Die Hinrichtungen in Iran gehen weiter, der deutsche Staat geht gegen Aktivist*innen vor, in Hessen stirbt ein Mann nach einem Polizeieinsatz und Sexarbeiter*innen brauchen Respekt und Rechte, statt Viktimisierung und Victimblaming. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW50
Montag, 12. Dezember
In Iran ist erneut ein Mensch hingerichtet worden, der bei den Protesten gegen das Regime verhaftet wurde. Der 23-jährige Majidresa Rahnavard wurde am Montag öffentlich erhängt. Seine Angehörigen wurden im Vorfeld nicht informiert. Einen Rechtsbeistand hatte er nicht. Der Kölner Stadtanzeiger berichtet, Rahnavard sei am 17. November verhaftet, innerhalb von 26 Tagen angeklagt, verurteilt und hingerichtet worden. Amnesty International spricht von einem „unfairen Scheinprozess“. Verschiedene Journalist*innen veröffentlichten nach der Hinrichtung ein Video, in dem Majidresa Rahnavard mit verbundenen Augen zu sehen ist und gefragt wird, was er in seinem letzten Willen festgehalten hat. Er sagt: „Wo sie mich begraben sollen, dass ich nicht will, dass sie weinen. Sie sollen nicht den Koran lesen und beten. Sie sollen glücklich sein. Frohe Lieder spielen.“ Es ist unerträglich, was da vor den Augen der Welt geschieht. Die Menschen im Iran brauchen unsere Solidarität und es braucht dringend mehr politischen Druck. Die „deutlichen Worte“ von Olaf Scholz sind nichts wert, wenn es bei Worten bleibt.
Dienstag, 13. Dezember
Letzte Woche habe ich an dieser Stelle von den bundesweiten Razzien gegen Rechtsextremisten und Reichsbürger*innen berichtet. Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es nicht kurz darauf den wahren Gefährder*innen der FDGO an den Hals ginge. (Das meine ich obviously ironisch!) Am Dienstag kam es deutschlandweit zu Durchsuchungen bei Klima-Aktivist*innen. Der Vorwurf: „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Gemeint ist „Die letzte Generation“, deren „Verbrechen“ bislang überwiegend darin bestanden, sich auf Straßen festzukleben oder Kartoffelbrei auf Gemälde zu schmieren. Konkreter Anlass für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Neuruppin, die die Razzien angeordnet hatte, ist allerdings ein anderes, außergewöhnlich grausames Vergehen: Seit April hätten Unbekannte immer wieder in einer Öl-Raffinerie in Schwedt „sogenannte Schieber für die Ölversorgung abgedreht“. Ein Glück schützt uns der Staat vor diesen gnadenlosen Klimaterrorist*innen, die einfach irgendwelche Hähne zudrehen und die „Störung öffentlicher Betriebe“ billigend in Kauf nehmen. Gefunden wurden bei den elf Personen, von denen fünf bereits vor den Razzien in „Präventivhaft“ genommen wurden, übrigens „elektronische Geräte wie Laptops und Handys sowie Plakate“. Zur Erinnerung: Bei den Nazis letzte Woche stellten die Cops über hundert Waffen sicher. Aber hey, immerhin demonstrieren sie nicht gegen eine Politik und Wirtschaft, die mit Karacho in eine Zukunft rast, in der unser Planet unbewohnbar sein wird. So erbarmungslos geht nur die „Klima-RAF“ (Alexander Dobrindt) vor. Die „Letzte Generation“ erklärte auf Twitter: „Die Regierung führt uns in den Kimakollaps, in die unwiederbringliche Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und der unserer Kinder. Wir weisen darauf hin. Und wir werden das auch unverändert weiter machen. Denn wir sind die letzte Generation, die das tun kann.“ Meine Solidarität ist ihnen sicher.
Mittwoch, 14. Dezember
„Junge (14) bei Fanfeier in Frankreich gestorben“, titelte die BILD und ließ damit einen möglicherweise rechtsextremen Mordanschlag wie einen Unfall aussehen. Vorausgegangen war das WM-Halbfinale zwischen Marokko und Frankreich. Nachdem Frankreich das Spiel gewonnen hatte, waren zahlreiche Menschen auf der Straße, um zu feiern oder auch ihren Frust rauszulassen, keine Ahnung, Fußball-Fans eben. In Montpellier raste ein Autofahrer in eine Gruppe von Menschen (guckt das bitte nicht an, der Link dient nur der Quellenangabe) und verletzte einen 14-Jährigen so schwer, dass er kurz darauf im Krankenhaus starb. Angeblich soll der Jugendliche kurz zuvor dabei gewesen sein, als eine Frankreich-Fahne von dem Auto abgerissen wurde. Ein anderer Tweet aus der Nacht zeigt wie mutmaßlich eine Gruppe von ca. 40 Neonazis eine Fanfeier auf dem Place de la Comédie angreift.
Auch am Mittwoch
Erneut ist ein Mensch in Folge eines Polizeieinsatzes gestorben. In Hattersheim (Hessen) kollabierte ein 28-Jähriger am Mittwochabend in einem Restaurant. Er soll sich den gerufenen Rettungskräften widersetzt haben und sei aggressiv geworden, woraufhin die Polizei dazu geholt wurde. Die Cops setzten Pfefferspray gegen den Mann ein, woraufhin dieser das Bewusstsein verlor. Er starb kurz darauf im Krankenhaus. Wie die Hessenschau berichtet, gibt es „Anhaltspunkte dafür, dass der 28-Jährige psychisch erkrankt war und regelmäßig Drogen nahm“. Gegen vier Polizeibeamte laufen nun Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung.
Donnerstag, 15. Dezember
In Bochum ereignete sich am Donnerstag ein Femizid. Die Feuerwehr fand die Leiche einer 45-Jährigen in deren Wohnung. Die Auffindesituation machte schnell klar, dass es sich nicht wie erwartet um einen medizinischen Notfall handelte, sondern um eine Gewalttat. Der 41 Jahre alte Lebenspartner der Getöteten wurde wegen dringenden Tatverdachts festgenommen.
Zu einem weiteren Femizid kam es bereits am Mittwoch in Hamburg. Ein 28-Jähriger tötete mutmaßlich seine 34 Jahre alte Lebensgefährtin mit einem Messer in der gemeinsamen Wohnung. Beim Eintreffen der Polizei flüchtete er, wurde aber wenig später verhaftet.
Bereits am vergangenen Sonntag tötete in Schwerin mutmaßlich ein 44 Jahre alter Mann seine 42-jährige Partnerin. Nachbar*innen hatten zuvor einen Streit und laute Geräusche gehört und die Polizei alarmiert. Nach der Obduktion der Leiche stand fest: Die Frau starb aufgrund von Stich- und Schnittverletzungen. Der mutmaßliche Täter schweigt.
Freitag, 16. Dezember
In Spanien hat das Unterhaus einem Gesetzesentwurf zugestimmt, der menstruierenden Personen freie Tage bei Periodenschmerzen zugesteht, bei vollem Lohnausgleich. Wer die Regelung in Anspruch nehmen möchte, muss eine ärztliche Praxis konsultieren und erhält so viele freie Tage, wie nötig sind. Der Lohn wird ab Tag eins vom Staat übernommen. Noch fehlt die Zustimmung des Senats, damit das Gesetz in Kraft treten kann. Kritiker*innen der Regelungen befürchten, dass Frauen deshalb bei Einstellungs- oder Beförderungsprozessen benachteiligt werden könnten. Als würden sie das nicht ohnehin häufig, wenn sie im „gebärfähigen“ Alter sind. Außerdem sind natürlich nicht nur Frauen betroffen, sondern auch trans Männer und nicht-binäre Personen. Das wird in der Berichterstattung wie üblich nicht berücksichtigt. Viele Feminist*innen hierzulande feiern das spanische Gesetzesvorhaben. Ich bin mir jedoch nicht sicher, inwiefern es auf Deutschland übertragen einen Fortschritt bedeuten würde: Die Tatsache, dass jedes Mal ein ärztliches Attest vorgelegt werden muss, wenn eine Person aufgrund von Regelschmerzen nicht zur Arbeit gehen kann, ist nicht besonders progressiv. Denn es bedeutet zum einen, dass jeden Monat aufs Neue ein Attest besorgt werden muss und zum anderen, dass Betroffene jedes Mal eine*n Ärzt*in von den Schmerzen überzeugen müssen. In Deutschland, wo Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ohnehin ab Tag eins der gesundheitsbedingten Abwesenheit gegeben ist, würde sich in der Praxis also nicht wirklich etwas ändern. (Außer, dass Betroffene den echten Grund nennen können, statt etwas anderes vorzutäuschen.) Dennoch ist der Vorstoß der spanischen Regierung natürlich zu begrüßen. Denn das Thema Menstruation muss dringend enttabuisiert werden. Es ist höchste Zeit, dass die Schmerzen, die viele Menstruierende Monat für Monat ertragen, als solche anerkannt werden. Allein, dass hierzulande von „Menstruationsurlaub“ gesprochen wird, zeigt, wie absolut ahnungslos viele sind, wenn es um die Periode geht.
Samstag, 17. Dezember
Der 17. Dezember ist Internationaler Tag zur Beseitigung der Gewalt an Sexarbeitenden. Überall auf der Welt erfahren Sexarbeiter*innen tagtäglich Gewalt, Diskriminierung und Stigmatisierung. Die Gewalt geht von Kunden aus, von Passant*innen, Arbeitgeber*innen, Hotelangestellten, von Partner*innen oder Familienmitgliedern, medizinischem Personal, Behördenmitarbeiter*innen und sehr häufig von der Polizei. In der Gesellschaft herrscht bis heute ein Bild vor, dass Gewalt nun mal zum Alltag von Sexarbeitenden gehören würde. Es ist klassisches Victimblaming, wenn den Betroffenen die Schuld oder eine Mitschuld an der Gewalt gegeben wird, die ihnen widerfährt. Die Kriminalisierung von Sexarbeit, die staatlichen Repressionen, denen Sexarbeiter*innen ausgesetzt sind, die Verdrängung – das alles trägt zur Gewalt bei. Genauso sorgt aber auch die Stigmatisierung, das Narrativ, dass Sexarbeit etwas schmutziges, störendes ist, dafür, dass die Betroffenen oft keine Unterstützung erhalten. „Huresein beinhaltet unter anderem die Zuschreibungen Krankheit, Kriminalität und Bildungsferne“, schrieb Ruby Rebelde diese Woche in einem Kommentar für die taz. Sexarbeiter*innen, die zusätzlich Rassismus, Klassismus, Ableismus und/oder Transfeindlichkeit erleben, sind besonders häufig von Gewalt betroffen. „Um über Gewalt gegen Sexarbeiter*innen zu diskutieren, hilft es Sexarbeiter*innen nicht, wenn über ihre Tätigkeit per se als patriarchale Ausbeutungs- und Gewaltform berichtet wird. Die vielfach verbreitete Vorstellung, Prostitution finde überwiegend unter Zwang und Ausbeutung statt (Viktimisierung), macht es Sexarbeiter*innen besonders schwer, über alltägliche Gewalterfahrungen zu sprechen“, erklärt auch das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiter*innen (bufas e.V.).
Sonntag, 18. Dezember
Immer wieder sonntags mache ich mir Gedanken, wie es mit dem Wochenrückblick in Zukunft weitergehen soll. Ich bin hin- und hergerissen zwischen „ich hätte gerne einfach sonntags frei“ und „die Arbeit lohnt sich“. Ich habe überlegt, auf einen anderen Wochentag zu wechseln (schwierig, weil unregelmäßige Arbeitszeiten) oder den Umfang zu kürzen (nur noch ein „Ereignis“ pro Woche, dafür intensiver besprochen – aber wie soll ich das auswählen, ohne wichtiges unter den Tisch fallen zu lassen?). Vielleicht lasse ich auch einfach alles so wie es ist. Eine Entscheidung ist noch nicht in Sicht, aber das Jahresende schon. Ich kann euch noch nicht versprechen, ob ich es an den nächsten beiden Sonntagen schaffe, einen Rückblick zu schreiben. Der Newsletter wird kommen (so ich nicht krank bin oder schlimmeres), der Wochenrückblick nur vielleicht. So oder so: Ich danke euch, wie immer, fürs Lesen und euren Support! Kommt gut in die neue Woche und passt auf euch und einander auf!
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