Gewalt gegen Frauen ist eine internationale Pandemie, ausgelöst vom Patriarchat weltweit, in Afghanistan ist Frauenrechtler*innen ein kleiner Sieg gelungen, Sibel Schick legt sich mit Terre des Femmes an und Buchautor und -händler Linus Giese feiert seinen dritten Geburtstag. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW40
Montag, 28. September
Am Montag war internationaler „Safe Abortion Day“. Der Aktionstag rückt die häufig katastrophale Versorgung für ungewollt Schwangere weltweit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Auch in Deutschland ist die Lage ziemlich verheerend. Nicht nur werden Schwangere und Ärzt*innen durch die Paragrafen 218 und 219a kriminalisiert und stigmatisiert, die Zahl der Praxen, in denen Abtreibungen durchgeführt werden, nimmt immer weiter ab. 2018 gab es bundesweit nur noch 1.200 Stellen. Teilweise müssen für einen Schwangerschaftsabbruch 200 Kilometer zurückgelegt werden.
Dr. Ines Scheibe vom Bündnis für sexuellen Selbstbestimmung erklärt: „Das Grundrecht auf medizinische Versorgung wird bereits seit langem nicht mehr von Bund und Ländern abgesichert. Vor allem in Flächenstaaten sind bereits ganze Landstriche ohne Ärztin oder Arzt, die einen fachgerechten Schwangerschaftsabbruch durchführen. Aber es gibt auch zunehmend in Städten ein Versorgungsproblem.“
Die Aktivistinnen Kate Cahoon und Adriana Beran haben eine Petition gestartet: „Wir fordern die ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 als Straftat und rechtliche Regelungen außerhalb des Strafgesetzbuches! Wir fordern alle demokratischen Parteien auf, die Legalisierung von Abtreibung in ihr Wahlprogramm aufzunehmen!“
Anlässlich des Safe Abortion Days habe ich eine neue Serie auf „Der Hase im Pfeffer“ gestartet. In der neuen Kategorie „Mein Körper, meine Entscheidung“ wird es hier regelmäßig Beiträge über sexuelle und körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Rechte geben. Den Auftakt machte ein Beitrag über die selbsternannten „Lebensschützer*innen“, die ihre fundamentalistischen und misogynen Ansichten jährlich beim „Marsch für das Leben“ auf die Straße tragen. Meine Freundin Celi hat dazu einen kurzen Film gedreht.
Dienstag, 29. September
In Afghanistan haben Frauen einen bedeutenden Erfolg im Kampf um ihre Rechte errungen. Zukünftig kann im Ausweis neben dem Namen des Vaters auch der Name der Mutter eingetragen werden.
Lelah Osmani, 28 Jahre alt aus Herat, startete vor drei Jahren die Kampagne #whereismyname auf Twitter und forderte die Nennung der Namen von Frauen in der Öffentlichkeit. In Afghanistan wird, laut Tagesschau.de, auf Geburtsurkunden nur der Name des Vaters eingetragen und sogar Hochzeitseinladungen nennen häufig nur den Namen des Bräutigams. Selbst auf Grabsteinen fehlt der Name der Verstorbenen, stattdessen wird nur der Name des Mannes genannt.
Die Gesetzesänderung wurde nach wochenlanger Debatte nun vom afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani unterschrieben. Doch damit ist das Thema leider nicht vom Tisch. Ein Sprecher der Taliban kündigte bereits an, die Taliban würden das Gesetz nicht akzeptieren. Und auch andere konservative Kreise stellen sich gegen die Nennung der Namen von Frauen. Lelah Osmani berichtet von zahlreichen Drohungen, seit sie ihre Kampagne startete.
Im Rahmen der aktuellen Friedensgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban werden Frauenrechte weiterhin zur „Verhandlungsmasse“ gehören. „Die Gefahr ist groß, dass am Ende die Rechte der Frauen dem wichtigen Ziel – Frieden in Afghanistan – untergeordnet werden könnten“, sagt der ARD-Korrespondent Bernd Musch-Borowska.
Mittwoch, 30. September
Sibel Schick hat im Neuen Deutschland einen Kommentar über „Terres des Femmes“ (TDF) veröffentlicht und wird deshalb auf Twitter und Facebooks von TERFs und anderen rechten Trollen beschimpft.
Sibel Schick bezieht sich auf ein Positionspapier, das die selbsternannte Frauenrechtsorganisation kürzlich veröffentlichte und in dem sie die Identität von trans Menschen auf eine bloße Willenserklärung reduziert. „Zudem wirft TDF trans Menschen vor, durch ihre Transition, also operative Eingriffe, dazu beizutragen, das Patriarchat zu bekräftigen und in Frauenräume hineinzutragen, zum Beispiel in Frauenhäuser“, schreibt Sibel Schick. Als ob trans Personen nicht selbst Opfer patriarchaler Strukturen und Machtverhältnisse seien. TDF trägt seine Transfeindlichkeit ganz offen zur Schau, trans Frauen wird nicht nur das „Frausein“ abgesprochen (da hilft es nicht, dass TDF behauptet, das nicht zu tun), sie werden viel mehr als gefährliche Eindringlinge dargestellt, vor denen Menschen „gegebenen, weiblichen Geschlechts (Körpers)“ geschützt werden müssten. Trans Männer nimmt TDF nicht ernst, das Positionspapier liest sich so, als wären trans Männer nicht existent, die Transition sei vielmehr eine Möglichkeit „um dem zu entgehen, was sie in der Gesellschaft an Diskriminierung und Abwertung erleben“. Für TDF fallen trans Jungen unter „Mädchenschutz“. Linus Giese fasst es wie folgt zusammen: „Trans Frauen sollen keinen Zutritt zu Frauenhäusern erhalten, während trans Jungen davor ‚geschützt‘ werden sollen zu transitionieren. Wir werden nicht als Menschen gesehen, sondern wahlweise als gefährliche Eindringlinge oder schützenswerte Verwirrte“.
Doch Terres des Femme ist nicht nur aufgrund der Transfeindlichkeit problematisch. Immer wieder fällt die Organisation auch durch antimuslimischen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Abwertung von Sexarbeiterinnen auf. TDF verlinkt Artikel von „Tichys Einblick“, TDF-Vorständin Necla Kelec schreibt auf dem rechten Blog „Die Achse des Guten“ und gemeinsame Artikel mit Thilo Sarrazin und der rechten „Junge Freiheit“-Autorin Birgit Kelle.
Für Sibel Schick alles ziemlich eindeutig: „Sie sollten sich nicht wundern, wenn man sie dorthin schiebt, wo sie hingehören: In die rechte Ecke.“
Donnerstag, 1. Oktober
In Indien kam es nach zwei Vergewaltigungen mit Todesfolge zu Protesten. Beide Opfer sollen Frauen der untersten Kaste, der Dalit, gewesen sein. „Im gesamten Land gibt es eine Welle der Empörung“, zitiert die Tagesschau Chandrasekat Azad, den Chef einer Dalit-Organisation. Eines der Opfer, eine 19-Jährige, war von mehreren Männern einer höheren Kaste vergewaltigt und misshandelt worden. Ihr Bruder erzählte im indischen Fernsehen: „Sie konnte kaum atmen, der Nacken war verdreht, sie konnte weder ihre Hände noch ihre Beine bewegen. Ihre Zunge war zerschnitten, sie konnte kaum reden. Die haben ihr das Rückgrat gebrochen“. Zwei Wochen nach der Tat ist sie nun an den Folgen verstorben. Die Polizei gibt an, vier mutmaßliche Täter festgenommen zu haben.
Die zweite Dalit-Frau wurde Dienstagnacht vergewaltigt und starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Die taz berichtet, dass sie entführt und betäubt worden sei. Nach der Tat habe sie nicht mehr sprechen können, sagte die Mutter. Die Polizei hat nach eigenen Angaben zwei mutmaßliche Vergewaltiger festgenommen.
Offiziellen Angaben zufolge wird in Indien alle 15 Minuten eine Frau bzw. ein Mädchen vergewaltigt. Indien gilt als das gefährlichste Land für Frauen, jeden Tag werden mehr als 100 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht. In den Jahren von 2007 bis 2016 ist die Zahl um 83 Prozent gestiegen. Dass sexuelle Gewalt überhaupt angezeigt wird, ist allerdings ein Fortschritt. Die indische Regierung hat das Problem zumindest teilweise erkannt und in den vergangenen Jahren die Strafen erhöht.
Manasi Mishra vom Center for Social Research of India nannte 2018 als einen der Gründe für die vielen Vergewaltigungen den Männerüberschuss in der indischen Gesellschaft. „Auf 1000 Jungen kommen lediglich 800 Mädchen. Das liegt daran, dass noch immer viel zu viele Eltern Mädchen abtreiben lassen. Sie gelten als minderwertig und drohender Kostenfaktor, weil die Brauteltern die extrem teuren Hochzeiten bezahlen müssen.“
Dabei ist es nicht „die indische Kultur“ die das Problem darstellt, sondern Patriarchat und Klassengesellschaft. Mädchen lernen früh, dass es „draußen“ gefährlich für sie ist, das verdrängt Frauen aus dem öffentlichen Raum. Während Angehörige höherer gesellschaftlicher Schichten in sicheren Häusern leben und die finanziellen Möglichkeiten haben, bspw. Taxi zu fahren, sind die ärmeren Frauen oft schon beim Gang zur Toilette Gefahren ausgesetzt.
Freitag, 2. Oktober
Nirgendwo in Deutschland wird explizit den lesbischen Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Ein Bündnis aus queeren Gruppen und Initiativen will das seit Jahren ändern. Im ehemaligen KZ Ravensbrück soll mit einer Gedenkkugel ausdrücklich die lesbischen Frauen und Mädchen gewürdigt werden, eine ignorierte Opfergruppe des NS-Regimes, wie die Initiative „Autonome feministische FrauenLesben aus Deutschland und Österreich“ findet.
Lesbischen Frauen galt im Nationalsozialismus keine systematische Verfolgung, im Unterschied zu homosexuellen Männern, die nach § 175 verfolgt, inhaftiert und getötet wurden. Dass sich der § 175 nicht auf Lesben bezog, lag sicher auch daran, dass weibliche Homosexualität stark tabuisiert und faktisch unsichtbar war. Die Historikerin Claudia Schoppmann ist der Meinung, dass zur Zeit des Nationalsozialismus die „vielfältigen Kontrollmechanismen gegenüber Frauen im familiären, rechtlichen, politischen und ökonomischen Bereich“ ausreichten, um lesbische Frauen zu unterdrücken, es deshalb keiner expliziten strafrechtlichen Erwähnung bedurfte.
Da es keine Kollektivverfolgung von Lesben gegeben habe, sprach sich der Beirat des LSVD Berlin-Brandenburg 2017 gegen eine Gedenkkugel im KZ Ravensbrück aus. Man wolle sich dort für ein Gedenken einsetzen, „das an konkrete, nachweisbare Einzelschicksale anknüpft“.
Die Streitpunkte scheinen heute geklärt zu sein, der Tagesspiegel berichtete am Freitag, dass es dem Bündnis gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag an die Stiftung Brandenburgischer Gedenkstätten zur Installierung der Gedenkkugel zu stellen. In der gemeinsamen Erklärung des Bündnisses, dem der Lesbenring, die Initiative „Rad und Tat“, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, der LSVD-Bundesverband und der Fachverband Homosexualität und Geschichte angehören, heißt es: „Wir als zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen haben erfolgreich einen guten Konsens gefunden.“
Die Gedenkkugel soll folgende Inschrift tragen: „In Gedenken aller lesbischen Frauen und Mädchen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermark. Sie wurden verfolgt, inhaftiert, auch ermordet. Ihr seid nicht vergessen.“
Samstag, 3. Oktober
Die Deutsche Welle (DW) berichtet über den Anstieg der Gewalt gegen Frauen in afrikanischen Ländern, die Vereinten Nationen sprechen von einer „Schattenpandemie“. Demnach haben in den vergangenen Monaten häusliche und sexuelle Gewalt, Missbrauch und Mord an Frauen auf dem afrikanischen Kontinent und weltweit zugenommen. Liberia meldete eine Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt um 50 Prozent im ersten Halbjahr. Auch Nigeria, die Zentralafrikanische Republik und Südafrika registrieren steigende Zahlen. Laut Jean Paul Murunga von der Frauenrechtsorganisation Equality Now aus Kenia war die Situation „schon vor Corona schlecht für die Frauen, die Pandemie hat nur den Schleier dessen gelüftet, was wir nicht gesehen haben“.
Wie überall auf der Welt sind auch in den afrikanischen Ländern die patriarchalen Strukturen maßgeblich für die geschlechtsspezifische Gewalt verantwortlich. Lesley Ann Foster, Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Masimanyane Women’s Rights International in Südafrika sagte zur DW: „Die sozialen Normen und Standards sind so schwach, dass Frauen einfach getötet, vergewaltigt, verprügelt und entsorgt werden. Das Land befasst sich nicht gut genug damit und übt nicht genug Druck aus, um auf die Gleichstellung der Geschlechter in diesem Land hinzuwirken“. Murunga sieht es genauso: „Historisch gesehen sind eine Reihe afrikanischer Länder patriarchalisch geprägt. Frauen und Mädchen wurden lange Zeit als dem männlichen Geschlecht nicht ebenbürtig betrachtet. Daher brauchen Themen, die Frauen und Mädchen betreffen, länger, um auf den Tisch zu kommen.“ Aus seiner Sicht braucht es vor allem mehr Frauen in Afrikas Regierungen. Nur so würden die Themen „Gesundheit und Familienplanung“ Priorität erhalten.
Sonntag, 4. Oktober
Linus Giese feiert heute seinen 3. Geburtstag, wie er selbst auf Twitter schreibt:
Ich habe kürzlich sein Buch „Ich bin Linus“ gelesen und möchte es an dieser Stelle unbedingt weiterempfehlen. Ich habe die rund 200 Seiten in einem Rutsch gelesen und eine ganze Menge gelernt.
„Wer verstehen will, welche verschlungenen Wege es manchmal sein können, auf denen sich die eigene Identität entdecken lässt, wer verstehen will, wie sich eine Person immer wieder neu finden kann, wer verstehen will, was es heißt trans zu sein, dass das nicht nur im Singular, sondern im Plural existiert, dass es ein ganzes Spektrum gibt, wie sich als trans Person leben, denken und lieben lässt – all denen sei dieses Buch ans Herz gelegt.“
Carolin Emcke über „Ich bin Linus“ von Linus Giese
Mal wieder sehr erhellend und nachdenkenswert. Vielen Dank für Deine sehr gute ARBEIT!!!
Vielen Dank für Deinen Kommentar! Ich freue mich jedes Mal sehr darüber 🙂
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