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Illustration und Collage von mir.

Klingt komisch? Ist aber so!

Der Bundestag erlaubt geschlechtergerechte Sprache, der SPIEGEL erklärt den Kulturkampf, ich schreibe ein Buch und Die Maus hat Geburtstag. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW9

Montag, 1. März

Der 1. März ist Equal Care Day und soll auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Care-Arbeit aufmerksam machen. Im Gesamtdurchschnitt leisten Frauen 52,4 % mehr Familien- und Sorgearbeit als Männer. Gesamtdurchschnitt heißt, dass hier Singlehaushalte und kinderlose Paare mit einberechnet sind, Lebenskonstellationen, in denen verhältnismäßig weniger Care-Arbeit anfällt. Im Extremfall, in Familien mit kleinen Kindern, steigt die Diskrepanz im privaten Gender Care Gap auf über 110 % oder alltäglich über zweieinhalb Stunden, die Frauen mehr Sorgearbeit leisten (müssen).

Der Fokus liegt in diesem Jahr auf dem sogenannten „Mental Load“, also den meist unsichtbaren Aufgaben im Rahmen von (familiärer) Care-Arbeit. „Diese Aufgaben werden oft nicht explizit genannt, werden jedoch nebenher identifiziert, geplant und dann erledigt. Neben tatsächlichen ToDos, bringen diese Aufgaben nochmal ein nicht unbeträchtliches Eigengewicht in die Gesamtsumme aller sichtbaren Aufgaben“. Der Mental Load umfasst die Verantwortung, die in der Regel den Frauen zukommt. Wenn bspw. das gemeinsame Kind zu einem Kindergeburtstag eingeladen wird, muss nicht nur das Bringen und Abholen organisiert werden, sondern ein vielfaches Mehr berücksichtigt und erledigt werden (Welches Geschenk wird gekauft? Was wünscht sich das Kind? Was schenken die anderen? (Dopplungen vermeiden!) Ist noch Geschenkpapier da? Wie heißen die Eltern des Kindes, wie sind ihre Kontaktdaten? Wird gemeinsam gegessen? Wer übermittelt die Allergien des Kindes? Und so weiter…)

Die Initiative Equal Care Day bietet einen Fragebogen an, den Paare und Familien nutzen können, um ihre Aufteilung von Care Arbeit zu reflektieren. Es gibt auch eine Version für Teams, um die Aufgabenverteilung von „Kümmerarbeit“ im Arbeitskontext auszuwerten.

Dienstag, 2. März

In Polen wurden die Angeklagten im „Regenbogen-Madonna“ Prozess freigesprochen. Drei Frauen mussten sich vor Gericht verantworten, weil sie ein Bild der heiligen Maria mit einem Heiligenschein in Regenbogen-Farben verbreitet haben sollten. Für die rechtskonservative Regierungspartei PiS ist der Regenbogen ein Symbol der „Sünde“. Die Richterin sah das anders, im Urteil heißt es: „Die Botschaft des Neuen Testaments ist die von Nächstenliebe, Glaube, Hoffnung und Liebe. Diese positiven, in der europäischen Kultur verankerten Werte sind die Grundlage unserer Moral. Liebe, Verständnis und gegenseitige Achtung sind der richtige Weg.“

Elzbieta Podlesna, bekannteste Aktivistin der drei angeklagten Frauen, sagte unmittelbar nach dem Urteilsspruch: Ich hörte das mit großer Rührung. Es passiert wohl selten, dass Staatsbeamte in Richterrobe Worte über Liebe und gegenseitigen Respekt sprechen, auch in Richtung von Vertretern der katholischen Kirche. Und es rührt mich sehr, dass sich der Staat schützend vor Bürger stellt, die am meisten schikaniert und angegriffen werden.

https://twitter.com/ulle_schauws/status/1367012340319846400?s=20

Auch am Dienstag

Am Dienstag startete die Crowdfunding-Kampagne für das Buch „Von hier aus gesehen. 15 Interviews mit Menschen, die es anders machen“, das ich gemeinsam mit Celestine Hassenfratz und Anna Rother publiziere. Mit „Von hier aus gesehen“ wird die bestehende Gründer*innen-Literatur um Fragen nach Werten und Widersprüchen erweitert. In 15 biographischen Interviews geben die Protagonist*innen Einblick in ihre ganz persönlichen Handlungsstrategien, ihre Zweifel und Fragen, ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit. Wir fragen: Wie können wir unsere Werte mit den ökonomischen Erfordernissen vereinbaren, denen wir alle unterliegen? Welche Widersprüche sind dabei auszuhalten? Wo können wir Kompromisse eingehen, die erforderlich sind, um wirtschaftlich zu wachsen, wo ziehen wir Grenzen?

Bei der Auswahl der Protagonist*innen, mit denen wir die Interviews führen, haben wir besonderen Wert auf Diversität gelegt. Wir wollen mit dem Buch möglichst viele verschiedene Perspektiven abbilden und haben daher weiße und Schwarze Frauen und PoC angefragt, Menschen mit und ohne Behinderung, cis, trans Personen und Menschen, die sich nicht binär verorten, Mütter und kinderlose Frauen.

Begleitet von kurzen Texten zum theoretischen Unterbau und Illustrationen soll daraus ein Buch zur Inspiration und Reflexion entstehen, das wir im Selbstverlag herausbringen.

Banner - "Von hier aus gesehen" - Jetzt Crowdfunding unterstützen

Für die Produktionskosten bitten wir unsere Community um finanzielle Unterstützung! Wenn ihr jetzt ein Buch vorbestellt, helft ihr uns, dass wir das Projekt finanzieren können. Wir haben auch andere, schön gestaltete „Dankeschöns“ im Angebot, u.a. ein Postkarten- und ein Sticker-Set. Hier klicken, um zur Kampagne zu gelangen.

Mittwoch, 3. März

Der Bundestag wird zukünftig geschlechtergerechte Sprache tolerieren. In Anträgen, Entschließungsanträgen und Begründungen von Gesetzesentwürfen dürfen künftig das Gendersternchen, der Gender-Doppelpunkt oder andere Formen der geschlechtergerechten Sprache verwendet werden. Man habe mit der Verwaltung „die Verständigung erreicht“, dass die Formulierungen nicht mehr „herauskorrigiert“ werden, teilte Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, dem Tagesspiegel mit.

Donnerstag, 4. März

Im Bundestag wurde am Donnerstagabend über einen Antrag der Linken debattiert, der das „Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung“ sowie „reproduktive Gerechtigkeit“ fordert. Die Abgeordnete Cornelia Möhring hielt dazu eine wichtige Rede, in der sie klarstellt, dass wir „hierzulande noch weit von diesem Zustand reproduktiver Gerechtigkeit entfernt“ sind. Sie macht außerdem darauf aufmerksam, wie egal der selbsternannten „Pro-Life“-Fraktion, also den Abtreibungsgegner*innen, das Leben vieler Menschen in Wahrheit ist. Weder interessieren sie sich für die in Armut aufwachsenden Kinder in Deutschland noch für die Menschen, die in Lagern an den EU-Außengrenzen gefangen gehalten werden. „Diesen selbsternannten Lebensschützern geht es nämlich vor allem um eins: um den Zugriff auf Frauen und die Kontrolle über deren Körper.“ Der Antrag der Linken erhielt Unterstützung von Abgeordneten der Grünen und der SPD. FDP, CDU/CSU und AfD lehnten ihn ab.

Keine Woche ohne Femizide

In Monheim am Niederrhein wurde am Donnerstag eine 32-jährige Frau getötet. Die Polizei geht davon aus, dass sie an den Folgen stumpfen Gewalteinwirkung starb. Tatverdächtig ist ein 35-jähriger Mann, in dessen Wohnung die Leiche der Frau gefunden wurde. In welcher Beziehung der dringend Tatverdächtige zur Getöteten stand, ist nach Polizeiangaben noch unklar. Es war nicht der einzige Femizid in dieser Woche. Am Dienstag soll ein 23-jähriger Mann seine 58-jährige Mutter in deren Wohnung in Berlin-Tempelhof getötet haben. Bereits am Montag nahm die Polizei in Thüringen die Ermittlungen zu einem Tötungsdelikt in Greiz auf. Dort wurde ein 40-Jähriger festgenommen, der eine 60-jährige Frau getötet haben soll. Die Zahl der Femizide wird in Deutschland nirgendwo offiziell erfasst. Das Bundeskriminalamt veröffentlicht einmal jährlich die Zahlen zur „Partnerschaftsgewalt“, die auf den Daten der Landeskriminalämter beruhen, doch deren Statistiken unterscheiden sich stark. Gewalt gegen Frauen gilt in unserem Land nach wie vor nicht als strukturelles Problem. Das muss sich dringend ändern.

Freitag, 5. März

Der SPIEGEL hat es wohl endgültig satt, noch immer als irgendwie „linksliberal“ zu gelten. Um diesen unliebsamen Ruf endlich loszuwerden, hat sich die Redaktion etwas ausgedacht, das sie nun ein für allemal davon befreien sollte: Ein Cover, das der rechtskonservativen Leser*innenschaft vermutlich Freudentränen in die, vom wütenden Anstarren queerer Enkelkinder ausgetrockneten, Augen treibt. „Ist das noch Deutsch?“ fragt das Magazin im Hinblick auf die gendergerechte Sprache. Die Debatte wird auch gleich zum Kulturkampf erklärt und so die – um im Wording zu bleiben – Marschroute vorgegeben. Anlässlich des bevorstehenden feministischen Kampftages am 8. März positioniert sich der SPIEGEL ganz bewusst. Im Heft ein Artikel über geschlechtsspezifische Gewalt: „Jeden dritten Tag tötet ein Mann irgendwo in Deutschland seine Partnerin oder Ex-Partnerin. Viele dieser Verbrechen ließen sich verhindern, doch die Politik ignoriert den Nährboden solcher Femizide.“ – Vermutlich nicht reißerisch genug für eine Titelstory.

Dank Büchereiausweis der Berliner Bibliotheken konnte ich die Titelstory kostenfrei online lesen. Darin heißt es: „Wie jede lebendige Sprache ist das Deutsche permanent im Fluss, neue Wörter und Redewendungen tauchen auf, nicht alles gefällt allen. Seit Langem stoßen sich Sprachpuristen an Anglizismen oder am Einsickern von Jugendwörtern ins Vokabular der Erwachsenen. Doch leidenschaftlich gestritten wird darüber kaum noch.“ Bei der geschlechtergerechten Sprache sieht es gänzlich anders aus. Die Autor*innen des Artikels droppen mal nebenbei das Z- sowie das N-Wort, weben die notwendige Debatte über das kolonialrassistische Erbe hinein und mutmaßen: „Die Vergangenheit ist bei diesem Aufbruch so etwas wie die natürliche Feindin. Alles, was eine lange Geschichte hat, steht im Verdacht, unter der polierten Oberfläche der Traditionspflege ein Werkzeug der Unterdrückung zu sein.“ Der geschlechtergerechten Sprache und all jenen, die sie verwenden, wird unterstellt, „den Deutschen vorgeben [zu] wollen, wie sie künftig reden und schreiben sollen“. Ein Beleg mehr zur Unterstützung meiner persönlichen These, dass die Gegner*innen von gendergerechter Sprache sich in erster Linie angegriffen, „gezwungen“ fühlen. Denn von vorschreiben kann keine Rede sein. Meiner Kenntnis nach läuft keine Sprachpolizei durch die Gegend, belauscht Gespräche und stellt Strafzettel aus, wenn irgendwo das generische Maskulinum verwendet wird. Im Gegenteil, erst im vergangenen Jahr ist die Rentnerin Marlies Krämer in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht mit ihrer Klage gegen das generische Maskulinum in Sparkassen-Formularen gescheitert. Die drei männlichen Verfassungsrichter lehnten ihre Beschwerde aus formalen Gründen ab. Sie hätte es besser begründen müssen, warum sie als Frau nicht mit der männlichen Form („Kunde“) angesprochen werden will. Im Grundgesetz würde schließlich auch nur die männliche Form verwendet. Geschlechtergerechtigkeit, ja okay. Aber nicht in der Sprache, bitteschön!

Und das war auch am Freitag

Endlich hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Dieter Wedel erhoben, nach drei Jahren Ermittlungen. 2018 hatte die Schauspielerin Jany Tempel dem Regisseur vorgeworfen, sie 1996 vergewaltigt zu haben. Weitere Frauen bezichtigten den inzwischen 81-Jährigen wegen sexueller Übergriffe.

Samstag, 6. März

Die Debatte um das „Nazi-Erbe“ im deutschen Kulturbereich, die von Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah angestoßen wurde, hat die Feuilletons erreicht. Den bislang traurigen Höhepunkt erreichte die Berichterstattung am Samstag, als ein Artikel in Springers Hetzblatt „Die Welt“ erschien, in dem Hilal und Varatharajah als „Rassisten“ bezeichnet werden, die „allen Deutschen einen ‚Nazihintergrund‘ unterstellen“ würden. Die rechten Trolle aus „Siff-Twitter“ sprangen begeistert auf, was eine Welle des Hasses über Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah schwappen ließ. Es ist bezeichnend, wie sich Deutsche mit Nazi-Hintergrund noch immer mit Händen und Füßen dagegen wehren, ihre Familiengeschichte in Zusammenhang mit deren Taten zwischen 1933 und 1945 gebracht zu sehen. Deutsche wollen Weltmeister sein in Gedenkkultur, in Aufarbeitung. Deutsche wollen nicht von vermeintlichen „Ausländer*innen“ auf eine mögliche Schuld ihrer Vorfahren hingewiesen werden. Mohamed Amjahid setzt sich in einem Gastbeitrag für den SPIEGEL mit der typisch deutschen „Erinnerungsüberlegenheit“ auseinander: „In der Breite erwächst aus diesem Erinnerungstheater nicht selten ein prodeutsches Marketing: Seht her, wir sind in der Geschichte die ultimativen Bösen gewesen. Weil wir das heute aber aufgearbeitet haben, sind wir nun die Superguten und können allen anderen Anweisungen geben.“ Damit ist für mich an dieser Stelle auch für heute alles gesagt.

Sonntag, 7. März

Die Sendung mit der Maus feiert heute ihren 50. Geburtstag. Glaubt man einem der Schöpfer*innen, Armin Maiwald, ist „Die Maus“ weder männlich noch weiblich, sozusagen nicht binär. Von vielen Zuschauer*innen wird sie jedoch als weiblich gelesen. Sie ist die stumme Moderatorin der Kindersendung. Für den Durchschnitt der „weiblichen“ Sprechanteile im deutschen Fernsehen tut sie so zwar nichts, trotzdem ist sie Heldin vieler Kinder und damit eine von nur wenigen weiblich gelesenen Figuren. Denn Kinderfernsehen transportiert häufig problematische Geschlechterbilder. Insbesondere die Rollenverteilung ist kritisch. Nur ein Viertel der gezeigten Figuren in Kindersendungen ist weiblich. Bei imaginären Tierfiguren sieht es noch finsterer aus: auf eine weibliche Figur kommen neun männliche. Die Maus ist also eine wichtige Repräsentantin einer Minderheit. Auch im Kinderfernsehen gilt noch viel zu oft: Männer erklären die Welt: Auch außerhalb der fiktionalen Erzählungen kommen Frauen deutlich seltener vor. Die Moderator*innen von Kindersendungen sind zu zwei Drittel männlich. Kinder lernen so, dass überwiegend Männer die Experten sind, die Dinge verstehen und erklären. Ob sich Kinder selbst zutrauen, Expert*in zu sein, hängt auch mit den gezeigten Vorbildern zusammen. „Die kleinen Zuschauer_innen befinden sich mitten in einer intensiven Phase der Prägung von Rollenbildern“, erklärt Dr. Frederik Holst, Politik- und Kommunikationswissenschaftler und Medienpsychologe: „Wenn auch im Kinderfernsehen weibliche Charaktere – egal ob in fiktiven oder realen Umgebungen – größtenteils klassische Stereotype widerspiegeln, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn auch die nächste Generation Expertentum weiterhin als männliche Domäne in ihrem (Unter-)Bewusstsein behält.“

Aber Die Maus ist noch aus einem anderen Grund etwas Besonderes. Sie hat sich in den 50 Jahren nicht wesentlich verändert. Während andere weiblich gelesene Figuren, wie die Biene Maja oder Heidi, dem herrschenden Schönheitsideal angepasst und u.a. „schlanker“ wurden, ist „Die Maus“ so geblieben, wie sie war.

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