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Love you, Elliot, always have! Illustration, Foto und Collage von mir.

Kick it like Elliot

Das Outing von Elliot Page wurde von den deutschen Medien vermiest, gut gemeinte Kunst ist mal wieder gründlich schiefgegangen und in der Champions League gab es eine Premiere. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW49

Montag, 30. November
Joe Biden und Kamala Harris haben ihr Kommunikationsteam vorgestellt. Erstmals arbeitet im Weißen Haus ein rein weibliches Team im Bereich der Kommunikation. „Direkt und wahrheitsgemäß mit den Menschen in Amerika zu kommunizieren, ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Präsidenten“, erklärte Biden und sagte über die neuen „qualifizierten und erfahrenen“ Mitarbeiterinnen, sie „bringen unterschiedliche Perspektiven in ihre Arbeit ein und setzen sich gemeinsam dafür ein, dieses Land wieder besser aufzubauen“. Auch Kamala Harris ist stolz auf diese Premiere: „Diese Kommunikationsprofis stehen für unser Versprechen, ein Weißes Haus zu schaffen, das das Beste unseres Landes spiegelt.“

Dienstag, 1. Dezember
Elliot Page hat öffentlich erklärt, dass er trans ist. Der Schauspieler, der für seine Rolle in „Juno“ eine Oscar-Nominierung erhielt, teilte ein Statement via Social Media, in dem er mitteilte: „Ich liebe es trans zu sein. Und ich liebe es queer zu sein.“

Doch er bittet auch um Geduld: Meine Freude ist echt, aber auch zerbrechlich. Die Wahrheit ist, dass ich, obwohl ich mich gerade zutiefst glücklich fühle und um meine vielen Privilegien weiß, auch Angst habe. Ich fürchte die Invasivität, den Hass, die ‚Witze‘ und die Gewalt.“ Er geht auf die erschreckenden Zahlen ein, die seine Angst begründen. Allein in diesem Jahr wurden in den USA mindestens 40 trans Menschen getötet, die Mehrheit von ihnen Schwarze und Latinx trans Frauen. Er adressiert auch Politiker*innen, die trans Menschen eine adäquate Gesundheitsversorgung verweigern, sowie alle Personen mit großer Reichweite, die mit ihrer transfeindlichen Agenda eine Mitschuld an der hohen Suizidrate von trans Menschen tragen. „Ihr habt Blut an euren Händen“, schreibt Page und er erklärt: „Genug ist genug! Ihr werdet nicht ‚gecancelt‘, ihr verletzt Menschen. Ich bin einer dieser Menschen und wir werden nicht mehr schweigen, im Angesicht eurer Angriffe.“

Netflix reagierte schnell und ersetzte den Deadname (also den abgelegten Namen) auf seiner Plattform, auch Wikipedia und die Filmdatenbank IMDB führen Elliot Page unter seinem Namen. Die dpa jedoch scheint selbst die Basics im richtigen Umgang mit trans Personen nicht zu kennen. In der herausgegebenen Pressemeldung, die von zahlreichen deutschen Medien übernommen wurde, darunter der SPIEGEL, die Welt, NTV und auch das Redaktionsnetzwerk Deutschlands (RND), wird der Deadname von Elliot Page verwendet sowie die konsequent falschen Pronomen. „Die Schauspielerin“ hieß es darin, habe „bekanntgegeben, dass sie Transgender sei und künftig einen männlichen Namen tragen wolle“. Nicht nur, dass Elliot Page als „Schauspielerin“ und „sie“ bezeichnet wird: Die Formulierung „künftig einen männlichen Namen tragen wolle“ zeugt von fehlender Sensibilität im Themenfeld. Trans Menschen „wollen“ nicht trans sein. Sie sind trans. Elliot Page „will“ nicht als Mann leben, er ist ein Mann. Samira El Ouassil hat zu der transfeindlichen dpa-Meldung einen lesenswerten Kommentar geschrieben. Darin fragt sie: „Woher wissen wir, dass er nicht bereits sein ganzes Leben lang schon Elliot Page war, der als eine Frau performte beziehungsweise performen musste, weil es nun mal das ihm zugewiesene Geschlecht war?“ Sie weist darauf hin, wie wichtig es ist, dass wir die richtigen Pronomen verwenden, d.h. die Pronomen, die uns ein Mensch für sich mitteilt. Nur so kann eine Person als sie selbst existieren „und nicht als gesellschaftlich eingeforderte Version ihrer selbst“.

Mittwoch, 2. Dezember
Erstmals in der Geschichte der Champions League wurde eine Partie der Männer von einer Frau geleitet. Die französische Schiedsrichterin Stéphanie Frappart pfiff das Match Juventus Turin gegen Dynamo Kiew. Diese besondere Premiere fand große Aufmerksamkeit bereits im Vorfeld der Begegnung. Über das Spiel selbst war im Nachhinein nicht viel zu hören, bekanntlich das größte Kompliment für Schiedsrichter*innen.

Donnerstag, 3. Dezember
Der 3. Dezember ist Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen. Für viele hat dieser Tag keinerlei Bedeutung. Behinderten-Rechte und Inklusion sind nach wie vor Nischenthemen, die selten die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Wenn man bedenkt, dass fast jede*r zehnte Bürger*in in Deutschland eine Schwerbehinderung hat und dass nur drei Prozent der behinderten Menschen so geboren werden, d.h. 97 Prozent erst im Laufe des Lebens zu Be_hinderten werden, ist das doch recht bemerkenswert. Die Wahrscheinlichkeit, selbst zur behinderten Person zu werden ist gar nicht so gering, das verdrängen die meisten Menschen. „Behindert“ gilt leider viel zu oft noch als „schmutziges Wort“, Menschen sprechen es nicht gerne aus, drucksen herum. Manches dient es sogar als Schimpfwort. Behinderte Menschen werden viel zu oft unsichtbar gemacht. Und tauchen nur dann in den Medien auf, wenn es um Probleme geht. Je nach Narrativ sollen sie abschrecken oder Mitleid erregen. Wir nehmen Menschen mit Behinderung kaum abseits ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung wahr. Kleiner Selbstversuch: Wie viele behinderte Prominente kannst du aufzählen? Mehr als drei?

Frauen mit Behinderung erfahren häufig mehrfach Diskriminierungen. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2009 zu den Lebenslagen behinderter Frauen in Deutschland hat u.a. festgestellt, dass Frauen mit Behinderung geringere ökonomische Handlungsspielräume und schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Untersuchung verfolgte einen intersektionalen Ansatz, sodass die Mehrdimensionalität von Benachteiligungen offengelegt werden konnte. Bspw. wurde herausgefunden, dass das durchschnittliche Einkommen einer behinderten Frau mit Migrationshintergrund deutlich niedriger ist als das der behinderten Frau ohne Migrationshintergrund.

Eine Studie der Universität Bielefeld von 2012 stellte fest, dass Frauen mit Behinderung allen Formen von Gewalt häufiger ausgesetzt sind als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt. Behinderte Frauen sind zudem zwei- bis dreimal häufiger sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend ausgesetzt, gehörlose Frauen zu 52%, blinde Frauen zu 40%, psychisch kranke Frauen zu 36% und körper-/mehrfachbehinderte Frauen zu 34%.

Freitag, 4. Dezember
Es ist nicht das erste Mal, dass ein cis männlicher Künstler Gewalt gegen Frauen thematisiert und es ist auch nicht das erste Mal, dass „gut gemeint“ gehörig daneben geht. Jüngstes Beispiel lieferte in dieser Woche Dennis Meseg, dessen Installation „Broken“ gerade durch Deutschland tourt. 222 Schaufensterpuppen lässt der Bonner Künstler jeweils einen Tag in verschiedenen Städten aufstellen, am Montag in Düsseldorf, Dienstag in Essen, Mittwoch in Duisburg, Donnerstag in Bielefeld, Freitag in Hamburg und so weiter. Die Puppen hat er mit orangenem Klebeband „verziert“, das Aufschriften trägt wie „Murdered“, „Sprich drüber“ oder „verstümmelt“, allerdings auch „Vorsicht Glas“ oder „Gesperrt“.

Dieses „Kunstwerk“ ist auf so vielen Ebenen schlimm, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Beginnen wir beim Titel: „Broken“ heißt auf Deutsch: gebrochen, zerbrochen, kaputt. Frauen, die (sexualisierte) Gewalt erfahren haben, sind keineswegs (alle) gebrochen. Nicht selten erleben Betroffene nach der Tat durch das Verhalten von Polizei und Gerichten eine (erneute) Traumatisierung und leiden unter dem Stigma, „Opfer“ geworden zu sein. Meseg reproduziert das alte (patriarchale) Bild des weiblichen Opfers, das gesichtslos und stumm, gebrochen eben, starr verharrt. Was Frauen passiert, denen Gewalt angetan wurde, die sich aber nicht diesem „Opfertypus“ entsprechend verhalten, kennen wir zu genüge: Es wird ihnen nicht geglaubt, eine Mitschuld gegeben oder es kommt sogar zur Täter-Opfer-Umkehr. Auf der Webseite des Künstlers heißt es die Installation sei „ein Aufruf, die Gewalt gegen Frauen endlich zu beenden. Männer können sehr wohl zu der Einsicht gelangen, dass alle Frauen, so wie auch ihre Mütter, Frauen und Töchter, genauso wertvoll sind wie sie selber, und die gleiche Achtung verdienen.“ Diese Aussage ist nicht nur grammatikalisch problematisch (guck mal, Nati, noch so ein „selbst/selber“-Otto). Es wirkt fast so, als hätte Dennis Meseg kürzlich selbst erst erkannt, dass Frauen ja Menschen sind. Dass er meint, andere Männer könnten ebenfalls zu dieser Erkenntnis gelangen, weil sie ja eine Mutter, vielleicht sogar eine Ehefrau und/oder Tochter haben, zeugt nur davon, wie Meseg selbst auf Frauen blickt. Als Ergänzung des Mannes. Ich weiß nicht, ob jemand dem Künstler schon gesagt hat, dass Frauen auch dann Achtung verdienen, wenn sie niemandes Mutter, Schwester, Frau oder Freundin sind. Welches Bild Meseg von Frauen hat, wird nicht nur durch die schlanken, genormten Körper der Schaufensterfiguren deutlich. Er wähnt sich Frauen besonders nah, indem er glaubt, Frauen wären ja eigentlich wie „Künstler“. Er schreibt: „Frauen kennen die Dämonen in der Tiefe des Abgrundes, der die Gesellschaft noch immer spaltet. Frauen – und Künstler.“ Ihm zufolge würden Frauen nicht „töten, verstümmeln oder beherrschen“ wollen, sondern „etwas erschaffen, das gut ist. Das der Welt keinen Schaden zufügt, sondern Freude bereitet“ – wie er als Künstler eben. Dieser unsägliche Pathos von der Frau als heiliges Wesen der Schöpfung gipfelt im letzten Absatz, in dem er sagt, das Ziel von Männern sollte ein „Beitrag zu einer besseren Welt“ sein und zwar „basierend auf Liebe, Herzblut und Geduld. Wie Künstler*innen sie empfinden für ihre Werke. Und Frauen für ihre Kinder.“

Entschuldigung, ich musste kurz etwas Erbrochenes herunterwürgen. Warum ich mich dieser ganzen Farce hier überhaupt widme?

Erstens tourt diese unwürdige Scheußlichkeit von Installation gerade durch die gesamte Republik, vermutlich sogar öffentlich gefördert und

zweitens macht es mich wirklich wütend, dass so etwas im wahrsten Sinne des Wortes Raum einnimmt.

Mit der inzwischen vielfach geäußerten Kritik an seinem Werk kann der Künstler nicht umgehen. Er löscht die Kommentare und sperrt die Kommentator*innen. Ich habe keine Hoffnung, dass er aus den vorgebrachten Punkten irgendetwas lernt, ich wünsche mir nur, dass der Ausstellung in den noch kommenden Städten ein wütender, feministischer Empfang bereitet wird.

Samstag, 5. Dezember
Während uns Europäer*innen erzählt wird, dass wie allein durchs zu Hause bleiben und Abstand halten zu Lebensretter*innen werden, versuchen Menschen, die mit weniger Privilegien ausgestattet sind, für sich und ihre Familie ein besseres Leben zu erreichen und machen sich auf den gefährlichen Weg nach Europa. Allein in diesem Jahr sind bei dem Versuch 1.290 Menschen im Mittelmeer oder Atlantik ertrunken. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. „Unsere Daten sind sehr konservativ, weil wir nur bestätigte Todesfälle aufnehmen auf der Basis von Augenzeugenberichten, Berichten von Küstenwachen, NGOs und Handelsschiffen. Aber einiges wird sicherlich nicht erfasst. Ich gehe davon aus, dass es wesentlich mehr Tote gibt, die niemals entdeckt werden und die in keinem Bericht auftauchen„, sagte Federico Soda von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sagte zu Monitor vom WDR. Bei aller Sorge um die steigende Zahle der Corona-Toten, dürfen wir die ertrinkenden, erfrierenden, verhungernden und getöteten Menschen, die vor Krieg, Armut und Verfolgung fliehen, nicht vergessen. Hier kannst du für die Seenot-Rettung spenden.

Sonntag, 6. Dezember
Vor ziemlich genau zwei Jahren hat der Bundestag auf Druck des Bundesverfassungsgerichts beschlossen, dass es neben dem männlichen und weiblichen Geschlechtseintrag auch eine dritte Möglichkeit geben soll: divers. Eltern können ihr intersexuelles Kind nun als „divers“ eintragen lassen, genauso können Erwachsene ihren eigenen Eintrag ändern lassen bzw. den Geschlechtseintrag gänzlich streichen lassen. Dafür ist allerdings ein ärztliches Attest nötig: für viele nicht binäre Menschen ist das eine unverhältnismäßige Hürde. Eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes unter den zuständigen Behörden deutscher Großstädte ergab, dass bisher nur sehr wenige Menschen das „dritte Geschlecht“ im Personenstandregister haben eintragen lassen. In Berlin sind bislang 21 Menschen als „divers“ offiziell registriert, bei 3,8 Millionen Einwohner*innen. In anderen Städten sind noch weniger Menschen diesen offiziellen Weg gegangen. Die Zahl der „divers“-Einträge bei Standesämtern sagt nichts darüber aus, wie viele Menschen sich tatsächlich nicht im binären System verorten können oder wollen.

„The Future is nonbinary“ ist heute auch Thema hinterm 6. Türchen des feministischen Adventskalenders.

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