Wenn es um Queer- und Transfeindlichkeit geht, ist J.K. Rowling nicht weit. Diese Woche befand sie sich in (un)guter Gesellschaft mit Friedrich Merz, Amy Coney Barrett und dem Verein für Deutsche Sprache. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW39
Montag, 21. September
Im letzten Wochenrückblick ging es sowohl um die widerliche Chauvi-Nummer von Christian Lindner auf dem FDP-Parteitag als auch um die misogynen Ausfälligkeiten von Serdar Somuncu. Margarete Stokowski widmete sich diesen Herren in ihrer aktuelle Kolumne. „Wir alle kennen diese Männer. Sie sagen in Diskussionen gern ‚ich spiele jetzt mal den Advocatus Diaboli…‘, und dann sagen sie exakt das, was sie eh sagen würden, fühlen sich aber dabei als Vertreter einer höheren Macht. Sehr unangenehm.“
Und weil wir schon bei „unangenehm“ sind: Friedrich Merz machte Anfang der Woche auch mal wieder von sich reden, als er auf die Frage, ob er sich einen schwulen Bundeskanzler vorstellen könnte, antwortete, er hätte damit kein Problem, „solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“. Die Assoziation von Homosexuellen mit Pädophilie ist ein uraltes Muster und wenn ihr mich fragt, rutscht Merz sowas nicht „aus Versehen“ raus. Kevin Kühnert stellte in einem Twitter-Thread ähnliche Aussagen von CDU-Politiker*innen zur Seite. Annegret Kramp-Karrenbauer, die die „Ehe für Alle“ mit der Heirat zwischen engen Verwandten verglich oder Erika Steinbach, die im Hinblick auf Homosexualität ähnlich wie Merz sagte: „Es interessiert mich nicht, wer mit wem schläft. Es sei denn, es geht um Kindesmißbrauch!“
Merz legt mit seiner Assoziation offen, dass er Homosexualität als Abweichung begreift, als abseits der Norm. Kühnert sagt: „So laviert jemand, der nicht kaschieren kann, dass er mit der Normalisierung des Umgangs mit Homosexualität eigentlich nichts anfangen kann.“ Kann so ein rückwärtsgewandter Konservativer Bundeskanzler werden? Für Kevin Kühnert ist die Antwort klar: „Wer gerne Kanzler werden möchte, der sollte eine Sprache sprechen, die in sensiblen Feldern von Antidskriminierung und der Gleichberechtigung aller Menschen keinen Platz für Interpretationen und doppelte Böden lässt. Friedrich Merz beherrscht diese Sprache nicht.“
Ich stimme ihm und der Bundessprecherin der Grünen Jugend, Anna Peters, zu:
Dienstag, 22. September
LASTESIS wurden vom TIME Magazine in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres aufgenommen.
Das feministische Kollektiv machte mit der Performance „Un violador en tu camino“ („A Rapist in your Path“) am 25. November 2019 vor dem Obersten Gerichtshof in Santiago de Chile auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam und kreierte damit eine feministische Hymne, die inzwischen von Aktivist*innen in 52 Ländern weltweit aufgeführt wurde.
LASTESIS wurde von vier Frauen aus Valparaíso gegründet: Daffne Valdés, Paula Cometa, Sibila Sotomayor und Lea Cáceres. In Valparaíso wurde die Intervention am 20. November 2019 uraufgeführt.
„Un violador en tu camino“ von LASTESIS
(deutsche Übersetzung)
Das Patriarchat ist ein Richter
Der uns verurteilt, weil wir geboren wurden
Und unsere Strafe
Ist die Gewalt, die du nicht siehst.
Das Patriarchat ist ein Richter
Der uns verurteilt, weil wir geboren wurden
Und unsere Strafe
Ist die Gewalt, die du jetzt siehst
Der Femizid
Ist für den Mörder straffrei
So ist es das Verschwinden
Und die Vergewaltigung
Und es war nicht meine Schuld, nicht der Ort, an dem ich war, nicht das, was ich anhatte
Und es war nicht meine Schuld, nicht der Ort, an dem ich war, nicht das, was ich anhatte
Und es war nicht meine Schuld, nicht der Ort, an dem ich war, nicht das, was ich anhatte
Und es war nicht meine Schuld, nicht der Ort, an dem ich war, nicht das, was ich anhatte
Der Vergewaltiger warst du
Der Vergewaltiger bist du
Es sind die Polizisten
Die Richter
Der Staat
Der Präsident
Der unterdrückende Staat ist ein vergewaltigender Macho
Der unterdrückende Staat ist ein vergewaltigender Macho
Der Vergewaltiger warst du
Der Vergewaltiger bist du
Schlaf in Ruhe, unschuldiges Mädchen
Ohne dich um die Straßenräuber zu sorgen
Über deine süßen Träume
Wacht dein geliebter Polizist
Der Vergewaltiger bist du
Der Vergewaltiger bist du
Der Vergewaltiger bist du
Der Vergewaltiger bist du
Mittwoch, 23. September
In einem Bielefelder Krankenhaus soll ein 32-jähriger Arzt Patientinnen betäubt und vergewaltigt haben. Die Taten habe er zudem gefilmt, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit. Der Täter wurde bereits am Montag festgenommen und beging am Donnerstag Suizid in der Untersuchungshaft.
Immer wieder kommen Fälle wie dieser an die Öffentlichkeit. Hier das Ergebnis einer kurzen Google-Recherche:
- Oktober 2016, Bamberg, der ehemalige Chefarzt des Bamberger Klinikums wird wegen Betäubung und Vergewaltigung von zwölf Frauen, darunter Patientinnen, zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
- Oktober 2017, Raum Fürth, einem 41-jährigen Rettungsassistenten werden Vergewaltigungen von mindestens 24 Frauen vorgeworfen. Der Täter behauptete, Medikamentenstudien durchzuführen, betäubte die Frauen und vergewaltigte sie.
- Januar 2018, München, 55-jähriger Ayurveda-Heiler aus Krailling bei München zu drei Jahren Haft verurteilt worden, weil er Patientinnen vergewaltigt hatte. Teilweise soll er sexuellen Missbrauch als „Massagen“ getarnt haben.
- Mai 2018, Landshut, 59-jähriger Arzt sitzt in Untersuchungshaft, weil er Rezepte nur „gegen Sex“ ausgestellt haben soll.
- August 2018, Berlin, ein 55-jähriger Arzt steht vor Gericht, weil er eine minderjährige Patientin mehrfach sexuell missbraucht haben soll.
Ich könnte jetzt noch tausende solcher Meldungen zusammentragen, was mich aber viel mehr interessierte als diese „Einzelfälle“ ist der größere Zusammenhang. Übergriffe durch Ärzte, Therapeuten und anderes medizinisches Personal sind keineswegs eine Seltenheit. Der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm, Jörg Fegert, forscht seit Jahren zum Missbrauch in Krankenhäusern. Ihm zufolge gibt es „manipulative Täter“, die „Patientinnen und Patienten und auch deren Angehörige glauben lassen, dass alles, was geschieht, medizinisch begründet ist“. Er fordert eine gesellschaftliche Debatte über dieses Tabu, sodass Schutzkonzepte entwickelt werden können.
In der Regel bringen Patient*innen ihren Ärzt*innen ein besonderes Vertrauen entgegen und es ist bekannt, dass Beziehungen dieser Art die Gefahr für missbräuchliches Verhalten bergen. Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis, dass Täter ausnutzen können. Patientinnen, die bestimmte Berührungen des Arztes unangenehm finden, können sich oft nicht ganz sicher sein, ob diese Art der Behandlung medizinisch notwendig ist. Sexuelle Übergriffe werden sowieso schon kaum angezeigt, Taten die im Rahmen der Arzt-Patientin-Beziehung geschehen, bleiben vermutlich noch seltener geheim.
Hessen ist, meiner Kenntnis nach, das einzige Bundesland, in dem es eine Ombudsstelle für Opfer durch ärztlichen Missbrauch gibt. Rund 100 Fälle bearbeitet der Beauftragte dort pro Jahr, die wenigstens seien strafrechtlich relevant.
Donnerstag, 24. September
Roland Tichy hat angekündigt den Vorsitz der Ludwig-Erhard-Stiftung aufzugeben. Ich musste erstmal schnell nachgucken, was das für eine Stiftung ist, ich hatte vorher noch nichts davon gehört. Von Tichy hingegen habe ich schon viel mehr gehört, als mir lieb ist. Deshalb hat es mich auch einigermaßen überrascht, dass er erst jetzt öffentlich in der Kritik zu stehen scheint. Die von Tichy herausgegebene Onlinezeitung „Tichys Einblick“ (inzwischen gibt es auch eine Printausgabe) ist ein Sprachrohr der neuen Rechten. Tichy selbst und seine Autor*innen lassen sich dort über „rot-grüne Gutmenschen“ und Merkels „Katastrophenpolitik“ im Hinblick auf Geflüchtete aus, faseln von der „nicht legitimierten, faktischen Enteuropäisierung Europas“ und den „verwöhnten Bio-Kids“, denen ein „Eis-Winter wie im Januar 1979“ gewünscht wird, „wo ihre Windmühlen bei Eisregen und minus 20 Grad einfrieren“. Greta Thunberg wird als „Baby-Jeanne d’Arc“ belächelt und Tichy selbst sieht sich selbst nur zu gern als Opfer und suggeriert, es gäbe in Deutschland keine Meinungsfreiheit mehr.
Jetzt brachte ein von Tichy veröffentlichter Beitrag über Sawsan Chebli das Fass selbst bei denen zum Überlaufen, die man sonst als seine Brüder und Schwestern im Geiste bezeichnen kann. Die CSU-Staatsministerin im Kanzleramt für Digitalisierung, Dorothee Bär, verließ die Ludwig-Erhard-Stiftung, nachdem sie bei Tichy die sexistische Widerlichkeiten über Sawsan Chebli gelesen hatte. Die taz feiert Bär für ihre Solidarität mit Chebli, nennt die beiden gar „eine feministische Koalition“.
Dass sich Dorothee Bär als Stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union „konsequent für den Schutz des Lebens“ einsetzte und in diesem Zusammenhang „allen Teilnehmern und Unterstützern des ,Marschs für das Leben‘ (…) viel Erfolg und Gottes Segen“ gewünscht hat, hat die taz bei der Verleihung des Labels „feministisch“ wahrscheinlich vergessen. Genauso wie Bärs Aussagen über junge Geflüchtete, über die sie sagte: „Es gibt viele Menschen, die unser System ausnutzen, sich durch falsche Altersangaben Privilegien erschleichen.“ Im gleichen Interview forderte sie zudem „schnellere Abschiebungen, um eine Kürzung der Sozialleistungen für Asylbewerber“.
Wie bell hooks uns lehrte, ist ein Feminismus, der Rassismus reproduziert, wertlos für den Kampf um die Befreiung aus dem Patriarchat. Auch wenn Bärs Rückzug aus der Erhard-Stiftung aus Solidarität mit Sawsan Chebli ein ehrenwerter Move war, sollte sie jetzt nicht als feministische Ikone stilisiert werden. Sie bleibt eine rechtskonservative Kapitalistin, die einen Dreck auf die Situation der Frauen gibt, die weniger privilegiert sind als sie selbst.
Freitag, 25. September
Dass der „Verein für Deutsche Sprache“ ein ekelhaft reaktionärer Haufen ist, ist ja nicht wirklich was Neues. Doch die verzweifelten Versuche der ewiggestrigen Sprachbewahrer nehmen zunehmend groteske Züge an. Der Vereinsvorsitzende Walter Krämer hat jetzt einen Beschwerdebrief an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkräte geschrieben, mit dem er sich gegen die geschlechtergerechte Sprache wehren möchte. Die sich immer mehr durchsetzende Sprechpause zwischen der Endung „-innen“, also beispielsweise in „Kund*innen“ oder „Teilnehmer*innen“ würde Männer diskriminieren, meint Krämer. Das solle den Sendern „nicht gleichgültig sein, wenn in einigen seiner Sendungen der männliche Teil ausgeschlossen wird. Da die Beitragszahler des (…) etwa zur Hälfte männlich sein dürften, sollte diese diskriminierende Praxis umgehend unterlassen werden“ heißt es in dem Schreiben.
Samstag, 26. September
US-Präsident Trump hat nun offiziell bekannt gegeben, dass er die Juristin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin von Ruth Bader-Ginsburg für den Supreme Court nominiert. Natürlich wird er auch versuchen, sie noch vor der Wahl im November vom Senat bestätigen zu lassen, damit die rechtskonservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof auf Jahre gesichert bleibt. Der letzte Wunsch von RBG, mit ihrer Nachbesetzung bis nach den Wahlen zu warten, wird sich vermutlich nicht erfüllen.
Amy Coney Barrett ist eine ultrakonservative Katholikin, LGBTQ-Verbände in den USA haben entsetzt auf die Nominierung reagiert: „Rechte, für die wir so hart gekämpft haben, stehen auf dem Spiel: von der Öffnung der Ehe über Abtreibungsrechte bis hin zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz“ heißt es in einer Stellungnahme der Gay and Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD).
Sonntag, 27. September
Leider kommt der Wochenrückblick auch dieses Mal nicht ohne eine neue Folge „J.K. Rowling – Königin der Transfeindlichkeit“ aus. Auf Twitter empfahl die „Harry Potter“-Autorin ihren 14,2 Millionen Follower*innen einen Onlineshop, der transfeindliche Produkte, wie T-Shirts, Buttons und Tassen verkauft. Den Tweet hat sie „angeheftet“, sodass er ganz oben angezeigt wird, wenn man ihre Seite besucht.
Für trans Personen, aber auch für viele cis Menschen, ist es jedes Mal wieder schmerzhaft zu sehen, wie sehr J.K. Rowling in ihrem Hass auf trans und nicht-binäre Menschen aufgeht. Inzwischen versucht sie es nicht mal mehr zu kaschieren. Während sie im Juni noch behauptete „I know and love trans people“, befindet sie sich mittlerweile regelrecht auf einem Feldzug gegen jegliche Abweichung der binären Geschlechterordnung.
Dr. Michaela Dudley hat ihre heutige taz-Kolumne dem Thema gewidmet und nennt das, was Rowling wiederholt von sich gibt, „verfassungskonforme Hetze“.
„Dabei bedient sie üble Stereotypen, wonach trans* Frauen nichts als geistig instabile, gewalttätige und sich auf der Damentoilette aufgeilende Männer in Weiberklamotten seien, von denen Cis-Frauen, Kinder und die heteronormative Weltordnung existenziell bedroht seien.“
Dr. Michaela Dudley über J.K. Rowling