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Garibe Gezer ist tot. Die politische Gefangene starb in einem türkischen Gefängnis, offenbar durch Suizid. Xwedê efû bike. (Illustration von mir.)

Kontrolle und Größenwahn

Femizide und ein Familizid in Deutschland, angeblicher Suizid in einem türkischen Knast, Julian Reichelt opfert rum und Mirrianne Mahn muss umziehen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW49

Montag, 6. Dezember

Und schon wieder beginnt der Wochenrückblick mit einem Femizid. In Priborn bei Röbel (Mecklenburg-Vorpommern) gab es am Montagvormittag eine Gasexplosion in einem Einfamilienhaus. Im Haus befanden sich ein Ehepaar, höchstwahrscheinlich die Bewohner*innen. Der 65-jährige Mann überlebte die Explosion schwer verletzt, die 65-jährige Frau war offenbar bereits zuvor getötet worden. Gegen den Ehemann wird nun ermittelt. Er soll die Frau getötet und anschließend die Explosion verursacht haben.

Auch in Brandenburg kam es zu einem furchtbaren Fall männlicher Gewalt. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag mitteilten, ereignete sich bereits am Samstag vier Morde in Königs Wusterhausen. Ein 40-jähriger Mann soll seine gleichaltrige Frau und die drei Kinder (vier, acht und zehn Jahre alt) erschossen haben, bevor er sich selbst tötete. Ein Abschiedsbrief deutet daraufhin, dass der Vater die Familie ermordete, weil er Sorge hatte, dass ihm die Kinder „weggenommen“ werden könnten. Der Mann hatte, Medienberichten zufolge, den Impfausweis seiner Frau gefälscht, die damit bei ihrem Arbeitgeber aufgeflogen sei. Der Mann sei in Telegram-Gruppen der „Querdenken“- und Impfgegner*innen-Szene vernetzt gewesen.

Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass keiner seine Familie tötet, weil er beim Fälschen eines Impfausweises erwischt wurde. Diese vermeintliche Kausalität herzustellen, wie es in der Berichterstattung leider vielfach passiert, ist nicht nur verkürzt, es ist fahrlässig. Ohne dass ich behaupte, über den konkreten Fall mehr zu wissen als Polizei und Medien, kann ich sagen, dass Männer, die ihre Partnerinnen und / oder ihre Familien umbringen, dies häufig auf Basis eines patriarchalen Besitzdenkens tun. Der Mann, der glaubt, seine Familie gehöre ihm, der seine Kinder tötet, bevor sie ihm „weggenommen“ werden können, als wären sie sein Eigentum. Der US-Psychologe David Adams untersuchte jahrelang Fälle häuslicher Gewalt und Tötungsdelikte und veröffentlichte 2007 seine Ergebnisse unter dem Titel „Why Do They Kill?: Men Who Murder Their Intimate Partners“. Adams fand heraus, dass der „häufigste Typ“ Mörder „ein besitzergreifend eifersüchtiger Typ“ ist und „dass viele der Männer, die … Mord-Suizid begehen, sowie diejenigen, die ihre Kinder töten auf dieses Profil zu passen scheinen“. Fälle, in denen der Täter nicht als „besitzergreifend“ und „kontrollierend“ kategorisiert werden können, bilden eine Ausnahme, schreibt Bernie Auchter in dem Artikel „Men Who Murder Their Families: What the Research Tells Us“, der 2010 im Journal des National Institute of Justice (NIJ) veröffentlicht wurde. Auchter zitiert darin Dr. Richard Gelles, Professor der School of Social Policy & Practice an der University of Pennsylvania, der herausfand, dass „Überforderung“ als Motiv für die Familienmorde bei den Tätern eine Rolle spielt, die „ihre Familienmitglieder als Besitz betrachten, den sie kontrollieren“ bzw. „keine Grenzen zwischen ihrer Identität, ihrer Frau und ihren Kindern“ sehen.

Dienstag, 7. Dezember

Chile will gleichgeschlechtliche Ehen legalisieren. Wie der Deutschlandfunk berichtete haben beide Parlamentskammern einer entsprechenden Initiative mit großer Mehrheit zugestimmt. Nun ist es an der Regierung, ein Gesetz auszuarbeiten, dass es gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt, eine Ehe zu schließen. Bislang gab es nur die Möglichkeit, eine „Lebenspartnerschaft“ eintragen zu lassen.

Mittwoch, 8. Dezember

Die ZEIT veröffentlichte am Mittwoch ein Interview mit Julian Reichelt. Auf mich wirkt es wie das Zeugnis eines zugekoksten Widerlings, der sich für unantastbar hielt, inklusive der grenzenlosen Selbstüberhöhung. Aber das darf ich aus rechtlichen Gründen so nicht schreiben, deshalb zitiere ich den ehemaligen BILD-Chef einfach und lasse seine Worte für sich sprechen.

„Ich glaube, eine überwältigende Mehrheit in diesem Land empfindet diese Form der Berichterstattung wie die über mich denn auch als absolut abscheulich.“

„Ich habe bei Bild genau diese Form des Journalismus, bei dem in die Privatsphäre von Menschen eingedrungen wird, beendet. Schon vor Jahren.“

Ähem, ja klar… Und was war das hier?

„Große Teile der Berliner Blase aus Politikern und Redakteuren haben sich von diesem Land unendlich weit entfernt, und ich war unter diesen Leuten schon immer verhasst. Die Gründe sind nachvollziehbar, es geht um Themen, bei denen es großen Dissens gibt, etwa in der Migrations- oder der Corona-Politik.“

„Der Spiegel ist für mich das perfekte Beispiel dafür, wie sich Ideologie in Redaktionen ausgebreitet hat.“

„Wie gesagt, dies ist kein MeToo-Fall. Und ich war nicht der Erste, der bei so was seinen Job verloren hat oder gecancelt worden ist, wie man jetzt sagt. Ich werde auch nicht der Letzte sein.“

Let’s hope so, wir arbeiten dran!

„Es geht um ein gesellschaftliches Phänomen, und ich glaube, vielen Menschen wird zunehmend bewusst, dass es einen furchterregenden, totalitär anmutenden Wandel links der Mitte gibt.“

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Er meint diesen ominösen „Linksrutsch“, oder?!

„Woher kommt dieser Wahn, Menschen als Opfer sehen zu wollen, und woher kommt dieser Wahn, dass manche Menschen sich so gerne selbst als Opfer sehen? Das ist eine der unheimlichsten Massenbewegungen unserer Zeit.“

Sagt der Mann, der sich ausschließlich als Opfer sieht.

„Dann werden beispielsweise Weiße generell als Täter definiert oder eben auch Männer – und damit auch Menschen, die einfach keine Täter sind.“

„Viele fragen mich jetzt, ob ich leben könne ohne Bild. Die Zeitung sei doch mein Leben gewesen. Das ist falsch. Nicht Julian Reichelt ist Bild, sondern: Bild war Julian Reichelt. Was diese Marke dargestellt hat, basierte auf meiner Arbeit, meinen Gedanken.“

Auch am Mittwoch

Die am Mittwoch gekürte SPD-Innenministerin Nancy Faeser will der „Bekämpfung des Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus“ „besondere Priorität“ geben, „weil das im Moment die höchste Bedrohungslage ist“. Das ist gut und richtig, insbesondere da sie das Ministerium von Horst Seehofer übernimmt, der sich vor allem der vermeintlichen Gefahr des Linksextremismus widmete. Doch Frau Faeser ist keinesfalls die stabile Antifaschistin, für die sie uns derzeit von Kühnert und Co auf Twitter verkauft werden soll. Seit 2009 gehört sie der Arbeitsgruppe „Sozialdemokraten in der Polizei“ an, bei der gewaltsamen Räumung des Protestcamps gegen die A49 im Danneröder Wald stellte sie sich auf die Seite der Cops. 2018 gab sie der (mindestens rechtsoffenen) Deutschen Polizeigewerkschaft DPolG ein Interview, in dem sie sich gegen die Kennzeichnungspflicht von Polizist*innen aussprach: „Ich finde, es handelt sich bei der Kennzeichnungspflicht um ein Zeichen des Misstrauens gegenüber den Polizisten, die ohnehin schon einen sehr schweren Job haben“, sagte sie da. Ich hoffe, dass ihre „enge Verbundenheit zur Polizei“ (ihre Worte) ihr bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus nicht im Weg steht. Dass in Deutschland rechter Terror und die Polizei mitunter eng verbunden sind, hat nicht zuletzt der kaum aufgearbeitete Komplex um den „NSU 2.0“ gezeigt, der Drohbriefe an Adressen verschickte, die von hessischen Polizeicomputern abgerufen wurden. Auch Nancy Faeser bekam mindestens zwei solcher Briefe.

https://twitter.com/migrantifa/status/1468946503100215302?s=20

Donnerstag, 9. Dezember

Garibe Gezer ist tot. Die 28-jährige Kurdin hat offiziellen Angaben zufolge in einem türkischen Gefängnis Suizid begangen. Die politische Gefangene wurde im März 2016 in der Provinz Mêrdîn festgenommen. Sie war Vorstandsmitglied des Kreisverbands der DBP (Demokratik Bölgeler Partisi – Demokratische Partei der Regionen). Laut der kurdischen Nachrichtenagentur ANF wurde Garibe Gezer inhaftiert, weil sie die Gemeinde Kerboran (türkisch: Dargeçit) nach der Ausrufung einer Ausgangssperre im Dezember 2015 nicht verlassen hatte. Die damals 23-Jährige wurde zu „einer erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt, die nach türkischem Strafrecht bis zum Tod vollzogen wird“, berichtet ANF. In der Haft erlebte Garibe Gezer physische, psychische und sexualisierte Gewalt. Und auch nach ihrem Tod treten die türkischen Faschist*innen ihre Würde mit Füßen. Die AKP-nahe Zeitung „Yeni Akit“ schrieb über den Tod von Garibe Gezer: „Ein weiterer Terrorist, der im Gefängnis durchgefüttert wurde, ist gestorben!“ Kerem Schamberger schrieb dazu auf Twitter: „Das ist Faschismus in Medienform.“ In deutschsprachigen Medien konnte ich zum Tod von Garibe Gezer nichts finden.

https://twitter.com/KeskinEren1/status/1469415302622375938?s=20

Auch am Donnerstag

Mirrianne Mahn, die Frankfurter Stadtverordnete, die bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Tsitsi Dangarembga spontan eine wichtige Rede hielt, wird seitdem ununterbrochen von Rassist*innen bedroht. Der Hass der Rechten ist so massiv, dass die 32-Jährige eine neue Wohnung sucht, da sie sich in ihrem Zuhause nicht mehr sicher fühlt. „Mehrfach standen zuletzt Menschen vor ihrer Tür und wollten sie zur Rede stellen“, berichtete die Frankfurter Rundschau am Donnerstag.

Freitag, 10. Dezember

In Hamm (NRW) ist ein Ordnungsamtsmitarbeiter aufgeflogen, der sich und Kollegen „Passierscheine“ ausgestellt hat, die mit Reichsadler, Hakenkreuz und dem Schriftzug „Führerhauptquartier“ versehen sind. Monatelange Recherchen des WDR dazu wurden am Freitag veröffentlicht. Insgesamt sieben Bürger*innen aus Hagen berichteten dem WDR gegenüber von rassistischen Erfahrungen mit dem Ordnungsamtsmitarbeiter, u.a. habe dieser Fahrzeuge unter zweifelhaften Begründungen abschleppen lassen. Der Mann soll außerdem Menschen ohne triftigen Grund mit Bußgeldaufforderungen schikaniert und rassistisch beleidigt haben. Betroffene hätten sich darüber auch bei der Stadt und dem Oberbürgermeister beschwert, doch passiert sei nie etwas. Erst durch die Recherchen des WDR sei es nun zur Einleitung eines Verfahrens gekommen. Die Polizei ermittelt wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole.

Nochmal Freitag

In Burgfarrnbach (Fürth) in Mittelfranken wurde am Freitagmorgen eine schwer verletzte Frau in einer Wohnung gefunden, die kurz darauf an ihren schweren Verletzungen im Krankenhaus verstarb. Die Polizei geht aufgrund der Verletzungen davon aus, dass die 36-Jährige Opfer eines Tötungsdelikts wurde. Nach dem Täter wird derzeit gefahndet, auch ein Hubschrauber ist im Einsatz.

Am Freitagabend kam es in Brake (Niedersachsen) zu einem weiteren Femizid. Eine 26-jährige Frau aus dem Landkreis Leer wurde tot in einer Wohnung gefunden. Die Polizei war zu dem Mehrfamilienhaus gerufen worden, weil Schreie im Treppenhaus gemeldet wurden. Vor Ort trafen die Einsatzkräfte eine offenbar durch Messerstiche verletzte 25-Jährige und einen 33-jährigen Mann an, der als tatverdächtig gilt. In der Wohnung des Mannes fand die Polizei dann die Leiche der 26-Jährigen. Inwieweit die Taten zusammenhängen, wird derzeit ermittelt.

Samstag, 11. Dezember

Seit Samstag hege ich eine leise Hoffnung, dass wir 2022 erstmals eine Schwarze Ministerin kriegen könnten. Jaaahaaa, ich weiß, es ist nach wie vor sehr unrealistisch in diesem Staat, in dem Rassismus tiefer verwurzelt ist als jede deutsche Eiche. Aber es wäre zumindest erstmals überhaupt ein kleines bisschen möglich! In Schleswig-Holstein wird am 8. Mai 2022 ein neuer Landtag gewählt und für die Grünen geht Aminata Touré gemeinsam mit Monika Heinold als Spitzenduo an den Start. Juni 2017 rückte Aminata Touré für Monika Heinold in den schleswig-holsteinischen Landtag nach und wurde am 28. August 2019 zur Vizepräsidentin des Landtags gewählt. Sie ist die erste Schwarze und jüngste Vizepräsidentin in Deutschland.

https://twitter.com/aminajxx/status/1469661805161197578?s=20

Sonntag, 12. Dezember

Am heutigen Sonntag ist der nicht-binäre Blog „Enby Babes“ live gegangen.

„Wir wollen die Fragen beantworten, auf die wir die Antworten mühsam suchen mussten. Fragen, die wir mutig in Foren, bei Terminen mit Ärzt*innen sowie Psycholog*innen und an trans* Personen stellen mussten. Hier gibt es unsere Antworten rund um nicht-binäre Geschlechter gebündelt – ob zur Namensänderung, geschlechtsangleichenden Maßnahmen oder wertvollen trans*freundlichen Anlaufstellen. Wir hoffen, dass unser Blog nicht-binären Personen auf ihrem Weg zu sich selbst helfen kann.“

Die Enby Babes über ihren Blog.

Ich möchte den Gründer*innen Süßmaus, Jelly und Alien Boy auf diesem Weg herzlich zum Release-Day gratulieren und viel Blog-Euphorie wünschen. Schön, dass ihr da seid!

https://twitter.com/pfefferhasi/status/1470114334349082628?s=20

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