In Uganda droht Queers die Todesstrafe, in Leipzig formiert sich der Polizeistaat, in Apolda brennt es in einer Unterkunft für Geflüchtete und in Berlin demonstrieren Sexarbeiter*innen für ihre Rechte. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW22
Montag, 29. Mai
In Uganda droht schwulen Männern und trans Personen die Todesstrafe. Präsident Yoweri Museveni hat das Gesetz „gegen homosexuelle Handlungen“ unterzeichnet und damit internationale Kritik hervorgerufen. Zwar ist es nicht – wie zunächst geplant – verboten, homosexuell zu sein, aber jede Form der aufklärenden Berichterstattung oder positive Bezugnahme wird als „Förderung von Homosexualität“ behandelt und die ist illegal. Wer sich für die Rechte queerer Menschen einsetzt, kann mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden. „Das Gesetz erlaubt, dass sich Personen als homosexuell bezeichnen, sie dürfen ihre Homosexualität fantasieren, aber einander berühren, begehren, lieben dürfen sie nicht. Uganda hat sozusagen nichts gegen Homosexuelle, solange sie nicht homosexuell sind“, schreibt Carolin Emcke in ihrer aktuellen Kolumne für die Süddeutsche Zeitung. Im Interview mit dem Tagesspiegel nannte der Menschenrechtsaktivist Edward Mutebi das Gesetz einen Aufruf „zur Auslöschung der LGBTIQ+-Menschen in Uganda“ und erwartet eine „humanitäre Katastrophe“. Bereits vor Verabschiedung des Gesetzes war die Situation für queere Menschen in dem ostafrikanischen Land katastrophal. Edward Mutebi, Gründer der Organisation „Let’s Walk Uganda“ sagt: „Diskriminierung und Verfolgung gab es wie gesagt schon die ganze Zeit, einschließlich ungerechtfertigter Razzien und Verhaftungen, Mob-Justiz und Entkleidung von trans Personen in der Öffentlichkeit, Ermordung von LGBTIQ+-Aktivisten wie David Kato und Brian Wasswa“. Er fordert Deutschland auf, die betroffenen Menschen in Uganda zu unterstützen, „einschließlich humanitärer Visa für die am meisten gefährdeten Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger sowie sichere Fluchtwege für die Mitglieder der Gemeinschaft, die das Land dringend verlassen wollen“. Doch auch wenn deutsche Politiker*innen das Gesetz verurteilen, Konsequenzen ziehen sie bislang kaum. „Deutschland gehört leider zu den großen Unterstützern des gegenwärtigen Regimes in Uganda. Es ist höchste Zeit, dass diese Beziehungen revidiert werden“, sagt Mutebi.
Dienstag, 30. Mai
Am Dienstag veröffentlichte die Recherche- und Kampagnenorganisation „Frag den Staat“ einen internen Bericht einer Arbeitsgruppe innerhalb der hessischen Polizei, der sich mit dem rassistischen Attentat in Hanau am 19. Februar 2020 beschäftigt. Die 50-seitige „einsatztaktische Nachbereitung“ beinhaltet „teils heftige Kritik an den Polizeistrukturen“. Dabei geht es u.a. darum, dass zu wenig Einsatzkräfte eingesetzt waren, „sodass es an den Tatorten zu Verzögerungen in der Abarbeitung kam“ und die eigentlich angemessene Einberufung einer „Großgefahrenlage“ nicht erfolgt sei. Weiterhin gibt es Kritik an der internen Kommunikation in der Tatnacht, „Frag den Staat“ spricht von „großen Fehlern“ und zitiert aus dem Bericht, in dem es heißt, dass wichtige Informationen „aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten nicht bei allen Kräften“ angekommen seien und interne Funkgruppen mehrfach gewechselt worden seien, sodass Beamt*innen über die „interne Kommunikation weniger Informationen erhalten“ hätten, als über „das Internet und soziale Medien“. Es habe weiterhin vom Zufall abgehangen, ob Polizist*innen den Einsatzleiter erreichen konnten. Angehörige der Opfer und Zeug*innen des Attentats berichten von Anfang an von massiven Versäumnissen seitens der Polizei und ihre Schilderungen werden nun zum Teil auch im internen Polizeibericht bestätigt. Die Täter-Opfer-Umkehr, die häufig im Umgang mit Betroffenen rassistischer Gewalt beobachtet werden kann (siehe bspw. NSU-Morde), fand auch in Hanau statt. So habe es bspw. Gefährderansprachen gegen die Hinterbliebenen gegeben, weil die Polizei in den „Opferfamilien (…) potentielle Gefährder für [den] Vater“ gesehen hätte. Während Hessens Polizei weiterhin behauptet, sie habe „ihr bestes getan“ und die Landesregierung den Einsatz verteidigt, belegt der Bericht, dass es intern Stimmen gibt, die das anders sehen. „Intern äußerten Polizist*innen den starken Wunsch, dass das Chaos der Tatnacht Konsequenzen für die Struktur der Polizei haben müsse“, schreibt „Frag den Staat“, ein Polizist habe gefordert „diese zehn Toten sollten etwas ändern“.
Mittwoch, 31. Mai
„Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“ sagte die jüdische Antifaschistin und Holocaust-Überlebende Esther Bejarano. Am Mittwoch endete der Prozess gegen Lina E. vor dem Oberlandesgericht Dresden. Lina ist inzwischen 28 Jahre alt, seit zwei Jahren sitzt die überzeugte Antifaschistin in Untersuchungshaft. Nun wurde sie unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Mitangeklagten erhielten Haftstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten. In diesem politisch motivierten Schauprozess ging es vor allem darum, ein Exempel zu statuieren und „den Linksextremismus“ als Gefahr für Deutschland und die Deutschen zu inszenieren. Lina E. soll gemeinsam mit den anderen Angeklagten u.a. den Ex-NPDler Enrico B., den rechtsextremen Kampfsportler Cedric S., einen Kanalarbeiter, der eine Mütze mit Nazisymbol trug, eine Gruppe Neonazis nach einem Aufmarsch in Dresden sowie die Nazikneipe „Bull’s Eye“ in Eisenach und deren Gäste angegriffen haben. „Antifaschistische Handarbeit“ sagen die einen, „schwere, staatsgefährdende Straftaten“ sagen die anderen. Dass die Bundesanwaltschaft hier die Anklage übernommen hat, ist nichts anderes als eine Machtdemonstration eines Staates, der Rechts- und Linksextremismus nicht nur gleichsetzt, sondern ersteren konsequent verharmlost, verleugnet und verschleiert. Dieser Staat verurteilte jetzt eine nichtvorbestrafte Studentin, weil sie ein paar Nazis vermöbelt haben soll. Versteht mich nicht falsch. Auch Nazis haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. In unserem Rechtsstaat dürfen auch sie Anzeige wegen Körperverletzung erstatten und haben ein Recht auf einen fairen Prozess. Sie haben aber nicht das Recht darauf, dass die Bundesanwaltschaft ihren Fall übernimmt, weil diese die Taten als staatsgefährdend ansieht. Hier geht es um so viel mehr als die Feststellung von Schuld in einer Schlägerei. Hier geht es um die Warnung an alle Antifaschist*innen im Land. Hier zeigt der starke Staat, auf wessen Seite er im Zweifelsfall steht. Wir Antifaschist*innen sollten es uns nicht zu gemütlich machen im Rechtsstaat, wir sind in ihm nicht sicher. „Unsere Sicherheitsbehörden haben die gewaltbereite linksextremistische Szene sehr genau im Blick und werden weiter konsequent handeln“, drohte Innenministerin Nancy Faeser nach der Urteilsverkündung und wie das in der Praxis aussah, erleben wir seitdem. Demos werden verboten, Antifaschist*innen in Berlin und Hamburg erhalten Hausbesuche von der Polizei, die sie mit Meldeauflagen an einer Reise nach Leipzig hindern will, in Leipzig werden großräumige Zonen eingerichtet, in denen die Cops „verdachtsunabhängige Kontrollen“ durchführen und in Norddeutschland bittet die Bundespolizei Zugbegleiter*innen um Hilfe, vermeintlich linke Fahrgäste zu melden. Ein geleakter Screenshot aus einer WhatsApp-Gruppe, dessen Echtheit bestätigt ist, enthält die Anweisung der NordWestBahn an das Zugpersonal: „Laut Bundespolizei sind linke Personen an folgenden Merkmalen bzw. Aussehen zu erkennen: Alternatives Auftreten bzw. Aussehen, evtl. mit Dreadlocks, links orientiert, besonders häufig auch Studenten, Personen, die der ‚Öko-Szene‘, ‚Grünen-Szene‘ oder Generation-Z zuzuordnen sind.“ Wer auf „Personen oder Gruppen“ trifft, „auf die diese Beschreibung passt“ solle diese „umgehend (…) melden“. Am Samstag waren dann mehrere tausend Polizist*innen in Leipzig im Einsatz gegen vermeintliche Linksextreme, inklusive Hubschrauber, extra aufgestellten Überwachungskameras und einem elf(!)stündigen Polizeikessel, in dem hunderte Personen, darunter Minderjährige, ohne ausreichende Versorgung frierend ausharren mussten. Der Polizeistaat formiert sich gegen uns, proudly present by SPD-Innenministerium.
Donnerstag, 1. Juni
Mit dem Juni beginnt auch der Pride-Month, also der Monat, in dem das Leben und die Rechte queerer Menschen in den Fokus rücken. Rathäuser hissen Regenbogenfahnen und Unternehmen färben ihr Logo entsprechend ein (also zumindest in den Ländern, wo es der Marke zuträglich ist, die Logos in der Türkei, in Saudi-Arabien oder in Ungarn zeigen natürlich keine Solidarität mit der LGBTQIA-Community). Die CSD-Saison ist aber auch die Zeit, in der wir uns verstärkt anhören müssen, es sei ja langsam auch mal gut, es gäbe hierzulande doch eigentlich keine Diskriminierung mehr. Doch das Gegenteil ist richtig. Wir begehen den Pride-Month 2023 inmitten eines massiven anti-queeren Backlashes. In den USA wurden allein in diesem Jahr bereits über 300 (andere Quellen sprechen von über 400) Gesetzesentwürfe eingebracht, in Wien und München sollen Veranstaltungen mit Dragqueens verboten werden, in Hannover wurde am letzten Wochenende ein 17-jähriger trans Mann nach dem CSD-Besuch queerfeindlich beleidigt und so schwer zusammengeschlagen, dass er ins Krankenhaus musste, und in ganz Deutschland wird (mit großer Unterstützung der Medien) massiv Stimmung gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz gemacht, sodass inzwischen der Justizminister transfeindliche Narrative reproduziert und den Gesetzesentwurf entsprechend veränderte. In Stralsund wurden am Donnerstag zwei Frauen aus dem Theater geworfen, weil sie sich geküsst hatten. Andere Besucher*innen des Philharmonischen Konzerts im Großen Haus hatten sich davon gestört gefühlt und sich beschwert. Ein Theatermitarbeiter verwies daraufhin das Paar des Hauses. Das Theater bestätigt den Vorfall, bezog aber nicht eindeutig Stellung gegen die Diskriminierung, sondern erklärte: „Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist, wir müssen und wollen erst mit beiden Seiten reden, bevor wir weitere Schritte unternehmen. Wir haben auch ein Gesprächsangebot mit beiden Betroffenen gemacht. Es tut uns auf jeden Fall sehr leid.“
Freitag, 2. Juni
Die Schlinge um das System Rammstein und dessen misogynen Kopf Till Lindemann zieht sich weiter zu. Ich hatte im letzten Wochenrückblick schon über die neuetlichen Vorwürfe gegen die Band und ihr Umfeld berichtet und will das jetzt nicht alles wiederholen. Am Freitag jedenfalls berichtete endlich auch die Tagesschau über den Fall, eine fundierte Recherche der Süddeutschen Zeitung erschien und viele weitere Redaktionen zogen nach und veröffentlichten ihrerseits zu den Vorfällen. Überraschend gut gefallen hat mir ein Longread aus der „Welt am Sonntag“, die ich unter anderen Umständen hier niemals positiv hervorheben würde. Dank meines Bibliotheksausweises und dem Browser-Plug-In „Bib Bot“ konnte ich den Artikel trotz Bezahlschranke lesen. Darin kommen sowohl Betroffene zu Wort als auch Personen aus dem Umfeld der Band, die die Vorwürfe bestätigen und stützen. Es wird deutlich, dass es um sehr viel mehr geht, als nur einen einzelnen Rockstar, der Grenzen überschreitet: „Es sei ein missbräuchliches System, das darauf angelegt sei, Lindemann schnellen Sex zu verschaffen. Und zwar so schnell, dass viele Frauen gar nicht rechtzeitig durchschauten, was sich abspiele.“ Am Freitag erklärte schließlich auch Lindemanns Verlag „Kiepenheuer und Witsch“, dass er sich dazu entschieden habe, die Zusammenarbeit mit dem Autor „mit sofortiger Wirkung zu beenden, da unser Vertrauensverhältnis zum Autor unheilbar zerrüttet ist“. KiWi betont in der Pressemitteilung „aus voller Überzeugung die Freiheit der Kunst“ zu verteidigen und an der „so eisern verteidigte[n] Trennung zwischen dem ‚lyrischem Ich‘ und dem Autor/Künstler“ festzuhalten und distanziert sich ausdrücklich nicht von dem 2020 verlegten Buch „100 Gedichte“, in dem Till Lindemann die Vergewaltigung einer bewusstlosen Person beschreibt. Als Grund für die Trennung gibt der Verlag an, dass Lindemanns Buch „In Stillen Nächten“ „gezielt“ in einem von Lindemanns Pornos „verwendet“ wird. KiWi wertet das „als groben Vertrauensbruch und als rücksichtslosen Akt gegenüber den von uns als Verlag vertretenen Werten“. Well, „Kunstfreiheit“ gilt halt nur, wenn sie Geld in die eigene Kasse spült, wa?!
Samstag, 3. Juni
Nachdem am Freitag der Internationale Hurentag gefeiert wurde, gingen am Samstag rund 300 Sexarbeiter*innen und ihre Unterstützer*innen auf die Straße, um gegen die Kriminalisierung und Stigmatisierung zu demonstrieren. Während der rbb leider wieder völlig falsch berichtete, wir würden behaupten, Sexarbeit sei „eine Arbeit wie jede andere“ (nein, ist es nicht: wir sagen: „Sexarbeit ist Arbeit“, das ist ein Unterschied!), können die Forderungen der Demo hier ausführlich nachgelesen werden. Bei bestem Demowetter machten die Teilnehmenden auf einer Route vom Nollendorfplatz bis zum Rathaus Schöneberg auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Huren aufmerksam. Redebeiträge u.a. von Trans*Sexworks, Red Umbrella Sweden, der deutschlandweit ersten Gewerkschaft für Sexarbeitende und dem Black Sexworker Collective zeigten die Vielfalt der Community. Leider wurden Demonstrant*innen auch dieses Jahr von Umstehenden zum Teil beleidigt, es kam zu mehreren Eierwürfen und mindestens eine Person wurde beim Verlassen des Parks nach Ende der Abschlusskundgebung queerfeindlich beleidigt und körperlich angegriffen. Das Motto der Demo in diesem Jahr war der Kanarienvogel im Kohleschacht, der vor Gefahren warnt. Sexarbeitende, insbesondere mehrfach marginalisierte, sind die Kanarienvögel der Gesellschaft. Rechter Backlash, Law & Order Politiken, Gentrifizierung und der Hass auf alles „Normabweichende“ treffen die Community als erstes. Hier erproben Staat und faschistische Vordenker*innen, was möglich ist. Sexworker*innen zu unterstützen und zu schützen, muss antifaschistischer Konsens sein. Leider herrscht jedoch auch und gerade in linken Kreisen vielfach ein moralgeprägtes Dogma vor, dass Sex das einzige ist, wofür keinesfalls bezahlt werden darf. Dass Sexarbeit auch als eine Form der Carearbeit verstanden werden kann, die wie Alten-, Kinder- oder Körperpflege mit der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse Geld verdient, wird ausgeschlossen. Sexarbeiter*innen werden entsprechend entweder als zu errettende, hilflose und unselbstständige Opfer betrachtet oder aber als Akteur*innen des Patriarchats. Eine eigene Stimme wird nur denen zugestanden, die die Branche verlassen haben oder dies beabsichtigen. Es ist höchste Zeit, dass (insbesondere sich als links verstehende) Menschen Position beziehen und sich solidarisieren. Hurenrechte sind Menschenrechte.
Sonntag, 4. Juni
In einer Unterkunft für Asylsuchende in Apolda in Thüringen ist heute Morgen ein Feuer ausgebrochen. Ein neunjähriges Kind aus der Ukraine ist gestorben, zehn Menschen wurden verletzt. Der Brand soll gegen fünf Uhr früh ausgebrochen sein. Augenzeug*innen berichteten, dass meterhohe Flammen aus dem Gebäude geschlagen seien. Das Gebäude ist nicht mehr bewohnbar, hunderte Menschen, darunter viele Kinder, wurden zunächst in einer Turnhalle untergebracht. Die Brandursache ist bislang noch nicht geklärt.
Das wars für heute, ich danke euch wie immer fürs Lesen. Wer kann und will: via PayPal gibt es die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.
ACHTUNG: Der Wochenrückblick macht Sommerpause! Der nächste Wochenrückblick ist dann der von #KW27 und erscheint am 9. Juli. Eine gute Gelegenheit, den kostenfreien Newsletter zu abonnieren, der euch unterdessen auf dem Laufenden hält.