Der WDR lässt weiße Leute Rassismus relativieren, H&M will vor allem Mütter entlassen, eine Abschiebung in Wien macht Schlagzeilen und Sabine Töpperwien erlebt vielleicht doch noch ein Wunder. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW4
Montag, 25. Januar
Joe Biden bemüht sich darum, so schnell wie möglich die gröbsten Ungerechtigkeiten seines Vorgängers aufzuheben. Am Montag unterschrieb der neue US-Präsident eine Verfügung, nach der US-Militärangehörigen nicht wegen ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden dürfen. Donald Trump hatte trans Menschen den Dienst in der US Army verboten.
Unabhängig davon, wie man im Allgemeinen zum Militär steht, ist diese Beseitigung von Diskriminierung begrüßenswert. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU, die gegen Trumps Verbot geklagt hatte, freute sich über die Entscheidung der neuen Regierung: „Das ist ein unglaublicher Sieg für unsere Mandant*innen und sendet die Botschaft, dass trans Personen nicht nur in unsere Streitkräfte gehören, sondern auch in unser Land“.
Dienstag, 26. Januar
H&M ist nicht nur wegen der Ausbeutung von Näher*innen in Indien, Kambodscha oder Bulgarien alles andere als ein „feministisches“ Unternehmen. Dass der schwedische Fast-Fashion-Konzern T-Shirts mit der Aufschrift „Feminist“ oder „Girls empower Girls“ im Sortiment hat, ist allein schon wegen der Diskriminierung von mehrgewichtigen Menschen ein schlechter Witz. Am Dienstag wurde bekannt, dass H&M den Abbau von 800 Stellen plant, dem voraussichtlich vor allem Mütter zum Opfer fallen werden. Laut Business Insider will H&M insbesondere Mitarbeiter*innen entlassen, die nicht an den umsatzstarken Abendzeiten und an Samstagen arbeiten können oder wollen: das sind in den meisten Fällen junge Mütter. Dem Gesamtbetriebsrat legte die Konzernleitung ein Programm vor, in dem Mitarbeiter*innen in Elternzeit als prädestinierte Gruppe für Entlassungen genannt werden.
Auch am Dienstag
Wer immer noch glaubt, während der Pandemie säßen wir alle im selben Boot, dem empfehle ich die aktuelle Kolumne von Margarete Stokowski auf Spiegel Online. Während der Staat entschieden hat, die Wirtschaft zu retten, statt die Ärmsten zu schützen, glauben viele immer noch, zu Hause bleiben würde ja nichts kosten. Menschen, die zur Tafel gingen, als diese noch geöffnet waren oder für den Zugang zum Internet in die Bibliothek haben jetzt jedoch reale Nachteile gegenüber wohlhabenderen Haushalten. Wie Margarete schreibt: „Wer Geld hat, kann sich in vielerlei Hinsicht besser schützen, sowohl vor dem Virus als auch vor Stress.“ Taxifahren statt Bahn, Noise-Cancelling-Kopfhörer oder ein eigenes Zimmer pro Kind tragen sicher zur Entspannung bei, sind aber abhängig vom Einkommen. Nicht nur wegen der nun vorgeschriebenen medizinischen Masken in Supermärkten wäre eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze fair. Doch die Regierungskoalition ist dagegen. Es würde die Steuerzahler*innen „verunsichern“, so der CDU-Sozialpolitiker Peter Weiß.
„Wenn bei all den grotesken Ausgaben, die wegen der Corona-Pandemie von der Regierung getätigt werden, auch etwas mehr Unterstützung für die Menschen drin wäre, die jeden einzelnen Euro dreimal umdrehen, bevor sie etwas kaufen – dann würde meine »Verunsicherung« als Steuerzahlerin einzig darin bestehen, dass ich überlegen würde, ob diese Menschen für die Bundesregierung vielleicht doch Menschen sind, die ein Leben mit Würde verdient haben. Da würde ich mich gern überzeugen lassen.“
Margarete Stokowski
Mittwoch, 27. Januar
Der 27. Januar ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee den Konzentrations- und Vernichtungslagerkomplex Auschwitz. Die Soldaten trafen dort etwa 7.500 noch lebende Häftlinge an, die meisten in einem lebensbedrohlichen Zustand. In Auschwitz wurden zwischen 1940 und 1945 mindestens 1.1 Millionen Menschen ermordet, darunter rund eine Millionen Jüdinnen und Juden. Es war die größte „Todesfabrik“ der Nazis.
„Unseren Augen bot sich ein schreckliches Bild: eine riesige Anzahl von Baracken – viele ohne Dächer – auf Pritschen lagen Menschen, Skelette schon, mit Haut überzogen und abwesendem Blick. Es war schwer, sie ins Leben zurückzuholen“, erinnert sich der russische Kameramann Alexander Woronzow, der bei der Befreiung von Auschwitz dabei war. „Was ich dort gesehen und gefilmt habe, war das Schrecklichste, was ich während des Krieges je gesehen und aufgenommen habe.“
Der Auschwitz-Überlebende Primo Levi schrieb 1990: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“ Heute, über 75 Jahre nach Kriegsende, sind kaum noch Zeitzeug*innen der Verbrechen des Nationalsozialismus am Leben. Umso wichtiger erscheint es deshalb, die Erinnerung an diese Zeit wachzuhalten, „dass Auschwitz nie wieder sei!“
In einer repräsentativen Studie der Bertelsmann Stiftung von 2015 stimmte mehr als die Hälfte (55 %) der befragten Deutschen der Aussage zu: „Heute, beinahe 70 Jahre nach Kriegsende, sollten wir nicht mehr so viel über die Judenverfolgung reden, sondern endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen“. 79 % der befragten 18- bis 29-Jährigen sagten: „Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehaltenwerden“.
„Mit Sorge beobachten wir, dass es in der Mittelstufe in immer weniger Bundesländern Geschichte als eigenständiges Schulfach gibt. Dies ist für mich einer der Gründe, warum erschreckend viele Schüler das Konzentrationslager nicht kennen“, erklärte die Körber-Stiftung 2017, die eine Studie in Auftrag gab, die das Wissen von Schüler*innen über Auschwitz untersuchte. 47 % der befragten 14- bis 16-Jährigen konnten den Begriff „Auschwitz“ nicht einordnen.
Auch am Mittwoch:
In Polen wurde mehr als drei Monate nach dem Urteil des Verfassungsgerichts nun die Urteilsbegründung vorgelegt – das war die letzte Hürde, das Abtreibungsverbot ist damit in Kraft. Noch am Abend kam es zu zahlreiche Protesten im Land.
Donnerstag, 28. Januar
In Wien setzte die Polizei am frühen Donnerstagmorgen die Abschiebung von unter anderem drei Schüler*innen durch. Etwa 150 Menschen hatten dagegen protestiert. Tina (12) ist in Österreich geboren und wurde nun nach Georgien abgeschoben, Sona (20) und ihr Bruder Ashot (16) wurden nach Armenien deportiert.
Insbesondere gegen die Abschiebung von Tina gab es Proteste, auch aus dem bürgerlichen Lager. Diese wurden nicht müde zu betonen wie „gut integriert“ die 12-Jährige gewesen sei. Es ist der klassische Move des Bürgertums, Menschen in gute und schlechte „Ausländer*innen“ einzuteilen. Niemand sollte nach dem Grad seiner „Integration“ bewertet werden, genauso wenig nach dem Alter oder Schulabschluss. Es ist unerträglich, wie irgendwelche Liberalos sich jetzt über die eine Abschiebung empören, während sie die tausenden anderen mit einem Schulterzucken quittieren. Immer wieder ist von der „Durchsetzung des geltenden Rechts“ zu hören, wenn es um Abschiebungen geht. Ich kann nicht oft genug betonen, dass das Recht keinesfalls immer gerecht ist. Auch die Nürnberger „Rassengesetze“ waren „Recht“.
Freitag, 29. Januar
Am Freitag wurde bekannt, dass Julia Metzner das EM-Finale 2021 im Radio kommentieren wird. Julia Metzner mache „in der Bundesliga-Konferenz der ARD-Hörfunkwellen (…) einen tollen Job. Sie hat dieses Finale verdient“, sagte Steffen Simon, ARD-Teamchef für die EM. Auch beim Endspiel der WM 2022 soll eine Reporterin eingesetzt werden, wer genau, ist noch nicht bekannt. Den Anstoß dafür gegeben habe Sabine Töpperwien, sagte ARD-Programmdirektorin Valerie Weber. Die 60-jährige Fußballkommentatorin „hat mit ihrem Zitat, dass sie es wohl nicht mehr erleben wird, dass eine WM im Finale von einer Frau kommentiert wird, den Ball bei uns Chefs ins Rollen gebracht“, sagte Valerie Weber. Sabine Töpperwien wird Ende des Monats in den Ruhestand gehen. Im Tagesspiegel ist kürzlich ein Portrait der Pionierin erschienen. Ob Sabine Töpperwien noch erlebt, dass auch das Finale im Fernsehen nicht von einem Mann kommentiert wird, ist indes weiterhin unklar.
Samstag, 30. Januar
In der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ redeten Janine Kunze, Jürgen Milski, Micky Beisenherz und Thomas Gottschalk unter anderem darüber, ob Rassismus ein Problem sei. Für die rein weiße Runde stand das Ergebnis schnell fest: Natürlich nicht.
So viel Inkompetenz, Ignoranz und widerlichste Zurschaustellung von „white privilege“ hätte ich ehrlich gesagt nach dem BLM-Sommer nicht mehr für möglich gehalten. Da war ich wohl zu naiv. Nicht nur droppten die Talkshow-Gäste mehrmals rassistische Begriffe, wie das Z-, das M- und das N-Wort, sie erklärten auch, dass es ja gar nicht rassistisch sei, wenn man es nicht rassistisch meine. Über ein zitiertes Statement des Zentralrats der Sinti und Roma hatte die Runde nur Gelächter und ein abwinkendes „Jaja“ übrig. Janine Kunze verglich ihre Erfahrungen als Blondine mit denen Schwarzer Menschen. Es ist wirklich kaum auszuhalten. Es ist unerträglich und beschämend, dass der WDR so etwas plant, produziert und auch noch sendet. Mir fehlen die Worte. Nach dem, von Rechten orchestrierten „Umweltsau“-Shitstorm, entschuldigte sich WDR-Intendant Tom Buhrow öffentlich, zur „Letzten Instanz“ äußerte er sich bislang nicht.
Auch am Samstag
In Cloppenburg ereignete sich ein Femizid. Dort hat offenbar ein 30-jähriger Mann seine 27-jährige Frau und das gemeinsame Kind (6 Jahre alt) getötet. Der Täter rief selbst die Polizei und ließ sich widerstandslos festnehmen. Die Tatwaffe, ein Messer, wurde vor Ort gefunden.
Sonntag, 31. Januar
Twitter ist zurecht noch wütend wegen der WDR-Sendung vom Samstag.
Der Sender versucht es indes mit einer lahmen „Entschuldigung“ und twittert,
„Der Verlauf der Sendung war nicht, wie wir es geplant und uns vorgestellt hatten. In DLI sollen kontroverse Themen unterhaltsam diskutiert werden, dabei darf jeder Gast seine Meinung äußern. Aber rückblickend ist uns klar: Bei so einem sensiblen Thema hätten unbedingt auch Menschen mitdiskutieren sollen, die andere Perspektiven mitbringen und/oder direkt betroffen sind. Wir lernen daraus und werden es besser machen.“
WDR auf Twitter über den Rassismus in „Die Letzte Instanz“
Dass der WDR Rassismus für ein „kontroverses Thema“ hält, dass man „unterhaltsam“ diskutieren sollte, spricht Bände.
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