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Freya van Kant las heute in Wien ein Märchen vor. (Illustration von mir)

Spargel und Schwimmnudeln

Wieder stirbt ein Mann bei einem Polizeieinsatz, Florida verbietet Abtreibungen, in Wien demonstrieren Rechtsextreme gegen eine Kinderbuchlesung und mit der Spargelzeit beginnt auch die Ausbeutersaison. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW15

Montag, 10. April

Wie so oft beginnt der Wochenrückblick mit einem Femizid. In Herne (NRW) tötete am Ostersonntag mutmaßlich ein 49 Jahre alter Mann seine 53-jährige Ehefrau in deren Wohnung. Der Tod der Frau sei „durch massive Stichverletzungen herbeigeführt“ worden, so das Obduktionsergebnis.

Dienstag, 11. April

Sich gegen Polizeigewalt zu wehren ist fast unmöglich. Täter*innen werden fast nie zur Verantwortung gezogen. Nicht in den USA und auch nicht in Deutschland. In Hilden (NRW) nahm letztes Jahr das SEK den Friseur Akin E. vor dessen Salon fest. Mit unverhältnismäßiger Gewalt, wie er im Gespräch mit der Rheinischen Post erzählt. Seine Festnahme führte ihn erstmal ins Krankenhaus, wo eine Platzwunde und eine Nasenprellung festgestellt wurden. Akin E. berichtet, ihm seien zudem Zähne ausgeschlagen worden. Anwohner*innen sahen den Friseur blutend auf dem Boden liegen und auch die Überwachungskameras des Salons zeichneten den Überfall auf. Doch die Aufnahmen wurden von der Polizei beschlagnahmt und gelöscht. Laut Polizeisprecher: „Weil die Einsatzkräfte nicht vermummt waren und einem besonderen Schutz der Persönlichkeit unterstehen“. Der Jurist und Kriminologe Thomas Feltes erklärt dazu: „Eine Löschung darf, wenn überhaupt, nur dann stattfinden, wenn ein konkreter Verdacht besteht, dass eine Veröffentlichung des Materials im Raum steht“, andernfalls sei das „eine Vernichtung von Beweismaterial.“ Akin E. der nach seiner Festnahme zwei Monate ohne Anklage in Untersuchungshaft saß, bevor er wegen mangelndem Tatverdacht entlassen wurde, will sich gegen das Vorgehen des SEK juristisch wehren, die Erfolgsaussichten sind gering.

https://twitter.com/mamjahid/status/1645756888254930944?s=20

Mittwoch, 12. April

Aus Mangel einer Statistik nenne ich es mal Einzelfall Nr. 3498: Mann in psychischer Ausnahmesituation stirbt bei Polizeieinsatz. In einem Berliner Krankenhaus starb am Mittwoch ein 45 Jahre alter Mann, Vitali N., einen „unnatürlichen Tod durch Sauerstoffmangel“. Er sei bereits hirntot in die Klinik eingeliefert worden. In den Atemwegen des Mannes wurde Erde gefunden, der Mann wurde offenbar erstickt, als er mit dem Gesicht in den Schlamm gedrückt wurde. Laut Polizeiangaben soll der Mann auf einem Grundstück in Niederlehme (Brandenburg) „randaliert“ haben. „Er verhielt sich aggressiv, biss und war psychisch auffällig“, erklärte ein Polizeisprecher. Im Verlauf des dadurch ausgelösten Polizeieinsatzes sei er „ohnmächtig“ geworden. Die Polizei hatte beim Einsatz offenbar Unterstützung von Anwohner*innen, als sie den Bulgaren fixierten und fesselten. Auch Pfefferspray wurde gegen den 45-Jährigen eingesetzt.

Donnerstag, 13. April

„Die Zeit“ hat private Nachrichten von Springer-Chef Mathias Döpfner veröffentlicht und während die einen empört über den Inhalt und die anderen empört über die Veröffentlichung sind, bin ich vor allem eins: nicht überrascht. Mathias Döpfner ist der Alt-Right-Stratege aus dem Bilderbuch. Wahnsinnig reich, zutiefst chauvinistisch und bis in die Knochen marktliberal, dazu demokratiefeindlich und rassistisch. Das alles ist nichts Neues, doch offenbar war vielen nicht in Gänze klar, was für ein Mensch der Mann ist, der Julian Reichelt letztes Jahr noch als „letzten und einzigen Journalisten in Deutschland“ lobpreiste. Jetzt sind es die eigenen Worte, die den 60-Jährigen ins Wanken bringen. Am häufigsten wurde in den letzten Tagen vermutlich die folgende Aussage zitiert: „Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.“ Etwas (sehr viel) weniger Aufmerksamkeit erhielt sein Rassismus: „fuck the intolerant muslims und all das andere Gesochs“. Gesocks (vermutlich ein Tippfehler Döpfners) ist laut Duden eine „Gruppe von Menschen, die als minderwertig betrachtet und daher verachtet oder abgelehnt wird; Gesindel, Pack“. Auch das ist nichts Überraschendes aus dem Munde des Mannes, dem Kai Diekmann zu links war („Kai hat BILD aus Sehnsucht nach bürgerlicher Anerkennung zu politisch korrekt gemacht“) und der sich mit Julian „Pleiteticker“ Reichelt eine „gemeinsame Weltsicht“ teilt.

Auch am Donnerstag

In Bochum wurden am Donnerstag das queere Kulturzentrum „Fluid“ und das Zentrum für sexuelle Gesundheit „WIR“ beschmiert. Unbekannte hatten an die Außenwand des „Fluid“ Totenkreuze und das Wort „Schweine“ gesprüht und auch am WIR-Gebäude fanden sich „wirsche Beleidigungen und Botschaften“. Die Aidshilfe Bochum, Trägerverein der Einrichtungen erklärte auf Instagram: „Auch wenn Wir nicht wissen, wer das war und welche Motivation dieser Mensch hatte, die Botschaften sind für Uns ein klarer Angriff auf Unser queeres Zentrum, welches sich als Safer Space und Rückzugsort für queere Menschen aller Gender versteht.“

Donnerstag zum Dritten

Im US-Bundesstaat Florida sind Abtreibungen zukünftig ab der sechsten Schwangerschaftswoche verboten. Gouverneur Ron DeSantis unterzeichnete am Freitag das von der republikanisch dominierten Legislative verabschiedete Gesetz. Mit Inkrafttreten hat das Gesetz weitreichende Auswirkungen auf den Zugang zu Abtreibungen im gesamten Süden der USA, nachdem der Supreme Court letztes Jahr das Urteil Roe v. Wade gekippt und die Entscheidung über den Zugang zu Abtreibungen den Bundesstaaten überlassen hat. Alabama, Louisiana und Mississippi haben Schwangerschaftsabbrüche bereits komplett verboten, in Georgia sind Abtreibungen illegal, sobald eine Herztätigkeit des Embryos festgestellt werden kann, also nach etwa sechs Wochen. „Dieses Verbot würde vier Millionen Frauen im reproduktionsfähigen Alter in Florida daran hindern, nach der sechsten Woche Zugang zu Abtreibungsbehandlungen zu erhalten – bevor viele Frauen überhaupt wissen, dass sie schwanger sind“, zitiert die Nachrichtenagentur AP die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre: „Dieses Verbot würde sich auch auf die fast 15 Millionen Frauen im reproduktionsfähigen Alter auswirken, die in südlichen Bundesstaaten leben, wo Abtreibungen verboten sind, und von denen viele bisher auf Reisen nach Florida angewiesen waren, um sich dort behandeln zu lassen.“ (Übersetzung von mir und die Anmerkung, dass natürlich nicht nur Frauen von den Abtreibungsverboten betroffen sind!) Das Gesetz sieht einige Ausnahmen vor, bspw. wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Bei Vergewaltigung oder Inzest wären Abtreibungen bis zur 15. Schwangerschaftswoche erlaubt, allerdings muss das nachgewiesen werden, z.B. durch Vorlage einer einstweiligen Verfügung oder einen Polizeibericht.

Freitag, 14. April

Erinnert ihr euch noch an Mark Hauptmann von der CDU? Wahrscheinlich nicht, denn auch wenn er „eine der zentralen Figuren in der Maskenaffäre der Union“ (Spiegel) war, ist der inzwischen 38-Jährige in seinen acht Jahren im Bundestag immer eher ein Hinterbänkler geblieben. 2021 legte er sein Mandat nieder und trat aus der CDU aus, nachdem aufflog, dass er Korruptionszahlungen erhalten haben soll (sogenannte Aserbaidschan-Affäre, die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt). Aus der Politik hatte sich der gebürtige Thüringer damals zurückgezogen, doch seine Vergangenheit holt ihn gerade wieder ein. Im Juli 2019 war er als Teil der „Jungen Gruppe“, zu der auch Philipp Amthor gehörte, auf Japanreise, besuchte in Tokio, Osaka und Kyoto Robotik-Firmen, deutsche Unternehmer*innen und Politiker*innen. Hauptmann soll während dieses Aufenthalts eine Frau vergewaltigt haben, die in einer deutschen Auslandsvertretung arbeitete. Der Spiegel-Recherche zufolge hatte die Betroffene ihre Vorgesetzten informiert, die ihr geraten hätten, „die Sache nicht weiterzuverfolgen“. Doch die Frau erstatte Anzeige und wurde Ende März von der Potsdamer Staatsanwaltschaft befragt. Auch Hauptmann wurde vorgeladen, „ist der Aufforderung bislang aber nicht nachgekommen“, berichtet der Spiegel. Er bestreitet die Vorwürfe.

Samstag, 15. April

Es ist Spargelzeit und ja – ich liebe sie auch! Aber lasst uns bitte nicht vergessen, dass kein Gemüse so sehr für die Ausbeutung von Menschen steht wie deutscher Spargel. Denkt daran, dass für das „weiße Gold“ (BILD) unzählige Arbeiter*innen unter unwürdigen Bedingungen ausgebeutet und abgezockt werden. Der Mindestlohn wird vielfach nicht eingehalten, den Erntehelfer*innen werden Kosten für die Unterbringung und für „Arbeitsmaterialien“ vom Lohn abgezogen. In einem Brandenburger Betrieb zahlen die Arbeiter*innen für ein Bett im Zweibettzimmer monatlich 360 Euro, es gibt weder Küche noch Sanitäranlagen. Andere Unterbringungsmöglichkeiten gibt es nicht. Häufig wird die Arbeitszeit nicht dokumentiert, Überstunden nicht bezahlt. „In vielen Fällen erhalten Saisonbeschäftigte ihren Lohn erst unmittelbar vor ihrer Abreise am Ende ihrer Tätigkeit“, schreibt die Initiative Faire Landarbeit in ihrem Bericht 2022. Reklamationen sind damit erschwert, Lohnabrechnungen sind pauschal gehalten und für die Arbeiter*innen häufig nicht nachvollziehbar. Die Initiative hat im vergangenen Jahr rund 4.300 Saisonbeschäftigte in ganz Deutschland getroffen und zu ihren Arbeitsbedingungen befragt. Etwa 60 Prozent der Arbeiter*innen kamen aus Rumänien, weitere Herkunftsländer waren Polen, Ungarn, und Bulgarien und zunehmend auch Ukraine, Kirgisistan und Usbekistan. Die Arbeiter*innen berichten von fehlenden Schutzvorkehrungen gegen die Hitze: Es wurden vielfach keine Schattenplätze, ausreichend Trinkwasser, Sonnencreme oder einfache Kopfbedeckung zur Verfügung gestellt. Die Akkordarbeit setzt die Erntehelfer*innen zudem so unter Druck, dass sie vielfach Pausen verzichten. Viele der Saisonkräfte arbeiten gänzlich ohne Krankenversicherung. Die Initiative „LabourNet Germany“ hat Artikel und Berichte zur Situation Deutscher Erntebetriebe in einem Dossier zusammengestellt.

Sonntag, 16. April

In Wien rief heute erneut eine Kinderbuchlesung Rechtsextreme und christliche Fundis auf den Plan. In der „Türkis Rosa Lila Villa“ fand am Vormittag der „Queens Brunch“ statt und die Drag Queen Freya von Kant las eine Märchengeschichte vor (in der mit den sonst märchentypischen Geschlechterklischees gebrochen wurde). „Klassisches Erlebnis-Kindertheater samt Tanzeinheit und Fechtrunde mit Schwimmnudeln“, schreibt der ORF über die Veranstaltung. Doch rund 100 bis 300 Personen (ich habe unterschiedliches gelesen) aus dem rechtskonservativen Spektrum protestierten vor dem Gebäude. „Schützt unsere Kinder“ stand auf einem großen Banner in den österreichischen Nationalfarben. Die „Identitären“ (inkl. Martin Sellner) waren ebenso vor Ort, wie FPÖ-Politiker*innen und Burschenschaftler. Ein Hitlergruß wurde gezeigt und ein Banner mit „Kinderschutz = Heimatschutz“. Zum Glück stellten sich zahlreiche Wiener*innen dem Naziprotest entgegen und schützten den Veranstaltungsort. Die Lesung fand wie geplant statt. Ob die anwesenden Kinder am Ende des Tages von der lieben Drag Queen verstört wurden, die ihnen ein Märchen vorlas, oder den hunderten rechten Hassfratzen der Protestierenden, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber ich habe einen Verdacht.

Das wars für heute, ich danke euch wie immer fürs Lesen. Wer kann und will: via PayPal gibt es die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.

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