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Die "Königin der Vielfalt" Violeta Navarrete wurde in Mexiko ermordet.

Dann bitte radikaler werden

Ein Nazifreund wird Bürgermeister, die Königin der Vielfalt wird ermordet, die Letzte Generation ist jetzt offiziell der Antichrist und in Tennessee werden Drag Shows verboten. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW9

Montag, 27. Februar

Die Woche begann damit, dass sich meine Befürchtungen zu bewahrheiten scheinen: Der nächste Regierende Bürgermeister von Berlin wird aller Voraussicht nach Kai „Es darf kein Nachteil sein, ein Mann zu sein“ Wegner heißen. Ein Mann, der in einem früheren Wahlkampf Plakate mit dem Slogan „Kai Wegner – Dynamisch. Demokratisch. Deutsch“ nutzte, der anlässlich der „Silvesterdebatte“ (irgs) forderte, die Vornamen der Tatverdächtigen offenzulegen, um zu schauen, ob diese denn deutsch genug seien. Der Mann, der als Vorsitzender der Jungen Union eine Veranstaltung mit Österreichischen Nazi Jörg Haider besuchte, die Seenotrettung Geflüchteter als „Schlepperhelfer“ und „Taxidienste“ bezeichnete und bis vor Kurzem noch Admin einer rechtsradikalen Facebookgruppe war. Dieser Mann ist offenbar weder für die Berliner SPD noch für die Grünen ein Problem – im Gegenteil, beide Parteien wollen ihn zum Bürgermeister machen und eine Koalition mit ihm eingehen. Bei der Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, klang das so: „Wir haben vor allem bei der CDU verlässliche und vertrauensvolle Gespräche erlebt.“ Aber das Anbiedern an die Partei, deren Landesvorsitzender den 2019 verstorbenen Rechtsextremen Heinrich Lummer als „starke Persönlichkeit mit Haltung“ bezeichnete, bringt den Grünen jetzt auch nichts mehr. Denn Kai Wegner hat sich offenbar schon für die SPD als Juniorpartnerin in der Koalition entschieden. Das scheint nicht allen Berliner Sozialdemokrat*innen zu gefallen. Sawsan Chebli twitterte aus eigener Erfahrung mit Wegner: „Als ich Staatssekretärin wurde hat er eine Kampagne gegen mich gefahren. Ich sei eine Islamistin, die die Scharia in Deutschland einführen will.“ Und Orkan Özdemir wirft ihm vor „auf dem Rücken von Minderheiten“ Wahlkampf gemacht zu haben „und gegen Minderheiten“ zu „hetzen“. Aber gut, das wird Franziska Giffey nicht interessieren auf ihrem Weg in die Berliner „GroKo“ (die, wenn ihr mich fragt, für sie persönlich nur eine kurze Zwischenstation sein wird, bevor sie bald Bundesinnenministerin wird). Wegner dürfte die Meinung von Sawsan und Orkan ohnehin egal sein, deren Vornamen sagen ihm alles.

https://twitter.com/elhotzo/status/1630642702998990848?s=20

Dienstag, 28. Februar

Am Dienstag veröffentlichte das Schwule Museum Berlin, dass wenige Tage zuvor auf das Gebäude geschossen wurde. Der Leuchtschriftzug, zwei Fensterscheiben und ein Kunstwerk vorm Eingang seien beschädigt worden. Der Museumsvorstand erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Zum Glück wurde niemand verletzt, doch die Mitarbeiter*innen des Museums seien natürlich verunsichert. Ein politisches Motiv ist naheliegend, bereits 2016 und 2020 war das Schwule Museum Ziel von vermutlich queerfeindlichen Angriffen.

https://twitter.com/klauslederer/status/1630935543704944640?s=20

Mittwoch, 1. März

Ich habe hier zuletzt nicht mehr über alle Femizide berichtet, die sich in Deutschland ereigneten. Es erschien mir so aussichtslos und schmerzlich redundant. Aber ich nehme mir vor, von nun an wieder jede Woche über die Tötungen zu informieren, die es als „tragische Einzelfälle“ meist nur als kleine Meldungen in die lokale Berichterstattung schaffen. Patriarchale Gewalt ist aber keine Privatsache, nur weil sie häufig hinter verschlossenen Türen stattfindet. Dass jeden dritten Tag ein Mann in Deutschland versucht, seine (Ex-)Partnerin zu töten, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das politische Lösungen braucht.

Am Mittwoch wurde in einem Wohnhaus in Haunetal (Hersfeld-Rotenburg, Hessen) eine 37 Jahre alte Frau durch mehrere Stiche getötet. Tatverdächtig ist laut Staatsanwaltschaft ein 20-Jähriger, anscheinend der Sohn der Getöteten.

In Bramsche (Niedersachsen) wurde in der Nacht von Samstag auf Sonntag eine 19-Jährige getötet. Sie war zuvor auf einer Geburtstagsparty in einem Schützenhaus gewesen, gegen 1:30 Uhr galt sie als vermisst und wurde kurz darauf schwer verletzt auf einer Wiese beim nahegelegenen Sportplatz gefunden. Sie verstarb noch an der Fundstelle. Die Polizei untersucht auch ein mögliches Sexualdelikt. Am Sonntagmorgen wurde ein 20-Jähriger festgenommen, der ebenfalls auf der Party gewesen sein soll.

Auch am Mittwoch

In Mexiko wurde Violeta Navarrete in ihrem Haus von mehreren Unbekannten totgeschlagen. Wie die NGO „Sinaloa + Incluyente“ am Mittwoch mitteilte, wurde die 35-Jährige zu Hause überfallen, nachdem sie drei Tage zuvor zur „Königin der Vielfalt“ ernannt wurde. Sie sollte eigentlich am Samstag bei einem Karnevalsumzug auftreten. Der Wagen, der dafür bei der Parade starten sollte, wurde ebenfalls von Unbekannten zerstört.

Donnerstag, 2. März

Die Tagesschau berichtete am Donnerstag, dass sich die Zahl von Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte im vergangenen Jahr deutlich gesteigert hat. 2022 gab es 121 Überfälle, Anschläge, Sachbeschädigungen und tätliche Angriffe gegen Einrichtungen, in den geflüchtete Menschen leben, ein Plus von 73 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch außerhalb der Unterkünfte kommt es regelmäßig zu Gewalt. Statistisch gesehen werden jeden Tag drei Asylsuchende Opfer von tätlichen Angriffen in Deutschland. Letztes Jahr zählten die Behörden 1.248 Angriffe außerhalb von Unterkünften. Laut Bundesinnenministerium sind die Taten „meist rechts motiviert“.  

Auch am Donnerstag

In Stolberg (in der Nähe von Aachen) wurde eine trans Frau in ihrer Mittagspause Opfer einer Gewalttat. Erst am Donnerstag wurde der Vorfall öffentlich bekannt, der sich bereits am 13. Februar ereignet hatte. Hanna Kaltenborn, die im städtischen Bürgerservice arbeitet, wurde ganz in der Nähe ihres Arbeitsplatzes von noch unbekannten Tätern angegriffen und auf den Kopf geschlagen. Die Stadt geht davon aus, dass die Täter aus transfeindlicher Motivation heraus handelten, und stellte sich hinter die Mitarbeiterin. „Wir sind angesichts dieses schrecklichen Verbrechens gegen unsere Kollegin geschockt“, erklärte der SPD-Bürgermeister Patrick Haas. „Transfeindlichkeit hat genauso wie jegliche Gewalt oder jeglicher Hass gegen Personen, die anders aussehen, denken oder sexuell orientiert sind, in Stolberg keinen Platz“, hieß es in einem offiziellen Statement.

Freitag, 3. März

Im US-Bundesstaat Tennessee wurde ein Gesetz verabschiedet, das öffentliche Auftritte von Dragqueens ab April verbietet. Während im Staat ohnehin schon „sexualisierte Auftritte“ überall dort verboten seien, wo Kinder Zugang hätten, wurden mit dem neuen Gesetz noch mal gezielt Dragqueens in den Fokus gerückt. Drag Shows seien laut Republikaner*innen „schädlich“ für Kinder. Der Abgeordnete Chris Todd setzte sie mit „Kindesmissbrauch“ gleich, so die österreichische Tageszeitung „Der Standard“. Drag-Künstler*innen befürchten, massive Repressionen. Beim Verstoß gegen das Gesetz droht eine Haftstrafe von fast einem Jahr sowie eine Geldstrafe von bis zu 2.500 US-Dollar. In 14 weiteren US-Bundesstaaten befinden sich ähnliche Gesetze in Arbeit.

Samstag, 4. März

In Berlin haben Aktivist*innen der „Letzten Generation“ am Samstag die Glasskulptur vor dem Bundestag, in die die 19 Grundrechtsartikel des Grundgesetzes graviert sind, mit schwarzer Farbe beschmiert. „Erdöl oder Grundgesetz“ stand auf Plakaten, die an dem Denkmal angebracht wurden. Nach Gemälden hinter Glas, die mit Tomatensuppe und Kartoffelbrei beworfen wurden, nun also ein Mahnmal des Grundgesetzes und die Provokation ging definitiv auf. An der Empörung irgendwelcher Bürgis von rechts bis grün und links zeigt sich anschaulich, was den Empörten wirklich etwas bedeutet: Die gebrochenen Versprechen zum Klimaschutz sind es nicht. Stattdessen werden die Klimaschutzaktivist*innen mit den Taliban verglichen oder gar mit der Bücherverbrennung im Nationalsozialismus gleichgesetzt. Drunter machen es die Boomer heute nicht mehr, die von der Ausbeutung des Planeten ihr Leben lang profitiert haben und von deren eigener Zukunft ohnehin nicht mehr so wahnsinnig viel übrig ist (in Lebensjahren gemessen). Ich frage mich, was denn in den Augen von FAZ-Redakteuren und Bundestagsabgeordneten überhaupt noch als zulässige Protestform gegen das bewusste Zugrunderichten des Planeten gilt. Auf Straßen kleben geht nicht, weil dann Leute zu spät zur Arbeit kommen und Braunkohlebagger blockieren geht nicht, weil dann RWE nicht genug Profit mit der Vernichtung von Dörfern machen kann. Gläserne Stelen mit Farbe (oder Öl?) beschmieren ist jetzt vielen einfach zu „radikal“. Ich bin froh, dass die Ricardas und Nancys und Konstantins nicht wissen, was ich mir unter radikalen Protesten vorstelle. Speisereste und Sekundenkleber braucht man dafür jedenfalls nicht.

Sonntag, 5. März

Heute habe ich zum ersten Mal einen Vorfall bei der Meldestelle Antifeminismus der Amadeu Antonio Stiftung eingetragen. Der rechte Verein „Demo für Alle“ verteilt gerade in Berlin-Hohenschönhausen Flyer in den Briefkästen der Mehrfamilienhäuser, auf denen vor einem angeblichen „Trans Hype“ warnt und unter dem Deckmantel des Kinderschutzes queer- und transfeindliche Hetze verbreitet.

Zum Thema Selbstbestimmungsgesetz ist gestern ein lesenswerter Kommentar von Jeja Klein auf queer.de erschienen, in dem deutlich wird, warum sich das Gesetz offenbar so verzögert, Spoiler: Marco Buschmann scheint persönlich auf der Bremse zu stehen.

Und dann gab es heute noch diese Meldung, die ich euch nicht vorenthalten will: „BTU Cottbus: Uni will Studierende vor rechten Übergriffen schützen“. Als erste Hochschule deutschlandweit hat die Brandenburgisch-Technische Universität ein Handlungskonzept gegen rechtsextreme Einflussnahme verabschiedet. Hintergrund sind neben gewalttätigen Übergriffen und Bedrohungen gegen Studierende of Color und queer- und transfeindlichen Vorfällen auch „Mobilisierungsversuchen von Seiten (extrem) rechter, völkisch autoritärer Strukturen“ auf dem Campus und im Umfeld der Uni.

Das wars für heute mit dem Wochenrückblick. Wie immer: Danke fürs Lesen. Wenn Du kannst und willst, gibt es via PayPal die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.

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