You are currently viewing Symbole und Luftschlangen
Manizha Talash wurde für das "politische Statement" bei Olympia disqualifiziert. (Illustration von mir)

Symbole und Luftschlangen

In Berlin tötete ein Arzt vier Patientinnen, in Bulgarien verbietet ein neues Gesetz queere Themen in der Schule, in Bautzen bedrohen hunderte Neonazis den CSD und Manizha Talash wurde bei Olympia disqualifiziert. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW32

Montag, 5. August

Dass unter der Klimakatastrophe als erstes und am meisten diejenigen leiden, die am wenigsten dazu beitragen, ist mittlerweile hoffentlich Allgemeinwissen. Dass das nicht nur global gesehen stimmt, sondern sich auch individuell zeigt, ist ebenfalls nichts neues. Bereits 2019 schrieb die „Wirtschaftswoche“ (steht jetzt nicht im Verdacht antikapitalistische Propaganda zu spreaden) über „Umweltgerechtigkeit“ und stellte fest: „Die Folgen der Klimakrise treffen in Deutschland besonders ärmere Menschen.“ Nachdem das Jahr 2023 das heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war, wird auch 2024 ein Hitzerekorde nach dem nächsten gebrochen. „13 Mal in Folge der jeweils wärmste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – weltweit“, berichtete der BR Anfang Juli. Menschen mit Geld haben verschiedene Möglichkeiten mit den Temperaturrekorden umzugehen, vom teuren Urlaub in Nordeuropa oder Abkühlung im eigenen Pool, über Fahren im klimatisierten PKW statt im stickigen ÖPNV, bis hin zum Einbau von Klimaanlagen. Arme Menschen haben diese Freiheit nicht. Dazu kommt, dass sie eine ohnehin geringere Lebenserwartung haben – reiche Menschen leben länger. Die Folgen der Klimakrise verschärfen die Situation zusätzlich, insbesondere in Städten fehlen Konzepte, wie die Menschen in Zukunft vor der Hitze geschützt werden können. In Lyon wurden diese Woche Kinokarten an arme Menschen verschenkt. Wie die Tagesschau am Montag berichtete, würden die Karten an Menschen gegeben, die in Sozialwohnungen leben: „Gerade solche Wohnungen schützen oft nicht gut gegen sehr hohe Temperaturen.“ In Frankreich sind im letzten Jahr mehr als 5.000 Menschen aufgrund von Hitzewellen verstorben, in Deutschland meldete das RKI für den Sommer 2023 rund 3.100 Hitzetote.

Dienstag, 6. August

In Berlin wird ein 39-jähriger Mann verdächtigt, über einen Zeitraum von wenigen Wochen mindestens vier Frauen in ihren Wohnungen getötet zu haben. Der Tatverdächtige ist Arzt eines Pflegediensts, die Getöteten waren seine Patientinnen. Gegen den Mann, der Teil eines Palliativteams war, wurde am Dienstag ein Haftbefehl erlassen. Er soll die Frauen im Alter zwischen 72 und 94 Jahren „auf bislang noch unbekannte Weise“ getötet und anschließend deren Wohnungen in Brand gesetzt haben, um die Taten zu vertuschen. „Wir gehen im Augenblick von einem Totschlag aus, weil wir mangels weiterer Motive noch keine Mordmerkmale haben. Natürlich könnte man auch überlegen, ob hier möglicherweise eine Tötung auf Verlangen vorgelegen haben sollte, aber dann haben wir im Augenblick die Verdachtslage einer etwas seltsamen Koinzidenz: Wenn ich jemanden auf Verlangen töten würde, habe ich keine Notwendigkeit, anschließend noch einen Verdeckungsbrand zu legen“, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft zur Tagesschau. Keine der Frauen habe im Sterben gelegen. Die Autorin und politische Bildnerin Debora Antman kommentierte auf Instagram die Berichterstattung: „Ich habe seit gestern Abend mehr als einen Artikel gelesen, in denen ausführlich das Alter und die krankheitsbedingte Lebenserwartung betont wird. Ich habe so Angst, dass das ganze bagatelliesiert wird, weil die Opfer alt und krank waren. So wie es eben auch bagatellisiert wird, wenn die Opfer behindert sind. Auf Pflege angewiesen zu sein, macht Menschen nicht zu verkraftbaren Mordopfern!“

Mittwoch, 7. August             

Auch in Bulgarien werden die Rechte von queeren Menschen weiter eingeschränkt und Lebensentwürfe abseits der cis-heterosexuellen Norm unsichtbar gemacht oder gar kriminalisiert. Das Parlament in der Hauptstadt Sofia verabschiedete am Mittwoch ein neues Gesetz, das „direkte oder indirekte Propaganda, die Förderung oder Verbreitung von Ideen und Ansichten im Zusammenhang mit einer nicht-traditionellen sexuellen Orientierung und/oder einer anderen Geschlechtsidentität als der biologischen“ an Schulen verbietet. 159 Abgeordnete stimmten dafür, nur 22 dagegen. Eingebracht wurde die Gesetzesnovelle von der rechtsextremen Partei „Vasraschdane“ (= „Wiedergeburt“), aber auch die Sozialisten (BSP) stimmten zu. BSP-Chefin Kornelia Ninowa berichtete in der Parlamentsdebatte von angeblich besorgten Bulgar*innen aus dem Ausland, die „vor den Gefahren der Gender-Ideologie im Westen“ warnen würden, so die taz: „Es gebe da Leute, so Ninowa, die morgens ein, am Nachmittag ein zweites und am Abend ein drittes Ding seien. Diese Gender-Idologie werde von reichen und einflussreichen Leuten verbreitet, sie habe sich in die Schulen eingeschlichen und schickten sich an, diese zu übernehmen“. Der Tagesspiegel zitiert die NGO „LevFem“, die überzeugt ist, dass es das neue Gesetz nun unmöglich mache, „gegen das Mobbing von lesbischen, schwulen, bisexuellen und Transgender-Jugendlichen in der Schule vorzugehen“. Ähnlich lautende Gesetze gibt es bereits in anderen EU-Ländern: Ungarn, Polen und Slowakei.

Donnerstag, 8. August

Nachdem die drei in Wien geplanten Konzerte von Taylor Swift wegen Terrorgefahr am Mittwochabend abgesagt wurden, wurden am Donnerstag erste Details veröffentlicht. Einem 17- und einem 19-Jährigen wird vorgeworfen, einen Terroranschlag geplant zu haben. Sie sollen dem IS bzw. Al-Kaida nahestehen und sich online radikalisiert haben. Österreichs Sicherheitsbehörden rühmen sich, eine „Tragödie“ verhindert zu haben und zehntausende „Swifties“ in Wien trugen ihre Enttäuschung über die Absage auf die Straße. Dass das Ganze ein großes Medienspektakel werden würde, war spätestens klar, als Unternehmen anfingen, Menschen, die ein Konzertticket vorweisen können, Dinge umsonst zu geben (Kissen im Möbelhaus, freier Eintritt zu Museen, gratis Kaffee, Burger und Sekt). Die Konzertabsagen bildeten dann auch noch den perfekten Auftakt für den österreichischen Wahlkampf. Und leider ließen sich einige „Swifties“ auch noch vor den rechten Karren spannen und trafen sich mit Österreichs ÖVP-Kanzler Karl „Konsequente Abschiebung“ Nehammer. Zahlreiche Artikel und Kommentare wurden veröffentlicht, in denen Taylor Swift und ihre Fans zum Symbol der „Freiheit“ stilisiert wurden, die der Bedrohung durch den islamistischen Terror gegenüberstehen. Sogar von einem „Safe Space“ war da die Rede, der zerstört wurde. Ein Safe Space wohlgemerkt, zu dem nur Zutritt hat, wer mehrere hundert Euro für eine Konzertkarte lockermachen kann. Versteht mich nicht falsch bitte, ich will weder den IS-Terror verharmlosen noch den „Swifties“ ihre völlig berechtigte Enttäuschung absprechen. Aber geht es nicht auch ne Nummer kleiner? Dass islamistische Terroristen nicht ausschließlich das angreifen, was für „Zärtlichkeit, Queerness, Frauen, die sich und ihr Frausein feiern“ (taz) steht, sollte klar sein, wenn wir uns an die Serie der Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris erinnern, wo neben einem Fußballspiel u.a. das Konzert der Band „Eagles of Death Metal“ angegriffen wurde. Oder wir werfen einen Blick auf die Liste der IS-Terroranschläge der letzten zehn Jahre und stellen fest, dass die meisten Attentate gar nicht „im Westen“ stattfinden.  

Freitag, 9. August

Gleich zwei (geplante) Gedenkorte in Hamburg sorgten diese Woche für Aufsehen. Am Freitag berichtete der NDR über das Vergabeverfahren für den „Denk-Ort für sexuelle Vielfalt“, der neben der Lombardsbrücke an der Binnenalster entstehen soll. Hier hatte es einen anonymen Wettbewerb gegeben, an dem sich 13 Künstler*innen beteiligten. Gewonnen hatte das Duo „Two Concrete“, Franziska Opel und Hannah Rath, die eine riesige liegende Luftschlange entworfen haben: „Zwischen blau und violett – es war mit einem Flip-Flop-Lack bedacht. Die Farbe verändert sich im Vorbeigehen, sodass ein fließender Übergang möglich ist – wie bei den Geschlechtern oder bei der geschlechtlichen Identitätsfindung“, sagte Franziska Opel dem NDR. Das Objekt soll an das in den 1960er Jahren in Hamburg geltende Tanzverbot für schwule Männer erinnern. Doch obwohl eine Fachjury den Entwurf als den besten bewertete, wird er nicht umgesetzt, stattdessen erhält der Zweitplatzierte den Auftrag. Der renommierte Künstler Ólafur Elíasson hatte gemeinsam mit Sebastian Behmann einen alten Entwurf recycelt: Einen Glasring in Regenbogenfarben, wie er so schon im dänischen Aarhus steht. Mit einer Audiospur („Stimmen aus der Community“) soll dem Kunstwerk eine zweite Ebene gegeben werden. Die Kulturbehörde behauptet, „dass sich die gesamte Community hinter dem zweitplatzierten Entwurf versammelt“ hätte, und so wurde die Juryentscheidung übergangen. Ein mindestens merkwürdiges Vorgehen und im Ergebnis bedeutet es, dass wieder mal ein hunderttausende Euro schwerer Auftrag an zwei weiße Männer geht. Inwieweit eine GLASring sich als Gedenkort für queere Geschichte eignet, erschließt sich mir nicht. Die permanente Sachbeschädigung durch Queerfeinde, die sich an den Regenbogenfarben stören, scheint vorprogrammiert.

Auf Sankt Pauli wurde am Freitag ein Messingbordstein eingeweiht. Die Inschrift:

„Entrechtet, ausgegrenzt, ermordet.
1933-1945.
Im Gedenken an die Frauen in der Herbertstraße & anderswo“

Die Installation erfolgte auf Initiative eines Pastors und ohne jede Beteiligung der Community. Sexarbeiter*in und politische*r Bildner*in Ruby Rebelde kritisiert das Projekt und insbesondere auch die Inschrift des Steins: „In meinen Augen entsteht so ein grundfalscher Eindruck, nämlich, dass die Ausgrenzung von Sexarbeiterinnen ein Phänomen des NS gewesen wäre. Das ist tatsächlich so nicht der Fall. Das Konzept der Verfolgung asozialer Personen ist keine Erfindung des NS-Regimes, sondern hat (nicht nur in Hamburg) direkte Vorläufer in Kaiserreich und Weimarer Republik und seine Kontinuitäten nach 1945 bis heute.“ Gemeinsam mit der Historikerin Frauke Steinhäuser sowie Ronja Hesse und Martin Spruijt vom St. Pauli-Archiv e.V., hat Ruby Rebelde einen offenen Brief verfasst, in dem die Kritik im Detail nachzulesen ist. Darin stellen sie klar, dass sie es „grundsätzlich begrüßen“, dass „an die Situation von Sexarbeiter*innen in jener Zeit“ erinnert werden soll, allerdings sei der „Gestaltungsprozess vom Beschluss bis zur Verlegung übereilt sowie oberflächlich und plakativ“.

Auch am Freitag

Erstmals ist bei den Olympischen Spielen die Disziplin Breakdance vertreten. Am Freitag trat die aus Afghanistan geflüchtete Tänzerin Manizha Talash an. Die 21-Jährige ging für das olympische „Refugee Team“ an den Start und zeigte während ihrer Performance ein Cape mit der Aufschrift „Free Afghan Women“ („Befreit afghanische Frauen“). Dafür wurde sie disqualifiziert. Die olympischen Statuten lassen keine politischen Slogans oder Statements zu. In einem Interview mit der World Dance Sport Federation vom 7. August sagte Manizha Talash: „Ich habe Afghanistan nicht verlassen, weil ich Angst vor den Taliban habe oder weil ich nicht in Afghanistan leben kann (…) Ich bin gegangen, weil ich alles für die Mädchen in Afghanistan tun will, für mein Leben, meine Zukunft, für alle.“

Samstag, 10. August

Am Samstag fand in Bautzen (Sachsen) zum zweiten Mal der „CSD“ statt. Mehr als tausend Menschen waren gekommen, um für Vielfalt, sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung zu demonstrieren. Aber auch gegen rechts, denn schon im Vorfeld war klar, dass Rechtsextreme eine Gegendemonstration angemeldet hatten. Um die Veranstalter*innen vor Ort zu unterstützen, waren hunderte Queers nach Bautzen gekommen. Eine davon war Judith Geffert, Journalistin und Autorin. Judiths Worte gebe ich im folgenden im Wortlaut (mit kleinen Rechtschreibkorrekturen) wieder:

„Ich bin nachdenklich vom CSD in Bautzen zurück gekommen. Ja, die Polizei hat den CSD geschützt und ohne sie wäre er wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Aber wie kann es sein, dass die 680 Neonazis, die es am Ende doch waren, überhaupt so nah an uns rankommen durften? Immer wieder standen sie an der Seite, haben uns gefilmt und angeschrien. Wäre die Antifa nicht so stabil mit Schirmen und Bannern dazwischen gegangen, um uns literally abzuschirmen, wären wir der rechten Gewalt noch viel stärker ausgesetzt gewesen.

Wie kann es sein, dass die Polizei bei anderen Demos (z.B. in Berlin) so konsequent dazwischen geht, friedlich demonstrierende Menschen massiv einschränkt, Menschen die gegen Krieg demonstrieren festnimmt und Kinder und Jugendliche schlägt, aber die Nazis sich ungestört versammeln und ihre Parolen rufen lässt? Ja ich weiß, Deeskalation war in diesem Moment wahrscheinlich angesagt und grundsätzlich handelt die Polizei rassistisch. Es macht mich einfach so wütend, dass dieser Naziprotest überhaupt passieren durfte.

Die Nazis waren übrigens so jung, teilweise noch Teenager. So viel Hass in ihren Gesichtern. Während friedliche Jugendliche und Kinder in Neukölln an jeder Straßenecke kontrolliert werden, können diese fein geschniegelten jungen Menschen einfach ihres Weges gehen nach der Demo.

Die Organisator*innen vom Queernetz Bautzen haben übrigens nochmal darauf hingewiesen, wie alltäglich es in Ostsachsen inzwischen ist, dass Nazis auf der Straße rumlaufen und Menschen, Jugendclubs oder andere Projekte angreifen und einschüchtern. Es ist zunehmend Normalzustand. Ich war bisher zweimal in Bautzen und wurde beide Male von der Polizei eskortiert, als ich mit einer Gruppe Links aussehender Menschen unterwegs war.

Beim CSD waren wir zwar über 1000 Leute, aber die meisten sind danach wieder abgereist. Aber die alltägliche Gefahr bleibt und die Leute, die dort wohnen, müssen damit umgehen. Umso wichtiger, dass wir aus den großen Städten nicht nur einmal im Jahr dorthin fahren, um sie zu unterstützen.“

Judith Geffert

Wenn ihr das Queernetz Bautzen oder andere zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen wollt, geht das übrigens auch, wenn ihr nicht vor Ort seid. Das Queernetz Bautzen kann derzeit z.B. Hilfe bei der Öffentlichkeitsarbeit gebrauchen. Im Newsletter stelle ich euch jede Woche eine andere Initiative, einen Verein oder ein Projekt vor, Menschen, die sich aktiv gegen rechte Strukturen stellen und auf Support angewiesen sind.

Sonntag, 11. August

In der ersten Jahreshälfte gab es in Deutschland pro Tag knapp drei Übergriffe auf Geflüchtete. „Die Linke“ hatte eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und erhielt die Antwort: „Die Polizei hat im ersten Halbjahr 2024 deutschlandweit 519 Übergriffe auf Flüchtlinge und Asylbewerber registriert.“ Dazu kommen 69 Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten und Asylbewerber*innen. Zum allergrößten Teil kamen die Täter*innen aus der „rechten Szene“ sagt die Polizei. „Seit Langem ist bekannt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen rassistischen Parolen, die Politikerinnen und Politiker ausgeben, und rassistischen Mobilisierungen und Angriffen auf den Straßen gibt“, sagte Clara Bünger, die für „Die Linke“ im Bundestag sitzt, zur „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Das wars für heute, ich danke euch wie immer fürs Lesen. Wer kann und will: via PayPal gibt es die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, die Arbeit am Wochenrückblick dauerhaft zu finanzieren.

Newsletter (kostenlos!) abonnieren

Schreibe einen Kommentar