Im Wochenrückblick fand es bereits Erwähnung: Die Liebig34 ist Geschichte. Dass ich das Thema nochmal aufgreife liegt daran, dass es noch nicht vorbei ist. Denn aus Trauer, Wut und Verzweiflung entsteht auch Energie.
Video: Celestine Hassenfratz.
Das hier wird kein Text über Gentrifizierung und die gnadenlose Unterordnung allen Lebens unter die Logik des Marktes. Es wird auch kein Text über die kriminellen Machenschaften des Liebig34-Eigentümers, Gijora Padovicz, der seit den 1990er Jahren im großen Stil Wohnhäuser kauft, diese entweder verfallen lässt oder (oft mit öffentlichen Geldern) saniert und die Mieter*innen auf die Straße wirft. Der die Rummelsburger Bucht zerstört und die AFD unterstützt. Es wird auch kein Text über das fragwürdige Rechtsverständnis von Gerichten, die das Einzelinteresse auf Profitsteigerung über das Grundrecht auf Wohnen von marginalisierten Menschen stellt.
Trauer
Ich schreibe diesen Text, um meiner Trauer Raum zu geben, die sich in mir ausgebreitet hat, seit die erste Bewohner*in aus dem Fenster im ersten Stock des ehemals besetzten Hauses in der Liebigstraße 34 geklettert ist. Meine Trauer um ein verlorenes Symbol der Freiheit und Selbstbestimmung. Meine Trauer über den Verlust eines linken Safe Space, in dem Frauen, Lesben, inter, trans und nicht-binäre Menschen zur Ruhe kommen konnten und Solidarität und Wärme erfuhren. Wo gefeiert und getanzt wurde, ohne die üblichen Übergriffe durch cis männliche Besucher. Wo es vegane KüFa gab und einen Kickertisch, dessen fehlende Figuren kurzerhand durch Löffel ersetzt wurden. Weil hier zum Spaß gespielt wurde und nicht um das Gegenüber fertigzumachen. Meine Trauer darüber, dass „die“ schon wieder gewonnen haben. Dass sie sich nach und nach alles nehmen, dass sie verdrängen und räumen, zertreten und zerstören.
Wut
Ich schreibe diesen Text, um meiner Wut ein Ventil zu verschaffen. Meiner Wut über eine rotrotgrüne Regierung, die die Schwächsten in der Stadt nicht schützt, die rund 50 FLINT-Personen gewaltsam aus ihrem Zuhause vertreibt und in die Obdachlosigkeit schickt, während sie gleichzeitig „Stay Home“-Kampagnen zur Eindämmung einer globalen Pandemie verbreitet. Ich weiß nicht wohin sonst mit meiner Wut über brutale Cops, die ihr Machtmonopol gegen friedliche Demonstrant*innen und Journalist*innen einsetzen, über herablassende Cops, die den Einsatz wie so oft als persönlichen Rachefeldzug gegen alles vermeintlich Linke, Schwache, Queere verstehen und in Mackerpose Fotos auf erfolgreich „erobertem Feindesland“ schießen. Meine Wut über Redaktionen, die unkritisch Polizeimeldungen wiedergeben, statt zu recherchieren, die die voyeuristischen Aufnahmen aus den Privatwohnungen der gerade Geräumten verbreiten und dem hetzenden Mob zum Fraß vorwerfen. Meine Wut über Journalist*innen, die das rechte Narrativ der gewaltbereiten Linksextremist*innen unreflektiert weiterverbreiten und damit jedes Mal aufs Neue die gefährliche Hufeisentheorie reproduzieren.
Verzweiflung
Ich schreibe diesen Text aus Verzweiflung über die Empathielosigkeit der Menschen, die keine Scham dabei verspüren, ihre Häme öffentlich zu machen. Denen es offenbar tatsächlich Freude bereitet, dass ein paar linke, queere Menschen ihr Zuhause verloren haben. Meine Verzweiflung darüber, dass Menschen Dinge sagen wie „Ich bin ja selbst links, aber das Haus gehört denen nun mal nicht“ oder „Wir leben nun mal in einem Rechtsstaat, da kann man nicht einfach so das Eigentum anderer besetzen“ oder „Meine Sympathien haben die sich ja verspielt mit ihren militanten Aktionen“ oder „Ich bin gegen Gewalt, egal von welcher Seite“. Meine Verzweiflung über ein System, dass alles vernichtet, was nicht verwertbar ist, das alle verachtet, die sich nicht dem Paradigma der „Leistung“ unterordnen, die nicht mitspielen wollen im Game von Konsum und unendlichem Wachstum.
Energie
Am Tag nach der Zwangsräumung war ich kraft- und mutlos. Und damit war ich nicht allein. Vielen geht es so wie mir. Mich tröstet das. Ich will, dass wir uns zusammentun. Ich will, dass wir Trauer und Wut und Verzweiflung in Energie umwandeln.
Die Joni Mitchell Dauerschleife vom Wochenende habe ich jetzt gegen Ton Steine Scherben getauscht.
Der Traum ist ’n Traum, zu dieser Zeit
Doch nicht mehr lange, mach‘ dich bereit
Für den Kampf ums Paradies
Wir haben nichts zu verlieren, außer uns’rer Angst
Es ist uns’re Zukunft, unser Land
Gib mir deine Liebe, gib mir deine HandDer Traum ist aus
Der Traum ist aus
Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird
Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird
Dass er Wirklichkeit wird
WirklichkeitTon Steine Scherben – Der Traum ist aus
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