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Die Todesopfer des rassistischen Anschlags in Hanau vom 19. Februar 2020: Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Kaloyan Velkov, Said Nesar Hashemi, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz. Illustrationen von mir.

Hanau ist überall

Die Woche stand im Gedenken an die Opfer des rassistischen Terroranschlags von Hanau. Aber es war auch Rosenmontag, Hochzeit der rassistischen Kostüme und in Berlin wurde ein Cop vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW7

Montag, 15. Februar  

In Berlin kann man es auch in Jahren ohne Pandemie schaffen, vom Rosenmontag einfach nichts mitzubekommen. Ein schöner Aspekt des Lebens in der Hauptstadt ist das allemal. Leider kann ich aber trotzdem nicht vergessen, dass es außerhalb meiner faschingsfreien Bubble einen Haufen Jeck*innen gibt, die auch im Jahr 1 nach bundesweiten Black Lives Matter Protesten noch der Meinung sind, Blackfacing und rassistisch-stereotype Kostüme seien eine gute Idee. Prominentes Beispiel dieses Jahr: Annemarie Carpendale, die es offenbar für vollkommen unbedenklich hielt, als Stereotyp einer amerikanischen Ureinwohnerin verkleidet auf Instagram zu posieren. Das leider immer noch beliebte I-Kostüm mit ausgedachtem Kopfschmuck und merkwürdiger Gesichtsbemalung ist offenbar auch 2021 noch salonfähig.

In der 3Sat-Doku „Ich bin kein Kostüm“ erklärt Helene Batemona Abeke, warum Blackfacing und Stereotype Menschen-Kostüme rassistisch sind. Die Verkleidung als Native American, Inuit, Geisha, „Buschmann“, Sumo-Ringer oder Scheich tragen dazu bei, dass rassistische Stereotype erhalten bleiben. Wer sich das Gesicht zu Karneval oder Halloween schwarz anmalt, um einen Schwarzen Menschen zu karikieren, verhält sich rassistisch. „Ich bin so wie ich bin, das ist kein Kostüm“ sagt die Schwarze Kölnerin Helene Batemona Abeke. Es gibt so viele Kostüme, die Wahl ist nahezu unbegrenzt, warum muss man sich einen von Rassismus betroffenen Menschen als Verkleidung aussuchen? Auch Alice Hasters kommt in der 37minütigen Dokumentation zu Wort: „Es gibt da ein Machtgefälle. Und das ist entstanden durch Kolonialismus, durch die Kolonialzeit. Wir sind an einem Punkt, wo Leute sagen ich kann es nicht mehr ertragen, dass meine Identität geprägt ist, erzählt wird und bestimmt wird von weißen Menschen.“ Sie weiß, dass rassistische Kostüme oder auch kulturelle Aneignung wie Dreadlocks oder Braids, in der Regel nicht böse gemeint sind. Aber man muss auch kein*e Rassist*in sein, um Rassismus zu reproduzieren. Die Doku ist noch bis 13. März in der Mediathek verfügbar.

Dienstag, 16. Februar

In Berlin wurde ein Cop vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen, obwohl die Richterin ein klares Fehlverhalten feststellte. Der Polizist hatte über seinen Dienstcomputer die Halterin eines Fahrzeugs ermittelt, das seinen privaten Wagen zugeparkt hatte. Gemeinsam mit einer Kollegin suchte er die Halterin zu Hause auf, zwang sie zum Mitkommen und drängte sie dazu, das Auto umzuparken. Weiterhin soll er sie auf der Straße angeschrien, und sie genötigt haben, das angeblich durch sie beschädigte Nummernschild auf Knien abzuschrauben. Laut Aussage der Frau zwang der Polizist sie dazu, mehrfach aufzusagen, dass sie einen Fehler gemacht hätte und dass es ihr leidtue. Die Geschädigte, eine kopftuchtragende Muslima hatte sich durch Aussagen des Polizisten über die „neuen Ausländer“ zusätzlich bedroht gefühlt. Beweisen lassen sich rassistische Einschüchterungen jedoch schwer. Die Richterin sprach den Polizisten frei, da der Einsatz zwar „unfassbar“ gewesen sei, die Androhung von Gewalt aber nicht durch Tatsachen belegt worden sei.

Mittwoch, 17. Februar

Die Gründerin des Buchladens „She Said“, Emilia von Senger, erklärte am Mittwoch, nicht ausreichend transparent mit den (finanziellen) Hintergründen der Gründung umgegangen zu sein. Sie reagierte damit auf ein Video von Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah, in dem diese unter dem Titel „Nazierbe“ über die Verstrickung von Vermögen aus NS-Familien in die Kulturbranche sprechen. Hier weiterlesen.

Und dann gab es am Mittwoch noch diese erfreuliche Meldung:

Donnerstag, 18. Februar

Für den Artikel „Der Täter: Ihr Partner“ in der aktuellen Ausgabe der ZEIT, die am Donnerstag erschienen ist, wurden die Anwältin Asha Hedayati, die von häuslicher Gewalt betroffene Frauen vertritt, und ihre Mandantinnen über Monate begleitet. Partnerschaftsgewalt nimmt in Deutschland zu, dabei ist unklar, ob mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden, oder ob „die Enthemmung des Hasses im Internet die Gewalt auch in der Realität eskalieren lassen“ hat. Die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt ist nach wie vor hoch. „Wie gebildet einer ist, wie viel einer verdient, aus welchem Land einer stammt, das spielt bei Partnerschaftsgewalt keine Rolle. Sie kommt in allen Milieus vor. Über achtzig Prozent der Betroffenen sind Frauen“, heißt es im Artikel von Moritz Aisslinger. „Im Schnitt benötigen Betroffene, so die Erkenntnisse der Fachleute, sieben Versuche, um sich aus einer gewalttätigen Beziehung endgültig zu lösen.“ Insbesondere für Frauen, die mit dem Gewalttäter gemeinsame Kinder haben, ist es schwer. Das Gewaltschutzgesetz bietet ihnen auch nach der Trennung oft keinen ausreichenden Schutz. „Die deutschen Familiengerichte seien oft zu zögerlich darin, einem gewalttätigen Elternteil den Kontakt zu ihrem Kind zu verbieten; zumindest in der Trennungsphase, die besonders gefährlich ist.“ Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben die Situation der von Partnerschaftsgewalt Betroffenen verschärft. Asha Hedayati hätte sich von der Politik mehr Unterstützungsangebote gewünscht: „In anderen Ländern hat man zum Beispiel provisorische Beratungsstellen in Supermärkten eingerichtet, weil das mit die einzigen Orte waren, in die die Frauen unbehelligt gehen konnten.“

Freitag, 19. Februar

Der rassistische Terroranschlag in Hanau vor einem Jahr macht viele von uns sehr betroffen.  Der Schmerz, die Angst, die Wut, die Trauer, die von Rassismus betroffene Menschen angesichts dieses Jahrestags empfinden, ist nicht annähernd mit den Gefühlen von mir, einer weißen Person, vergleichbar. Wer sagt „Das war ein Anschlag auf uns alle“ verkennt, dass das eben nicht so war: der Täter wählte das Ziel seines Terroranschlags ganz bewusst. Er wollte Menschen töten, die er als Nichtdeutsche wahrnahm. Auch die Tatsache, dass er u.a. eine Shisha-Bar als Ziel aussuchte, ist kein Zufall. Immer wieder werden Shisha-Bars in den Medien im Zusammenhang mit organisierter „Clan-Kriminalität“ genannt, die Gewerbekontrollen der Polizei, vielmals ohne Ergebnis wohlgemerkt, werden als Razzien gegen potenziell gefährliche „Parallelgesellschaften“ inszeniert und tragen ebenso zum Framing bei wie Aussagen von Politiker*innen (von AfD bis SPD), die Shisha-Bars regelmäßig als Beispiel für irgendwelche kriminellen Machenschaften nennen. Shisha-Bars sind insbesondere für Menschen mit Rassismus-Erfahrungen Rückzugsorte, in denen sie entspannen können. Viele werden in Clubs oder Diskotheken aus rassistischen Gründen nicht reingelassen, in den Shisha-Bars werden sie freundlich empfangen. Der Hanauer Anschlag, aber auch die teilweise traumatisierenden Razzia-Erfahrungen, sorgen dafür, dass ihnen dieser Safe-Space genommen wird.

Die Initiative 19. Februar Hanau fordert Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Warum war das Notruftelefon 110 in der Nacht des Anschlags nicht ausreichend besetzt? Könnte Vili-Viorel Păun noch leben? Es gibt Anzeichen dafür, dass der 22-Jährige den Attentäter mit dem Auto verfolgt hat, er versuchte dabei mehrmals vergeblich die Polizei über die 110 zu erreichen. Er wurde in seinem Auto erschossen. Warum war der Notausgang in der Arena Bar, dem zweiten Tatort, verschlossen? Hinterbliebene und Überlebende werfen der Polizei vor, die Tür versperrt zu haben, um bei den häufig stattfindenden Razzien keine Flucht zu ermöglichen. Armin Kurtovic, der durch den Anschlag seinen Sohn Hamza (22) verloren hat fragt„Wieso wird nicht von Amts wegen ermittelt? Alle sagen, die Polizei wusste, dass der Notausgang abgeschlossen ist. Ich will es nicht aussprechen, aber wenn man das alles zusammen nimmt, habe ich für mich keine andere Erklärung, als dass es vertuscht werden sollte.“ Die Eltern von Hamza Kurtovic wussten nach dem Anschlag acht Tage lang nicht, wo ihr Sohn ist„Wie sollen wir trauern? Wir konnten uns nicht einmal würdevoll von unseren Kindern verabschieden. Wir haben acht Tage nicht gewusst, wo unser Sohn ist. Acht Tage. Dann konnten wir ihn aus der Pathologie abholen.“

Die Hinterbliebenen haben viele Fragen, sie sind verzweifelt, fühlen sich allein gelassen.

Und was ist mit dem Vater des Attentäters? Er gilt als tickende Zeitbombe, hänge wie sein verstorbener Sohn Verschwörungsmythen an, sei ein Rassist und gefährlich. Inzwischen haben Hinterbliebene ihn wegen Beihilfe angezeigt. Er habe von den Anschlagsplänen seines Sohnes gewusst, ihn darin bestärkt.

Mit einer Petition fordern unter anderem die Bildungsstätte Anne Frank und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) die Einrichtung eines Opferfonds: „Die hessische Landesregierung muss die Verantwortung für die Folgen des mörderischen Rechtsterrorismus in ihrem Bundesland übernehmen und Betroffenen ein Weiterleben in Würde und Sicherheit ermöglichen, ohne sie zu Bittsteller:innen zu machen.“

Ich würde mich freuen, wenn alle Leser*innen die Petition unterzeichnen und, wenn möglich, an die Bildungsinitiative Ferhat Unvar spenden, die von der Mutter des Getöteten, Serpil Temiz Unvar, gegründet wurde.

Auch am Freitag

Der Bundestrainer Freiwasserschwimmen im Deutschen Schwimm-Verband (DSV), Stefan Lurz, ist mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten. Vorausgegangen war die Veröffentlichung einer SPIEGEL-Recherche, in der mehrere Fälle dokumentiert sind, „in denen der Bundestrainer Schützlinge bedrängt oder gar sexuell genötigt haben soll“.

Samstag, 20. Februar

Ich habe am Samstag an der antifaschistischen Gedenkdemo für die Todesopfer des rassistischen Anschlags von Hanau teilgenommen.

Die Veranstalter*innen sprachen von 20.000 Teilnehmenden. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Trauer und Wut auf die Straße zu tragen, so wie schon am 20. Februar 2020 als ich am Tag 1 nach dem Anschlag frierend am Neuköllner Hermannplatz stand und verzweifelt darüber war, wie anderswo in Deutschland gerade Karneval gefeiert wurde.

Auch Eintracht Frankfurt zeigte sich am Samstag solidarisch mit den Hinterbliebenen und Überlebenden des Terroranschlags und lief im Spiel gegen Bayern München mit den Namen und Gesichtern der Ermordeten auf dem Rücken aufs Feld.

Sonntag, 21. Februar

In einem Kommentar für den Tagesspiegel fordert Judith Langowski die Dokumentation von frauenfeindlichen Taten. Ob Hassnachrichten im Internet, Bedrohungen, sexuelle Belästigungen oder Vergewaltigung: Misogynie wird als Motiv nirgendwo erfasst. Das muss sich ändern, denn die Zahlen würden eine eindeutige Sprache sprechen und die Politik zum Handeln zwingen. In Frankreich gilt seit 2017 Sexismus als strafverschärfendes Motiv – ein wichtiges Signal. Langowski schreibt: „Wir müssen diese Gewalt beim Namen nennen. Macho-Gehabe, Hasskommentare oder Taten, die aus Eifersucht passieren, basieren auf einem frauenfeindlichen Weltbild. Das müssen wir durch gezieltes Erfassen sichtbar machen, um es besser zu bekämpfen“

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