Wikipedia hat Geburtstag und ich feiere nicht mit, Merz wird nicht Kanzlerin und ein rechtskonservatives Bündnis mobilisiert gegen die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW2
Montag, 11. Januar
Kinderrechte kommen ins Grundgesetz. Zumindest, wenn der langwierig erarbeitete Kompromiss von CDU und SPD die nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erhält. Das ist derzeit jedoch völlig offen. Denn der vereinbarte Text der Regierungskoalition bleibt weit hinter der Forderung der UN-Kinderrechtskonvention zurück.
Die nun vorgelegte Formulierung, die Artikel 6 des Grundgesetzes, der das Zusammenspiel von Familien und Staat regelt, ergänzen soll lautet: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“
Während der Koalitions-Kompromiss aus Sicht der Linken nicht weit genug geht, etwa weil darin dem Kindeswohl kein Vorrang, sondern lediglich „angemessene“ Berücksichtigung eingeräumt wird, kommt auch von ganz rechts Kritik. Das rechtskonservative Bündnis „Demo für Alle“, das mit seinen Protesten gegen Regenbogenfamilien, Gender Mainstreaming oder die Thematisierung sexueller Vielfalt im Schulunterricht Schlagzeilen machte, gab eine Pressemeldung heraus nach der Kinderrechte im Grundgesetz „das natürliche Elternrecht“ aushebeln würden und „die Macht des Staates über die Familie deutlich ausgedehnt“ würde. „‘Kinderrechte‘ im Grundgesetz“ würden „Kindern kein einziges neues Recht“ bringen, sondern „den staatlichen Behörden neue Zugriffsmöglichkeiten gegen die Familie“ liefern. Die Fundamentalist*innen rufen zur „Protestwelle“ auf und liefern eine Excel-Tabelle mit allen Bundestagsabgeordneten und deren Telefonnummern, um ihnen klarzumachen, „dass uns Bürgern dieses Thema bitterernst ist“.
Dienstag, 12. Januar
Auf Twitter zitierte sich Friedrich Merz selbst: „Ich bin dankbar für die große Unterstützung, die ich von Frauen innerhalb und außerhalb der CDU erfahre. Auf Facebook gibt es sogar die von mir nicht beeinflusste Initiative ‚Wir Frauen für Friedrich Merz‘, darüber freue ich mich besonders.“ Allein, dass er sich über die Unterstützung von Frauen so freudig überrascht zeigt, ist für mich der Beweis, dass Merz sich seiner häufig zur Schau gestellten Frauenfeindlichkeit durchaus bewusst ist.
Auf Twitter trendete am Dienstag in Reaktion darauf der Hashtag #FrauenGegenMerz. Damit drückten vor allem ohnehin eher linke (bis linksliberale) Frauen ihre Ablehnung des möglichen CDU-Kanzlerkandidaten aus.
Ich habe diese ganze Aktion eher irritiert zur Kenntnis genommen, denn seit wann interessiert es uns, wen die CDU zu ihrem Vorsitzenden wählt? Merz ist ein rechtskonservativer Hund, eh klar. Aber die CDU ist die Partei der rechtskonservativen Hunde, also warum sollte sie nicht auch von einem geführt werden? Ja, der Diskurs hat sich nach rechts verschoben und würde sich mit einem Kanzlerkandidaten namens Merz sicher nicht mäßigen. Aber möglicherweise würde es die selbsternannte „Mitte“ dazu zwingen, Stellung zu beziehen und sich endlich zwischen Faschismus und Antifaschismus zu entscheiden. Denn entgegen dem Wunsch vieler Liberaler gibt es hier keine Mitte, in der man es sich gemütlich machen kann: Man steht entweder auf der einen oder der anderen Seite.
Mittwoch, 13. Januar
Lisa Montgomery wurde hingerichtet. Es war die erste Vollstreckung der Todesstrafe gegen eine Frau auf Bundesebene in den USA seit fast 70 Jahren. Lisa Montgomery bekam im Bundesgefängnis in Indiana eine Giftspritze und wurde am Mittwoch um 1:31 Uhr (Ortszeit) für Tod erklärt. Die Trump-Regierung hat mehr Menschen hinrichten lassen als jede andere US-Regierung seit dem 20. Jahrhundert. Ich habe zu Lisa Montgomery, ihrem Leben voller Gewalt und ihrer – aus meiner Sicht – verfassungswidrigen Hinrichtung einen Blogeintrag verfasst: Gerechtigkeit für wen?
In Polen begann am Mittwoch der Prozess gegen drei Frauen wegen der Verbreitung eines Bildes einer Marienfigur mit einem Heiligenschein in Regenbogenfarben. Die Frauen müssen sich wegen angeblicher Beleidigung religiöser Gefühle verantworten, es drohen bis zu zwei Jahre Haft. Eine der Angeklagten, Elzbieta P., erklärte: „Ich werde mich nicht schuldig bekennen, religiöse Gefühle verletzt zu haben. Ich glaube nicht, dass ein Regenbogen irgendjemanden verletzten kann.“
Donnerstag, 14. Januar
Auch dieser Wochenrückblick kommt leider nicht ohne einen Femizid aus. In Hamm wurde eine 22-jährige Frau am Donnerstagabend auf einem Parkplatz getötet. Der mutmaßliche Täter, ein 23-jähriger Mann wurde vor Ort angetroffen und festgenommen. Wie die Polizei mitteilte, wurde die Frau mit einem Messer getötet und anschließend unter einem Laubhaufen versteckt. Die Getötete war schwanger. Bei dem Tatverdächtigen soll es sich um einen Ex-Freund gehandelt haben. Untersuchungen bestätigen, „dass Trennung und Scheidung aus Paarbeziehungen mit einem hohen Risiko einhergehen, schwere oder eskalierende Gewalt durch Partner zu erleben“. Die vom BKA erhobenen Daten zur „Partnerschaftsgewalt“ zeigen, dass pro Jahr die „Zahl der Frauen, die von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner angegriffen, genötigt oder sogar getötet wurden“ auf dem etwa gleichen Niveau liegen wie die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland.
Springer-Medien haben es aber noch immer nicht begriffen:
Freitag, 15. Januar
Am Freitag feierte die Online-Enzyklopädie Wikipedia ihren 20. Geburtstag. „Happy Birthday“ auch von mir, allerdings möchte ich das Jubiläum nutzen, um auf einige Missstände hinzuweisen, die trotz der allgemeinen Huldigung nicht verschwiegen werden dürfen.
Wikipedia wird gemeinhin als „demokratisch“ bezeichnet. Jede*r kann hier Einträge schreiben und bearbeiten. Doch der Autorinnenanteil liegt bei gerade mal zehn Prozent. Die rund 90 Prozent männlichen Autoren stammen überwiegend aus westlichen Industrienationen. Das bedeutet, dass der Blick auf die Welt, den Wikipedia vermittelt, überwiegend der weißer Männer ist. „Neutral“ und „objektiv“ ist das nicht. Der „male gaze“ verzerrt aber nicht nur die Einträge selbst, sondern hat auch Einfluss darauf, welche Beiträge überhaupt erscheinen. Fünf von sechs Biografien handeln von Männern, Beiträge über Frauen haben häufig Familienleben und Beziehungen zum Thema, sie sind öfter negativ konnotiert und enthalten weniger Querverweise. In der deutschsprachigen Wikipedia finden sich mehr Einträge von Pornodarstellerinnen als von Lyrikerinnen.
Sue Gardner, damals Vorsitzende der Wikimedia Foundation sagte 2011, Frauen seien vor allem vom oft aggressiven, rechthaberischen und teils offen misogynen Umgangston abgeschreckt, der in der Wikipedia-Community herrsche. Der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales kündigte an bis 2015 den Frauenanteil in der Autor*innenschaft auf 25 Prozent erhöhen zu wollen. Bislang ist von den Bemühungen nichts zu spüren.
Samstag, 16. Januar
Ich schwöre ich habe um 11:29 das bundesweite Aufatmen gehört, als die Eilmeldung der Tagesschau verkündete, dass Laschet und nicht Merz zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde.
Dabei hatte sich der schneidige Herr Merz doch nochmal richtig ins Zeug gelegt, indem er auf dem CDU-Parteitag verkündete: „Ich weiß, dass wir in der Frauenpolitik besser werden müssen. Aber wenn ich wirklich ein ‚Frauenproblem‘ hätte, wie manche sagen, dann hätten mir meine Töchter längst die gelbe Karte gezeigt – und meine Frau hätte mich nicht vor 40 Jahren geheiratet.“ ICH BIN GAR KEIN RASSIST, ICH HABE EINEN FREUND AUS SPANIEN!
Männer, die betonen, keine Frauenfeinde zu sein, weil sie Töchter haben und eine Ehefrau sind überhaupt die größten Jokes, aber bei Merz habe ich nichts anderes erwartet. Allein dieses „Frauenpolitik“ – für Merz wahrscheinlich einfach so ein lästiges Nischenthema irgendeiner Minderheit.
Die SPD ist unterdessen aber auch nicht besser. Nur, falls ihr es nicht mitbekommen habt:
Sonntag, 17. Januar
Wer heute ein bisschen Zeit übrig hat und diese gerne in das Verlernen eines rassistischen Vorurteils investieren möchte, dem empfehle ich diesen Artikel von Eat This! „Warum die Vorurteile gegenüber Glutamat (fast) völlig unbegründet sind.“
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