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Dylan Mulvaney ist eine Inluencerin mit enormer Reichweite.

Mutter und Boykott

Ein Skandal, der keiner ist, erhitzt die Gemüter in Deutschland, während in den USA zum Boykott von Bier und Sport-BHs aufgerufen wird, trans Eltern werden weiterhin diskriminiert und die Tagesschau gibt Nachhilfe in Notwehr. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW14

Montag, 3. April

Nachdem die Tagesschau in einem Beitrag zum geplanten Sonderurlaub nach der Geburt eines Kindes von „gebärender Person“ sprach, starteten rechte Medien, allen voran die Bildzeitung eine massive Empörungskampagne. „Tagesschau streicht das Wort ‚Mutter‘“ hieß die Schlagzeile von Bild bis Welt – ein gefundenes Fressen für die Sprachpolizei aus dem Springer-Hochhaus. Natürlich sprangen auch die selbsternannten „Gender Criticals“ und „wahren Feministinnen“ (TERF) auf den Zug auf. So schrieb beispielsweise die Filmemacherin Carola Hauck auf Instagram: „Man fasst es nicht. Weil 3 von 100.000 Menschen sich bei der Geburt ihres Kindes nicht als Frau, sondern als non-binär oder Mann fühlen, soll das Wort Mutter mit Gebären und Entbindung (…) durch Person ersetzt werden. (…) Wer es immer noch nicht sieht: das ist ein Krieg gegen Frauen. Sie sollen in dem, was die einzigartig macht gegenüber allen anderen Menschen unsichtbar gemacht werden.“ Die Bildzeitung brachte das Thema auf die Titelseite: Unter der Überschrift „Wut auf die Sprach-Spießer der Tagesschau: Wir lassen uns MUTTER nicht verbieten“ kamen unter anderem Matthias Reim („Mutter ist der Inbegriff von Liebe und Geborgenheit“) und Kristina Schröder („Ein Kind zur Welt zu bringen ist etwas Großes“) zu Wort. Die „NZZ“ behauptete, die Tagesschau würde „Mütter ausradieren“ und „Welt“ findet „Mütter ihrer geschlechtlichen Identität zu berauben ist absurd“. Absurd ist nur, wie hier ein „Skandal“ erfunden wurde und tagelang aufgebauscht wird. Weder hat die Tagesschau gefordert, das Wort „Mutter“ nicht mehr zu verwenden, noch wurde irgendjemand exkludiert oder unsichtbar gemacht – im Gegenteil: die inklusive Sprache drückt präzise aus, was binäre Begrifflichkeiten nicht fassen: Denn nicht alle, die ein Kind zur Welt bringen sind Frauen. Trans Männer gebären, nicht binäre Personen gebären. Niemandem wird etwas weggenommen, wenn Sprache inklusiver ist. In Wahrheit geht die Empörung weit über die Sprache hinaus. „Gebärende Person“ ist nicht das Problem: Im Kern ist es die geschlechtliche Vielfalt an sich, die die kleinherzige Dominanzkultur aufbrausen lässt. Für die rechten Strateg*innen in den Medienhäusern bringen Empörungsgeschichten Klicks und Quote. Dass sie damit auch den Rechtsextremen, den christlichen Fundamentalist*innen und den transfeindlichen „Feministinnen“ in die Hände spielen, interessiert sie nicht. Aber die Folgen sind verheerend: Denn die Hassgruppen finden hier ideale Anknüpfungspunkte an den Mainstream und erhalten vermeintlich „objektive“ Bestätigung von vermeintlich „seriösen“ Medien. Bild, FAZ, NZZ und Co machen sich zu Erfüllungsgehilf*innen des Antifeminismus. Ihre Berichterstattung und billige Skandalisierung suggeriert der Mehrheitsgesellschaft, Gendergerechtigkeit und inklusive Sprache würden sie in negativer Weise betreffen. So wird der Anschein erweckt, die Rechte von queeren und trans Menschen stünden in Konkurrenz oder gar im Widerspruch zu den Rechten von cis Personen, insbesondere cis Frauen. Dass die Tagesschau bereits einen(!) Tag nach Erscheinen des Textes die Formulierung geändert hatte, hielt die Empörten nicht davon ab, das Thema weiter auszuschlachten. „In dem Text wurden die Formulierungen ‚entbindende Person‘ und ‚gebärende Personen‘ durch ‚Mutter‘ ersetzt, da sie zu Missverständnissen geführt haben“, schreibt die Redaktion unter dem entsprechenden Artikel. Dass die Tagesschau so leicht vor dem rechten Shitstorm einknickt, zeigt, wie fragil der Schutz marginalisierter Personen ist. Und es gibt den Hetzer*innen Auftrieb: „Als Fortschritt getarnte Misogynie ist umkehrbar. Frau muss sich nur wehren“, schreibt Beatrice Achterberg in der NZZ (und verwechselt, wie so viele, die sich ohne Kenntnis zu den Themen äußern, mal wieder trans Frauen und trans Männer, aber das nur am Rande). Der „Protest“ gegen „sprachliche Fehlentwicklung“ lohne sich, so ihr Fazit. Wenn rechte Antifeminist*innen jubeln, sollte uns das immer alarmieren.

Dienstag, 4. April

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am Dienstag entschieden, dass trans Personen das Recht auf Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität in der Geburtsurkunde ihrer Kinder verweigert werden darf. Geklagt hatten zwei trans Personen aus Deutschland (unabhängig voneinander). Einem trans Mann, der sein Kind geboren hat, wurde die Anerkennung als Vater verweigert, einer trans Frau, die ihr Kind gezeugt hatte, die Anerkennung als Mutter. Der trans Mann hatte 2013 ein Kind zur Welt gebracht, als er bereits rechtlich als Mann anerkannt war. „Das heutige Urteil macht wütend und ist enttäuschend. Das Argument, dass eine falsche Eintragung dem Kindeswohl entspricht, ist falsch. Es ist nicht im Interesse des Kindes, wenn ich als ‚Mutter‘ in der Geburtsurkunde auftauche. Es zeigt sich ganz deutlich ein antiquiertes Familienbild. Trans* und nicht-binäre Personen haben ein Recht darauf, Eltern zu werden und Familien zu gründen“, sagte der betroffene Vater. Der EGMR machte in seinem Urteil klar, dass die falsche Eintragung in den Geburtsurkunden im Ermessenspielraum des deutschen Staates läge. Umso wichtiger ist es nun, dass die Bundesregierung endlich das Abstammungsrecht reformiert.

Mittwoch, 5. April

Dylan Mulvaney ist eine US-amerikanische Schauspielerin und Comedian mit 10,8 Millionen Follower*innen auf Tiktok. Diese Woche erhält die 26-Jährige allerdings vor allem Aufmerksamkeit von rechts. Denn Dylan Mulvaney ist trans, seit März letzten Jahres dokumentiert sie ihre Transition auf Social Media und ist damit nicht nur zu einer Identifikationsfigur für viele junge trans Personen geworden, sondern eben auch zur Hassfigur und zum Feindbild von Nazis, Konservativen und TERF. Weil Mulvaney tut, was alle Influencer*innen tun (Werbung machen), rücken auch immer wieder ihre Kooperationspartner*innen in den Fokus. Diese Woche waren das die Biermarke „Bud Light“ und der Sportartikelhersteller Nike. Der Bierhersteller hatte Dylan Mulvaney anlässlich ihres 1-Jährigen Transitionsjubiläum Bierdosen mit ihrem Gesicht geschickt, die sie dann auf ihren Social-Media-Kanälen zeigte (so wird’s gemacht im Influencermarketing). Konservative Amerikaner*innen waren erzürnt. Der Musiker „Kid Rock“, der für seine Queerfeindlichkeit und Misogynie bekannt ist, postete ein Video, in dem er mit einem Maschinengewehr auf mehrere Pakete Bud Light schießt. Er zeigt der Kamera den Mittelfinger und sagt „Fuck Bud Light. Fuck Anheuser-Busch“. (Anheuser-Busch finanziert übrigens auch queerfeindliche Politiker*innen, also sie sind sicher keine Verbündeten der LGBTQI+ Community.) Doch nicht nur rechte Südstaaten-Opas drehen durch, sondern natürlich auch TERF und längst nicht nur in den USA. Hier richtet sich die Wut allerdings stärker auf das andere Unternehmen, das mit Mulvaney eine Werbepartnerschaft eingegangen ist: Nike. Weil die Influencerin einen Sport-BH der Marke trägt, trendet der Hashtag #NikeHatesWomen. Es wird zum Boykott aufgerufen. Der rechtsextreme Männerrechtler und „anti-woke“ Influencer Jordan Peterson twitterte: „Boycott @Nike. Permanently. No false ‚kindness.‘ No faux-moralizing ‚inclusivity.‘ Boycott. End the woke corporation, the worst of the left and right combined.“ Unddie Bundestagsabgeordnete Joana Cotar (bis letztes Jahr AfD-Mitglied) ätzte: „#Nike lässt einen Mann, der sich für eine Frau ausgibt, Werbung für einen Sport-BH machen. Das Resultat ist eine Beleidigung für alle Frauen.“ Wer irgendwelche Zweifel an dem Ausmaß des stinkenden Hasses hat, der sich über Dylan Mulvaney ergießt, muss nur ihren Nachnamen in der Twitter-Suchleiste eingeben. Es ist ekelerregend.

Donnerstag, 6. April

Eine Studie der Hochschule Merseburg, die am Donnerstag in Dresden vorgestellt wurde, ergab, dass fast 90 Prozent der befragten Frauen in Sachsen bereits gegen ihren Willen an intimen Stellen angefasst wurden. Fast alle gaben an, bereits sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Für die Studie mit dem Titel „Viktimisierung von Frauen durch häusliche Gewalt, Stalking und sexualisierte Gewalt“ wurden vom Mai bis Oktober 2022 rund 1.300 Frauen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren befragt. Die Untersuchungsergebnisse sind erschreckend: 30 Prozent wurden mindestens einmal in ihrem Leben vergewaltigt, 51 Prozent haben mindestens einen Vergewaltigungsversuch erlebt, meistens im eigenen Wohnumfeld. Die Täter*innen (fast ausschließlich Männer) seien überwiegend (Ex-)Partner*innen, gefolgt von Bekannten, Freund*innen und Familienmitgliedern. Auch zur häuslichen- und Partnerschaftsgewalt wurden die Teilnehmerinnen befragt: Fast 50 Prozent gaben an, schon mindestens einmal psychische Gewalt, wie Bedrohung, Einschüchterung, Manipulation, Erpressung oder Isolation erfahren zu haben. Körperliche Gewalt erlebte jede dritte Befragte. Mehr als die Hälfte der Befragten mit Beziehungserfahrung wurde bereits Opfer psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt durch den Partner. Die allerwenigsten Betroffenen erstatteten Anzeige: Je nach Delikt liegt die Quote zwischen vier und 13 Prozent.

Auch am Donnerstag

In Kirchdorf (Landkreis Rottal am Inn, Bayern) wurde am Donnerstag die Leiche einer 43-Jährigen gefunden. Die Tote wies mehrere Stichverletzungen auf. Die Polizei nahm am Freitag den 45 Jahre alten Ehemann der Frau fest.

Freitag, 7. April

Es ist furchtbar, das so sagen zu müssen, aber ich glaube es dauert nicht mehr lang, bis ich hier zum ersten Mal über die Tötung eines Mitglieds der „Letzten Generation“ berichte. Die Aggression von Boomern mit SUVs scheint grenzenlos. Die Bildzeitung hat schon vor Monaten darüber diskutiert, ob Gewalt gegen Menschen, die Straßen blockieren, Notwehr sein könnte und am Freitag zog die Tagesschau nach. Unter der Überschrift „Gewalt gegen ‚Klimakleber‘ – Ist das Notwehr?“ eruiert die Redaktion, welche juristischen Konsequenzen drohen, wenn Autofahrer*innen gewalttätig werden: „Sie zerren die Aktivisten von der Straße, oder teilen sogar Schläge oder Tritte aus. Doch ob man das in diesen Lagen überhaupt darf, ist umstritten – auch unter Juristen. Wie so oft kommt es auch hier auf die konkrete Situation im Einzelfall an“, heißt es. In erschreckender Nüchternheit wird hier durchgespielt, wie man straffrei gegen Aktivist*innen gewalttätig werden kann. Immerhin stellen die Autor*innen fest, dass Mord nicht von der Notwehr gedackt sein dürfte: „Einen Menschen zu überfahren und so dessen Tod zu verursachen, bloß weil man eine kurzzeitige Verspätung nicht hinnehmen will, dürfte jedenfalls darunter fallen.“ Na herzlichen Dank! Der Artikel kommt zu dem Schluss, „generell (…) davon abzuraten“ sei, „gewalttätig gegen ‚Klimakleber‘ vorzugehen“. Eine entschiedene Distanzierung von Gewalt sieht anders aus.

Samstag, 8. April

Der 8. April ist Welt Roma Tag, also der Tag an dem 50 Jahre Emanzipationsbewegung der Rom*nja gefeiert wird. Anlass ist der Tag des Ersten Welt-Roma-Kongresses, der am 8. April 1971 in Orpington bei London stattfand. Der Genozid an den Sinti*zze und Rom*nja, dem in Europa zwischen zwischen 220.000 und 500.000 Menschen zum Opfer fielen, ging als „Porajmos“ in das kollektive Gedächtnis ein. Von den rund 40.000 deutschen und österreichischen Sinti*zze und Rom*nja ermordeten die Nazis mehr als 25.000. Die Anerkennung dieses Völkermords wurde in Deutschland lange verweigert. Ein offizielles Denkmal wurde erst 2012 errichtet. Sinti*zze und Rom*nja werden auch in Deutschland immer noch stark diskriminiert. In Berlin registriert die Meldestelle „Dosta“ romafeindliche Vorfälle, in den vergangenen zwei wurden 372 Vorfälle dokumentiert, die Dunkelziffer liegt vermutlich sehr viel höher. Doch es wäre ein Fehler romanes Leben ausschließlich mit Verfolgung und Diskriminierung zu assoziieren. Georgi Ivanov, stellvertretender Vorsitzender des Selbstvertretungsvereins „Amaro Foro“, sagte zum Tagesspiegel: „Als wir von Amaro Foro 2010 begannen, uns in Neukölln zu engagieren, war der Weltromatag in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt. In den ersten Jahren war es meist eher eine kleine Feier (…) Inzwischen finden viele verschiedene Veranstaltungen statt. Wir blicken deshalb heute mit Stolz und Freude nicht nur zurück, sondern vor allem nach vorne.“  In diesem Jahr demonstrierten Sinti*zze und Rom*nja am 8. April in Berlin unter dem Motto „No Climate for Nomads“ für mehr Klimagerechtigkeit. „Die Klimakrise betrifft vor allem uns – Roma und Sinti, Schwarze Menschen, indigene Völker, traditionelle Nomaden und People of Colour! Die Klimabewegung darf unsere Existenz nicht weiter ignorieren! Deshalb gehen wir am Internationalen Roma*-Tag auf die Straße und protestieren lautstark für Klimagerechtigkeit und unsere Zukunft“, heißt es im Aufruf zur Demo.

Sonntag, 9. April

Zum heutigen Ostersonntag nur noch dieser Tweet von Sebastian Hotz, dessen erster Roman diese Woche erschienen ist.

Nicht vergessen, morgen, am Ostermontag, verlose ich unter all meinen Steady-Supporter*innen 5 super tolle Oster-Überraschungspakete! Als Hauptpreis gibt es (zusätzlich zum Überraschungspaket) den aktuellen Comic von Liv Strömquist, eine dazu passende Totebag, ein Notizheft, Postkarte und Sticker von Caroline Frett sowie ein Scholli-Notizblock von Slinga.

Wenn ihr bereits Supporter*in seid, müsst ihr nichts weiter tun (außer ggf. eure Postanschrift bei Steady hinterlegen / aktualisieren). Für alle, die schon länger überlegt haben, Steady-Mitglied zu werden: Das ist euer Zeichen! Alle Neumitglieder (bis Montag, 10. April, 12 Uhr) nehmen auch an der Verlosung teil. Es gibt für einen begrenzten Zeitraum ab sofort auch wieder das „Osterhasen“-Paket, das ist wie „Feldhase“, nur etwas günstiger und es gibt eine Extra-Überraschung.

Das wars für heute, ich danke euch wie immer fürs Lesen. Wer kann und will: via PayPal gibt es die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.

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