, sondern auch das brandgefährliche Narrativ des „Täter-Typs“. Nur weil jemand, wie die Kunstfigur Marilyn Manson, in seiner Musik Gewalt thematisiert, heißt das nicht, dass er automatisch ein sexueller Gewalttäter ist. Denn das würde ja bedeuten, dass Männer, die bieder und angepasst sind, automatisch harmlos sind. Und das sind sie nicht. Man sieht es einem Menschen nicht an, ob er ein Vergewaltiger ist.

Dienstag, 2. Februar

Das viral (haha) gegangene Video von Marlene Lufen erreichte diese Woche über 20 Millionen Aufrufe allein auf Instagram. Fast 15 Minuten lang spricht die TV-Moderatorin darin über die – wie sie es nennt – „Nebenwirkungen“ der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Das Ganze wirkt ein bisschen wie ein Facetime-Anruf einer guten Freundin, sie lächelt, schaut betroffen, oft fragend und lässt alles so aussehen, als wäre es ganz spontan entstanden, einfach frei heraus. Doch, was sie sagt und zwischen den Zeilen andeutet, hat es in sich. Marlene Lufen sagt, dass wir irgendwann auf diese Zeit zurückschauen werden und erkennen: „Der Lockdown war das falscheste, was wir hätten machen können“. Dass ihr Video deshalb insbesondere von selbsternannten Querdenker*innen Applaus erhält, mag sie so nicht beabsichtigt haben, es spielt letztlich aber keine Rolle. Denn auch wenn sie sich im Video bereits von jeglicher Trump-Gefolgschaft und namentlich „Attila Hildmann“ distanziert, stößt sie doch ins gleiche Horn, wenn sie raunt, die Regierung, würde die „Nebenwirkungen“ der Maßnahmen nicht ausreichend berücksichtigen. Sie macht klar, es sei nicht ihre Aufgabe, Alternativen zu nennen, sie möchte nur „anregen“.

Die Zahlen, die sie nennt, sind jedoch teilweise falsch, bzw. geben nur einen Teil der Realität wieder. Der Volksverpetzer hat sich die Mühe gemacht, die Fakten zu checken. Spoiler: Viel bleibt von Frau Lufens Darstellung nicht übrig. Ihr Video schließt mit dem manipulativen Appell: „Immer, wenn im TV irgendjemand sagt ‚Wir müssen uns noch ein wenig zusammen reißen, Lockdown durchhalten’, hat irgendein Kind zu Hause die Faust vom Vater im Gesicht, wird irgendwo eine Frau geschlagen, überlegt ein Jugendlicher, ob er sich von der Brücke stürzt.“  Das ist eine dermaßen perfide Strategie, die real bestehenden Problem von häuslicher Gewalt und mentaler Gesundheit zu missbrauchen. Denn Marlene Lufen suggeriert, diese Probleme existierten aufgrund des Lockdowns. Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sondern fahrlässig.

Psychisch Kranke, Obdachlose, prekär Beschäftigte, Alleinerziehende, überforderte Kinder, Einsame, Opfer von häuslicher Gewalt – sie alle brauchen Hilfe und Solidarität – das war schon „vor Corona“ so und es gilt auch währenddessen. Jetzt so zu tun, als ginge es uns allen besser, wenn nur die Maßnahmen beendet würden, als wäre es das „kleinere Übel“, die Alten und/oder Vorerkrankten dem Virus zu opfern, damit das Leben weitergehen kann ist zynisch und es ist gefährlich.

Wieso setzt Frau Lufen ihre Reichweite nicht ein, um echte gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, anstatt über die „Nebenwirkungen“ des Lockdowns zu sprechen, als wären diese verhandelbar. Wir leiden unter dem kapitalistischen System. Vor, während und nach der Pandemie.

Mittwoch, 3. Februar

In Wien hat ein Mann „vermutlich die im Raum stehende Scheidung nicht verkraftet“, wie die Tiroler Zeitung es nennt (und damit völlig unangemessen ein spekulatives Motiv liefert, dass die Gewalttat wenn auch grausig, doch zumindest nachvollziehbar erscheinen lässt). Laut Polizeiangaben erstach der 52-Jährige seine 45-jährige Ex-Partnerin mit einem Messer. Die Zeitung schreibt von einem „Streit“, der „eskaliert“ sei. Diese euphemistische Beschreibung eines Femizids ließt man leider immer noch häufig. Durch diese Wortwahl wird nicht etwa ein grausamer Frauenmord assoziiert, sondern doch eher eine Privatsache, ein „Beziehungsdrama“.

Auch in Deutschland hat ein Mann seine Ex-Partnerin getötet. In Wiesbaden erschoss ein 56-jähriger Mann am frühen Montagmorgen seine 49 Jahre alte Ehefrau, die sich kurz zuvor von ihm getrennt hat. Der Mann verletzte dabei auch die Schwester der Getöteten schwer und erschoss anschließend sich selbst.

Donnerstag, 4. Februar

Im Magazin der Süddeutschen Zeitung outen sich 185 deutsche Schauspieler*innen als lesbisch, schwul, bi, queer, nicht-binär und / oder trans und fordern gleichzeitig mehr Anerkennung in der Theater-, Film- und Fernsehbranche. Unter dem Hashtag #actout haben sie ein gemeinsames Manifest veröffentlicht. Darin heißt es:

„Wir spielen Ehefrauen und Familienväter, Liebende und Staatsleute, Sympathieträger:innen und Ekel. Und häufig auch Figuren, mit deren Überzeugungen wir privat nie übereinkämen. Dabei können wir Mörder:innen spielen, ohne gemordet zu haben. Wir können Leben retten, ohne Medizin zu studieren. Wir können Menschen mit anderen sexuellen Identitäten spielen, als die, die wir leben. Und wir tun es längst, die ganze Zeit schon, weil es unser Beruf ist.“

Sie fordern zudem mehr Sichtbarkeit von Lebensrealitäten, die vom heteronormativen Mainstream abweichen: „Es gibt weitaus mehr Geschichten und Perspektiven als nur die des heterosexuellen weißen Mittelstands, die angeschaut und gefeiert werden. Diversität ist in Deutschland längst gesellschaftlich gelebte Realität. Dieser Fakt spiegelt sich aber noch zu wenig in unseren kulturellen Narrativen wider.“

 

Freitag, 5. Februar

Manchmal gibt es tatsächlich auch noch gute Nachrichten. Obwohl es erst am 15. Februar heraus kommen sollte, erschien bereits am Freitag der Debutroman von Hengameh Yaghoobifarah. „Ministerium der Träume“ heißt er und handelt von Nas, die nach dem plötzlichen Tod ihrer Schwester (Unfall? Suizid?) der Vormund ihrer 14-jährigen Nichte wird.

https://twitter.com/fatma_morgana/status/1357605188182319105?s=20

Wenn der Wochenrückblick erscheint, habe ich das Buch wahrscheinlich schon ganz ausgelesen.

Samstag, 6. Februar

In der Nacht zu Samstag hat die Polizei das Obdachlosen-Camp an der Rummelsburger Bucht geräumt. Angeblich, um die Bewohner*innen vor Kälte zu schützen, schickten die Bezirksverantwortlichen mitten in der Nacht die Polizei los, um die Menschen aus der Zeltstadt zu vertreiben, die über Jahre für viele zu einer Art Zuhause geworden ist. Weder waren ausreichend Dolmetscher*innen vor Ort, noch wurde berücksichtigt, dass viele der dort Lebenden gar nicht in eine alternative Unterbringung umziehen möchten oder können. So sind Notunterkünfte für Obdachlose stark reglementiert, bieten wenig Schutz vor Infektion und sind u.a. für Suchterkrankte oft keine Option. Auch für die Sexarbeiter*innen, die in der Rummelsburger Bucht lebten, sind die Notschlafstätten häufig keine Alternative, da man dort für einen Schlafplatz zu einer bestimmten Uhrzeit ankommen muss und nicht erst nach der Arbeit in der Nacht. Die Menschen hatten sich in der Zeltstadt einen autonomen Freiraum aufgebaut und lebten dort friedlich miteinander. 

Die Erklärung der Bezirksregierung aus LINKEN und SPD, man habe zum Schutz der Bewohner*innen gehandelt ist in keiner Weise nachvollziehbar. Dass hier nicht die (ganze) Wahrheit gesagt wird, zeigt sich auch daran, dass mit der nächtlichen Räumung auch die bezirkliche Duldung der Menschen aufgehoben wurde und bereits am Samstagmorgen die Abrissarbeiten durch den Gelände-Eigentümer begannen, der hier im Sommer eine Tourismus-Attraktion errichten will.

Nach den aufsehenerregenden Räumungen von Syndikat und Liebig 34 im vergangenen Jahr beweisen die zuständigen Berliner Politiker*innen aufs Neue, dass ihnen einfach nicht zu trauen ist. Die Berliner Linke, Grünen und sowieso die SPD haben die Solidarität mit den Ärmsten der Stadt, mit Alternativen, Queers und anderen marginalisierten Menschen längst aufgekündigt und es wird Zeit, dass wir ihre Heucheleien keinen Glauben mehr schenken.

Sonntag, 7. Februar

Der Februar ist „Black History Month“. Während in den USA, Kanada und Großbritannien diese Tradition seit vielen Jahren gepflegt wird, ist der „Black History Month“ in Deutschland noch weitgehend unbekannt, obwohl er bereits in den 1990er Jahren von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD e.V.) begangen wurde. Während des „Black History Month“ wird die afrodeutsche Geschichte in den Mittelpunkt gestellt und die Errungenschaften Schwarzer Menschen gefeiert.

Der rbb rückt Schwarze Menschen in den Fokus und bei Each One Teach One (EOTO e.V.) werden verschiedene Online-Veranstaltungen angeboten.

Ich schließe den Wochenrückblick mit einem Gedicht von May Ayim, die die Selbstbezeichnung „Afrodeutsch“ für Schwarze Menschen in Deutschland geprägt hat und sich mit nur 36 Jahren 1996 das Leben nahm.

ich werde trotzdem
afrikanisch
sein
auch wenn ihr
mich gerne
deutsch
haben wollt
und werde trotzdem
deutsch sein
auch wenn euch
meine schwärze
nicht paßt
ich werde
noch einen schritt weitergehen
bis an den äußersten rand
wo meine schwestern sind
wo meine brüder stehen
wo
unsere
FREIHEIT
beginnt
ich werde
noch einen schritt weitergehen und
noch einen schritt
weiter
und wiederkehren
wann
ich will
wenn
ich will
grenzenlos und unverschämt
bleiben

May Ayim: grenzenlos und unverschämt – ein gedicht gegen die deutsch sch-einheit (1990)

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