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Badass der Woche: Sawsan Chebli. Illustration, Hintergrundfoto und Collage von mir.

Demut, Demos, DFB

In den USA steigt die Zahl der toten trans Personen, der brasilianische Fußballverband beschließt Equal Pay und Sawsan Chebli spricht im Spiegel über Sexismus, Vorbilder und warum sie sich inzwischen Feministin nennt. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW36

Montag, 31. August
Am frühen Montagmorgen wurde eine 23-jährige Schwarze trans Frau tot am Orchard Beach, dem Strand des New Yorker Stadtteils Bronx, gefunden. Die Polizei machte bislang keine Angaben zur Identität der Toten oder zu den Umständen ihres Todes. Laut verschiedener Meldungen u.a. auf Twitter handelt es sich um Elie Che, Model, Autorin und Aktivistin.  

Es ist noch unklar, wie Elie Che zu Tode kam. Sollte sich ihr Tod als Verbrechen herausstellen, wäre sie laut Human Rights Campaign das 27. bekannte Opfer eines transfeindlichen Mordes in den USA in diesem Jahr.

Weltweit wurden seit Beginn der statistischen Erfassung vom 1. Januar 2008 bis zum 30. September 2019 insgesamt 3.314 Morde an trans Personen in 74 Ländern registriert. Die Dunkelziffer fällt sicher deutlich höher aus. Auch in Deutschland werden Transgender immer wieder Opfer von Gewalt und Diskriminierung. Dazu trägt auch die weitverbreitete Transphobie in der (Pop-)Kultur bei. Ich erinnere nur an „Ace Ventura“ oder die jüngsten transfeindlichen Takes von J.K. Rowling oder Boris Palmer.  

Dienstag, 1. September
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“ – mit diesem Primo Levi Zitat beginnt Margarete Stokowski ihre sehr lesenswerte aktuelle Kolumne auf Spiegel Online, die am Dienstag erschien. Sie setzt sich darin mit der Verharmlosung der Demonstrant*innen vom vergangenen Wochenende auseinander. Zahlreiche Medien hatten den Aufmarsch von Rechtsextremen, Antisemit*innen, Verschwörungsgläubigen, Esoteriker*innen und Impfgegner*innen als „Anti-Corona-Demo“ bezeichnet, „als hätten dort Menschen gegen ein Virus protestiert“. Niemand behauptet, dass jede*r einzelne Teilnehmer*in ein Nazi ist, „aber sie waren bereit, auf einer Demo unterwegs zu sein, auf der Rechtsextreme sehr präsent waren, und man hätte das vorher wissen können. AntifaschistInnen waren sie ganz sicher nicht, denn AntifaschistInnen gehen nicht auf Naziveranstaltungen, außer um sie zu dokumentieren oder zu sprengen“, schreibt Margarete Stokowski.

Eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme in Deutschland ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass sich ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in der angeblichen Mitte zwischen Faschismus und Anti-Faschismus wähnt. Weder sei man „Nazi“ noch „Antifa“. Doch diese Mitte existiert nicht. Sie ist eine Illusion, geschaffen von rechten Konservativen, die anhand der Hufeisentheorie behaupten, Rechts- und Linksextreme seien die sich gegenüberliegenden Extreme, getrennt in den Zielen, vereint in den Mitteln und gleichermaßen bedrohlich für „unsere“ Demokratie. Immer wieder wird das Bild der gewaltbereiten Linken reproduziert und dabei verschwiegen, dass es aus linken Kreisen zwar immer wieder zu Sachbeschädigungen („Gewalt“ gegen Sachen, Autos, Gebäudefassaden und so) kommt, den mindestens 208 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 aber exakt null Todesopfer linker Gewalt gegenüberstehen. Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Sexismus und Behindertenfeindlichkeit sind dem Rechtsextremismus immanent. Sich dem entgegenzustellen ist nicht „links“, schon gar nicht „linksextrem“. Es sollte eine Selbstverständlichkeit für alle sein, die den Faschismus ablehnen und die Gleichwertigkeit aller Menschen anerkennen. „Dass Menschen, die ‚ganz normal‘ aussehen, Berufe und Kinder haben, mit Rechtsextremen zusammen demonstrieren, ist keine entspannende, sondern eine beunruhigende Botschaft, schreibt Margarete Stokowski in ihrer Kolumne. Ich bin beunruhigt.

Mittwoch, 2. September
Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Universität Bielefeld zufolge wird ein großer Teil der Homosexuellen und trans Personen in Deutschland am Arbeitsplatz diskriminiert und benachteiligt. Für viele ist das ein Grund, ihre geschlechtliche bzw. sexuelle Identität geheim zu halten. Im produzierenden Gewerbe gehen nur 57 Prozent der LGBTQI*-Personen gegenüber ihren Kolleg*innen offen mit ihrer Geschlechtsidentität bzw. sexuellen Orientierung um, im Gesundheits- und Sozialwesen tun das knapp drei Viertel der Befragten. Es ist kaum überraschend, dass sich es queere Menschen gut überlegen, ob sie sich im Arbeitskontext outen möchten. Noch immer wollen viele Menschen nichts mit Lebensweisen zu tun haben, die von der Heteronormativität abweichen. 2017 fand die Antidiskriminierungsstelle des Bundes heraus, dass knapp 44 Prozent der Deutschen der Meinung sind, „Homosexuelle sollten aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen“.  

Donnerstag, 3. September
Der brasilianische Fußballverband wird zukünftig der Frauennationalmannschaft die gleichen Prämien und Spesen bezahlen, wie den Männern.

Norwegen, Australien, Neuseeland, England und Südafrika haben sich verschiedenen Medienberichten zufolge schon vor geraumer Zeit für Equal Pay entschieden. In Deutschland ist das für viele noch immer völlig undenkbar: Die Spielerinnen der Frauennationalmannschaft erhalten nach wie vor nur einen Bruchteil von dem, was die A-Nationalmannschaft der Männer bekommt. Immerhin bekommen die Frauen heute überhaupt Geld, mag man jetzt vielleicht denken, für den EM-Titel 1989 gab es pro Person schließlich nur ein Kaffeeservice. Die Benachteiligung der Nationalspielerinnen stellt eine unfassbare Ungerechtigkeit dar, die nach meinem Verständnis von Gleichberechtigung nicht zu argumentieren ist.

DFB-Präsident Keller begründet die Schlechterstellung der Frauen damit, dass es in Deutschland ein Leistungsprinzip gäbe: „In unserer Gesellschaft geht es am Ende auch um Leistung. Das, was ich verdiene, kann ich auch ausgeben“, sagte er im Januar und weiter: „Equal Pay gibt es nicht zwischen der Kreisliga und der Bundesliga. Und das ist auch derselbe Sport“. Das ist in mehrerer Hinsicht großer Quatsch und zeigt nur, wie wenig sich Keller mit dem Thema „Equal Pay“ auseinandergesetzt hat. Erstens ist der DFB ein gemeinnütziger Verein (ja, ich weiß, das ist für sich genommen schon ein Witz!), der sowieso gar nicht nach Leistung bezahlt, sondern nur „Prämien“ ausschüttet, die er willkürlich festlegt. Es ist also zuerst einmal die völlig freie Entscheidung des Präsidiums, wieviel ihnen der Sieg einer Mannschaft wert ist. Die Argumentation, dass die Männer mehr „einspielen“ würden, hinkt gewaltig, denn dieser marktlogischen Denke zufolge, müsste der Verband dann bspw. die Futsal-Nationalmannschaft komplett streichen, die deutlich mehr kostet, als sie „erwirtschaftet“. Wir wissen zudem auch alle, dass die rund 350.000 Euro, die ein männlicher Nationalspieler für einen Sieg bei der WM 2018 kassiert hätte, für diesen maximal symbolischen Wert hätten und nicht mit dem Einkommen vergleichbar sind, die er im Verein erzielt. Dass der Männerfußball in Deutschland kommerziell erfolgreicher ist, als der Frauenfußball ist nicht die Schuld der Nationalspielerinnen. Ebenso wie die Männer haben sie sich durch große persönliche Anstrengung für die Nationalmannschaft qualifiziert, also das sportlich Maximale herausgeholt. Mehr geht nicht, in der Nationalmannschaft spielen die aktuell besten Fußballer*innen des Landes. Wieso sollten Männer für diese individuelle Leistung mehr (finanzielle) Anerkennung bekommen, als Frauen?

Dass Keller das Verhältnis von Frauen- zu Männernationalmannschaft mit dem von Kreisliga zu Bundesliga gleichsetzt ist gelinde gesagt eine Frechheit. Ein*e Fußballer*in kann sich nämlich durch Leistung von der Kreisliga bis in die Bundesliga verbessern, eine Spielerin hat hingegen keine Chance in die Männermannschaft zu kommen, gänzlich unabhängig von ihrer Leistung.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Ungerechtigkeit noch lange so aufrechterhalten werden kann. Es braucht dafür aber den Protest der Spielerinnen, die endlich Forderungen stellen müssen. Dass sich die Männer solidarisieren wage ich dabei nicht mal zu träumen. Aber wäre schon cool, oder!?

Freitag, 4. September
Auf Zeit Online ist ein wichtiger Beitrag von Mateja Meded erschienen, in dem sie die Frauen in den Mittelpunkt rückt, die in der öffentlichen Wahrnehmung kaum stattfinden, auch nicht innerhalb der feministischen Bewegung: Migrantinnen, die die Kinderbetreuung übernehmen, die die Wohnungen und Büros putzen und die die Alten pflegen, „während weiße Akademikerinnen Vorträge über Emanzipation halten“. Anstatt hier jetzt meinen weißen Akademikerinnen-Senf loszuwerden, empfehle ich dringend den Kommentar von Mateja Meded zu lesen. Sie schreibt darin:

„Nicht alle Frauen haben die gleichen Chancen im Leben, als Asylantinnen hatten wir nur eine Chance: das Putzen. Weiße Feministinnen kratzen lediglich an der Oberfläche, wenn sie unsere Perspektiven auslassen. Zudem machen sie genau das Gleiche mit marginalisierten Gruppen, was das Patriarchat mit Frauen seit Jahrzehnten gemacht hat: Sie vergessen sie. Sie machen keine Räume auf, in denen Frauen aus Minderheiten für sich selbst sprechen können, sondern stülpen ihnen ihre Weltanschauungen, Analysen und Theorien über. Wenn Feminismus nicht intersektional ist, dann ist es kein Feminismus.“

Mateja Meded

Samstag, 5. September
Der 5. September, ist der 81. Geburtstag von Claudette Colvin. Die Schwarze Bürgerrechtlerin weigerte sich bereits neun Monate vor Rosa Parks ihren Platz im Bus für eine Weiße freizumachen. Die damals 15-Jährige wurde deshalb verhaftet und Rosa Parks, zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt, sammelte Spenden für den Rechtsbeistand von Colvin. Pinkstinks widmet der Claudette Colvin einen Beitrag in der Serie „Vergessene Heldinnen“. Darin wird unter anderem erklärt, warum Rosa Parks zum Gesicht des Busboykotts von Montgomery wurde und nicht Claudette Colvin. Parks und Colvin waren beide Mitglied der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung NAACP, sie kämpften für gemeinsame Ziele. Colvin hat Parks nie etwas vorgeworfen, auch wenn sie sich selbst mehr Anerkennung gewünscht hätte.

Sonntag, 6. September
Wegen des heute erschienenen Interview mit Sawsan Chebli habe ich extra einen Probemonat Spiegel+ abgeschlossen. Sawsan Chebli, SPD-Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Senatskanzlei und Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund, wird immer wieder rassistisch und sexistisch angefeindet. Zuletzt sogar aus den eigenen Reihen, nachdem sie erklärte für den Bundestag zu kandidieren und damit im Wahlkreis gegen Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller anzutreten. Von Jörg Thadeusz wurde ihr deshalb in einem rbb-Interview geraten, demütiger aufzutreten. Das hat er aber wohl nicht so gemeint und ihr anschließend einen Brief geschrieben, um das richtigzustellen, erzählt sie dem Spiegel. „Ich war irritiert wegen des Wortes ‚Demut‘. Warum soll ich bitte demütig sein, sagt sie, und: „Einem Mann würde man diese Frage nie stellen. Aber Jörg Thadeusz meinte es nicht so, wie es rüberkam. Er wollte reproduzieren, was mir immer vorgeworfen wird.“

Tatsächlich wird Sawsan Chebli ständig irgendetwas vorgeworfen. Dass sie zu schön ist, um als Politikerin ernstgenommen zu werden, dass sie als Sozialdemokratin keine Rolex tragen dürfte und überhaupt ist sie vielen (Männern) zu laut, zu muslimisch oder zu wenig deutsch. Sawsan Chebli spricht im Spiegel über ihre politischen Vorbilder (Brandt, Schröder, Steinmeier, Körting) und gibt zu, dass sie lange keine weiblichen Vorbilder hatte: „Ich fürchte, dass es vielen Frauen so geht. Und das muss sich ändern.“

Sawsan Chebli hat sich lange nicht als Feministin bezeichnen wollen, inzwischen tut sie das. Als sie während eines üblen Shitstorms von Feministinnen online in Schutz genommen wurde, wurde ihr klar: „Ich bin eine von ihnen“.

„Ich hatte vorher keinen Kontakt zu feministischen Bewegungen. Und weil mir mein Frausein nie im Weg stand, sah ich erst einmal keinen Grund, mich für die Quote einzusetzen. Ich dachte: Wenn eine Frau gut ist, bekommt sie den Job. Außerdem waren deutsche Feministinnen lange ablehnend gegenüber Frauen, die ein Kopftuch trugen oder sich für die Freiheit, eines zu tragen, einsetzten. Es passte für sie nicht zum Progressivsein. Das hat sich gewandelt, mittlerweile gibt es einen Feminismus, der diese Diversität zulässt, der sich für Minderheiten einsetzt und sieht: Wir sind nur dann stark, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Und mir selbst ist inzwischen mehr als klar, dass es leider nicht so ist, dass Frauen, die gut sind, in höhere Positionen kommen. Wir sind weit entfernt von einer echten Gleichstellung von Mann und Frau.“

Sawsan Chebli

Für mich ist Sawsan Chebli ein wichtiges Vorbild, weil sie für sich selbst und andere einsteht. Sie ist nicht bereit, sich mit den, ihr gönnerhaft zugewiesenen, Krümeln zufrieden zugeben, sie will den ganzen Kuchen, aber sie will ihn dann gerecht verteilen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

    1. Ulla

      Vielen Dank für den Link. Den Artikel kenne ich noch nicht und werde ihn gleich lesen.

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