Die Bundesländer ziehen die Diskriminierungsschrauben an, vorm Bundestag wurde eine Sauna aufgestellt, Markus Söder verkleidete sich als Reichskanzler und die AfD wurde zur Berlinale eingeladen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW5
Montag, 29. Januar
In Ungarn ist ein 29-jähriger Deutscher zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Ihm (und anderen Angeklagten) wird vorgeworfen, ein paar Nazis attackiert zu haben. Die Beschuldigten sollen im vergangenen Jahr nach Budapest gereist sein, um Teilnehmer des rechtsextremen SS-Gedenkaufmarschs („Tag der Ehre“) anzugreifen. Während der 29-Jährige gestanden hat, bestreiten die Mitangeklagten (eine Deutsche, eine Italienerin) an den Taten beteiligt gewesen zu sein. „Das Ermittlungsverfahren der ungarischen Behörden gegen die beschuldigten Antifaschist:innen wurde von Anfang an durch eine mediale Berichterstattung großer ungarischer Tageszeitungen begleitet, welche die Teilnehmer:innen an den Veranstaltungen rund um den ‚Tag der Ehre‘ als einfache Tourist:innen und die Beschuldigten als brutale Gewalttäter:innen darstellte“, schreibt die Rote Hilfe, die den Prozess beobachtet und sich dafür einsetzt, dass Deutschland keine weiteren Beschuldigten nach Ungarn ausliefert. Ungarns Behörden fahnden derzeit nach vierzehn weiteren Personen (darunter zehn Deutsche), die sie verdächtigen, aus „linksextremistischer“ (aka antifaschistischer) Motivation Gewalt gegen Neonazis ausgeübt zu haben. Eine davon ist Maja, die im Dezember in Berlin festgenommen wurde und aktuell in Untersuchungshaft sitzt. In Ungarn hat sie kein faires Verfahren zu erwarten und ihr drohen bis zu 24 Jahren Gefängnis sowie eine Untersuchungshaft, die sich nach Aussage der Roten Hilfe „nahezu unbegrenzt verlängern lässt“. Das Verfahren steht laut mdr in Zusammenhang mit der Gruppe um Lina E., die im vergangenen Jahr zu mehreren Jahren Haft verurteilt wurde. Die Podcastserie „Die Fascho-Jägerin“ hatte den ganzen Fall und das Gerichtsverfahren recherchiert. Am Dienstag erschien eine neue Folge mit einem Update. Das Verfahren in Ungarn kommt allerdings nicht zu Sprache.
Dienstag, 30. Januar
In den USA wurde ein 20 Jahre alter Mann aus Ohio zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er im vergangenen Jahr versucht hatte, die Community Church in Chesterland niederzubrennen. Er hatte Molotowcocktails auf das Gebäude geworfen, weil die Kirche plante, zwei Veranstaltungen mit Dragqueens durchzuführen, darunter auch eine „Drag Story Hour“ für Familien. Der Verurteilte war Teil der rechtsextremen Gruppe „White Lives Matter“ und war schon vor der Tat an Aktionen gegen queere Veranstaltungen beteiligt, bei der die Gruppe mit Hakenkreuzfahnen aufmarschierte und „Heil Hitler“ rief. „Wir hoffen, dass diese bedeutende Verurteilung eine klare und durchschlagende Botschaft aussendet, dass diese Art von hasserfülltem Angriff auf eine Kirche in unserem Land nicht toleriert wird“, erklärte Kristen Clarke, Leiterin der Abteilung für Bürgerrechte des US-Justizministeriums, am Dienstag.
Mittwoch, 31.Januar
In Deutschland wird das Klima rauer und die soziale Kälte nimmt weiter zu. Die neuste Kaltfront kam diese Woche von den Bundesländern, die (nachdem der Bundestag vorletzte Woche für mehr und härtere Abschiebungen gestimmt hatte) entschieden haben, dass Asylsuchende in Deutschland künftig sogenannte „Bezahlkarten“ erhalten sollen. Damit soll sichergestellt werden, dass geflüchtete Menschen nur noch eingeschränkt über Bargeld verfügen dürfen und keine Überweisungen mehr tätigen können. „Das ist nicht nur schäbig, sondern auch menschenrechtlich zweifelhaft“, erklärte ProAsyl diese Woche. (Und das Bundesverfassungsgericht dürfte zustimmen, denn immerhin hatte es 2012 geurteilt, dass die in Artikel 1 des Grundgesetzes „garantierte Menschenwürde […] migrationspolitisch nicht zu relativieren“ sei.) Ach, Menschwürdeblabla, denkt sich die Bundesregierung, schließlich hat es oberste Priorität, es den Asylsuchenden so ungemütlich wie möglich zu machen, damit sie das Land freiwillig verlassen oder am besten gar nicht erst betreten. Boris Rhein, Hessens Ministerpräsident und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, nannte „Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken“ als wichtigen Grund für die Einführung der „Bezahlkarte“. Wie die neue Schikane in der Praxis funktionieren wird, steht noch nicht fest, die Bundesländer werden jeweils eigene Regelungen treffen. Möglich ist zum Beispiel, die Karte so einzustellen, dass sie nur innerhalb eines festgelegten Postleitzahlengebietes genutzt werden kann und somit die Freizügigkeit der Betroffenen einzuschränken. Außerdem wird der Betrag beschränkt, den die Menschen in bar abheben können. In Deutschland, wo „Cash Only“ oder „Kartenzahlung erst ab 10€“ vielfach Standard ist, ist die Beschränkung der Bargeld-Verfügung eine echte Existenzbedrohung. Wer schon mal versucht hat, in Deutschland ohne Bargeld eine öffentliche Toilette zu benutzen, eine Flasche Wasser am Kiosk zu kaufen oder eine Busfahrkarte auf dem Land, weiß, wovon ich rede. Von der Cafeteria in der Schule oder der Eisdiele ganz zu schweigen. Richtig eklig ist auch die Einigung der Bundesländer, die Bezahlkarte nicht mit einem Bankkonto zu verknüpfen und Überweisungen explizit auszuschließen. Asylsuchenden Menschen wird damit z.B. der Zugang zu Handyverträgen, den meisten Online-Käufen oder auch zu Rechtshilfe verwehrt. „Geflüchtete müssen insbesondere die Raten für ihre dringend benötigten Rechtsbeistände per Überweisung bezahlen können“, erklärt ProAsyl: „Nicht alle Anwält*innen verfügen über ein Debitkartenterminal. Und dass die Geflüchteten jeden Monat zur Abbuchung oder zur Barzahlung zu ihrem Rechtsbeistand reisen, ist aufwendig und kostet wiederum Geld.“ Wer ohnehin nur 410 Euro im Monat zur Verfügung hat, ist darauf angewiesen, z.B. auf Flohmärkten oder bei Ebay Kleinanzeigen zu kaufen – fast unmöglich ohne Bargeld oder Zugang zu Überweisungen. Wer glaubt, die Einführung der „Bezahlkarte“ würde zu weniger Migration nach Deutschland führen, ist vollkommen realitätsfremd. Menschen flüchten nicht nach Deutschland, weil sie es hier so bequem finden. Sie kommen aus purer Not. Auch wenn Deutschland sich alle Mühe gibt, noch ekliger zu werden, den Menschen noch mehr Würde zu nehmen – die Not ist größer. Und sie wächst.
Auch am Mittwoch
Seit 1990 gibt es die RosaLinde in Leipzig. Der Verein leistet seitdem wichtige Arbeit in der queeren Bildung, Beratung und Begegnung. Seit 1995 liegt ein Schwerpunkt auf Workshops in Schulen: junge Ehrenamtliche sprechen mit Schüler*innen über ihre eigenen Coming-out-Erfahrungen, bauen Vorurteile ab, bieten Beratung und Unterstützung. Darüber hinaus werden Lehrkräfte und Beschäftigte in der Kinder- und Jugendhilfe fortgebildet und für queerfeindliche Diskriminierungen sensibilisiert. Damit soll jetzt Schluss sein, findet das Land Sachsen. Der Verein erhält kein Geld mehr aus dem Fördertopf „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz” des Sächsischen Sozialministeriums. „Mit Bestürzung haben wir den Ablehnungsbescheid zur Kenntnis genommen,“ erklärt Stefanie Krüger, vom RosaLinde Leipzig e.V. „Das können wir nicht nachvollziehen, gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen und der politischen Entwicklungen in diesem Bundesland.” Die Streichung der Gelder kommt überraschend. „Viele Schulen setzen auf uns, weil sie überfordert im Umgang mit queeren Themen sind. Nicht selten werden wir kurzfristig angefragt, weil sich jemand in der Klasse z.B. als trans geoutet hat, ‘schwul’ inflationär als Schimpfwort gebraucht wird oder queerfeindliches Mobbing stattfindet. Dabei haben wir mittlerweile lange Wartezeiten. Eigentlich sind wir bis zu den Sommerferien komplett ausgebucht gewesen“, sagt Johanna Heinrich, die jetzt die geplanten Workshops absagen und den rund 30 Ehrenamtlichen erklären muss, „dass ihre sinnvolle und dringend benötigte Arbeit vom Freistaat nicht mehr gewollt ist“, heißt es in der Pressemitteilung. Dem Verein fehlen durch die Ablehnung nach eigener Aussage 200.000 Euro in diesem Jahr. RosaLinde Leipzig ist nicht der erste Verein in der queeren Bildungsarbeit, dem in Sachsen die Mittel entzogen wurden. Anfang des Jahres 2022 passierte das gleiche dem Partnerverein Gerede Dresden. Das Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ steht schon länger in der Kritik, weil „das Fördervolumen also nicht im Ansatz ausreicht, um die vielen, qualitativ hochwertigen und notwendigen Projekte, die Anträge stellen, zu bewilligen“.
Donnerstag, 1. Februar
Wisst ihr noch, als alle ganz entsetzt waren, als Obernazi Martin Sellner seine Pläne zur „Remigration“ einem Kreis erlauchter Rechtsextremist*innen in Potsdam vorstellte? Empörung überall, der Euphemismus für Abschiebung ist sogar als „rechter Kampfbegriff“ zum Unwort des Jahres gewählt worden. Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es die „beschönigende Tarnvokabel“ (Unwort-Jury) nicht längst bürokratisiert hätte. In Rostock wurde diese Woche die Stelle „Sachbearbeiter*in Remigration“ ausgeschrieben. Das Sachgebiet heiße schon seit über sechs Jahren so, erklärte ein Mitarbeiter des Rathauses. Es sei „ein Standardbegriff“ und „werde in der Verwaltung als Sammelbegriff für freiwillige Rückkehrangebote genutzt oder auch als Begriff für die Abschiebung von Migranten“, heißt es beim NDR. Nach überregionaler Berichterstattung ist es der Stadtverwaltung jetzt aber doch etwas peinlich (vor allem, nachdem sie ungewollt Unterstützung der AfD erhielt) und sie erklärte, den Begriff nun „diskutieren“ zu wollen. Die Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (LINKE) kündigte auf Instagram „eine offensive, heilende Debatte“ an, „die die Perspektive und Lebenswirklichkeit der Betroffenen in den Mittelpunkt rückt“. Ich bin gespannt, welcher nettere Name für die brutale Praxis des Abschiebesystems gefunden wird. Wäre ja auch zu schade, wenn sich die Mitarbeiter*innen aufgrund ihrer Jobbezeichnung unwohl fühlen, während sie nächtliche Überfälle organisieren, Familien auseinanderreißen oder Menschen in den Suizid treiben. Martin Sellners Buch „Remigration: Ein Vorschlag“ ist derzeit übrigens auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste in der Kategorie Bücher. Es ist noch nicht mal erschienen.
Freitag, 2. Februar
Das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Ampel ist gescheitert. Was mit großer Hoffnung auf Fortschritt in Sachen Gleichberechtigung und Menschenwürde begann, ist zu einer erniedrigenden Farce verkommen, die u.a. migrantisierte trans* Personen vor den Bus schmiss und als „Sorgen“ getarnte Transfeindlichkeit in einen Gesetzestext goss. Das Einknicken vor rechtskonservativen Verschwörungserzählungen und „genderkritischen Feministinnen“ hat eine gesellschaftliche Debatte über die Würde einer Minderheit angestoßen, ausgetragen auf dem Rücken derer, denen das neue Gesetz Selbstbestimmung und Anerkennung geben sollte. Die Verbände wie dgti und bv trans sind in ihrer Kritik zurückhaltend und setzen noch immer auf eine „immerhin besser als das TSG“-Logik, die bei näherer Betrachtung der Realität jedoch nicht standhält. Das Bündnis Selbstbestimmung Selbst Gemacht, das sich von den Verbänden eine kämpferische Haltung gewünscht hatte und enttäuscht wurde, hat kurzerhand einen alternativen Entwurf erarbeitet. In Zusammenarbeit mit Jurist*innen ist eine Gesetzesvorlage entstanden, die den Politiker*innen mindestens als Diskussionsgrundlage dienen soll. Im Interview mit analyse & kritik erklären Juliana, Luce und Mine vom Bündnis den Prozess: „Im Endeffekt haben wir genau dasselbe gemacht wie parlamentarische Gesetzgeber*innen: Wir haben an unterschiedlichen Entwürfen und Vorschlägen, die es bereits gab, Anpassungen vorgenommen. Den Alternativentwurf zu schreiben war ein Collagierungs- und Überschreibungsprozess (…) dadurch [haben wir] die bestehende Rechtslage und die in ihr angelegte Unterdrückung besser verstanden. Wenn du ein Gesetz neu schreibst, musst du den entsprechenden Quelltexten nachgehen und gucken, was da genau steht. Wie kannst du konkret dagegen argumentieren?“, sagt Luce. Und Mine ergänzt: „Wir haben klar gesagt: Wenn wir uns jetzt auf diese Performance selbst ein Gesetz zu schreiben einlassen, dann machen wir das auch professionell. Wir haben mit der Bundesdelegiertenkonferenz der Linken ein Lobbygespräch geführt, so dass unser Gesetz auf jeden Fall, wenn auch nicht als eingebrachter Entwurf, zumindest als Vorlage für eine Argumentation im parlamentarischen Prozess vorliegt.“ Am Freitag hatte das Bündnis die verantwortlichen Abgeordneten eingeladen, gemeinsam über den alternativen Gesetzesentwurf zu reden. Und zwar in der Sauna. Dafür wurde eine mobile Sauna vor den Bundestag gefahren und angeheizt. „Die Idee ist, gemeinsam zu schwitzen und zu reden“, sagte Mine zur taz. Und ein paar Politiker*innen sind sogar gekommen. „Sie sagen, wir Transfrauen sind eine Gefahr für Frauenschutzräume. Wir wollen ihnen zeigen, dass es möglich ist, in der Sauna in Frieden mit allen gemeinsam zu schwitzen“, erklärte Cleo.
Samstag, 3. Februar
Auch am Samstag gingen wieder deutschlandweit Menschen gegen rechts und Rechtsextremismus auf die Straße. In Berlin waren bis zu 300.000 Menschen vor dem Bundestag. Und während viele Menschen derzeit vor dem Wiedererstarken des Faschismus warnen, präsentierte Markus Söder sein diesjähriges Faschingskostüm. „Strauß hat immer gesagt, in schweren Zeiten müssen die Bayern die letzten Preußen sein“, sagte der Bayerische Ministerpräsident und zeigte sich als Otto von Bismarck. Söder, der letzte Woche noch ein „We Remember“ in die Kamera hielt und erklärte: „Gemeinsam verhindern wir das Vergessen. Das klare Bekenntnis gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus ist gerade in der jetzigen Zeit wichtig wie nie“, verkleidet sich als Reichskanzler, als rechts-außen Konservativer, der politische Gegner unterdrückte und antisemitische Positionen vertrat. Hahaha, so funny Markus.
Sonntag, 4. Februar
Am 15. Februar wird in Berlin das Filmfestival „Berlinale“ eröffnet. Eingeladen sind auch zwei Abgeordnete der AfD: die Landesvorsitzende Kristin Brinker und der Parlamentarische Geschäftsführer Ronald Gläser. Brinker, die kürzlich erst mit Martin Sellner und anderen Nazis auf einer Party beim ehemaligen CDU-Finanzsenator war und Gläser, der die aktuellen Proteste gegen Nazis als ein „von der Regierung gelenktes Theater“ bezeichnet. Gegen die Einladung regte sich Widerstand in der Film-Community. In einem Offenen Brief, der von über 200 Filmschaffenden unterzeichnet wurde, hieß es: „Wir halten dies für unvereinbar mit der Verpflichtung des Festivals, ein Ort der ‚Empathie, des Bewusstseins und des Verständnisses‘ zu sein“. Der Text ist nicht mehr online, wird aber im englischsprachigen Onlinemagazin Deadline zitiert. Am Sonntagmorgen veröffentlichte Berlinale-Leiterin Mariëtte Rissenbeek ein Statement zu den Vorwürfen und erklärte, dass der Berliner Senat „Einladungskontingente“ erhalte, „die an die gewählten Abgeordneten aller Parteien im Abgeordnetenhaus vergeben werden“. Den AfD-Vertreter*innen wolle sie jetzt einen „persönlichen Brief“ schreiben, um ihnen mitzuteilen, dass sie nicht willkommen seien. Eine offizielle Ausladung sieht anders aus, wenn ihr mich fragt.
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