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Gedenktafel für den in Dortmund getöteten Mouhamed Lamin Drame.

Rechts und rechtswidrig

Vor einem Jahr wurde Mouhamed Lamin Dramé von der Polizei in Dortmund getötet, in Bulgarien demonstrieren Feminist*innen gegen patriarchale Gewalt, in Weißenfels greifen Nazis den CSD an und Nancy Faeser macht Wahlkampf mit Rassismus. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW32

Bevor es losgeht, möchte ich euch freundlich bitten, an einer kurzen anonymen Umfrage teilzunehmen. Die Ergebnisse sollen mir dabei helfen zu entscheiden, wie ich in Zukunft mit Wochenrückblick und Newsletter weitermache.

ZUR UMFRAGE

Montag, 7. August

Die „Festung Europa“ ist längst keine ferne Dystopie mehr, sie ist so real wie die zehntausenden Leichen im Mittelmeer. In Großbritannien wurde am Montag damit begonnen 500 Asylsuchende auf einem Gefängnisschiff vor der südenglischen Küste zu bringen. Die „Bibby Stockholm“ ist ein dreistöckiger Lastkahn, der in den 1990er Jahren schon in Hamburg ankerte. Damals wurden über Jahre bis zu 200 geflüchtete und obdachlose Menschen darin untergebracht. Jetzt sei die Kapazität nochmal mehr als verdoppelt worden. Ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die eingepferchten Menschen, so die britische Feuerwehrgewerkschaft. Großbritanniens rechte Regierung tut alles Mögliche, um Migrant*innen abzuschrecken und loszuwerden. Völkerrecht? Menschenrechte? Alles zweitrangig für die Tories. Mit der geplanten Unterbringung auf der „Bibby Stockholm“ war Ende der Woche auch erstmal wieder Schluss. Im Wassersystem wurden krankheitserregende Legionellen gefunden. Die Menschen müssen das Schiff wieder verlassen.

Dienstag, 8. August

Nancy Faeser (der zu Beginn ihrer Amtszeit fälschlicherweise „Nähe zum Antifaschismus“ unterstellt wurde) ist mittendrin im Wahlkampf um das Ministerpräsidentinnen-Amt in Hessen. In bester Tradition Roland Kochs (oder war das eine andere Partei, ach wer weiß das schon so genau) hat sie sich ein catchy Thema gewählt, das ihr die Wählerstimmen nur so zufliegen lassen sollte: „Die Ausländer™“. Während Koch damals gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft Stimmung machte, hat es Faeser auf die sogenannten „Clans“ abgesehen. Clans, das muss man wissen, ist das populistische Wort für Großfamilie, vorausgesetzt, die Familie hat Wurzeln außerhalb Deutschlands. In der Regel wird „Clans“ in Verbindung mit dem Adjektiv „kriminelle“ benutzt. Rund 512.000 Treffer gibt diese Kombination bei Google. „Kriminelle Clans“ ist das Lieblingsthema von AFD bis Spiegel TV. Warum über organisierte Kriminalität reden, die sehr viel vielfältiger ist, wenn wir es den Ausländern™ in die Schuhe schieben können. Es ist ja auch so praktisch: Ein bestimmter Nachname, ein vorhandener Verwandtschaftsgrad – CLANMITGLIED! Dabei ist es unerheblich, ob die einzelnen Familienmitglieder tatsächlich ungesetzlich handeln oder gehandelt haben. Für Nancy Faeser soll die familiäre Verbindung zukünftig ausreichen, um abgeschoben zu werden: In einem Diskussionspapier des SPD-Innenministeriums wird vorgeschlagen, „dass eine Ausweisung bereits möglich sein soll, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass jemand Teil einer kriminellen Vereinigung war oder ist. Dies solle auch dann gelten, wenn noch keine Verurteilung wegen einer Straftat vorliege“, heißt es bei der Tagesschau. Sippenhaft, ein Wort, das insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus verwendet wurde, ist eigentlich unvereinbar mit dem strafrechtlichen Schuldprinzip, aber hey, es ist Wahlkampf, was soll‘s! Die CDU ist jetzt natürlich neidisch, dass die SPD-Kandidatin sich hier an klassischen Union-Themen bedient und widerspricht Faeser auf allen Ebenen (selbst Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen sieht hier einen Verfassungsverstoß) jedoch nicht ohne ihrerseits Kapital aus der Debatte zu schlagen. Philipp Amthor überholt die Bundesinnenministerin rechts und erklärte in diesem Zusammenhang: „der Hahn der ungesteuerten Zuwanderung muss abgedreht werden“ und nur die Gewerkschaft der Polizei (GdP) schlägt sich auf Faesers Seite und sieht hier Potenzial. Wer davon überrascht ist, kennt die GdP einfach schlecht 😊

Mittwoch, 9. August

Letzte Woche habe ich hier darüber geschrieben, wie erschreckend normal es geworden ist, mit Nazis und Faschist*innen auf Bühnen zu reden und diese Woche bestätigte der MDR das nicht nur, sondern setzte noch einen drauf. Im großen „Sommerinterview“ von MDR Thüringen war Björn Höcke zu Gast, der sogar mit gerichtlicher Erlaubnis Faschist genannt werden darf. Moderator Lars Sänger hörte dabei gar nicht auf zustimmend zu brummen, während Höcke u.a. forderte, dass Kinder mit Behinderungen aus dem Regelschulbetrieb ausgeschlossen werden und Inklusion als „Ideologieprojekte“ bezeichnete. Dass Nazis behindertenfeindliche Aussagen machen, sollte niemanden überraschen. Problematisch wird es eben, wenn sie das unwidersprochen auf großer Bühne tun, geadelt als legitimer Debattenbeitrag durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und wie so oft ist nicht allein das Gesagte das Problem, sondern auch die Reaktionen darauf (ganz zu schweigen von der Verschiebung dessen, was als „sagbar“ gilt). So übertrafen sich nach Höckes Interview Menschen (und Institutionen) damit zu betonen, dass Menschen mit Behinderung sehr wohl einen wichtigen Beitrag zur deutschen Wirtschaft leisten würden und nicht-behinderte Kinder vom Austausch mit behinderten Kindern profitieren würden. „Wenn Höcke von den Leistungsträgern und Fachkräften von morgen spricht, muss man deutlich sagen: Menschen mit Behinderungen sind die Fachkräfte von heute“, zitiert der Spiegel eine Sprecherin von „Aktion Mensch“. Es zahlt leider exakt in die gleiche Kasse ein, wenn jetzt der „Wert“ von behinderten Menschen für Wirtschaft und Gesellschaft betont wird. Alle Kinder haben das gleiche Recht auf Schulbildung und gleiche Zugangschancen, unabhängig von ihren individuellen physischen und psychischen Voraussetzungen. Ein Mensch sollte nicht seine „Nützlichkeit“ betonen müssen, um seine basalen Rechte garantiert und seine Menschenwürde unangetastet zu wissen. Die Autorin Mareice Kaiser schrieb auf einer Plattform, die früher Twitter hieß: „Liebe Eltern behinderter Kinder, ich verstehe eure Reaktion auf die menschenfeindlichen Äußerungen des AfD-Faschisten. Aber bitte rechtfertigt eure Kinder & inklusive Schulbildung nicht mit den guten Schulnoten eurer Kinder. Auch wenn sie nichts leisten, haben sie Menschenrechte.“

Donnerstag, 10. August

Aminata Touré, Sozial- und Integrationsministerin in Schleswig-Holstein, änderte am Donnerstag die Abschieberegelungen des Landes, nachdem sie zunächst die nächtliche Abschiebung einer Tunesierin aus einer psychiatrischen Klinik in Rickling als „geltendes Recht“ verteidigt hatte. Mariem F. war nach einem Suizidversuch in der Psychiatrie untergebracht, wo Polizist*innen sie nachts überfielen und nach Schweden deportierten. Dort sitzt die 37-Jährige aktuell in einem Abschiebegefängnis. In Tunesien drohen der lesbischen Frau Verfolgung und Gewalt. Trotzdem wurde ihr Asylgesuch in Schweden abgelehnt. Um der Abschiebung zu entgehen, floh sie nach Deutschland. Doch die Behörden hier sahen darin eine Verletzung der (meiner Meinung nach grundgesetzwidrigen) Dublin-III-Verordnung, also der EU-Regelung, dass Geflüchtete ausschließlich in dem Land Asyl beantragen dürfen, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Ich finde es an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass auch im Nationalsozialismus das meiste im Rahmen „geltenden Rechts“ ablief und das das entsprechend nie automatisch bedeutet, dass etwas auch gerecht, geschweige denn richtig ist. Der Umgang der EU (und ihrer Teilstaaten) mit schutzsuchenden Menschen ist menschenverachtend und das betrifft nicht nur die illegalen Aktivitäten, wie Push-Backs an den Außengrenzen, sondern eben auch ganz legale Verfahren wie eben Dublin-III. Dass ein psychisch schwer belasteter Mensch in einer besonders vulnerablen Situation so etwas erleben muss, ist mit nichts zu rechtfertigen und selbst für die ohnehin unmenschliche „Rückführungs“-Praxis in Deutschland ein weiterer Tiefpunkt. Doch nicht nur Politik und Exekutive ist hier der Vorwurf zu machen. Was zur Hölle ist das für eine Klinik (Spoiler: eine christliche), die ihre Patient*innen nicht vor derartiger Gewalt und Traumatisierung schützt? Das fragt sich auch Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche: „Zusätzlich alarmiert uns, wenn in einer kirchlichen Einrichtung die Patientensicherheit nicht gewährleistet scheint“, sagte sie laut queer.de. Aminata Touré unterzeichnete am Donnerstag eine Anpassung des sogenannten „Rückführungserlasses“. Demnach muss in Schleswig-Holstein ab sofort zunächst die Entlassung aus dem Krankenhaus abgewartet werden, bevor ein Mensch deportiert werden kann. Ausnahmen soll es aber weiterhin geben. Mariem F., so Unterstützer*innen, befindet sich derzeit im Hungerstreik, um gegen ihre Abschiebung nach Tunesien zu protestieren.

Freitag, 11. August

In Bulgarien demonstrieren derzeit tausende Frauen und Feminist*innen gegen die grassierende patriarchale Gewalt und die Untätigkeit der Justiz. Am Freitag berichtete auch die Tagesschau. Auslöser für die aktuellen Proteste war die Entscheidung einer Richterin, einen 26 Jahre alten Mann, einen gerichtsbekannten Schläger, trotz Mordversuch an seiner Partnerin nach 72 Stunden auf freien Fuß zu setzen. Der Täter hatte „aus Eifersucht“ mit einem Messer 21-mal auf die 18-Jährige eingestochen, ihr die Nase gebrochen und brutal den Kopf rasiert. Männliche Gewalt ist ein großes Problem in Bulgarien, wie lokale Feminist*innen berichten. „Wir leben in Bulgarien immer noch in dieser patriarchalischen Welt. Die Rolle der Frau besteht nur darin, Mutter und Hausfrau zu sein, zu Hause zu bleiben, sich um ihren Mann zu kümmern, ihm zu dienen“, sagt Desislava Dimitrova von der Organisation „Feministische Mobilisierung“ zur ARD. Unterstützung für Betroffene gibt es kaum. Im ganzen Land gibt es nur 180 Plätze in Gewaltschutzeinrichtungen. 18 davon in der Hauptstadt Sofia (1,2 Millionen Einwohnende).

Samstag, 12. August

In Dortmund demonstrierten am Samstag mehrere hundert Menschen (laut Polizei 700) gegen Polizeigewalt und für die Aufklärung des Mordes an Mouhamed Dramé. Vor einem Jahr wurde der 16-jährige Mouhamed Dramé im Hof einer Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund von der Polizei erschossen. Fünf Polizist*innen sind angeklagt, was genau am Nachmittag des 8. August 2022 geschah, ist nicht vollständig geklärt. Der junge Geflüchtete aus dem Senegal soll suizidal gewesen sein, ein Betreuer der Wohngruppe, in der Mouhamed seit wenigen Tagen untergebracht war, rief die Polizei. 12 Einsatzkräfte rückten an. Keine von ihnen sprach eine Sprache, die der Jugendliche verstand. Weil Mouhamed, der sich mehrere Meter entfernt von den Polizist*innen befand, ein Messer in der Hand gehalten haben soll, ordnete der Einsatzleiter sowohl den Einsatz von Reizgas als auch den Beschuss mit Taser-Pfeilen. Kurz darauf schießt ein Polizist mit einer Maschinenpistole sechsmal auf den Jungen, vier Schüsse treffen. Mouhamed stirbt kurz darauf in der Notaufnahme. Für die anfänglich aufgestellte Behauptung der Cops, die Schüsse seien in Notwehr gefallen, gibt es keinerlei Hinweise. Dortmunds Oberstaatsanwalt Carsten Dombert erklärte dazu gegenüber dem Portal „Nordstadtblogger“: „Die Ermittlungen haben bisher nicht ergeben, dass sie in Nothilfe oder Notwehr gehandelt haben. Das würde auch nur vorliegen, wenn es einen rechtswidrigen Angriff durch Mouhamed Lamine Dramé gegeben hätte.“ Mouhamed habe sich nur aufgerichtet, „nachdem er das Reizgas an seinem Kopf gespürt hat“, sagte Dombert. Kurz darauf hätten die Polizist*innen Taser und Maschinenpistole abgefeuert. „Ich halte den polizeilichen Einsatz, so wie er abgelaufen ist, für rechtswidrig“, sagt Dombert.

Sonntag, 13. August

Nachdem gestern in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) der erste CSD in der Geschichte der Stadt veranstaltet wurde, berichteten verschiedene Medien heute über eine rechtsextreme Störaktion. Eine Polizeisprecherin aus Halle teilte mit, dass die Identitäten von 23 Personen festgestellt wurden, die sich mit Beleidigungen, Drohungen, mindestens einem Flaschenwurf, „Sieg-Heil“-Rufen und Hitlergrüßen der Pride-Parade in den Weg stellten. Die Gruppe, überwiegend junge Männer, sind der rechtsextremen Szene aus dem Burgenlandkreis zuzuordnen. Im Vorfeld des CSDs hatte es bereits Drohungen gegen die Veranstalter*innen durch die Nazi-Partei „Dritter Weg“ gegeben. Immer wieder sind es Personen aus dem Umfeld des „Dritten Wegs“, die mit Angriffen gegen queere Menschen und Einrichtungen auffallen. Die Rechtsextremen haben ihren Hass auf Menschen abseits der heteronormativen Norm aber nicht neu entdeckt. Nein, sie haben viel mehr erkannt, dass in der Abwertung von und Angriffen auf LGBTQIA+ ein großes Mobilisierungspotential liegt. Damit schließen sich die deutschen Nazis dem internationalen Trend an (siehe bspw. Georgien, Österreich, Australien und USA). Der Hass auf (sichtbare) Queerness beginnt nicht bei den gewaltbereiten Jungnazis auf den Straßen. Es geht sehr viel früher und teilweise subtiler los. Wenn sich die CSU für ein Verbot von Drag-Veranstaltungen einsetzt, wenn sich Wissenschaftler*innen in einem Welt-Artikel darüber echauffieren, dass „Die Sendung mit der Maus“ über trans Menschen aufklärt, wenn Ideolog*innen von EMMA über NZZ bis Focus vor angeblichem „Trans-Hype“ warnen, wenn der Justizminister sich in Interviews über die Genitalien der Besucher*innen von Saunen sorgt und wenn Verlage (wie Kiepenheuer und Witsch) als „Streitschrift“ getarnte Hasspamphlete verlegen. Die rechte Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs der sich ausbreitenden Queerfeindlichkeit. Es braucht die Solidarität über die Community hinaus. Solange ein Großteil der cis-hetero Linken so tut, als ginge sie dieser Hass nichts an, können sich Lügen und Hass weiter ausbreiten. Hier geht es nicht bloß um LGBTQIA-Feindlichkeit. Die sich formierende faschistische Front aus Neonazis, christlichen Fundamentalist*innen und reaktionären Konservativen testet vielmehr an einem vermeintlich leichten Opfer, wie weit sie mit ihrer Hetze gehen können, ohne dass sich der Mainstream daran stört.

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