Das war eine richtig beschissene Woche. Femizide in Mexiko, der Türkei und Österreich und mangelnde Unterstützung für weibliche Gewaltopfer in Berlin. Einen Lichtblick schenkte uns Alexandria Ocasio-Cortez. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW30
Montag, 20. Juli
Bereits am vergangenen Freitag hatte Ruth Bader Ginsburg, US-Verfassungsrichterin und feministische Ikone, bekannt gegeben, dass sie erneut an Krebs erkrankt ist, diesmal an der Leber. Die Diagnose wurde wohl bereits im Februar gestellt, seit Mai unterzieht sie sich einer Chemotherapie. Sie erklärte: „Ich habe oft gesagt, dass ich Mitglied des Gerichts bleiben werde, solange ich die Arbeit mit voller Kraft erledigen kann (…) Dazu bin ich nach wie vor vollständig in der Lage.“ Das ist insofern wichtig, als dass ihr Ausscheiden bedeuten würde, dass Donald Trump den freiwerdenden Sitz im Supreme Court mit einem Verfassungsrichter seiner Wahl besetzen könnte. „Nichts wäre Trumps Anhängern lieber, als wenn Ginsburg von der Bildfläche verschwände“, schrieb die Jüdische Allgemeine bereits im vergangenen Jahr. Gute Besserung, RBG!
Dienstag, 21. Juli
Der Spiegel widmet sich der Zunahme der Gewalt in Mexiko während der Corona-Krise. Hier wurden im letzten Halbjahr so viele Menschen ermordet wie noch nie. Vor allem nahmen Femizide und Gewalt gegen Frauen zu. 17.982 Menschen wurden zwischen Januar und Juni dieses Jahres ermordet. Ein Großteil der Morde geht dabei auf kriminelle Banden und Kartelle zurück, aber auch die Zahl der Femizide, also die Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, ist zuletzt wieder gestiegen. 489 Femizide wurden gezählt, das sind 9,2 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Mexikanerin María Salguero begann 2016 damit, die oft extrem brutale Gewalt zu recherchieren und die Morde und Femizide digital zu kartieren. Leider ist ihre Arbeit bislang nur teilweise aus dem Spanischen übersetzt.
Mittwoch, 22. Juli
Pınar Gültekin war 27 Jahre alt, Wirtschaftsstudentin, Tochter, Schwester, Mutter, Freundin. Sie ist auch die Nummer 118 auf der Liste der Femizide in der Türkei. Nachdem sie fünf Tage vermisst wurde, fand man ihre Leiche in einem Waldstück in der türkischen Provinz Mugla. Ihr Ex-Freund gestand, sie „aus Eifersucht“ (= Besitzdenken) verprügelt und anschließend erwürgt zu haben. Ihre Leiche habe er versucht zu verbrennen und als das scheiterte, stopfte er sie in eine Mülltonne und übergoss sie mit Beton. Pınar Gültekin hatte den Täter verlassen, nachdem sie erfahren hatte, dass dieser verheiratet und Vater ist.
Die Initiative „Wir werden Frauenmorde stoppen“ zählte im letzten Jahr 474 Femizide in der Türkei. In fast allen Fällen war der Täter der (Ex-) Ehemann oder Freund, bzw. aus dem sozialen Nahbereich der Getöteten.
Aktivist*innen machen für den Anstieg der Gewalt gegen Frauen auch das frauenfeindliche Erdoğan-Regime verantwortlich. Nicht nur unternimmt die Regierung nichts gegen die tödliche Gewalt, die Polizei geht auch brutal gegen Demonstrationen von Frauenrechtler*innen vor. Eine Teilnehmerin eines Protestmarschs in Izmir berichtete der Deutschen Welle: „Wir versammelten uns erst vor dem Kulturzentrum im Stadtteil Alsancak, um ein Pressestatement abzugeben. Als wir den Protestmarsch begannen, hielt uns die Polizei plötzlich mit Barrikaden auf. Anschließend wurden wir unrechtmäßig inhaftiert, geschlagen und misshandelt.“
Donnerstag, 23. Juli
Nachdem der Republikaner Ted Yoho sie eine „fucking bitch“ genannt hat, hielt Alexandria Ocasio-Cortez vor dem US-Repräsentantenhaus eine viel beachtete Rede. Eigentlich habe sie den Vorfall nicht weiter beachten wollen, schließlich sei dies nur eine von vielen sexistischen Beleidigungen gewesen. Doch Yohos offensichtlich nicht ehrlich gemeinte „Entschuldigung“ veranlasste sie, ein paar Worte dazu zu sagen. Sie spricht über frauenverachtende Sprache und darüber, wie es ist, damit zu leben. Es ist nichts Neues, sagt sie, und genau ist das Problem. Es geht nicht um den Einzelfall. Es ist ein kulturelles Problem.
Es lohnt sich, ihre Rede in voller Länge anzusehen:
Freitag, 24. Juli
In Strebersdorf, im österreichischen Burgenland, hat ein Mann seine Frau und seine Mutter getötet. Er hat die schlafenden Frauen mit bloßen Händen erwürgt. Zwei Frauenmorde, wie sie sich leider tagtäglich ereignen. Der Grund. warum sie es in diesen Wochenrückblick schaffen, ist wieder einmal die Berichterstattung. Während ‚Der Standard‘ sachlich die Fakten schildert und sogar einen Hilfekasten für von häuslicher Gewalt Betroffener integriert, versucht das Schmutzportal oe24 alles, um den Täter als Opfer der Corona-Krise darzustellen. „Tatmotiv ‚Verzweiflung‘ – Corona stellte diesen Mann offenbar vor eine unlösbare Aufgabe, bis er nur noch schwarz sah“, heißt es in der Headline. Der Doppelmörder wird als „einer der engagiertesten“, „sanftesten“ Mitmenschen, mit einem „gutmütigen Charakter“ beschrieben, der sich „mit aller Kraft“ und „bis zur Selbstaufgabe“ um seine „geliebten Angehörigen“ kümmerte, um seine „schwer behinderte epilepsiekranke Ehefrau Gabriele“ und seine „betagte Mutter Anna“, die beide „an den Rollstuhl gefesselt“ waren. Selten habe ich ein widerlicheres Stück Text gelesen.
An dieser Stelle möchte ich auf eine Studie des Bundesfamilienministeriums hinweisen, die belegt, dass Frauen mit Be_hinderung fast doppelt so oft körperliche Gewalt erfahren wie Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt. Sie sind auch deutlich häufiger von psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt durch Partner betroffen.
Samstag, 25. Juli
Berlins Opferbeauftragter Roland Weber hat schwere Vorwürfe gegen Politik, Justiz und Polizei erhoben. Bei der Aufklärung von sexuellen Gewalttaten würden die Behörden schlichtweg versagen: „Die angezeigten Taten werden nicht mit der Sorgfalt bearbeitet, die bei solch schweren Taten in einem Rechtsstaat erwartet werden dürfen“, sagte er zum Tagesspiegel. Er verweist dabei auch auf den Generalverdacht, dem sich Opfer sexueller Gewalt häufig ausgesetzt sehen. Polizei und Justiz vermitteln den Frauen häufig den Eindruck, mindestens eine Mitschuld am Verbrechen zu tragen.
Viel zu viele Fälle werden nie aufgeklärt. 2019 veröffentlichte der Kriminologe Christian Pfeiffer in seinem Buch „Gegen die Gewalt“ erschreckende Zahlen. Demnach kann nur eine von 100 Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren hat, erwarten, dass der Täter verurteilt wird. 85 bringen eine Vergewaltigung gar nicht erst zur Anzeige, oftmals weil das Vertrauen in Polizei und Justiz dafür nicht ausreicht. Von den 15 Prozent, die sich zur Anzeige entscheiden, erleben nur 7,5 Prozent später eine Verurteilung des Täters. In Berlin sind es sogar nur 3,4 Prozent. Verbessern ließe sich dieser Wert beispielsweise durch eine bessere Ausbildung und Ausstattung der Ermittlungsbehörden. Eine Möglichkeit wäre der Ausbau von Videobefragungen, die es u.a. den Opfern ersparen, mehrfach die schrecklichen Details eines Übergriffes zu schildern. In Berlin steht für die Videobefragung genau eine einzige mobile Anlage zur Verfügung.
Sonntag, 26. Juli
Rückblickend war es eine echt beschissene Woche. Ich merke, wie ich mich kaputt, ausgelaugt, traurig und wütend fühle, bei all den Ungerechtigkeiten, der Gewalt, dem Terror, dem Frauen weltweit ausgesetzt sind. Es lässt mich immer wieder kurz verzweifeln, wie unfair, wie gefährlich und tödlich diese Welt noch immer ist.
Verzweiflung bringt nichts, Hoffnung habe ich wenig. Aber ich mache weiter. Und damit ich an dieser Stelle zumindest mit etwas Positivem enden kann, habe ich diesen schönen Tweet zum Abschluss ausgewählt: