Rechte und TERF versuchen Adele vor ihren Karren zu spannen, in Frankreich können Kinder jetzt offiziell zwei Mütter haben und in Berlin wehrt sich eine 17-jährige gegen eine verleumderische Polizeimeldung. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW6
Montag, 7. Februar
Anfang der Woche waren erschütternde Bilder in den Sozialen Medien zu sehen. Ein Mann hatte in Ahwas, im Südwesten des Irans, seine 17-jährige Ehefrau enthauptet und ihren Kopf durch die Straßen getragen. Das berichtete u.a. die Nachrichtenagentur ISNA. Das abscheuliche Verbrechen bildete offenbar den Abschluss einer grausamen Tortur. Die 17-jährige Mona Heidari soll laut BILD-Informationen im Alter von 12 mit ihrem Cousin verheiratet und über Jahre vergewaltigt worden sein. Sie flüchtete in die Türkei, wo sie jedoch aufgespürt wurde. Der Mann und dessen Bruder wurden inzwischen verhaftet und werden vor Gericht gestellt. Allerdings ist derzeit noch unklar, ob die Anklage auf Mord lauten wird (was im Iran normalerweise die Todesstrafe bedeutet). Für „die Ermordung eines Familienmitglieds im Namen der vermeintlichen Ehre gelten jedoch andere rechtliche Kriterien“, schreibt der Bayerische Rundfunk.
Dienstag, 8. Februar
Am Dienstag wurden in London die Brit Awards verliehen, die höchste Auszeichnung der britischen Musikbranche. Im vergangenen Jahr entschieden die Veranstalter*innen, die Preise 2022 nicht mehr an den besten männlichen Künstler, bzw. die beste weibliche Künstlerin zu vergeben. Kritik an dieser Einteilung war letztes Jahr von Sam Smith gekommen, nicht-binäre Person und 12-fache*r Preisträger*in. Sam Smith hatte 2021 gesagt, they fühle sich von der Einteilung in „solo male“ und „solo female“ bei den Brit Awards ausgeschlossen: „The Brits have been an important part of my career … Music for me has always been about unification not division. I look forward to a time where awards shows can be reflective of the society we live in. Let’s celebrate everybody, regardless of gender, race, age, ability, sexuality and class“, sagte Sam Smith vergangenes Jahr.
Dieses Jahr wurden also zwei geschlechtsneutrale Auszeichnungen vergeben. Eine der diesjährigen Preisträger*innen: Adele. Die Sängerin erklärte bei ihrer Dankesrede: „I really love being a woman, a female artist, I do!“ Und wir freuen uns mit ihr! Ist doch großartig, dass Adele gerne eine Frau ist. Leider wollten es TERF und rechte „anti-woke“ Stimmen als einen „Seitenhieb“ auf nicht-binäre Menschen verstehen und behaupteten, Adele würde nun ebenfalls als „TERF“ beschimpft, weil sie es gewagt habe zu sagen, dass sie es liebe, eine Frau zu sein. Das Framing war perfekt. Die „Translobby“ würde Adele für ihre Aussage „canceln“. Nur: Das ist überhaupt nicht passiert! Es war ein riesengroßer Hoax, ein rechtes Framing, um Stimmung zu machen. Erneut vorne mit dabei: Die FAZ. In einem Kommentar schreibt Korrespondentin Gina Thomas, die Brit Awards hätten Sam Smith „Gehorsam“ geleistet und „im ‚Neusprech‘ der politischen Korrektheit“ eine Umbenennung der Preiskategorien vollzogen. Sie fragt polemisch „Wie lange darf man sich noch als Frau oder Mann bezeichnen?“, spricht von „der zeitgeistlichen Verwirrung der Kategorien von Natur und Kultur“ und misgendert Sam Smith bewusst. Gina Thomas behauptet, Adeles Dankesrede hätte sie „in den Kreis der Verunglimpften“ katapultiert, „wo unter anderem schon die Harry-Potter-Autorin J.K.Rowling wartet, die mit dem allein schon sprachlich unsäglichen Akronym ‚TERF‘ […] gebrandmarkt wurde“. Doch der von Gina Thomas und der FAZ herbeifantasierte „Kulturkampf“ findet überhaupt nicht statt. Stattdessen erleben wir hier einen enormen Backlash von rechts, ein Aufbäumen anti-queerer Konservativer, die ihre traditionellen Werte von geschlechtlicher Binarität gefährdet sehen.
Auch Adele selbst hat keine Lust darauf, sich von den TERF vor deren Karren spannen zu lassen. Dem Guardian zufolge soll sie bei einem Überraschungsauftritt im legendären Londoner Club „G-A-Y“ zum Publikum gesagt haben: „You’re all women who identify as women.“
Mittwoch, 9. Februar
Ein französisches Gericht erlaubte am Mittwoch einer trans Frau nach langem Rechtsstreit, sich als zweite Mutter in die Geburtsurkunde ihres Kindes eintragen zu lassen. Die unter dem Pseudonym „Claire“ bekannte Frau zog 2014 vor Gericht, weil das Standesamt ihr den Eintrag als Mutter in die Geburtsurkunde ihres Kindes verwehrte. In der Begründung des Gerichts in Toulouse hieß es, dass „in diesem Fall zwei mütterliche Abstammungen festgestellt werden konnten“. Clélia Richard, Claires Anwältin, nannte das Urteil wegweisend.
Donnerstag, 10. Februar
Schon am vergangenen Samstag wurde eine 17-Jährige von mehreren Erwachsenen an einer Straßenbahnhaltestelle in Berlin tätlich angegriffen und rassistisch beleidigt. Die Polizei meldete danach, es sei ein „Streit über eine fehlende Mund-Nase-Bedeckung“ gewesen und viele Medien übernahmen die Polizeimeldung (wie so oft) ungeprüft. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) schrieb: „17-jähriges Mädchen wegen fehlender Maske in Berlin zusammengeschlagen“ und beim rbb lautete die Schlagzeile: „Fehlende Mund-Nasen-Bedeckung: Jugendliche von Erwachsenen krankenhausreif geschlagen“. So wurde der Eindruck erweckt, die Jugendliche habe keine Maske getragen und sei deswegen Opfer der Gewalttat geworden. Dem widersprach die 17-jährige Dilan Sözeri am Dienstag in einem Instagram-Video. Sie erklärte in der Straßenbahn sehr wohl eine Mund-Nase-Bedeckung getragen zu haben, im Unterschied zu den Angreifer*innen. Am Donnerstag veröffentlichte das Nachrichtenportal Watson ein Interview mit Dilan Sözeri, in dem sie sagt: „Selbst wenn ich keine Maske in der Bahn getragen hätte, wäre das keine Entschuldigung, mich zu verprügeln. Mittlerweile gibt es einen neuen Pressebericht der Polizei, der eindeutig bestätigt, dass ich in der Tram eine Maske trug. Die Videoüberwachung zeigt das eindeutig.“
Schwerer noch als der rassistische Angriff der Täter*innen wiegt für Dilan Sözeri, dass niemand ihr geholfen hat: „Obwohl die Station voll war und auch auf der gegenüberliegenden Seite viele Menschen standen, hat niemand geholfen. Es waren so viele Leute da.“
Freitag, 11. Februar
Am Freitag wurde die Leiche einer 44jährigen Frau in deren Wohnung in Crimmitschau (Sachsen) gefunden. Ein 32-jähriger Bekannter der Frau hatte die Polizei gerufen. Die Einsatzkräfte gingen schnell von einem Gewaltdelikt aus und weil am 32-Jährigen Blutanhaftungen festgestellt wurden, wurde dieser vorläufig festgenommen.
Samstag, 12. Februar
In Sachsen könnte der Rechtsextremist und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier bald wieder als Richter Urteile fällen. Das will das Justizministerium verhindern und versucht jetzt, den 60-Jährigen in den Ruhestand versetzen zu lassen. Justizministerin Katja Meier sagte: „Wer durch staatliche Behörden als Rechtsextremist eingestuft wird, kann kein glaubwürdiger Repräsentant der rechtsprechenden Gewalt sein und beschädigt das Ansehen der Rechtspflege schwerwiegend.“ Der vom Ministerium eingeschlagene Weg bedeutet aber auch, dass Jens Maier als Richter im Ruhestand ein entsprechendes „Ruhegehalt“ beziehen würde. Also vorausgesetzt, der Antrag des Ministeriums hat Erfolg. Falls er scheitert, würde Meier wieder nach Besoldungsstufe R 1 bezahlt, also mit einem Sold in der „Spanne von rund 4.400 Euro bis etwas mehr als 7.300 Euro brutto monatlich“ (MDR). Ein anderer Weg wäre, den Rechtsextremisten per „Richterklage“ aus dem Justizdienst zu entfernen. Das Verfahren, das in der Bundesrepublik noch nie durchgeführt wurde, müsste zunächst vom Sächsischen Landtag mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Dafür hätte auch der Deutsche Richterbund plädiert. Es wäre ein „deutliches und klares Signal“ gewesen. Auch Ronen Steinke, Jurist und Autor, hält die Entscheidung für einen Fehler. In der Jüdischen Allgemeinen kommentierte er: „Die grüne Landesministerin […] zieht sich auf eine Einschätzung ihrer ministeriellen Bedenkenträger zurück, die offenbar mehr Sorge vor schlechter Stimmung in der Richterschaft haben als vor der Vorstellung, eine Bürgerin oder ein Bürger könne einem AfD-Richter Maier gegenübersitzen – und ihm ausgeliefert sein.“
Sonntag, 13. Februar
Heute wurde Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident wiedergewählt. Ich finde, das ist eine gute Gelegenheit, um daran zu erinnern, dass Steinmeier sich als Chef des Kanzleramts 2002 weigerte, den zu Unrecht im US-Folterlager Guantánamo gefangengehaltenen, Murat Kurnaz nach Deutschland zu holen. Bis heute hat sich Frank-Walter Steinmeier nicht beim Folteropfer Kurnaz entschuldigt. 2017 sagte Murat Kurnaz zum Spiegel: „Herr Steinmeier hat sich in meinem Fall kaltherzig und ignorant verhalten. Als ich die Hilfe der Bundesregierung dringend gebraucht hätte und die USA meine Entlassung anboten, hat er im Wissen um Folter und Entrechtung Hilfe verweigert und mich im Stich gelassen. Das ist kein gutes Zeugnis für einen Bundespräsidenten.“
Murat Kurnaz, der 1982 in Bremen geboren wurde, war Anfang Oktober 2001 als 19-Jähriger nach Karatschi in Pakistan gereist. Bei einer Routinekontrolle der pakistanischen Polizei wurde er festgenommen und zunächst an das Militär übergeben, das ihn dann gegen ein Kopfgeld von 3.000 Dollar an das US-Militär in Afghanistan übergab. Von Januar 2002 bis August 2006 war Murat Kurnaz im gerade erst eröffneten US-Folterlager auf Kuba inhaftiert. Ohne Gerichtsprozess. „Die Amerikaner wollten Murat Kurnaz 2002 nach Deutschland abschieben“, sagte der Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke am Samstag zur taz: „Die Bundesregierung hätte ihn aus dieser Hölle herausholen können. Aber sie hat Nein gesagt, er musste vier weitere Jahre dort bleiben. Das war eine eiskalte, inhumane Entscheidung. Verantwortlich dafür war der heutige Bundespräsident.“ Auch nachdem klar war, dass der Tatverdacht gegen Murat Kurnaz unbegründet war, hatte Steinmeier erklärt, „er würde genauso wieder handeln“, sagt Docke: „Ich verstehe nicht, dass er nicht die Größe aufbringt, hier einen Fehler einzugestehen.“ Vor allem, weil eine Entschuldigung Steinmeiers Murat Kurnaz sehr geholfen hätte. Die BILD-Zeitung stellte ihn auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland weiter als Terroristen dar. „Da blieb etwas hängen. Kurnaz merkte das bei der Wohnungs- und Jobsuche“, sagt Docke.
Vielen Dank für die wöchentlichen Rückblicke. Seitdem ich diese lese hat sich mein Blick auf die Nachrichten, die ich so in der Woche lese verändert. Danke, für deine ganze Arbeit.
Vielen Dank für Deine Erinnerung an das unsägliche, ja widerliche Verhalten Steinmeiers im Fall Murat Kurnaz. Das wird immer wieder vergessen, wenn dem Bundespräsidenten gehuldigt wird.
Ich habe mich gestern gefreut, als in der ARD Sendung „ttt“ der neue Film von Andreas Dresen vorgestellt wurde, der die Geschichte thematisiert und werde mir den Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ ansehen. Er schildert den Kampf der Mutter für die Freilassung ihres Sohnes. In der Hauptrolle ist Meltem Kaptan zu sehen.
In einem Interview weist Andreas Dresen darauf hin, dass auch heute noch Menschen ohne Anklage, ohne Besuchserlaubnis, ohne Rechte und unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten werden. Eine Schande!!!
Liebe Ulla, obwohl ich dir schon lange auf Insta folge, habe ich grad erst angefangen, deine Wochenrückblicke zu lesen (so sad, aber besser spät als nie). Da ich manchmal versuche mein Insta-Konsum bisschen runterzuschrauben, frag ich mich, ob es hierfür einen Newsletter oder so gibt? Damit ich es auch ohne insta mitbekommen würde? Liebe Grüße!