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Christina Clemm kämpft als Anwältin für die Anerkennung von Femiziden als strukturelles Problem. (Illustration von mir)

Krieg gegen die Frauen

Während in Afghanistan die Taliban gezielt Frauen töten, sorgt sich hierzulande ein Altkanzler um die Currywurst. Der Wahlkampf wird noch schmutziger und wo das Wort „Ehrenmord“ ist, ist Rassismus nicht weit. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW31

Montag, 9. August

Gegen den britischen Prinzen Andrew wurde beim Bundesgericht in Manhattan Klage wegen sexueller Gewalt eingereicht. Virginia Guiffre erklärte, als 17-Jährige von Prince Andrew vergewaltigt worden zu sein. Die Taten sollen sich sowohl im Haus von Ghislaine Maxwell als auch in Jeffrey Epsteins Haus in New York ereignet haben. Virginia Guiffre sagte: „Ich mache Prinz Andrew dafür verantwortlich, was er mir angetan hat (…) Die Mächtigen und Reichen sind nicht davon ausgenommen, für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden. Ich hoffe, dass andere Opfer sehen werden, dass es möglich ist, nicht in Schweigen und Furcht zu leben, sondern sein Leben zurückzufordern, indem man seine Stimme erhebt und Gerechtigkeit verlangt.“ Prince Andrew streitet alles ab.

Dienstag, 10. August

Wenn alte weiße Männer emotional werden, geht es entweder um Fußball oder um Fleisch. Gerhard Schröder widmete sich diese Woche höchstpersönlich der Rettung eines deutschen Kulturguts: Der Currywurst. Diese soll aus der Kantine der Hauptverwaltung des VW Werks in Wolfsburg verbannt werden, weil sich die Belegschaft mehr vegetarische und vegane Gerichte gewünscht hat. In der Kantine auf der anderen Straßenseite wird es weiterhin Currywurst geben. Lächerliche Empörung also wegen eines Darms, in den Fleischabfälle gepresst wurden. 2019 kamen aus der Volkswagenfleischerei (ja, richtig gelesen) etwa 7 Millionen Currywürste. „First World Problems“ könnte man jetzt sagen, aber leider ist der hohe Fleischkonsum der „first world“ in erster Linie ein Problem des globalen Südens. Eine Studie des WWF fand heraus, dass sich die Treibhausgasemissionen der Deutschen pro Jahr um 27 Prozent reduzieren würden, wenn Jede*r nur noch halb so viel Fleisch essen würde.

Wo wir schon bei alten weißen Männern sind: Am Dienstag tauchten überall in Berlin (und 49 weiteren Großstädten) Plakate auf, die sich direkt gegen die Grünen richten. Eine Art „Anti-Wahlkampf“ sozusagen. Unter dem Slogan „Güner Mist“ zeigen die Plakate Sonnenblumen mit hängenden Köpfen und dazu populistische Slogans wie „Ökoterror“ oder „Wohlstandsvernichtung“. Eine dazugehörige Webseite mit Videos, in denen es u.a. heißt „Die Grünen greifen nach der Regierung“ bietet auch ein „Lexikon“, das „Grünsprech“ übersetzt (Klimaschutz = „Wohlstandsvernichtung aus Größenwahn“). Auf der Unterseite „Personen“ werden prominente Grünenpolitiker*innen, wie Annalena Baerbock, Cem Özdemir und Claudia Roth, diffamiert. Finanziert wird die Kampagne von der „Conservare Communication GmbH“, die auch die rechte Wochenzeitung „Deutschland Kurier“ herausgibt. Chefredakteur und alleiniger Gesellschafter von Conservare Communication ist David Bendels, früher CSU-Mitglied, heute parteilos. Die Plakate, die Schätzungen zufolge mehrere Hunderttausend Euro gekostet haben dürften, spülten auch dem Plakatflächenvermieter Ströer ordentlich Geld in die Kasse. Auf Anfrage der Tagesschau erklärte ein Sprecher des Unternehmens, „man habe mehrere Motive der Kampagne abgelehnt, da diese nicht rechtskonform gewesen seien.“

Mittwoch, 11. August          

Horst Seehofer hat sich vermutlich zähneknirschend dazu durchgerungen, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen. Der Vormarsch der Taliban und die damit verbundene Sicherheitslage in dem Land lasse „Rückführungen“ wie die Deportationen euphemistisch genannt werden, aktuell nicht zu. Seehofer, dessen schönstes Geschenk 69 Abschiebungen zum 69. Geburtstag waren, hatte mit dieser Entscheidung offenbar sein eigenes Ministerium überrascht. Noch am Mittag hieß es, das Ministerium sei „weiterhin der Auffassung, dass es Menschen in Deutschland gibt, die das Land verlassen sollten, so schnell wie möglich“.

Auch am Mittwoch

In einer Stadtteilbibliothek in Berlins Bezirk Tempelhof-Schöneberg wurden gezielt Bücher zerstört, die sich kritisch mit rechten Tendenzen oder der Biografie von Sozialist*innen beschäftigen. „Weite Teile der Bücher waren mit einer Schere durchschnitten“, sagte Bibliotheksleiter Boryano Rickum. „Was meine Kollegen und mich entsetzt, ist, dass so jemand auf die Idee kommt, sich gezielt die Bücher heraussucht und das dann umsetzt“. Rickum berichtet, der Vorfall reihe „sich in eine ganze Reihe an Vorfällen in unserer BZB in den letzten Jahren ein: Immer wieder ist die Bibliothek Ziel von rechten Schmierereien in und am Gebäude, immer wieder werden dort unbefugt und anonym Flyer oder andere Publikationen rechtspopulistischer Gruppierungen und Bewegungen ausgelegt“.

Donnerstag, 12. August

Nach der Festnahme zweier afghanischer Brüder, die mutmaßlich ihre Schwester getötet haben, wird in Deutschland wieder über „Ehrenmorde“ diskutiert. Femizide sind der breiten Öffentlichkeit nur dann Erwähnung wert, wenn sie sich für rassistische Takes und Integrationsdebatten ausschlachten lassen. Im Interview mit Deutschlandfunk Kultur sagte die Fachanwältin für Straf- und Familienrecht Christina Clemm: „Wenn man zynisch wäre, würde man sagen: Das ist doch eigentlich ein Ausdruck von Integration, denn hier passiert es ja jeden Tag so“. Tatsächlich versucht statistisch gesehen in Deutschland jeden Tag ein Mann seine (Ex-)Partnerin zu töten. „Es ist immer leicht zu sagen, das sind die anderen, das sind ja nicht wir“, sagt Christina Clemm. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wir haben ein massives Problem mit Gewalt gegen Frauen. Christina Clemm kritisiert, dass immer erst dann strukturell darüber nachgedacht wird, wenn es vermeintlich andere betrifft, wenn es um „Integration“ oder eine angeblich „patriarchale Kultur“ von muslimischen Menschen geht. Anstatt, dass wir das Thema Femizide und innerfamiliäre Gewalt grundsätzlich betrachten. „Wir müssen wirklich gucken, welche Strukturen dazu führen, dass so viele Frauen im sozialen Nahraum umgebracht werden“, sagt Clemm. Das Interview könnt ihr hier anhören.

Freitag, 13. August

Britney Spears könnte bald endlich wieder frei sein. Wie die Tagesschau berichtete, hat Vater und Noch-Vormund Jamie Spears angekündigt, die Vormundschaft für seine Tochter nach 13 Jahren aufzugeben. Das ist eine gute Nachricht für die Sängerin, die die Vormundschaft als „missbräuchlich“ bezeichnete. Noch ist Britney aber nicht frei. Medienberichten zufolge macht Jamie Spears einen „ordnungsgemäßer Übergang“ zur Einsetzung eines neuen Vormunds zur Bedingung für seinen Rückzug.

Samstag, 14. August

Samstags erscheint der SPIEGEL und es scheint zu einer (nicht liebgewonnenen) Gewohnheit zu werden, dass ich hier die Coverstories aufgreifen muss. Nach dem Rührstück über die armen weißen Männer von Ausgabe Nr. 28, geht es diese Woche um die armen Papas, die ich ja gern um ihr Kind kümmern würden, wenn die bösen Mamas sie nur ließen. „Sie kochen, waschen, wickeln – und werden bevormundet und benotet. Mami weiß es eben doch am besten, Papa bleibt ein Elternteil zweiter Klasse. Worüber Väter klagen, wozu Experten raten: die SPIEGEL-Titelstory.“ Uff. In fast 30.000 Zeichen heulen sich Männer darüber aus, dass sie keinen Orden für das bare minimum erhalten: sich um ihre eigenen Kinder zu kümmern. „Viele Männer haben in den vergangenen Jahrzehnten aufgeholt in der Familienarbeit. Sie stehen mit im Kreißsaal, sie bilden sich in Väterkursen fort, sie kochen und waschen und wickeln, sie nehmen Elternzeit oder streiten beim Chef für Teilzeit, sie verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern als mit den Kumpels. Sie sammeln lieber Statuspunkte als Daddy Cool statt Bonusmeilen. Zugleich erfahren einige, wie ihre Leistung häufig bagatellisiert, ignoriert oder ironisiert wird.“ Buuuhuuuu, arme Papis. Der Text trieft von misogynen Dogwhistles, die viel gescholtenen „Latte Macchiato Moms“ heißen hier „Hafermilch-Cappuccino- und Vierkorn-Milchbrei-Bubble“ und auch wenn stellenweise die gesellschaftliche Dimension in den Blick genommen wird, bleibt am Ende übrig, was immer Quintessenz zu sein scheint: Die Mütter sind schuld.  

Sonntag, 15. August

Die Situation in Afghanistan ist absolut niederschmetternd. Was zur Hölle haben europäische und US-amerikanische Truppen da zwanzig Jahre lang gemacht?! Zwei Jahrzehnte Krieg, um sich dann zu verpissen und das Land innerhalb kürzester Zeit den Taliban zu überlassen, die heute – wie es aussieht – die Herrschaft über Afghanistan übernommen haben. Die Menschen vor Ort werden im Stich gelassen, werden ihrem Schicksal überlassen. Und wie so oft sind es vor allem die Frauen, die leiden. Die Taliban bestrafen gezielt die Menschen, die für westliche Regierungen und Institutionen gearbeitet haben und sie rächen sich an Frauen. Sollten die Islamisten in Kabul einmarschieren, sagt Khalida Rasheed (24) zu ZEIT Online, könnten die Frauen nicht mehr aus dem Haus gehen, ohne ihr Leben zu riskieren: „Wir Frauen würden alles verlieren, alles, was wir uns in den vergangenen Jahren erarbeitet haben“, sagt die Fernsehredakteurin aus Kabul, die für Zan TV arbeitet, Afghanistans ersten Frauensender. Rasheeds Kollegin Ogai Wardak sagt, „die Taliban wollen nicht, dass Frauen sich bilden (…) Sie setzen ihre Macht mit Waffengewalt und Ermordungen durch.“ Für Frauen würde es in Afghanistan mit jedem Tag gefährlicher. „Die Taliban töten eine Frau nach der anderen“, sagt sie. Aus den von den Taliban besetzten Gebieten hört man von Gräueltaten, unverheiratete Frauen werden als Ehefrauen für die Kämpfer eingefordert. Sexuelle Gewalt als Waffe in Kriegen und Konflikten ist nicht neu, aber es wird meist noch immer darüber geschwiegen, so auch in der Berichterstattung über Afghanistan, in der es überwiegend um die sogenannten „Ortskräfte“ geht. Versteht mich nicht falsch, Deutschland muss unbedingt die Verantwortung übernehmen und die Menschen rausholen, die sich gerade in akuter Lebensgefahr befinden. Aber es reicht nicht, nur die zu retten, die uns gedient haben. Deutschland und die westliche Welt dürfen sich jetzt nicht aus der Verantwortung ziehen. Was in Afghanistan passiert ist das Ergebnis kolonialer Politik, das Grauen ist Ergebnis westlicher Einmischung. Das desaströse Scheitern dieser Politik kann nicht wieder gut gemacht werden, aber zur Schadensbegrenzung muss unbedingt gehören, sichere Häfen zu schaffen und die verfolgten Menschen aus dem Land herauszuholen.

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