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Am Trans Day of Remembrance wird der ermordeten trans Personen weltweit gedacht (Fotos: Canva)

Trauer um die Toten, kämpfen für die Lebenden

Trans Day of Remebrance und Internationaler Tag zur Beseitigung der Gewalt an Frauen, dazu beängstigende Wahlergebnisse in Argentinien und den Niederlanden. Von Storch klagt für ein Recht auf Transfeindlichkeit und ein Antifeminist gegen den Rowohlt-Verlag. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW47

Montag, 20. November

Am Montag war der Transgender Day of Remembrance und wir trauern an alle, die wir verloren haben. Laut dem „Trans Murder Monitoring“ von Transgender Europe wurden zwischen dem 1. Oktober 2022 und dem 30. September 2023 weltweit 321 trans* Menschen gewaltsam getötet. 94 % waren trans Frauen bzw. transweibliche Menschen. Fast die Hälfte der Opfer (48 %), deren Beruf bekannt war, waren Sexarbeiter*innen, in Europa sogar mehr als drei Viertel (78 %).  80 % der registrierten Morde betrafen trans Personen, die von Rassismus betroffen sind, was einem Anstieg von 15 % gegenüber dem letzten Jahr entspricht. In Europa waren 45 % der Todesopfer, deren Hintergrund bekannt ist, waren Migrant*innen bzw. Geflüchtete. „Sichtbarkeit kann lebensgefährlich sein. Besonders für transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen, die täglich angegriffen werden“, schrieb der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, am Montag auf der Plattform, die früher Twitter hieß. Das Leben und die Würde von trans und nicht binären Menschen ist weltweit in Gefahr. Transfeindliche Gewalt beginnt nicht erst bei körperlichen Übergriffen, sondern steckt in abschätzigen Blicken, demütigenden Fragen und verletzenden „Witzen“. In Gedenken an die, die wir verloren haben, kämpfen wir für die, die noch da sind und für die, die nach uns kommen.

Dienstag, 21. November

Im Newsletter habe ich letzte Woche über den eigentlich fürs vergangene Wochenende geplanten „Deutschen Gender Kongress“ in Nürnberg berichtet. Was auf den ersten Blick vielleicht nach einer fortschrittlichen Veranstaltung klingt, ist in Wahrheit ein zutiefst antifeministisches Event und bundesweites Vernetzungstreffen von Männerrechtlern, Verschwörungsideolog*innen, Rechtsextremisten und fundamentalen Christ*innen. Veranstalter ist die „Trade 5 GmbH Event & Kongress“ aus München. Dahinter steht anscheinend Sebastian von Meding, der außerdem Vorstandsvorsitzender der „Bundesvereinigung LIBERALE MÄNNER e.V“ ist, eine nach eigenen Angaben „politische Männerorganisation“, die der FDP nahesteht und „sich als ergänzendes Gegenstück zu entsprechenden Frauenorganisationen“ sieht. Genau dieser Sebastian von Meding hat jetzt gegen den investigativen Journalisten und Buchautor Tobias Ginsburg und dessen Verlag, Rowohlt, geklagt, um Passagen in Ginsburgs Buch „Die letzten Männer des Westens“ schwärzen zu lassen, in denen er erwähnt wird. Der Prozess begann am Dienstag am Landgericht Nürnberg-Fürth. Was das Ganze mit dem Antisemitismus der „Liberalen Männer“ zu tun hat, erklärt Tobias Ginsburg unterhaltsam in einem YouTube-Video:

Mittwoch, 22. November

Der extrem rechte Populist Geert Wilders hat die Parlamentswahlen in den Niederlanden gewonnen, 23,6 % holte seine „Partei für die Freiheit“ (PVV), 37 Sitze, 20 Mandate mehr als bei der letzten Wahl. Es ist in dieser Woche schon der zweite Wahlsieg eines Rechtsaußen, nachdem am Sonntag Javier Milei zum neuen Präsidenten Argentiniens gewählt wurde – „eine Katastrophe“ wie die Frankfurter Rundschau schreibt. Die Trumpisierung der Welt geht weiter, reaktionäre Männer (aber auch Frauen – siehe Italien!), die offen mit faschistischen Ideen liebäugeln, die Muslime hassen und alles Progressive, die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung ablehnen und die Demokratie aushöhlen oder gar offen verachten. Milei für den Politiker*innen „Abschaum“ sind, der Proteste auf der Straße nicht dulden will, hat eine neofaschistische Vizepräsidentin bestimmt, die wiederholt die argentinische Diktatur rechtfertigt und verharmlost. Das Recht auf Abtreibung soll abgeschafft werden und die (im internationalen Vergleich bislang fortschrittliche) Situation von trans Personen wird sich massiv verschlechtern. Von der bevorstehenden sozialen Katastrophe (die halbe Bevölkerung ist schon jetzt auf finanzielle Hilfe durch den Staat angewiesen) ganz zu schweigen. Aber zurück zu Wilders und den Niederlanden: Der 60-Jährige macht seit mindestens zwei Jahrzehnten mit offenem Rassismus Politik und gilt als „Prototyp eines Rechtspopulisten“. Premierminister wird er auch nach dem Wahlerfolg hoffentlich trotzdem nicht, dafür bräuchte er einen Koalitionspartner und Expert*innen schätzen die Chancen dafür nicht als besonders hoch ein. Das ändert aber nichts daran, dass heute mit Rechtspopulismus und offenem Rassismus Wahlen gewonnen werden. In Deutschland steht die AfD nach aktueller Umfrage auf Platz zwei mit 22 % der Stimmen hinter der CDU/CSU (30 %). Bis zur Bundestagswahl 2025 sind noch 22 Monate Zeit, aber der aktuelle Trend verheißt nichts Gutes.

Donnerstag, 23. November

300 unbearbeitete Fälle lagen lange Zeit unentdeckt beim Berliner Staatsschutz rum und wer sich in den letzten Jahren auch nur ein bisschen mit der Arbeit des Berliner Polizeiapparats beschäftigt hat, sollte nicht überrascht sein, dass es sich dabei um Verfahren im Bereich rechtsextremer Kriminalität handelt. Die Polizei nennt das einen „Rückstand in der Aktenlage“, andere Strafvereitelung im Amt. „Im Fokus stehen der frühere Kommissariatsleiter und ein Sachbearbeiter der Abteilung, die für rechte Straftaten zuständig ist“, berichtet der rbb, aber nicht, um welche Straftaten es genau geht. Die taz wollte wissen, wieso „die Polizei nicht von sich aus die Öffentlichkeit über die liegen gebliebenen Straftaten informierte“, erhielt darauf aber keine Antwort. Was bleibt sind Opfer rechtsextremer Gewalt, deren Vertrauen in die staatlichen Stellen ohnehin mindestens fragil ist. Inwieweit die 300 unbearbeiteten Fälle auch den „Neukölln-Komplex“ betreffen ist noch unklar. Die Verstrickung von Berliner Polizist*innen (und Teilen der Staatsanwaltschaft) in rechtsextreme Strukturen und eine über mindestens zehn Jahre andauernde Anschlagserie im Berliner Bezirk Neukölln ist so haarsträubend. Was sich liest wie ein Krimi von Wolfgang Schorlau, ist die nüchterne Aneinanderreihung von Fakten. Sven Richwin vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) kommt zu dem Schluss: „Es sind nicht nur die ausbleibenden Ermittlungserfolge, sondern die irritierenden Begleitumstände der Ermittlungen, die im Neukölln-Komplex das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttern. Fast alle Betroffenen können skurrile Begebenheiten erzählen. Sie haben zunehmend die Befürchtung, dass die ausbleibenden Ermittlungserfolge nicht nur auf Pannen beruhen, sondern dass möglicherweise Personen in den Sicherheitsbehörden die Ermittlungen hintertreiben.“

Freitag, 24. November

Als vor gut zwei Wochen im Bundestag über die erste Lesung des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes im Bundestag debattiert wurde, kam es zu einer (erwartbaren) transfeindlichen Tirade von AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch, die von einer „Translobby“ faselte, Tessa Ganserer angriff und beim Deadname nannte, bezeichnete das Gesetz u.a. als „staatlich befohlene Urkundenfälschung“. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau erteilte der Nazi-Erbin daraufhin einen Ordnungsruf: „Sie haben nicht nur (…) Respekt vermissen lassen, sondern Sie haben gegenüber der Abgeordneten Ganserer gegen die Würde nicht nur dieses Hauses verstoßen“, sagte die Linken-Abgeordnete. Doch von Storch ignorierte das und fuhr fort, Tessa Ganserer zu misgendern und als Mann zu bezeichnen. Dafür gab es einen zweiten Ordnungsruf sowie später noch ein Ordnungsgeld von 1.000 Euro. Wie das Nachrichtenportal queer.de am Freitag berichtete, wehrt sich von Storch nun dagegen und zieht vors Bundesverfassungsgericht. Sie will sich ihr Recht auf ungestrafteTransfeindlichkeit juristisch erstreiten. Die Erfolgsaussichten sind gering, aber darum geht es der AfD-Politikerin auch gar nicht. Den kalkulierten Zuspruch bekommt sie bereits aus ihrer stinkenden Blase auf social media. Rechte Stimmungsmache und queerfeindliche Hetze sind ihr ein willkommener Aufmerksamkeitsgarant.

Samstag, 25. November

Der 25. November ist „Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen“. Seit 1981 wird anlässlich dieses Datums weltweit auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. Im Jahr 1999 machten die UN den 25. November offiziell zum „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Das Datum ist nicht zufällig. Es ist das Todesdatum der Schwestern Mirabal, die in der Dominikanischen Republik gegen die Diktatur kämpften und nach ihrer Festnahme monatelang gefoltert und am 25. November 1960 getötet wurden. Gewalt gegen Frauen gehört zu den am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen weltweit. Die UN gehen davon aus, dass über jede dritte Frau mindestens einmal im Leben Opfer sexualisierter oder physischer Gewalt wird. „Formen von Gewalt gegen cis und trans Frauen, Mädchen und nicht binäre Menschen sind vielfältig“, schreibt UN Women: „Die wohl am stärksten verbreitete Form geschlechtsspezifischer Gewalt ist partnerschaftliche Gewalt – allein vergangenes Jahr litten weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen unter Partnerschaftsgewalt.“ Nach Angaben von UN Women und UNODC wurden im vergangenen Jahr rund 89.000 Frauen und Mädchen vorsätzlich getötet: „Mehr als die Hälfte dieser Morde, 55 Prozent, seien von Familienmitgliedern oder Partnern begangen worden“, berichtet der Deutschlandfunk. Auch in Deutschland wird statistisch gesehen jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Über 240.500 Opfer von häuslicher bzw. Partnerschaftsgewalt sind im vergangenen Jahr in Deutschland registriert worden – 8,5 % mehr als 2021. Doch trotz allem wird das Thema immer noch weitgehend bagatellisiert. Das zeigt sich auch daran, dass die Thematik bei „Familienministerium“ angesiedelt ist und nicht etwa, beim für Kriminalität zuständigen Innenministerium. Die Politik rühmt sich gern damit, am 25. November Gebäude orange anzustrahlen, aber ist nicht mal in der Lage, das Problem intersektional zu betrachten. Denn auch wenn häusliche bzw. Partnerschaftsgewalt etwas ist, das alle Frauen betrifft, sind bspw. behinderte Frauen um ein Vielfaches häufiger betroffen. Auch trans Frauen werden selten mitgedacht, wenn es um Gewaltschutz geht. Nicht-binäre Personen und trans Männer, die ebenfalls Opfer männlicher, patriarchaler Gewalt werden, sind sowieso weitestgehend unsichtbar, bzw. werden unsichtbar gemacht.

Im ostfriesischen Ort Weener tötete in der Nacht zu Sonntag offenbar ein 60-Jähriger seine 87 Jahre alte Mutter. Der Mann soll die Tat gestanden haben. Eine Woche zuvor wurde in Düsseldorf eine 81-Jährige mit einem Messer getötet. Dringend tatverdächtig ist der Ehemann, der die Frau am Sonntagvormittag angriff und sich anschließend selbst schwer verletzte. Er ist außer Lebensgefahr.

Sonntag, 26. November

In Berlin wurde heute gegen „GEAS“ demonstriert, das „Gemeinsame Europäischen Asylsystem“. Zeitgleich fanden auch in Bielefeld, Bremen, Dresden, Kiel, Köln, Mainz, Marburg, Nürnberg und Würzburg sowie bereits am Samstag in Halle (Saale) Veranstaltungen statt. Der Protest zielt auf die geplante Änderung und Verschärfung des EU-Asylsystems ab, die Anfang Dezember im EU-Parlament diskutiert wird. Es geht um nichts weniger als die „faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl“, so die Veranstalter*innen des bundesweiten Aktionstags. Bei den Grünen, die im Wahlkampf noch eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik versprochen haben, heißt die neue Linie euphemistisch „Humanität und Ordnung“, was die brutale Gewalt verschleiert, zu der die EU-Politik an Europas Außengrenzen führt. Ein Sprecher von Pro Asyl beschrieb bei der heutigen Kundgebung in Berlin den Status Quo, in dem es mindestens hingenommen und nicht selten forciert wird, „dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und Frontex von oben mit Drohnen zuschaut, dass Menschen zwischen Grenzen festsitzen oder dass Familien getrennt werden“.

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