Femizide in Hamburg und Baden-Württemberg, Gedenken und Wut in Hanau, Beatrix von Storch zitiert die EMMA und auf der Münchner Sicherheitskonferenz sind zu wenig Girl-Bosse. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW7
Montag, 14. Februar
Ungeachtet der Vergewaltigungsvorwürfe gegen Snoop Dogg, trat der Rapper in der Halbzeitshow des US-Megaevents „Super Bowl“ auf. Die in der Nacht zu Montag übertragene Show gilt als „eines der am meisten beachteten TV-Ereignisse der Welt“ (SPIEGEL) und hat allein in den USA rund 100 Millionen Zuschauer*innen. Die Vorwürfe gegen Snoop Dogg, der eigentlich Calvin Cordozar Broadus Jr. heißt, wurden vergangene Woche bekannt. Eine namentlich nicht genannte Tänzerin zeigte den Rapper sowie dessen „spirituellen Berater“ Don „Magic“ Juan, wegen Vergewaltigung an. Eine „private Mediation“ sei gescheitert, berichtete das Boulevardportal TMZ. Snoop Dogg postete auf Instagram „Gold digger season is here be careful“ und spielte damit auf den Mythos an, „Goldgräberinnen“ seien auf das Geld reicher Männer aus. Es ist die ewig gleiche Leier der Falschbeschuldigung, um einen erfolgreichen Mann zu Fall zu bringen. Sibel Schick hat im „Neuen Deutschland“ die sieben gängigsten Scheinargumente auseinandergenommen. Sie greift darin den Fakt auf, dass jedes Mal, wenn ein prominenter Mann der sexualisierten Gewalt beschuldigt wird, das mutmaßliche Opfer als Lügnerin bezeichnet wird. Sibel Schick schreibt: „Massenhaft beschuldigt, diskreditiert und angegriffen zu werden, ist viel gewaltiger, als mit Vergewaltigung beschuldigt zu werden. Nach einer Gewalttat die Stimme zu erheben, wird schwieriger gemacht, als Gewalt auszuüben. Was ist das, wenn keine Vergewaltigungskultur?“
Dienstag, 15. Februar
Am Dienstag verkündeten Wissenschaftler*innen, dass es gelungen sei, erstmals eine Frau von HIV zu heilen. Das Team um Dr. Yvonne J. Bryson von der David Geffen School of Medicine der UCLA erklärte, dass bei der Patientin nach einer Stammzellentransplantation mit Nabelschnurblut das HI-Virus nicht mehr nachweisbar sei. Bei der Frau, die sowohl Schwarze als auch weiße Vorfahren hat, wurde 2013 HIV und 2017 Leukämie diagnostiziert. Das eingesetzte Nabelschnurblut zur Behandlung der Leukämie stammte von einem Säugling, der durch eine genetische Anomalie von Natur aus resistent gegen HIV ist. Die Patientin ist jetzt seit 14 Monaten HIV-frei und gilt als dritter Mensch, der von HIV geheilt werden konnte. Die beiden ersten Patienten waren Männer. Die Wissenschaftler*innen gehen davon aus, das HIV bei Männern und Frauen unterschiedlich verläuft und dennoch sind nur 11 Prozent der Studienteilnehmenden weiblich und dass obwohl mehr als 50 Prozent der HIV-Fälle weltweit Frauen sind.
Auch am Dienstag
Prince Andrew hat sich offenbar freigekauft. Der zweitälteste Sohn der Queen war in New York wegen Vergewaltigung einer 17-Jährigen angeklagt, konnte jetzt aber eine „außergerichtliche Einigung“ erzielen. Wie hoch die Summe ist, die Prince Andrew an die Klägerin, Virginia Giuffre, ist nicht bekannt. Verschiedene Quellen nennen 12 Millionen Pfund. Fest steht nur, dass die „Konfliktparteien“ in einem gemeinsamen Brief an das New Yorker Gericht die Einstellung des Prozesses beantragten. „Wird die Einigung von dem Gericht angenommen, wäre ein Zivilprozess vom Tisch“, schreibt die Tagesschau. Möglicherweise wird jetzt das Königshaus seinem Sprössling aus der Klemme helfen müssen. Zwar behaupten die Royals, Prince Andrew sei als „Privatperson“ angeklagt, aber eine vergleichsweise geräuschlose Einstellung des Verfahrens dürfte auch im Interesse der Familie sein.
Mittwoch, 16. Februar
In Kirchheim unter Teck (Baden-Württemberg) hat ein 59-jähriger Mann seine 58 Jahre alte Ehefrau vor deren Arbeitsplatz, einem Supermarkt, erschossen, bevor er sich selbst das Leben nahm. Der Täter war Polizist, Mitarbeiter des Landeskriminalamts, die Tatwaffe war seine Dienstwaffe. Dem SWR zufolge liegen den Ermittler*innen Hinweise vor, dass die Getötete in der Vergangenheit von ihrem Mann bedroht wurde. Sie lebte getrennt von ihm. Wie der SWR berichtet, hatte die Frau die Dienststelle des Mannes über die Drohungen informiert. Der LKA-Mitarbeiter habe seine Ehefrau explizit damit bedroht, sie mit seiner Dienstwaffe zu erschießen. Die Tat hätte womöglich also verhindert werden können. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob die Warnungen der Frau nicht ernst genug genommen wurden.
Donnerstag, 17. Februar
Der zweite Femizid in dieser Woche ereignete sich am Donnerstag in Hamburg. Im Stadtteil Bergedorf tötete mutmaßlich ein 53 Jahre alter Mann seine 55-jährige Schwester. Die Leiche der Frau wurde mit Schnittverletzungen in ihrer Wohnung gefunden. Der Tatverdächtige hatte nach der Tat offenbar einen Verkehrsunfall und wurde deshalb im Krankenhaus behandelt. Die Polizei nahm ihn dort fest. Die Staatsanwaltschaft erließ Haftbefehl wegen Totschlags. Zum möglichen Motiv sind bislang keine Informationen verfügbar.
Freitag, 18. Februar
Die Niedertracht der AfD und ihrer Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch ist keine echte News. Dass Faschist*innen faschistisches Zeug von sich geben, überrascht auch nur die, die glauben, die AfD sei legitimer Teil des demokratischen Meinungspluralismus. Nachdem von Storch aber am Donnerstag im Bundestag eine hasserfüllte Rede gegen Tessa Ganserer hielt, in der sie die Grünen-Abgeordnete diffamierte, misgenderte und als Mann in Frauenkleidern beleidigte, zeigten sich Politiker*innen aller Fraktionen (außer der AfD, eh klar) empört über diese verbale Attacke der Nazi-Enkelin. Was im Sturm der Entrüstung jedoch vergleichsweise unterging, war, dass von Storch sich in ihrer Rede auf die Zeitschrift EMMA berief. Von Storch begann ihre Rede mit den Worten: „‘Frauen werden abgeschafft‘, das ist der Titel eines Beitrags in der EMMA von der Harry Potter Erfinderin J.K. Rowling. Und Sie, fast alle hier, betreiben genau das. Sie, fast alle hier, sind Frauenabschaffer. Weil Sie, fast alle hier, der Gender-Ideologie anhängen.“ Jetzt scheint zusammenzuwachsen, was immer eins war: Transfeindliche Feminist*innen und die faschistische Gesinnung von Rechtsextremen. Die EMMA veröffentlichte am Freitag einen Artikel, in dem die Redaktion den Shout-Out von Beatrix von Storch aufgriff. Wer eine Distanzierung erwartete, wurde enttäuscht. Im Gegenteil, EMMA validierte die Worte der AfD-Politikerin und stellte sie als letzte Streiterin für vermeintliche Frauenrechte dar: „Warum überlassen eigentlich die anderen Parteien der AfD hier das Feld?“ Wie viele TERF versucht auch EMMA die geistige Nähe zu Faschist*innen zu relativieren: „Und jetzt sind wir also ‚rechts‘, weil wir kritisieren, dass das geplante Selbstbestimmungsgesetz zur Transition ins andere Geschlecht hochproblematische Folgen insbesondere für Mädchen und Frauen hätte“, schreibt die Redaktion in dem kurzen Beitrag, an dessen Ende sie sich an diejenigen Leser*innen richtet, „die sich das Denken nicht verbieten lassen wollen“. Schwurbelstein, ick hör dir trapsen.
Wie eng Verschwörungsideologie, faschistischer Biologismus und der Radikalfeminismus der zweiten Welle miteinander verwoben sind, schreibe ich derzeit für einen längeren Artikel auf. Inzwischen überlege ich, ob daraus nicht sogar ein Buch werden könnte, denn die Parallelen sind vielfältig und die transfeindlichen Hetzerinnen von EMMA und Co liefern Woche für Woche neues Material.
Ich möchte an dieser Stelle noch Danke sagen, an die Abgeordnete Britta Hasselmann, die von Storch in einer Rede widersprach und in aller Klarheit deutlich machte: „Tessa Ganserer ist eine von uns. Sie ist meine und unsere Kollegin. Sie ist eine der 59 Prozentanteil der Frauen in dieser Fraktion und niemand von uns hat darüber zu richten oder darüber zu reden oder zu entscheiden, wie diese Frau ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt.“
Samstag, 19. Februar
In Hanau und in ganz Deutschland wurde am Samstag an die neun Todesopfer des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 erinnert. Es fällt mir schwer, im Rahmen dieses Wochenrückblicks dem Schmerz, der Trauer, der Wut gerecht zu werden, den die Hinterbliebenen empfinden, angesichts der Tat, aber auch der mangelnden Aufklärung und des schändlichen Verhaltens von Politik und Sicherheitsbehörden. Der 19. Februar ist für alle Menschen, die von der Dominanzkultur als „Ausländer*innen“ markiert werden, der schwerste Tag. Es ist der Tag, der sie daran erinnert, dass sie nicht sicher sind in diesem Land. Dass der Staat sie nicht schützt. Dass ihre bloße Existenz für andere Anlass zum Morden ist. Zwei Jahre nach dem Anschlag halten Politiker*innen von CDU, SPD und Grünen betroffene Reden und legen vor laufenden Kameras Blumenkränze nieder. Es sind dieselben Politiker*innen, die das rassistische Framing von „Clankriminalität in Shisha-Bars“ in die Welt bringen. Dieselben Politiker*innen, die sich weigern, die NSU-Akten offenzulegen. Dieselben Politiker*innen, die Links- und Rechtsextremismus gleichsetzen und Studien zum Rassismus in der Polizei verhindern. Diese Politiker*innen nehmen Raum ein am Grab der Getöteten. Sie beanspruchen Plätze, sodass Hinterbliebene draußen bleiben müssen. „Ich bin immer noch traurig, und ich bin wütend“, sagt Emiş Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz. Sie ist wütend, weil das Land Hessen das Gedenken vereinnahmte. „Es macht mich immer noch fassungslos, dass unsere Wünsche an diesem besonderen Tag ignoriert werden“, sagte sie. Angehörige und Freund*innen der Getöteten durften nicht teilnehmen, sie warteten vor dem Hauptfriedhof, von der Polizei am Betreten gehindert.
Serpil Temiz Unvar, Mutter des Ermordeten Ferhat Unvar, hat wenige Tage vor dem Jahrestag einen offenen Brief an die Bundesregierung und den Bundespräsidenten gerichtet. Sie schreibt:
„Es wird keine bessere Zukunft geben, wenn das Vergangene nicht aufgeklärt wird, wenn es keine Gerechtigkeit gibt für die, die angegriffen und ermordet wurden. Denn das Vergangene lebt in uns allen fort, in den Hinterbliebenen und Zurückgelassenen, aber auch in der Geschichte unserer Gesellschaft. Und wenn wir über mangelnde Aufklärung sprechen, dann geht es um mehr als um Hanau, dann müssen wir auch über die Aufklärung der rassistischen Taten der letzten 30 Jahre sprechen.“
Serpil Temiz Unvar im Offenen Brief
Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Es sind neun von mindestens 214 Todesopfern rechter und rassistischer Gewalt seit 1990. Das sind ihre Namen:
Gökhan Gültekin
Sedat Gürbüz
Said Nesar Hashemi
Mercedes Kierpacz
Hamza Kurtović
Vili Viorel Păun
Fatih Saraçoğlu
Ferhat Unvar
Kaloyan Velkov
Sonntag, 20. Februar
Die Münchner Sicherheitskonferenz, oder wie ich sie nenne „Der Schweinegipfel“, ist in vollem Gange. Zur Tradition der mächtigsten Köpfe in Kapitalismus, Kolonialismus und Menschenverachtung gehört auch der „CEO-Lunch“ im Bayerischen Hof. 30 aktive und ehemalige Konzernchefs treffen sich zum Mittagessen und küren informell den herzlosesten Ausbeuter des Jahres. (Okay, das letzte habe ich mir ausgedacht. Aber für ausgeschlossen halte ich es nicht.) Ein Foto dieses Events ist auf Twitter gelandet und die Empörung ist groß: Keine einzige Frau unter den 30 mächtigen Bossen! Keine einzige Person of Color! „Gegen solche (old) Boy Network helfen gute Gesetze und viele Frauen“, twitterte die Grüne-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, „Mehr Vielfalt ist überfällig!“ forderte Nicole Bauer, FDP, und Sawsan Chebli (SPD) erklärte: „Hier ist Macht und hier fehlen Frauen. Wir haben noch sehr viel zu tun.“ And there it is: Girlboss-Feminismus, der seinen Platz am Tisch der Mächtigen fordert.
Die Forderung nach paritätischer Besetzung der Unterdrückung ist nicht feministisch! Mehr Diversity in Rüstungskonzernen macht deren Verbrechen nicht besser! Ein von Frauen kommandierter Krieg ist nicht humaner! Frontex muss nicht bunter, sondern abgeschafft werden!
Wer Frauenquoten und diversere Teams für den Maßstab feministischen Fortschritts hält, hat noch eine Menge Hausaufgaben auf. Als erstes empfehle ich, dieses Zitat von Angela Davis (von mir übersetzt) zu lesen und nochmal zu lesen und nochmal, bis es wirklich verstanden wurde.
„Praktisch jede Institution hat diesen Begriff ‚Diversity‘ aufgegriffen. Und ich frage immer: ‚Wo bleibt denn hier die Gerechtigkeit?‘ Sollen diejenigen, die an den Rand gedrängt oder unterdrückt wurden, einfach in die Institution kommen und an demselben Prozess teilnehmen, der genau zu ihrer Ausgrenzung geführt hat? Vielfalt und Integration ohne substanziellen Wandel, ohne radikalen Wandel, bringen nichts. ‚Gerechtigkeit‘ ist das Schlüsselwort. Wie können wir beginnen, die Institutionen selbst zu verändern? Wie können wir diese Gesellschaft verändern? Wir wollen uns nicht an der Ausbeutung des Kapitalismus beteiligen. Wir wollen uns nicht an der Ausgrenzung von Einwandernden beteiligen. Es muss also einen Weg geben, über die Verbindung zwischen all diesen Themen nachzudenken und darüber, wie wir anfangen können, uns eine ganz andere Art von Gesellschaft vorzustellen.“
Angela Davis im Interview mit Ava DuVernay für Vanity Fair im Sommer 2020