Zwei Menschen starben in Polizeigewahrsam, aber alle reden nur über Silvester in Neukölln, in Kenia wurde Edwin Chiloba ermordet und Justizminister Buschmann redet TERF nach dem Mund. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW1
Montag, 2. Januar
Das Jahr ist neu, die Debatten sind es nicht. Um genau zu sein, sind sie sogar uralt. In der Silvesternacht wurden u.a. in Berlin Polizist*innen und Einsatzkräfte von Rettungsdiensten mit Böllern beschossen (wie jedes Jahr) und Deutschland diskutiert seitdem in bester Tradition über „die Ausländer“ (wie immer). Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, den Bullshit zu debunken, der seit Jahresbeginn wieder verbreitet wird. Fest steht: „Wir“ haben nichts gelernt aus den Debatten der letzten Jahre („Kölner Silvesternacht“) und ignorieren gekonnt die Folgen des rassistischen Framings (Halle, Hanau, NSU etc.). Medien behandeln Polizeimeldungen als neutrale Quellen und übernehmen ungeprüft deren Zahlen und Behauptungen. 41 Polizist*innen seien im Einsatz verletzt worden heißt es beispielsweise. Dass als „Verletzungen“ auch „Kreislaufprobleme“ oder „Umknicken“ gezählt werden, wissen wir aus der Vergangenheit. Trotzdem scheint niemand genauer nachzufragen, wenn die Polizei ihre Zahlen veröffentlicht. Apropos Nachfragen: Der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus waren die Angaben über die Staatsangehörigkeit der tatverdächtigen Böllerwerfer (insgesamt 18 Nationalitäten wurden erfasst, 45 hatten den deutschen Pass) nicht aussagekräftig genug. Deshalb stellte die Fraktion eine Anfrage an den Innenausschuss: „Wie lauten die Vornamen der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit?“ Ja, es ist Wahlkampf in Berlin, Rassismus hat aber leider immer Saison. Rassismus ist auch der Grund dafür, dass die „Ausschreitungen“ in Berlin für ein riesiges Medienecho sorgten, während die 200 Personen, die an Silvester in der sächsischen Kleinstadt Borna randalierten und Einsatzkräfte angriffen, weitgehend unerwähnt blieben. Anwohner*innen sprachen von „Sieg Heil“-Rufen, gesprengten Briefkästen und einem zerstörten Zeitungskiosk. Angaben zur Anzahl verletzter Polizist*innen konnte ich keine finden, allerdings bin ich bei der Recherche auf einen Polizeieinsatz letztes Jahr in Dresden gestoßen: 185 Einsatzkräfte wurden dabei verletzt, 30 waren anschließend dienstunfähig. Der Anlass war ein Heimspiel von Dynamo Dresden. Über die Vornamen der insgesamt 40 Männer zwischen 18 und 69 Jahren, die vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen wurden, ist nichts bekannt.
Dienstag, 3. Januar
Während ganz Deutschland über Gewalt an Polizist*innen sprach, starb in Braunschweig ein weiterer Mensch in Polizeigewahrsam. Der 38-Jährige wurde an Neujahr festgenommen, nachdem er in einem Lokal Pfefferspray versprüht haben soll. Laut Polizeiangaben habe der Mann unter Drogen gestanden und sei den Beamten gegenüber gewalttätig geworden. Als eine Ärztin ihm Blut abnehmen wollte, stellte sie fest, dass er bewusstlos war. Es soll versucht worden sein, ihn mit einem Defibrillator wiederzubeleben, bevor er ins Krankenhaus gebracht wurde, wo er in der Nacht zu Dienstag schließlich für tot erklärt wurde. Die ermittelnde Polizei Gifhorn erklärte, sie habe keine „todesursächliche Gewalteinwirkung“ durch die Kolleg*innen aus Braunschweig feststellen können.
Auch in Berlin starb ein Mann in Polizeigewahrsam. Der 68-Jährige sei am Neujahrstag gegen 14 Uhr wegen Hausfriedensbruch festgenommen worden, als um 20 Uhr eine Kontrolle der Zelle stattfand, war der Mann tot. Nach der ersten Aussage einer Ärztin „könnten gesundheitliche Umstände der Grund für den Tod des Mannes sein“. Die Kriminalpolizei ermittelt nun.
Mittwoch, 4. Januar
Edwin Chiloba ist ermordet worden. Die Leiche des queeren Modedesigners und Aktivisten wurde in einer Metallbox am Straßenrand in der Nähe der Stadt Eldoret im Westen Kenias gefunden. Über den oder die Täter ist bislang nichts bekannt, aber der Verdacht liegt nahe, dass Chiloba aufgrund seines Engagements für Queer Rights getötet wurde. „Edwins Tod erinnert uns daran, dass queere Körper weiterhin überall im Land angegriffen werden“, sagte die kenianische Menschenrechtskommission für Schwule und Lesben (NGLHRC). In Kenia sind homosexuelle Handlungen verboten und können bis zu 14 Jahre Haft bedeuten. Die internationale queere Community trauert um Edwin Chiloba und alle anderen Menschen weltweit, die verfolgt und getötet werden, weil sie sind, wer sie sind.
Donnerstag, 5. Januar
Das Jahr ist erst wenige Tage alt und trotzdem haben bereits mehrere Femizide stattgefunden. Am Donnerstag wurde in Planegg (Bayern) eine 46-jährige Frau mit schweren Kopfverletzungen in ihrer Wohnung gefunden. In dem Mehrfamilienhaus hatte es im Keller gebrannt, deshalb hatten Rettungskräfte die Beohner*innen evakuiert und die schwerverletzte Frau entdeckt, die zu dem Zeitpunkt noch am Leben war, sie starb kurz darauf im Krankenhaus. Tatverdächtig ist der 20-jährige Sohn der Getöteten. Dieser meldete sich telefonisch bei der Polizei, um seinen Suizid anzukündigen. Er befand sich auf einem Baukran in 40 Metern Höhe, konnte jedoch von den Einsatzkräften zur Aufgabe bewegt werden. Die Ermittlungen, auch zum Motiv dauern an.
Am Freitag tötete mutmaßlich ein 17-Jähriger in Weisendorf nahe Erlangen (Bayern) seine 14 Jahre alte Schwester mit einem Messer und verletzte die Mutter schwer. In Berlin-Lichtenberg wurde eine 52-jährige Frau getötet und ihr gleichaltriger Lebensgefährte schwer verletzt. Das Paar befand sich in seiner Wohnung, als sich ihr 34 Jahre alter Nachbar mit einer Kettensäge Zugang verschaffte und den Mann dabei schwer verletzte. Der Angreifer soll anschließend die Frau mit einer Machete getötet haben. Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft erklärte: „Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass er aufgrund einer schweren psychiatrischen Erkrankung nicht schuldfähig ist und deshalb die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erfolgen sollte“, berichtet der rbb.
Am Samstag tötete in Freiburg mutmaßlich ein 29 Jahre alter Mann den neuen Partner seiner Ex-Frau. Der Tatverdächtige soll den 31-Jährigen in der Wohnung seiner Ex-Frau erschossen haben. Etwa zwei Stunden später wurde er nach einer Fahndung festgenommen. Er soll wegen Gewalttaten polizeibekannt sein. Natürlich ist die Tat kein Femizid, dennoch reiht sie sich ein in das Phänomen der männlichen Gewalt im Zusammenhang mit der patriarchalen Anspruchshaltung und dem Besitzdenken von Männern, die die Trennung ihrer Ex-Partnerinnen nicht akzeptieren.
Freitag, 6. Januar
Letzte Woche habe ich im Newsletter noch geschrieben: „pessimistisch (realistisch!) wie ich bin, fürchte ich, dass das langersehnte Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung auch in diesem Jahr nicht Wirklichkeit werden wird“ und ein am Freitag veröffentlichtes Interview mit dem Bundesjustizminister gibt meinem Pessimismus nun neue Nahrung. Zu „Die Zeit“ sagte Marco Buschmann: „Wir haben wahrgenommen, dass es Sorgen gibt, die sich auf die Rechtsfolgen des Geschlechtswechsels beziehen.“ Und damit meint er leider nicht die Bedenken, die Interessenvertretungen von inter*, trans* und nicht-binären Personen formuliert haben, sondern als Sorge getarnte Hetze von TERF und Rechtskonservativen. Der FDP-Politiker erklärt, nur die Behörden sollen zukünftig „die geschlechtliche Identität, die ein Mensch für sich gewählt hat, respektieren und akzeptieren“ müssen. Privatpersonen wie „die Betreiberin einer Frauensauna“ sollen weiterhin „die äußere Erscheinung eines Menschen“ als Maßstab dafür nehmen dürfen, wen sie respektvoll behandeln und wen nicht. Buschmann sagt: „Die Betreiber dürfen dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein.“ Gesetzlich legitimierte Transfeindlichkeit also. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ gilt dann weiterhin nur für cis Personen, bzw. nur für solche, deren „äußere Erscheinung“ entsprechend ist.
Samstag, 7. Januar
Am 7. Januar 2005 wurde Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle getötet und verbrannt. Die Polizei behauptet bis heute, der Asylbewerber hätte sich selbst angezündet, auch wenn mehrere Gutachten zu einem anderen Ergebnis kamen. Der gefesselte Gefangene kann unmöglich auf einer feuerfesten Matratze einen derartigen Brand gelegt haben. Der beauftragte Brandexperte, Ian Peck, hält es für“ höchstwahrscheinlich, dass am 7. Januar 2005 eine Menge einer flüchtigen entzündbaren Flüssigkeit wie Benzin über Herrn Jalloh gegossen und absichtlich entzündet wurde“. Es ist mir unbegreiflich, wie bis heute an der absolut unglaubwürdigen Version der Dessauer Dienststelle festgehalten wird, die sich an mehreren Stellen als unwahr herausstellte. Eine forensische Untersuchung brachte ans Licht, dass Oury Jalloh vor seinem Tod schwer misshandelt wurde, es ist nicht unwahrscheinlich, dass seine Verbrennung eine Vertuschung der brutalen Gewalttat war. Der fünfteilige Podcast „Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau“ rekonstruiert den Fall eindrücklich und deckt zwei weitere Fälle auf, bei denen Menschen im Dessauer Polizeirevier zu Tode kamen. Im Podcast geht es auch darum, dass Opfer von Polizeigewalt kaum eine Chance haben, um Korpsgeist und darum, wie aus einem Polizei- ein Justizskandal wurde.
Auch am Samstag
Im Iran sind zwei weitere Menschen hingerichtet worden, die in Zusammenhang mit den Protesten gegen das Regime festgenommen wurden. Mohammad Mehdi Karami (22) und Mohammad Hosseini (39) wurden nach einem „schnell durchgeführten unfairen Gruppenprozess“ (Amnesty International) am Samstag gehängt.
Sonntag, 8. Januar
In Lützerath (NRW) begann heute das vielleicht letzte Kapitel. Die Räumung des Dorfes soll unmittelbar bevorstehen, deshalb kamen heute Tausende Menschen zu einer Demo zum Braunkohletagebau Garzweiler, um die Zerstörung des Dorfes und den weiteren Abbau von Braunkohle zu demonstrieren. Die Staatsgewalt macht ihrem Namen erwartungsgemäß alle Ehre und will mit Einsatzkräften aus 14 Bundesländern, Räumpanzern und Wasserwerfen die Kapitalinteressen des RWE-Konzerns durchsetzen. Ich hoffe, dass alle, die bei den Kleber-Aktionen der „Letzten Generation“ herumgemault haben, dass es „die Falschen trifft“, jetzt gerade dabei sind, die Richtigen zu blockieren.
Das wars für heute mit dem Wochenrückblick. Wie immer: Danke fürs Lesen. Wenn Du kannst und willst, gibt es via PayPal die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.