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Sprengsatz und Schulterzucken

Rechte Gewalt in Weimar, Oberhausen und Bayreuth, ein PR-Move aus dem EU-Parlament und Attentate in Kopenhagen und Chicago. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW27

Montag, 4. Juli

Nachdem am Sonntagabend ein 22-Jähriger in einem Kopenhagener Einkaufszentrum drei Menschen erschossen und mindestens 27 verletzt hatte, tötete am Montag ein 21 Jahre alter Mann in Chicago sieben Menschen und verletzte mehr als 30 weitere. Nach Polizeiangaben schoss er mit einem Sturmgewehr auf die Menschenmenge, die den Unabhängigkeitstag feierte. In beiden Fällen, Kopenhagen und Chicago, waren die Täter junge weiße Männer, bei denen laut Ermittlungsbehörden „kein terroristisches Motiv“ festgestellt werden konnte. Doch der Chicagoer Attentäter war der Polizei bereits bekannt. Im September 2019 wurden bei ihm 16 Messer, ein Dolch und ein Schwert sichergestellt, nachdem der damals 18-Jährige damit gedroht hatte, „alle zu töten“. Trotzdem besaß er bis zu dem Attentat am Montag mindestens fünf Schusswaffen, die er zwischen 2020 und 2021 legal erworben hatte. Beim Kopenhagener Attentäter wird nun von „psychischen Problemen“ gesprochen. Ich kritisiere an der Berichterstattung im Wesentlichen zwei Dinge. Zum einen wird mit dem Narrativ des „psychisch kranken Einzeltäters“ das strukturelle Problem verschleiert: männliche Gewalt. Und zum anderen wird so das Stigma verstärkt, psychisch Erkrankte seien gefährlich. Durch ersteres wird gleichzeitig verharmlost und entpolitisiert. Hätten alle Attentäter und Terroristen etwas anderes gemeinsam als ihr Geschlecht, würde die Debatte grundsätzlich anders verlaufen. Aber die Tatsache, dass es immer (so gut wie immer) Männer sind, die Anschläge verüben, Amok laufen, wird gesellschaftlich kaum thematisiert. Das ist halt so, denken viele. Männer seien eben gewalttätiger als Frauen, überall auf der Welt sei das so. Schulterzucken, nicht zu ändern. Dabei geht es hier um nichts weniger als die Grundstruktur der patriarchalen Gesellschaft. Doch das nicht-benennen von Männlichkeit liegt nicht nur an der Gewöhnung an männliche Gewalt. Es hat viel mehr damit zu tun, dass Männlichkeit noch immer als Standard verstanden wird, als „default Einstellung“. Erst die Abweichung wird als erwähnenswert angesehen. Der weiße Mann ist die gesetzte Norm. Es ist daher kein Zufall, dass bei nicht-weißen Attentätern direkt über eine religiöse oder politische Motivation spekuliert wird, denn hier liegt eine Abweichung vor, die es wert ist, genannt zu werden. Der weiße Täter bietet diesen Ansatzpunkt nicht, er ist „normal“. Margarete Stokowski schrieb 2016: „Männlichkeit an sich erklärt diese Taten zwar nicht, aber wir können sie bei der Frage, wie weitere Taten verhindert werden können, nicht außer Acht lassen.“ Ich fordere einen Nationalen Aktionsplan Toxische Männlichkeit, um endlich da anzusetzen, wo die Gewalt entsteht, statt immer nur die Opfer in den Blick zu nehmen. Klar ist es wichtig, die zu unterstützen, die unter der Gewalt leiden (durch bessere Beleuchtung in Stadtparks, verstärkte Kontrollen bei Großveranstaltungen, bessere Finanzierung von Schutzräumen oder Aufklärung über die Gefahr von Spiking), aber ich habe es so satt, dass der Ursprung des Problems ignoriert wird.

https://twitter.com/Hatice_Ince_/status/1544048238797508608?s=20&t=nRWl_V50ikl6dIQFBUueUg

Bereits am Sonntagnachmittag wurde in Berlin-Köpenick eine Frau transfeindlich beleidigt und körperlich angegriffen. Der Täter versuchte, der versuchte ihr die Tasche zu entreißen, flüchtete, als eine 42-jährige Frau der Angegriffenen zur Hilfe kam. Die 62-Jährige hatte eine blutende Nase und klagte über Kopf- sowie Nackenschmerzen. Die Polizei ermittelt.

Auch am Montag

Die Humboldt Universität kündigte an, den abgesagten Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht am 14. Juli nachholen zu wollen. Die Uni wollte die transfeindliche Doktorandin ursprünglich im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaft über „Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ sprechen lassen, sagte den Vortrag aber dann angeblich wegen „Sicherheitsbedenken“ kurzfristig ab. Der „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ (akj) hatte gegen den Auftritt Vollbrechts protestiert, da diese auf Twitter und in einem hetzerischen Welt-Artikel (von dem sich selbst der Springer-Chef distanzierte) aggressiv Stimmung gegen trans Menschen machte. Die Absage durch die Uni führte dazu, dass der Protest der Studierenden als „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ geframet wurde und sogar die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger (FDP), twitterte: „Es darf nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht.“ Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) ging noch einen Schritt weiter und setzte den akj in Zusammenhang mit den bücherverbrennenden Nationalsozialist*innen. In dem Fernsehbeitrag sagt rbb-Journalist Norbert Siegmund „sogenannte kritische Jurist-sternchen-innen“, die ihre Fakultät „ausgerechnet am Bebelplatz“ haben, „wo ein Denkmal mahnt, weil hier der Angriff auf Wissenschaftsfreiheit traurige Geschichte hat. Einst verbrannten hier die Nazis Bücher, auch ungenehmer Wissenschaftler“. Dazu Bewegtbilder von damals, wie Nazis Bücher auf einen Scheiterhaufen werfen. Ne Nummer kleiner ging es wohl nicht. Währenddessen lachen sich Vollbrecht, die ihre Kritiker*innen als „Imperiums Sekte“ bezeichnet und Studierende beleidigt und bedroht, ihre Sifftwitter-Armee und andere TERFs ins Fäustchen. Der Mythos der Cancel Culture lebt und es wird sich erfolgreich in der Opferrolle gesuhlt.

Eigentlich ist die Lange Nacht der Wissenschaft eine Veranstaltung, bei der Wissenschaftler*innen einer breiten Öffentlichkeit Einblick in ihre Forschung gewähren, doch bei Marie-Luise Vollbrecht wurde offenbar eine Ausnahme gemacht. Denn die Doktorandin forscht weder zu Geschlecht noch zu Gender, sondern zum Verhalten von Fischen.

Dienstag, 5. Juli

In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde auf das „Linke Zentrum“ in Oberhausen ein Sprengstoffanschlag verübt. Ein Sprengsatz wurde von Unbekannten direkt vor die Tür des Parteibüros der Linken gelegt. Die Detonation war so heftig, dass auch Schaufenster der Läden gegenüber zersprungen sind. Michael Risthaus, Abgeordneter der Linken im Oberhausener Stadtrat sagte: „Meine Befürchtung ist, dass dies jetzt nur erstmal ein Droh-Anschlag war und beim nächsten Mal auch Menschen zu Schaden kommen.“ In den vergangenen Wochen hatte die Linke immer wieder Drohbriefe aus der rechten Szene erhalten.

Mittwoch, 6. Juli

Das queerfeministische Café Spunk in Weimar gibt auf. Nach wiederholten Angriffen auf das 2020 eröffnete Café erklärten die Betreiberinnen Alessa Dresel und Lara Lütke: „Wir haben keinen Bock mehr auf diese Stadt, wir schließen im Herbst.“ Das „Spunk“ wollte ein Ort für antirassistische, antifaschistische und queerfeministische Szene in der thüringischen Stadt sein und wurde dafür immer wieder angegriffen. Zuletzt passierte das Anfang Juni, als ein Mann in den Laden kam, anscheinend mit der Absicht das Café zu verwüsten. Die anwesenden Gäste überraschten ihn, sodass er flüchtete und dabei noch die Pride-Flagge abriss. Im März vergangenen Jahres wurde das Schaufenster mit einem Ziegelstein eingeworfen. An die Fensterscheibe waren von innen Plakate für die Opfer des rassistischen Terroranschlags von Hanau geklebt. Mehrfach wurden Farbbeutel in Schwarz, Rot und Gelb gegen die Front des Cafés geworfen. „Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem“, sagen die Betreiberinnen. Immer wieder kommt es zu rechten Angriffen, rassistischen Schmierereien und der Beschädigung von Stolpersteinen. Der Oberbürgermeister bestreitet das: „Was ich nicht bestätigen kann ist, dass wir als Stadt ein Nazi-Problem haben“, sagt der parteilose OB und verharmlost die rechte Gewalt in der Stadt: „In Weimar kann man gut leben. Aber man muss sich eingestehen, dass man bestimmte Straftaten einfach nicht verhindern kann. Das gilt sowohl für die rechten Attacken als auch für andere Straftaten. Das wird man nie auf Null reduzieren können. Leider.“

Donnerstag, 7. Juli

Das EU-Parlament stimmte am Donnerstag dafür, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in die Grundrechtecharta der EU aufzunehmen. Der Satz „Jeder hat das Recht auf sichere und legale Abtreibung“ solle in der Charta festgeschrieben werden, forderte die Mehrheit der Abgeordneten in einer nicht bindenden Entschließung. Dass das Ganze nicht viel mehr ist als ein PR-Move in Reaktion auf das Urteil des US Supreme Courts, wird schnell klar: Um etwas in die EU-Grundrechtscharta aufnehmen zu lassen, braucht es Einstimmigkeit. Die ist bekanntermaßen nicht gegeben. In Malta und Polen sind Abtreibungen mehr oder weniger ganz verboten und auch in den meisten anderen Mitgliedsstaaten ist der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen erschwert und teils stark reglementiert. Auch in Deutschland sind Abtreibungen nicht legal.

Auch am Donnerstag

Die Deutsche Welle hat einen Beitrag mit dem Titel „Transgender – der Weg zu einer anderen Geschlechtsidentität“ veröffentlicht. Dieser 30-minütige Clip ist in einer Flut von transfeindlichen, biologistischen Berichten ein kleiner Lichtblick. Die DW diskutiert mit Aktivist*in und Bildungsreferent*in Mine Wenzel, der Psychotherapeutin Thea Lüdeke und dem Endokrinologen Achim Wüsthof offen und diskriminierungsarm über das Thema. Ich verlinke euch das Video hier:

Freitag, 8. Juli

In Bayreuth wurde der SPD-Stadtrat Halil Tasdelen vor seinem Haus Opfer einer rassistischen Gewalttat. Der 49-Jährige wurde mit den Worten „scheiß Kanake, scheiß Türke“ angegriffen. Der Täter, ein 35-jähriger Mann, fügte dem Stadtrat einen doppelten Nasenbeinbruch zu. Die Polizei sprach von einer Auseinandersetzung zum „Nachteil des Stadtratsmitglieds“ und von einem „ausländerfeindlich motivierten Übergriff“. Halil Tasdelen, der seit 1983 in Deutschland lebt, ist für Polizei und Bayerischen Rundfunk also „Ausländer“. Hier zeigt sich, dass der Rassismus nicht auf Nazischläger begrenzt ist.

Samstag, 9. Juli

Die Polizei ermittelt nach mehren Vorfällen von K.O.-Tropfen auf dem SPD-Sommerfest. Die Feier der Bundestagsfraktion hatte bereits am Mittwoch stattgefunden, anwesend waren ca. 1.000 Personen, darunter auch der Bundeskanzler. Mindestens acht Frauen sollen Opfer von Betäubungsmitteln geworden sein, die ihnen vermutlich ins Getränk gemischt wurden. Dass zur Feier nur ein ausgewählter Kreis namentlich bekannter Gäste Zugang hatte, belegt nochmal, wie sicher sich Täter offenbar fühlen.

https://twitter.com/Jakob_Hammes/status/1545838953894387712?s=20&t=nRWl_V50ikl6dIQFBUueUg

Sonntag, 10. Juli

Ganz Deutschland diskutiert über die Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner und Franca Lehfeldt, Politik-Chefreporterin bei Springers TV-Sender Welt. Während sich die einen darüber aufregen, dass die Security beim Promi-Event aus Steuermitteln bezahlt wird, finden die anderen es unmöglich, dass das Paar eine kirchliche Trauung erhält, obwohl beide keine Kirchensteuer zahlen. Ob die obszöne Zurschaustellung von Luxus durch den Finanzminister so angemessen ist, in einer Zeit, in der die Armut in Deutschland auf dem Höchststand ist, kann zumindest in Frage gestellt werden. Was es bedeutet, dass der Finanzminister mit einer Springer-Chefreporterin verheiratet ist, wird sich noch zeigen. Dass das Paar von BILD jetzt schon „wie die jungen, modernen Kennedys“ gefeiert wird, lässt nichts Gutes erwarten.

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